Die Fußball-Mafia

Rezensiert von Julia Friedrichs · 01.07.2012
Seit über 20 Jahren recherchiert der Journalist Thomas Kistner in den dreckigen Ecken des Sports. In seinem neuen Buch zeichnet er ein düsteres Bild vom Weltfußballverband FIFA - und behauptet, dass er einer der Zentren der organisierten Sportkriminalität sei.
2. Dezember 2010. Gerade hat Sepp Blatter, der ewige Präsident des Weltfußballverbandes FIFA, in Zürich die Nachricht verkündet: Die Weltmeisterschaft 2022 geht an das Emirat Katar. Ein Land, in dem kaum jemand Fußball spielt. Ein Land, das sich zur WM-Zeit auf unerträgliche 50 Grad erhitzt. Ein Land, das den Großteil der WM-Stadien direkt nach dem Turnier an afrikanische Staaten verschenken will, weil es sie schlicht nie mehr brauchen wird. Trotzdem küren die 24 Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees an diesem Tag Katar - und auch gleich den Ausrichter der WM 2018: Russland.

"Tatsächlich folgt dieser Prozess gewissermaßen einem fußballpolitischen Naturgesetz, indem am Ende absurd deutlich die Kandidaten obsiegen, die für unerschöpfliche Rohstoffquellen und zugleich autokratische, rigoros intransparente Staatsführungen stehen. Hier der Russenzar Putin, dort der Emir von Katar. Schier unerklärlich wirkt der Erdrutschsieg für den Wüstenfleck Katar. Trotz des klaren Votums findet sich kein Fifa-Vorstand, der den Entscheid schlüssig darlegen kann. Zwar wird allgemein von der Öffnung neuer Märkte gesprochen. Doch jede konkrete Äußerung zu Katar fällt negativ aus."

Es liegt auch an diesem Votum für Katar, dass Thomas Kistner leichtes Spiel mit dem Leser seines Buches "Fifa-Mafia" hat. Seit über 20 Jahren schaut der Redakteur der "Süddeutschen Zeitung" in die dreckigen Ecken des Sports. Dorthin, wo Macht und Geld sich ballen. Wo mit Begeisterung von Milliarden Fans Millionen gemacht werden. Kistner behauptet, dass eines der Zentren der organisierten Sportkriminalität die FIFA sei. Und auch weil es keine nachvollziehbaren Gründe gibt, das größte Fußballturnier der Welt in einem faktisch ungeeigneten Wüstenstaat auszurichten, glaubt man ihm vom ersten Satz an. Kistner schreibt:

"Um diese WM-Vergaben vom 2. Dezember 2010 in Zürich ranken sich nicht nur die üblichen gut unterfütterten Gerüchte. Schon vor der WM-Vergabe mussten zwei Vorstände suspendiert werden sowie vier weitere Ex-Vorstände, die gegenüber Undercoverjournalisten über die aktuelle Preispolitik bei diesem Vergabezyklus geplaudert hatten und dabei gefilmt worden waren. Und es gibt derart klare Hinweise auf Korruption, dass seither Ermittlungen rund um dieses Verfahren laufen."

Dieser Dezembertag in Zürich ist der Anfang- und Endpunkt von Kistners Buch. Denn Dokumente, die belegen, wie genau die Wahl von Russland und Katar zustande kam, hat auch er nicht. Es ist eine große Leistung, dass der Autor den Leser dennoch nicht enttäuscht zurücklässt. Auf über 400 Seiten seziert Kistner die FIFA. Das Ergebnis lässt jeden Fußballfan verzweifeln. Denn es ist alles noch schlimmer als befürchtet.

Mit uns wird der Fußball besser. "For the Game. For the World."- "Für das Spiel. Für die Welt." So präsentiert sich der Verband im Werbevideo.

Und in Wirklichkeit? Kistners FIFA sieht ganz anders aus.

Gegründet 1904 von echten Gentlemen, beginnt die Geschichte der heutigen FIFA 1974 mit der Ära des João Havelange. Die FIFA-Chronik preist ihn:

"In sehr kurzer Zeit machte Havelange aus der verwaltungsorientierten Institution ein dynamisches Unternehmen mit neuen Ideen und dem Willen, diese auch weiterzuverfolgen."

