"Die Fremden Teufel"
Es ist die Zeit der Opiumkriege um 1900. Die Kolonialmächte zwingen China Opium als Zahlungsmittel auf, der Aufstand der Karate-kundigen und deshalb "Boxer" genannten Chinesen lässt nicht lange auf sich warten. Seyfried schildert die historischen Ereignisse aus deutscher Sicht, aus der einer Frau und dreier Männer.
Peking im Sommer: 40° Celsius, die Luft voller Staub und Sand, herangeweht aus der mongolischen Steppe, "Gelber Wind" genannt. So lautet denn auch der Titel von Gerhard Seyfrieds neuem Roman.
In den 70er und 80er Jahren wurde Seyfried als Cartoon-Zeichner berühmt. 1999 verlegte sich Seyfried, -vor 60 Jahren in München geboren-, aufs Bücherschreiben. Schon in seinen ersten beiden Romanen widmete er sich der Aufarbeitung deutscher Geschichte: in dem Roman "Der schwarze Stern der Tupamaros" untersuchte er das Sympathisanten-Umfeld der RAF und in dem Roman "Herero" das brutale Vorgehen des deutschen Kolonialismus´ 1904 in Südafrika. Den historischen Themen ist Seyfried auch in seinem dritten, gerade erschienenen Roman treu geblieben; er führt den Leser ins Jahr 1900, nach China und nach Berlin.
Während des 19. Jahrhunderts hatten die Kolonialmächte begonnen, China zu besetzen und auszuplündern. Der koloniale Zynismus gipfelte in den so genannten Opium-Kriegen: England hatte China 1860 gezwungen, englisches Opium aus Indien als Zahlungsmittel zu akzeptieren; England bezahlte fortan den chinesischen Tee mit Opium, und Opiumsucht wurde zur Volkskrankheit in China. Im Jahr 1900 begehrten dann weite Teile der Chinesen gegen die insgesamt 11 Kolonialmächte auf, zu denen auch Deutschland gehörte. Die Engländer nannten die Aufständischen "Boxer", in Anlehnung an die Karate-Künste der Chinesen.
Seyfried schildert die historischen Ereignisse aus deutscher Sicht, aus der einer Frau und dreier Männer, die das Spektrum der deutschen Gesellschaft widerspiegeln: ein Reichstagsabgeordneter der SPD, ein junger adliger aber verarmter Marineoffizier, ein gerade erst von der Opiumsucht geheilter Journalist und eine junge Lehrerin. Zwei von ihnen erleben das Hauptgeschehen des Romans mit, um das sich alles dreht; das Botschaftsviertel in Peking wird 55 Tage lang gegen angreifende Aufständische alias Boxer militärisch verteidigt, bis Entsatz, also die militärische Befreiung der Eingeschlossenen kommt.
Der Autor schildert die historischen Ereignisse neutral, distanziert, Bericht erstattend, manchmal sogar fast kühl, sprachlich konservativ, äußerlich nie experimentell, breit erzählend und verliebt ins Detail. Seyfried wendet denselben Kunstgriff an wie schon bei seinem ersten Roman "Herero" und tut damit etwas schriftstellerisch sehr Mutiges: Er legt das Buch wie einen gutbürgerlichen Roman aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg an, der den Leser schockiert und gleichzeitig "erbaut", -die vier Hauptfiguren erleben ihr privates Happy-End, vier Liebesgeschichten erfüllen sich auf sentimentale und dramatische Weise. Hut ab vor diesem literarisch schwierigen wie absolut gelungenen Experiment. Das erzählende Präsens sorgt für Transparenz, Schnelligkeit und Leichtigkeit.
Nichtsdestotrotz ist dieses 665-Seiten-Buch so überbordend detailreich, - Seyfried hat jahrelang in Archiven recherchiert-, dass der Leser schon Geduld mitbringen muss. "Gelber Wind" ist kein Historien-Thriller, den man schnell verschlingen kann. Das Lesetempo muss sich jenem langsamen Rhythmus der Kutschen und Kohledampfer um 1900 anpassen, was nicht schwer fällt. Seyfried ist ein Meister brillanter Beschreibungen des Lokalkolorits, ob nun in Peking oder Berlin, und den Leser erwartet ein bisschen eine Mischung aus "Der englische Patient", vier Courths-Maler-Happy-Ends und dann die nüchterne brutale Realität des Kolonialismus. Lakonische kleine Sätze machen diesen Roman in ihrer Sparsamkeit groß, Sätze wie: "Der Gestank ist unerträglich." Sätze wie aus Joseph Conrads "Herz der Finsternis".
