Die Füße durchgelaufen

Von Gudula Geuther |
Als Kind schämte sich Stefan Arend seines hessischen "Bauerndialekts". Heute erleben die Regionalsprachen zwar eine Renaissance - den Schulkindern wird aber trotzdem noch das Hochdeutsche eingebläut. Nur noch jedes vierte Kind im Kreis Fulda spricht, wie einst den Großeltern der Schnabel gewachsen war.
Mit einem einmaligen Internetarchiv will nun der Sprachwissenschaftler Arend die Besonderheiten von Dorf zu Dorf bewahren. "Die Füße tun mir sehr weh - ich glaube, ich habe sie durchgelaufen" - "Wer hat mir meinen Korb mit Fleisch gestohlen?" - ein Osthesse weiß, ob das ein Fliedener oder Eltenfelder sagt. Und wer will, kann gleich noch seine liebsten Abzählreime ins Netz stellen - Dialektreinheit ist keine Bedingung, der Spaß genügt.

Arend: "Er hat sich die Füße durchgelaufen. Durchgeloopen, durchgeloofen. Die Füße, die Foote, die Füte... "
Frau: "Die Füß tunn ma weh, ich glei ich han se durchgelauwe. "
Mann: "Die Füaß tumme weh, ich glei ich han se durchgelauwe. "


Rhöner Säuwäntzt: "Mir bruche känn Joint un kei Discothek,
hauptsach äss, äss gätt rächdich schöö.
Un schöö gätts nur bann mo zesomme sätzt,
un met sinne Kolleechä schöö schlääd konn geschwatz. "

Als Kind schämte sich Stefan Arend seines hessischen "Bauerndialekts". Heute erleben die Regionalsprachen zwar eine Renaissance - den Schulkindern wird aber trotzdem lediglich das Hochdeutsche eingebleut. Nur noch jedes vierte Kind im Kreis Fulda spricht, wie einst den Großeltern der Schnabel gewachsen war. Mit einem einmaligen Internetarchiv will nun der Sprachwissenschaftler Arend die Besonderheiten von Dorf zu Dorf bewahren. "Die Füße tun mir weh - ich glaube, ich habe sie durchgelaufen" - "Wer hat mir meinen Korb mit Fleisch gestohlen?" - ein Osthesse weiß, ob das ein Fliedener oder Eltenfelder sagt. Und wer will, kann gleich noch seine liebsten Abzählreime ins Netz stellen - Dialektreinheit ist keine Bedingung, der Spaß genügt.


Arend: "Für mich galt über viele Jahre, dass das, was ich sprachlich mitbekommen habe von zu Hause oder vom Land eigentlich etwas ist, dem ich mich fast zu schämen hätte eigentlich. Man wurde gemaßregelt - selbstverständlich, man hat sich selbst dabei ertappt, dass man Redewendungen aus der verbalen Kommunikation ins Schriftliche hat reinfließen lassen. Und da galt der Dialekt und das nicht vollständige Beherrschen der Hochsprache als Zeichen von Ungebildetsein. Und viele von uns, und ich selber auch, habe dann versucht, eigentlich meine eigenen sprachlichen Wurzeln und Eigenarten dann auch abzulegen. "

Wie man hört mit Erfolg. Was Stefan Arend geschafft hat, das könnte jetzt einer ganzen Region gelingen: Das osthessische Platt droht zu verschwinden. Denn mit dem in Hessen salonfähigen Frankforderisch hat die Fuldaer Mundart zwischen Rhön und Vogelsberg wenig zu tun. Hier wird nicht gebabbelt, hier werd geschwatz. Wirklich geschwatz, in Verbformen, in denen es Fremde nicht vermuten würden.

