Die Frucht eines modernen Landes
Ältere werden sich noch an die Orange in der Schultüte und auf dem Weihnachtsteller erinnern. Jaffa, das klang nach Orient, Abenteuer und Kreuzzügen. Dieser Symbolik spürt der Film "Jaffa - The Orange’s Clockwork" von Eyal Sivan nach.
Eyal Sivan ist ein Meister des Kompilationsfilms, der Kunst, aus der Montage ganz verschiedener Elemente etwas Neues entstehen zu lassen, neue Fragen und neue Antworten. Das bewies er spätestens vor sechs Jahren, als seine, aus Dokumentarfragmenten montierten Lebensgeschichte eines Stasi-Offiziers "Aus Liebe zum Volk" in die Kinos kam. Am Donnerstag startet sein neuster Film. "Jaffa - The Orange's Clockwork" in den deutschen Kinos. Ein Beitrag von Wolfgang Martin Hamdorf:
Das Land des Sonnenscheins: Ein Werbespot in den leuchtenden Farben der 1950-er Jahren. Angepriesen wird die Jaffa-Orange als eine Frucht aus einem modernen Land mit einer alttestamentarischen Tradition:
Eyal Sivan: "Zuerst einmal sollten wir uns daran erinnern, dass die Orange eigentlich etwas Absurdes ist, denn was ist schon eine Orange? Eine Frucht aus Wasser und Vitamin C, die aus Ländern, die so gut wie gar kein Wasser haben, in Länder exportiert werden, die es im Überfluss haben. Von Anfang an absurd."
In seinem neuen Film "Jaffa - The Orange’s Clockwork" fragt der israelische Regisseur Eyal Sivan nach der Symbolik hinter Wasser und Vitamin C:
"Es ist ein Symbol sowohl für den Zionisten als auch für die Palästinenser. Für die Zionisten steht es dafür, die Wüste zum Blühen zu bringen, für die Palästinenser steht es für die Modernität. Die Orange ist ein Symbol für beide Seiten und deswegen denke ich, wenn es einmal einen gemeinsamen Staat geben sollte, müsste sie seine Fahne zieren."
Ein Lied junger zionistischer Pioniere fordert auf, Obstbäume zu pflanzen. Der Orangenanbau wurde zur Gründungslegende des Staates Israel; für die Palästinenser steht die Frucht für den verlorenen Einfluss, für die verlorene Heimat, und dann erinnert die Orange auch an eine längst verlorene Zeit, als Israelis und Palästinenser noch gemeinsam die Plantagen bewirtschafteten.
Vier Jahre lang hat Eyal Sivan in internationalen Filmarchiven und privaten Sammlungen geforscht und dabei eine unglaubliche Vielfalt an Material zu Tage gefördert: Wochenschaubilder, Werbe- und Industriefilme, in englischer, französischer, hebräischer und arabischer Sprache. Er fand Aufnahmen von den Anfängen der Fotografie- und Filmgeschichte, über frühe christliche Bibelfilme und zionistische Aufbaufilme, fast im Stil sowjetischer Propaganda, bis hin zu aktuellen Fernsehbildern, wenn Orangenhaine im Gazastreifen von der israelischen Armee gerodet werden.
Dabei verzichtet der Film auf einen leitenden Off-Kommentar, sondern lässt vielmehr die Bilder und Archivaufnahmen durch Zeitzeugen, Historiker und Experten kommentieren. So erinnert sich etwa der israelische Dichter und Journalist Haim Gouri an seine Kindheit, als sich zwischen Jaffa und Tel Aviv noch große Orangenhaine ausdehnten, oder so erzählt der palästinensische Orangenbauer Ismail Abou Shahade von der Entstehung der Zitrusfruchtindustrie in Palästina:
"Ich habe den Leuten Filme gezeigt, den Zeitzeugen habe ich Fotos gegeben, die haben sie sich angeschaut und dann reagiert, ich habe sie gefragt, was sie genau sehen, was sie empfinden. Bei den anderen habe ich die Filme an die Wand projiziert, das war einerseits eine wirkliche Projektion, aber ist auch eine innerliche Projektion dieser ganzen Geschichte Palästinas und der Orangen."
Der Film zeigt, wie die kleine Orange zum touristischen Symbol und zum ideologischen Zankapfel wurde, zeigt, wie die Stadt Jaffa, immer mehr an Bedeutung verlor und die gleichnamige Orange dagegen weltweit bekannt wurde. Über die Geschichte der Orange und der Stadt gelingt Eyal Sivan eine spannende Topographie eines Konfliktes und eines erbitterten Kampfes, den die einen für das Heilige Land, die anderen für Palästina oder für Israel ausfechten.
In Israel selbst, erzählt der Regisseur, sei der Film heftig kritisiert worden, besonders provoziert habe das Publikum die Montage der alten Propaganda- und Werbefilme, es handele sich hierbei fast um ein Schamgefühl den alten Propagandafilmen gegenüber:
"Da war einfach dieses Gefühl, dass alles Material vorhanden war, aber uns niemand die ganze Geschichte erzählt hat, dieses Gefühl, hintergangen worden zu sein. Und dieses Gefühl schlägt dann auf mich als Filmemacher zurück, als hätte ich die Bilder irgendwie manipuliert. Aber die große Manipulation liegt doch darin, dass wir die Bilder niemals in einen Gesamtzusammenhang gebracht haben, natürlich waren die Aufnahmen zugänglich, man konnte sie sehen, aber wir haben sie niemals in einen Zusammenhang gebracht."