Seyfried zeigt auf frappierend klare Weise, in welcher politisch-bizarren Welt die Menschen vor 100 Jahren lebten, auch in Deutschland.
Rezensiert von Lutz Bunk
Gerhard Seyfried: "Gelber Wind oder Der Aufstand der Boxer"
Eichborn Berlin Verlag 2008
656 Seiten, 29.95 €.
In den 70er und 80er Jahren wurde Seyfried als Cartoon-Zeichner berühmt. 1999 verlegte sich Seyfried, -vor 60 Jahren in München geboren-, aufs Bücherschreiben. Schon in seinen ersten beiden Romanen widmete er sich der Aufarbeitung deutscher Geschichte: in dem Roman "Der schwarze Stern der Tupamaros" untersuchte er das Sympathisanten-Umfeld der RAF und in dem Roman "Herero" das brutale Vorgehen des deutschen Kolonialismus´ 1904 in Südafrika. Den historischen Themen ist Seyfried auch in seinem dritten, gerade erschienenen Roman treu geblieben; er führt den Leser ins Jahr 1900, nach China und nach Berlin.
Während des 19. Jahrhunderts hatten die Kolonialmächte begonnen, China zu besetzen und auszuplündern. Der koloniale Zynismus gipfelte in den so genannten Opium-Kriegen: England hatte China 1860 gezwungen, englisches Opium aus Indien als Zahlungsmittel zu akzeptieren; England bezahlte fortan den chinesischen Tee mit Opium, und Opiumsucht wurde zur Volkskrankheit in China. Im Jahr 1900 begehrten dann weite Teile der Chinesen gegen die insgesamt 11 Kolonialmächte auf, zu denen auch Deutschland gehörte. Die Engländer nannten die Aufständischen "Boxer", in Anlehnung an die Karate-Künste der Chinesen.
Seyfried schildert die historischen Ereignisse aus deutscher Sicht, aus der einer Frau und dreier Männer, die das Spektrum der deutschen Gesellschaft widerspiegeln: ein Reichstagsabgeordneter der SPD, ein junger adliger aber verarmter Marineoffizier, ein gerade erst von der Opiumsucht geheilter Journalist und eine junge Lehrerin. Zwei von ihnen erleben das Hauptgeschehen des Romans mit, um das sich alles dreht; das Botschaftsviertel in Peking wird 55 Tage lang gegen angreifende Aufständische alias Boxer militärisch verteidigt, bis Entsatz, also die militärische Befreiung der Eingeschlossenen kommt.
Der Autor schildert die historischen Ereignisse neutral, distanziert, Bericht erstattend, manchmal sogar fast kühl, sprachlich konservativ, äußerlich nie experimentell, breit erzählend und verliebt ins Detail. Seyfried wendet denselben Kunstgriff an wie schon bei seinem ersten Roman "Herero" und tut damit etwas schriftstellerisch sehr Mutiges: Er legt das Buch wie einen gutbürgerlichen Roman aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg an, der den Leser schockiert und gleichzeitig "erbaut", -die vier Hauptfiguren erleben ihr privates Happy-End, vier Liebesgeschichten erfüllen sich auf sentimentale und dramatische Weise. Hut ab vor diesem literarisch schwierigen wie absolut gelungenen Experiment. Das erzählende Präsens sorgt für Transparenz, Schnelligkeit und Leichtigkeit.
Nichtsdestotrotz ist dieses 665-Seiten-Buch so überbordend detailreich, - Seyfried hat jahrelang in Archiven recherchiert-, dass der Leser schon Geduld mitbringen muss. "Gelber Wind" ist kein Historien-Thriller, den man schnell verschlingen kann. Das Lesetempo muss sich jenem langsamen Rhythmus der Kutschen und Kohledampfer um 1900 anpassen, was nicht schwer fällt. Seyfried ist ein Meister brillanter Beschreibungen des Lokalkolorits, ob nun in Peking oder Berlin, und den Leser erwartet ein bisschen eine Mischung aus "Der englische Patient", vier Courths-Maler-Happy-Ends und dann die nüchterne brutale Realität des Kolonialismus. Lakonische kleine Sätze machen diesen Roman in ihrer Sparsamkeit groß, Sätze wie: "Der Gestank ist unerträglich." Sätze wie aus Joseph Conrads "Herz der Finsternis".
Seyfried zeigt auf frappierend klare Weise, in welcher politisch-bizarren Welt die Menschen vor 100 Jahren lebten, auch in Deutschland.
Rezensiert von Lutz Bunk
Gerhard Seyfried: "Gelber Wind oder Der Aufstand der Boxer"
Eichborn Berlin Verlag 2008
656 Seiten, 29.95 €.