Arend: "Es gibt dann noch die besondere Art der Satzbildung und so weiter, dass man also solche Konstrukte vorfindet: Was soll ich machen? Wos soll ich gemach? "

Wirklich? Wirklich:

Frau: "Bei uns wars eintlich so, dass in de Schol nur hochdütsch geschwatzt wor. Und ma hadde ei Kän dabei, die han dahei nur Platt geschwatz un de kann au in de Schol nit Hochdütsch geschwatz. "

Einige bedauern den Verlust, andere empfinden ihn gar nicht mehr. Stefan Arend führt seine Wandlung auf ein Aha-Erlebnis zurück.

Arend: "Wir hatten durch Zufall einen hervorragenden Deutschlehrer, der in Marburg an der Lahn studiert hatte und dort bei dem deutschen Sprachatlas eine Zeit seine Ausbildung vollzogen hat. Und der hat uns eingeladen, eine Exkursion zu machen eben nach Marburg zum deutschen Sprachatlas und bei diesem Besuch ist mir bewusst geworden, welchen Schatz ich eigentlich in mir trage und welche Kompetenz man eigentlich mit sich hat. Und dass das etwas ist, dem man sich überhaupt nicht zu schämen braucht, sondern im Gegenteil, das wahnsinnig viel an Identität, an Besonderheiten eigentlich auch in sich trägt, und eigentlich unvergleichbar ist. "

Stefan Arend blieb dabei hängen. Studierte in Marburg, an eben dem Institut, das den deutschen Sprachatlas herausgibt, wo also Begriffe und Redeweisen gesammelt und ausgewertet, Grenzen gezogen und kartographiert werden. Seine Promotion schrieb der Nordhesse Arend über die Mundart seines eigenen Dorfes. Und auch jetzt, wo er nach Osthessen umgezogen und beruflich auf die Altenhilfe umgestiegen ist, forscht er weiter. Vor allem mit seiner eigenen Spielart eines Sprachatlasses. Mit ToM, dem Tonarchiv osthessischer Mundarten, einem Laien- und Internet-Projekt des Kreises Fulda.

Arend: "Die Geschichte von ToM beginnt eigentlich bei einem Mundart-Theaterabend hier im Fuldaer Land. Der Theaterabend ist immer etwas ganz besonderes, weil da in Mundart - in osthessischer Mundart - ein lustiges Stück gebracht wird. "

Säuwäntzt-Blues: "Un bann d´Moond uff gätt hänger d´Wasserkupp,
do gätts Häckehooch hää, do moste au mo guck.
Do werd gesoffe un geloaicht, do wird dee Sau geschloaicht,
gätts schöö dee gaanz Noaicht wird änner druff gemoaicht.
Jo do gätts Häckehoch hää, do mosste au mo guck,
bann d´Moond uff gätt hänger d´Wasserkupp. "

Arend: "Und an einem dieser Abende saßen wir am Schluss dann nach der Aufführung noch zusammen und fingen an, nach der Aufführung noch zu philosophieren, wie schön und wie bemerkenswert eigentlich die Sprache ist, und der Fuldaer Oberbürgermeister erzählte damals auch, dass er selbstverständlich zu Hause Mundart spricht. Und da war natürlich das Thema geboren: Wer spricht eigentlich heute noch Mundart, wie hat sich Mundart entwickelt, warum gibt es immer weniger Mundartsprecher und wie wird sich das eigentlich in 10, 20 Jahren darstellen? "

Die Initiatoren waren selbst überrascht von ihrem Erfolg. Die 700 Karten für eine Eröffnungsveranstaltung mit Mundartauftritten waren innerhalb von Stunden verkauft.
Arend: "Wo man fast den Eindruck hatte, dass die Menschen fast danach gelechzt haben, endlich wieder ihre Sprache, ihre Mundart und ihre Identität auf der Bühne zu sehen. "

Oder im Internet. Aufgenommen zu Hause direkt im Computer, auf eingeschickten Ton- und Video-Kassetten.