In der Werbung für die Orangen seit ihren Anfängen werden aber auch ganz geschickt, subtil und direkt die romantischen Orientsehnsüchte europäischer Konsumenten angespielt. Der Film führt uns vor Augen, wie weit die alten Träume vom Orient unser Bild vom Nahen Osten und seinen Konflikten bis heute prägen. Für Israelis und Palästinenser ist "Jaffa - The Orange’s Clockwork" auch eine Einladung zu einer gemeinsamen Geschichtsschreibung oder zumindest einer Diskussion der gemeinsamen Geschichte.
Das Land des Sonnenscheins: Ein Werbespot in den leuchtenden Farben der 1950-er Jahren. Angepriesen wird die Jaffa-Orange als eine Frucht aus einem modernen Land mit einer alttestamentarischen Tradition:
Eyal Sivan: "Zuerst einmal sollten wir uns daran erinnern, dass die Orange eigentlich etwas Absurdes ist, denn was ist schon eine Orange? Eine Frucht aus Wasser und Vitamin C, die aus Ländern, die so gut wie gar kein Wasser haben, in Länder exportiert werden, die es im Überfluss haben. Von Anfang an absurd."
In seinem neuen Film "Jaffa - The Orange’s Clockwork" fragt der israelische Regisseur Eyal Sivan nach der Symbolik hinter Wasser und Vitamin C:
"Es ist ein Symbol sowohl für den Zionisten als auch für die Palästinenser. Für die Zionisten steht es dafür, die Wüste zum Blühen zu bringen, für die Palästinenser steht es für die Modernität. Die Orange ist ein Symbol für beide Seiten und deswegen denke ich, wenn es einmal einen gemeinsamen Staat geben sollte, müsste sie seine Fahne zieren."
Ein Lied junger zionistischer Pioniere fordert auf, Obstbäume zu pflanzen. Der Orangenanbau wurde zur Gründungslegende des Staates Israel; für die Palästinenser steht die Frucht für den verlorenen Einfluss, für die verlorene Heimat, und dann erinnert die Orange auch an eine längst verlorene Zeit, als Israelis und Palästinenser noch gemeinsam die Plantagen bewirtschafteten.
Vier Jahre lang hat Eyal Sivan in internationalen Filmarchiven und privaten Sammlungen geforscht und dabei eine unglaubliche Vielfalt an Material zu Tage gefördert: Wochenschaubilder, Werbe- und Industriefilme, in englischer, französischer, hebräischer und arabischer Sprache. Er fand Aufnahmen von den Anfängen der Fotografie- und Filmgeschichte, über frühe christliche Bibelfilme und zionistische Aufbaufilme, fast im Stil sowjetischer Propaganda, bis hin zu aktuellen Fernsehbildern, wenn Orangenhaine im Gazastreifen von der israelischen Armee gerodet werden.
Dabei verzichtet der Film auf einen leitenden Off-Kommentar, sondern lässt vielmehr die Bilder und Archivaufnahmen durch Zeitzeugen, Historiker und Experten kommentieren. So erinnert sich etwa der israelische Dichter und Journalist Haim Gouri an seine Kindheit, als sich zwischen Jaffa und Tel Aviv noch große Orangenhaine ausdehnten, oder so erzählt der palästinensische Orangenbauer Ismail Abou Shahade von der Entstehung der Zitrusfruchtindustrie in Palästina:
"Ich habe den Leuten Filme gezeigt, den Zeitzeugen habe ich Fotos gegeben, die haben sie sich angeschaut und dann reagiert, ich habe sie gefragt, was sie genau sehen, was sie empfinden. Bei den anderen habe ich die Filme an die Wand projiziert, das war einerseits eine wirkliche Projektion, aber ist auch eine innerliche Projektion dieser ganzen Geschichte Palästinas und der Orangen."
Der Film zeigt, wie die kleine Orange zum touristischen Symbol und zum ideologischen Zankapfel wurde, zeigt, wie die Stadt Jaffa, immer mehr an Bedeutung verlor und die gleichnamige Orange dagegen weltweit bekannt wurde. Über die Geschichte der Orange und der Stadt gelingt Eyal Sivan eine spannende Topographie eines Konfliktes und eines erbitterten Kampfes, den die einen für das Heilige Land, die anderen für Palästina oder für Israel ausfechten.
In Israel selbst, erzählt der Regisseur, sei der Film heftig kritisiert worden, besonders provoziert habe das Publikum die Montage der alten Propaganda- und Werbefilme, es handele sich hierbei fast um ein Schamgefühl den alten Propagandafilmen gegenüber:
"Da war einfach dieses Gefühl, dass alles Material vorhanden war, aber uns niemand die ganze Geschichte erzählt hat, dieses Gefühl, hintergangen worden zu sein. Und dieses Gefühl schlägt dann auf mich als Filmemacher zurück, als hätte ich die Bilder irgendwie manipuliert. Aber die große Manipulation liegt doch darin, dass wir die Bilder niemals in einen Gesamtzusammenhang gebracht haben, natürlich waren die Aufnahmen zugänglich, man konnte sie sehen, aber wir haben sie niemals in einen Zusammenhang gebracht."
In der Werbung für die Orangen seit ihren Anfängen werden aber auch ganz geschickt, subtil und direkt die romantischen Orientsehnsüchte europäischer Konsumenten angespielt. Der Film führt uns vor Augen, wie weit die alten Träume vom Orient unser Bild vom Nahen Osten und seinen Konflikten bis heute prägen. Für Israelis und Palästinenser ist "Jaffa - The Orange’s Clockwork" auch eine Einladung zu einer gemeinsamen Geschichtsschreibung oder zumindest einer Diskussion der gemeinsamen Geschichte.