Kistner dagegen schreibt:

"Havelange kommt aus dem Filz: Er ist ein Günstling der brasilianischen und der bolivianischen Militärjunta. Als Anteilseigner an Zuliefererfirmen ist er in Waffendeals verwickelt. Überdies ist er nach polizeilichen Erkenntnissen ein Profiteur des illegalen Glücksspiels Bicho in seiner Heimat. Reisen, speisen, Spesen machen und die Hand aufhalten wird zum Prinzip einer neuen Kaste aus Funktionsträgern."

Unter Havelange wird der weltweite Handel mit Fernseh- und Vermarktungsrechten zum Selbstbedienungsladen. Über Jahre tritt die FIFA einen Großteil dieser wertvollen Rechte immer an eine Agentur ab: an die "International Sport and Leisure" in Luzern. Die Agentur bedankt sich großzügig: Allein im Zeitraum von 1989 bis 2001 zahlt sie Schmiergelder in Höhe von über 140 Millionen Schweizer Franken. Unter anderem an Havelange. Als der 1998 geht, folgt sein Kronprinz, der Schweizer Sepp Blatter. An ihm arbeitet sich Kistner ab. Die FIFA sei...

" ... in den 38 Jahren, in denen der Schweizer sie als Direktor, Generalsekretär und Präsident beherrscht, zu einer Art Privatinstrument geworden. Blatter bestimmt die Regeln. Er ist hier Gesetz. Dieser Mann darf im Alleingang Finanzgeschäfte des Milliardenbetriebs abzeichnen."

Minutiös zeichnet Kistner nach, wie Blatter seinen Machtapparat errichtet und erhält. Blatter pflegt die, die ihn wählen. Immer wieder gibt es Berichte über Geldumschläge, die vor den Wahlen unter Hoteltüren durchgeschoben werden. Immer wieder gestehen Bestochene. Immer wieder klagen die Gegner. Doch Blatter umgibt sich mit einem Führungsteam, das nur ihm gehorcht, ihm seines Erachtens wohl auch gehört.

Kistner zitiert den Hilferuf des ehemaligen Generalsekretärs:

"Eigenmächtig hat Blatter die Firma McKinsey & Company zu einem Teil der Fifa-Finanzabteilung gemacht. Kosten: 420 000 bis 760 000 Franken im Monat(!) zwischen Juli 2000 und März 2002, insgesamt rund zwölf Millionen. Direktor im Zürcher McKinsey Büro: Phillipe Blatter, der Neffe des Präsidenten. Blatter hat ein Team von persönlichen Beratern, die es laut Fifa-Regularien gar nicht geben darf."

Und so fühlt man sich bei der Lektüre der FIFA-Mafia tatsächlich an die Welt der Paten und der kriminellen Clans erinnert. Kistner steigt tief in die Strukturen des Verbandes ein - erzählt auch die Geschichten der vielen halbseidenen Nebendarsteller. Manchmal geht der Leser in diesem Dickicht verloren. Dann zerfasern Erzählstränge, wiederholen sich Zitate. Hier hätte man sich ein Lektorat gewünscht, das die "FIFA-Mafia" noch mal auf Stringenz überprüft. Aber dies nur am Rande.

Kistners Buch ist ein herausragendes Stück dokumentierter Recherche. Am Ende zitiert er seinen Helden Sepp Blatter mit den Worten: "Zerstört mich nicht." Und kommentiert diesen Ausspruch mit dem Gedanken, der den Fan während des Lesens der 400 Seiten permanent quält:

"Zerstört mich nicht - was für ein großer Satz. Als ob der Fußball sprechen könnte."

Thomas Kistner: Fifa Mafia. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball.
Verlag Droemer Knaur


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Cover: "Fifa Mafia. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball" von Thomas Kistner
Cover: "Fifa Mafia. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball" von Thomas Kistner© Verlag Droemer Knaur
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