Arend: "Uns war vor allem von Anfang an wichtig, dass wir die Menschen mit Freude abholen. Dass wir also nicht sagen: Das richtet sich nur an die absoluten Fachleute, sondern wir müssen einen Wettbewerb haben, an dem jeder teilnehmen kann, niemand die Angst hat, irgend etwas falsch machen zu können, und gleichzeitig, dass wir über die Hintertür aber Mechanismen einbauen, die es uns erlauben, auch wissenschaftlich zu arbeiten. Die es uns erlauben, dieses Material auch Wissenschaftlern an die Hand zu geben, die sagen: Mensch, damit können wir ja auch arbeiten. So dass wir den Wettbewerb geteilt haben in eine Pflicht und eine Kür, möchte ich mal sagen. "
Auf der Internetseite der Medienzentren Hessen kann man das Ergebnis jetzt anhören, Fulda weltweit: Kindergedichte, Erzählungen und Lieder.

Mann: "Sülles ka awes met Hützelbrö geschmalzt
Wenn de Hans kei Hutzel hot
Dann soll de Baum kei Bern me troa"

Frau: "Owwe im Ferscht
Da hänge de lange Werscht
Da gatt a ons de lange
die kurze loßt a hange"

Einige machen sich auch über die Sprache Gedanken, wenn auch eher übers Deutsche als gerade das Fuldaer Platt.

"Ma kennt manchmal vor Zorn geplatz
Wann ma de Jugend heut hert schwatz.
Frieha trage de Fraue noch Keng
Heut gibt’s nur Babies mit Solarium-Teint
Teenager sagt ma fer ganz junge Denger
Un Kleptomane fer aane mit längere Finger.
Männer met Ostand send Gentlemen
Mam is e Modda metm Stalle voll Keng.
De Vadda werd nur noch Daddy geheiße
Un Champion is aana met haufeweis Preise. "
Soweit die Kür. Die Pflicht dagegen hört sich eher merkwürdig an: Er hat sich die Füße durchgelaufen - einer dieser Pflichtsätze, ein so genannter Wencker-Satz.

Arend: "Die wurden vor über 100 Jahren konstruiert von einem Sprachwissenschaftler, der Georg Wencker hieß, der der erste Leiter des deutschen Sprachatlasses war. Und er hat in diese Sätze reingepackt, was ihm an Besonderheiten im deutschen Sprachgebiet nach vielen Jahren der Forschung aufgefallen sind. Zum Beispiel heißt einer dieser Sätze: Der gute alte Mann ist mit dem Pferd durchs Eis gebrochen und ins kalte Wasser gefallen. - Ein blöder Satz, denkt man. Aber der Sprachwissenschaftler sagt: Mh, da sind sehr schöne, interessante Wörter drin. Und Bezeichnungen, Lautungen, die im deutschen Sprachgebrauch vollkommen anders ausfallen können. Zum Beispiel: Ist der gute alte Mann durchs Eis oder durchs Iis gebrochen? Es gibt also eine Eis-Iis-Linie, eine Grenze, die sich durch das deutsche Sprachgebiet zieht. Oder ist er ins Wasser gefallen oder ins Water gefallen? "

Probe aus Thalau, einem Dörfchen südlich von Fulda an der bayerischen Grenze. Der Techniker im Altenheim stellt sich als Versuchsperson bereit:

Mann: "Der guut oll Mann is mittem Gul durchs Iis gebroche und ins kal, kall Wassa gefalle. "

Die Sekretärin vom Vogelsberg kennt solche Spielchen schon. Bei ihr klingt es ähnlich, auch wenn der Mann nicht oll, sondern all ist.

Frau: "Der guut all Mann is mittem Gul durchs Iis gebroche und ins kall Wassa gefalle. "

Arend: "Das besondere eigentlich hier an der osthessischen Region, an der Fuldarer Mundart ist eigentlich, dass man einen sehr alten Sprachraum hat. Das Besondere ist, dass man hier Sprachformen findet, die man so im deutschen Sprachgebiet an sich nicht hat. Und die Sprachwissenschaftler gehen davon aus, dass diese - ja gewisse Abschottung des Fuldarer Raums durch die Konfession - alles andere war evangelisch in Hessen, nur dieses Gebiet ist großflächig katholisch geblieben und hat also den Reformationsbewegungen standgehalten. Und dass diese besondere Lage dazu geführt hat, dass man - ich sag mal - alte Sprachformen sehr lange auch bewahrt hat. "

Schön für die Wissenschaftler. Aber wie sieht es mit den Sprechern aus? Die Sekretärin im Altenheim, Rosi Fladung, schwatzt zu Hause. Im Büro nur fürs Mikrofon.

Fladung: "Ich henns halt genn, wenn anna Mundaat schwatzt, wei des hett heit wein gesproche wird. Egal bei des is. "

Also auch wenns ein Bayer oder ein Hamburger wäre, Hauptsache Mundart. Ist das repräsentativ? Ein Praxistest.

Arend: "Wenn ma da ins Lebensmittel oder zum Bäcker oder irgend so etwas geht, liegt man richtig. Also wir von der Uni sind da auch immer hingegangen. Zum Bäcker, zu Metzgern usw. und haben mit der Dame hinterm Tresen angefangen zu plaudern. Und da hat das immer funktioniert. "

Fliedern, südwestlich von Fulda. Verkehr gibt es genug, auch das eine oder andere 50er Jahre-Haus, aber die Alteingesessenen tragen noch Namen wie Wöggremese, nicht der Familienname, sondern der des Schindel gedeckten Fachwerkhauses. Eine Metzgerei an der Hauptstraße:

Ob hier jemand Platt spricht?

Frau: "Bianca, sprechama Platt. - Ich kann kein Platt.- Ehrlich net? - Soll ich mal Platt sprechen? Bianca, komma her. Was machsten grad? - Ich kann net Platt geschwatz. - Ich hab jetzt was auf Platt gesprochen. - Aha. Auf Platt? Des war Platt? - Ja. So ganz echt kann ichs a nicht mehr richtig. "

Nein, richtig Platt klingt das nicht. Ähnlich beim zweiten Metzger im Ort, beim Bäcker,

Bei der Kassiererin im Supermarkt und an der Käsetheke. Es scheint zu stimmen: Osthessisch stirbt aus. Endlich, an der Kühltruhe: Eine Kundin schwatzt - und gibt es zu. Erst einmal auf Hochdeutsch:

Frau: "Ich schwatz noch Platt, ja. O jeh. Es hört sich bös an. Unser Platt ist unmöglich. Ja, ich mein das. Meine Töchter sagen das: Die sprechen kein Platt. Aber die sagen, das ist unmöglich. Hier, das Fuldaer Platt. "

Und trotz der klaren Worte erklärt sie sich zu einer Übersetzung bereit:

Frau: "O jeh, jetzt muss ich erst überlegen. Moment. Minne Däider, die sann: Uanser Platt is unmöglich. "

Ein schwieriger Feldversuch.

Der eine oder andere Mundart-Sprecher findet sich schließlich doch noch. Aber statt eines Wecker-Satzes bietet sich hier eine andere Aussage zum Vergleich an:

Jeder, der nach den Kindern gefragt wird, gibt mehr oder weniger die gleiche Antwort:

Alte Frau: "Naa, mit denne han ich nit Platt geschwatz. "

Und dann trotz guten Willens doch weitgehend auf Hochdeutsch:

Alte Frau: "Die ham alle drei studiert und promoviert. Ne, mit denne han ich, schon wegen der Schule und auch von der Rechtschreibung hab ich mit dene net Platt gesprochen. "
Zum Vergleich:

Frau: "Frieha hats geheise: Wennde midde Känna Platt schwatzt, dann lannense in de Schol net richtich deutsch. Dann schriewense Fähla. "

Kein Bayer und kaum ein Schwabe käme auf die Idee, deshalb den Dialekt zu verleugnen. Wie viel schadet also die Mundart? Frage an einen, der es wissen muss, den Fuldaer Oberbürgermeister Gerhard Möller, der noch vor seiner Wahl das Tonarchiv osthessischer Mundarten mit initiiert hatte.

Möller: "Die Tatsache, wie man sie in der Tat in den Fünfziger Jahren - oder in der Zeit noch weit davor, noch vor dem zweiten Weltkrieg, wo diese Erfahrung von den Eltern aufgenommen wurde, deren Kinder nun in der Schule plötzlich Schwierigkeiten hatten im Lesen und im Schreiben. Weil für sie Hochdeutsch die erste Fremdsprache war - die ist heute sicherlich nicht mehr gegeben. Weil heute schlicht und einfach Platt, wenn man's heute lernt und weitergibt, immer additiv die zweite Sprache ist. Nicht die erste. Heute würde das sicherlich kein entscheidender Hemmschuh sein. Aber ich weiß: Die eigenen Kinder, sie verstehen das Platt, aber sprechen können sie's nur, wenn sie sich wirklich anstrengen und man dann auch ein bisschen übt. "

Stefan Arend glaubt sogar, eine solche Zweisprachigkeit verschafft den Kindern besondere Sprachkompetenz. Was auch immer letztlich der Grund für die mangelnde Achtung der Mundart ist - er kann sich vorstellen, dass es mit der politischen Relevanz einer Region zu tun hat, oder mit medienvermittelten Rollenbildern:

Arend: "Einem Hans Eichel würden Sie es niemals anhören, dass er aus Kassel kommt. Man müsste sie auffordern und sagen: Sprechen Sie doch jetzt mal so, wie Sie’s zu Hause gesprochen haben. Aber ich kann Ihnen dafür keine Antwort geben, warum man sich da eher dann versteckt und jemand aus München oder jemand wie Franz Joseph Strauß damit überhaupt kein Problem hatte, sich damit zu präsentieren, oder Herr Schmidt aus Hamburg oder Herr Schäuble oder Rezzo Schlauch, wen immer Sie auch nehmen, die also damit überhaupt keine Probleme haben, dass man Ihnen anhört, wo sie herkommen. "

Aber zumindest unter sich, auf der Wahlkampfveranstaltung auf dem Dorfplatz, wird die Mundart doch wohl eher Stimmen bringen? Der Fuldaer Oberbürgermeister verneint:

Möller: "Die Kommunalpolitiker in den Ehrenämtern in den Städten und Gemeinden werden sicherlich nach ihrer Sitzung beim Bier zuweilen auch noch Platt miteinander reden. Aber ansonsten ist, sozusagen nach der allgemeinen gefühlten Lage, das Plattsprechen in der Öffentlichkeit etwas, was man lieber nicht tut. Man hat nicht das Selbstbewusstsein wie die Bayern. Das ist in Fulda und in Vogelsberg und in Rhön ein ganzes Stück anders. Da hält man sich jedenfalls in der Kommunalpolitik sehr zurück. Viele könnens auch gar nicht mehr. Sie verstehens zwar noch, aber könnens nicht mehr. Und dann wird Platt den Gelegenheiten vorbehalten bei Fastnacht allemal, da gehörts dazu, oder aber bei den Theaterabenden. Aber auch da ist es nicht sozusagen das offizielle Publikum, das Platt miteinander redet. Das macht man nicht. "

Gerhard Möller selbst macht diese Mundart-Auftritte und glaubt, dass sie positiv überraschen - für einen Bayern schwer zu glauben.
Möller: "Aber das führt jetzt nun nicht dazu, dass man bei normalen Alltagsgelegenheiten oder aber auch bei offiziöseren Anlässen miteinander Platt redet. Erstens weiß man nicht: Kanns der andere auch? Und geniert der sich möglicherweise, wenn mans öffentlich anwendet? "

Standhafte haben es schwer. Mit der Mundartsprecherin an der Kühltruhe im Supermarkt etwa:

Frau: "Es gitt ville junge Liit. Ich kenn welche. Aus der Nachbarschaft. Die wird Lehrerin. De schwatzt imma Platt. Aber es heert sich unmögich oh. Fend ich - an ihr. Se kanns rechtich. Sie kanns rechtig, werklich. Ich finds schlimm. Ich finds schlimm. Wal ma das von junge Leut gar nicht gewöhnt ist. "

Vielleicht muss die Sprache noch weiter verschwinden, damit sie wieder ein breiteres Publikum findet. Hat das osthessische Noch eine Chance? Stefan Arend und Rosi Fladung sind sekptisch:

Frau: "Vielleicht auf den einzelnen Dörfern, vielleicht. Aber bei den Kindern ist es ja schon verloren. Das ist ja schon weg, die Generation sprichts ja schon überhaupt nicht mehr. Und ich denk deren Kinder verstehns dann auch nicht mehr. "

Arend: "Man kann keine wirkliche Mundart wieder beleben. Oder sagen: Wir knüpfen dann an alte Traditionen an. Man kann eigentlich jetzt nur bewusst machen, dass es nichts Schlimmes ist, oder dass die Kinder auch keinen wirklichen Nachteil haben. Dass man das, was noch da ist, wirklich auch damit wirklich unterstützt. Hier versuchen wir eigentlich auch eher kulturelle, sprachliche, historische Wurzeln zu pflegen. Oder wieder bewusst zu machen: Wo komm ich her? Was macht mich aus? Oder was ist eigentlich das, was für mich wichtig ist? "

Das ist das größere, vielleicht weniger realistische Ziel. Konkreter hofft Stefan Arend, dass sich Doktoranden finden, die sich des vielen gesammelten Materials aus dem Mundart-Tonarchiv annehmen. Und außerdem, dass sich andere ein Beispiel nehmen. Und so ein ganz neuer, detaillierter Sprachatlas entsteht.

Arend: "Das Problem, das eigentlich alle Dialektologen umtreibt ist, dass wir immer noch mit Material arbeiten müssen, dass der deutsche Sprachatlas vor gut und gerne 120, 130 Jahren erhoben hat. Damals war es möglich, eine Erforschung zu machen bei allen deutschen Schulorten. Das ist heute leider so nicht mehr möglich. Die Vorstellung: Wenn man das weiterspinnen würde, und würde sagen: Der Landkreis Kassel macht das. Und da machen auch 200, 300 Menschen mit. Oder: Die Frankfurter oder solche Sachen. Und man hätte das alles im Internet. Die Vorstellung, dass man wirklich dann das sprachliche Gedächtnis eines Landes im Internet hätte und man könnte sich das anhören und man könnte dann auch so weltweit Sprache abrufen, das ist eigentlich eine entzückende Idee, die man da spinnen könnte. "

Die mehr als siebzig Kürstücke im Internet kommen aus dem Kreis Fulda, aber auch aus dem Geisaer Amt, dem Teil Thüringens, der die gleiche Mundart spricht. Und eine Frau schickte ihre Fliederner Kindheitserinnerungen aus dem US-Staat Maryland. Neben Witzen und Erzählungen sind solche Erinnerungen oder Kindergedichte am häufigsten zu hören.

Arend: "Er hat sich die Füße durchgelaufen. Durchgeloopen, durchgeloofen. Die Füße, die Foote, die Füte... "
Frau: "Die Füß tunn ma weh, ich glei ich han se durchgelauwe. "
Mann: "Die Füaß tumme weh, ich glei ich han se durchgelauwe. "

"Un bann d´Moond uff gätt hänger d´Wasserkupp,
do gätts Häckehooch hää, do moste au mo guck.
Do werd gesoffe un geloaicht, do wird dee Sau geschloaicht,
gätts schöö dee gaanz Noaicht wird änner druff gemoaicht.
Jo do gätts Häckehoch hää, do mosste au mo guck,
bann d´Moond uff gätt hänger d´Wasserkupp. "