Die Gedanken sind frei
Er provozierte und eckte an mit seinen Comics, die jahrelang im "New Yorker" und anderen Medien veröffentlicht wurden. Art Spiegelman versteht es, das Medium des Zeichnens für politischen Protest zu nutzen. Eine Ausstellung in Köln fasst sein Lebenswerk zusammen.
Das Titelbild der Zeitschrift "New Yorker" ist ganz im Schwarz versunken, bei näherem Hinsehen zeichnen sich in der scheinbar monochromen Fläche dann doch zwei Türme ab: die Twin Towers als finsterer Albtraum. Ein Cartoon als Grabstein, publiziert knapp zwei Wochen nach dem Anschlag auf das World Trade Center. Art Spiegelman hatte die Ereignisse unmittelbar erlebt, sich vor der Giftwolke in Sicherheit gebracht und war durch Manhattan gerast, um seine kleine Tochter von der Schule abzuholen.
Diese Erfahrungen sind auch in eine Serie großformatiger, raffiniert verschachtelter Comicseiten eingeflossen, die damals in der "Zeit" publiziert wurden und unter dem Titel "Im Schatten keiner Türme" längst in Buchform vorliegen. Welche Rolle spielt 9/11 in der heutigen Öffentlichkeit?
"Da gibt es auf einer meiner Seiten eine Geschichte in drei Bildern. Auf Panel 1 sitzen Menschen am 10. September wie gewöhnlich vor dem Fernsehgerät. Auf Panel 2 stehen ihnen am 11. beim Anblick der Reportagen die Haare zu Berge. Auf Bild 3 schlafen sie, aber die Haare sind noch aufgerichtet. Das ist die 'neue Normalität‘. Wir alle bewegen uns wie Schlafwandler durch diesen Zusammenstoß der Kulturen und warten, ob da wieder etwas kommt."
Von 1992 bis 2002 entwarf Spiegelman Titelbilder für den "New Yorker”, einmalige Cover in der Geschichte dieser eher gefälligen Traditionszeitschrift. Schon seine erste Arbeit sorgte für erregte Debatten: ein chassidischer Jude küsst leidenschaftlich eine schwarze Frau. Spiegelman attackierte die Ermordung eines Migranten durch Polizisten und mokierte sich über das Interesse der Medien an Bill Clintons Sexualleben: die Mikrofone sind auf den Hosenstall des Präsidenten gerichtet.
So markant waren die meisten dieser heftig diskutierten und teils auch abgelehnten Entwürfe, dass man sich fragt, warum Spiegelman in späteren Jahren solche provokativen Cartoons zu sozialen und politischen Konflikten nicht fortgesetzt hat:
"Auch im 'New Yorker‘ waren es ja nicht nur politische Kommentare, sondern es war ein Themen-Mix. Wie ich im Vorwort zu 'Im Schatten keiner Türme‘ geschrieben habe, wollte ich nie ein politischer Cartoonist sein. Denn deren Arbeiten haben die Haltbarkeit eines Joghurt. Ich wollte immer frei sein, auch etwas ganz Anderes zu machen. Sie sehen hier in der Ausstellung manches andere, was von Dauer sein könnte - insofern die Vorstellung von Dauer nicht ohnehin eine Illusion ist."
Die heute bereits klassisch wirkenden Titel für den "New Yorker” standen schon 2003 im Berliner Gropius Bau, bei der ersten großen Spiegelman-Präsentation in Deutschland, im Mittelpunkt. Die neue, aus Frankreich kommende Ausstellung im Kölner Museum Ludwig will mehr, will seine Entwicklung veranschaulichen - und beginnt mit dessen langjähriger Arbeit für eine Kaugummi-Fabrik.
Spiegelman entwarf von 1966 an groteske Sticker, Tüten und Sammelbilder. Als Zeichner von Underground-Comix stand er mit derben Einfällen an der Seite von Robert Crumb und Gilbert Shelton. 1972 brachte er eine dreiseitige Geschichte über jüdische Erfahrungen unter der Nazi-Diktatur zu Papier: Die Opfer sind hier bereits als Mäuse dargestellt, die Unterdrücker als Katzen. Daraus wurde in den 80er-Jahren die in Spiegelmans Zeitschrift "RAW” publizierte grafische Novelle "Maus”, die in Köln komplett mit ihren klitzekleinen Originalseiten vertreten ist - und mit größeren Pastell-Entwürfen für die Buchtitel. "Das Desaster ist meine Muse”, schrieb Spiegelman.
Diese Geschichte seiner jüdischen Eltern, die Auschwitz überlebten, ist erzählt - ein stattliches, "Meta-Maus” genanntes Buch bietet in diesen Tagen noch einmal Hintergrund-Informationen.
Für den Leser ist diese Ausstellung unverzichtbar, die mit "Underground-Comix", "Maus”, "New Yorker” und den Illustrationen zur deutschen Boris Vian-Ausgabe diesem einzigartigen Zeichner gerecht wird, der Unterscheidungen zwischen "U”- und "E”-Kultur absurd erscheinen lässt, der konkrete Zeitkritik und subversive Verspieltheit, Politik und Comicgeschichte miteinander verbunden hat. Denn das ist auffällig: selbst in der Serie "Im Schatten keiner Türme” toben Figuren aus der Pionierzeit der amerikanischen Zeitungscomics über die Seiten.
Wer von diesem Künstler täglich neue Sensationen erwartet, vergisst allerdings, dass er ein ruhiges Privatleben mit Familie und Freunden durchaus zu schätzen weiß. Ein genauer Beobachter des Zeitgeschehens ist er geblieben und verfolgt die Diskussionen um die Mohammed-Karikaturen und den Anti-Islam- Film. Er spricht hier nicht von "Kunstwerken”, sondern von "Produkten”, deren eigentliche Bedeutung darin bestehe, öffentliche Erregung in Gang zu setzen. Er differenziert jedoch:
"Auch wenn ich da in der Minderheit bin: Ich bin stolz darauf, dass die französische Zeitschrift diese Cartoons veröffentlicht hat, selbst wenn sie die dortige Regierung in Schwierigkeiten bringen. Denn es geht ja nicht wirklich um böse Filme und Cartoons. Auch das dumme Video auf YouTube oder die obskuren Mohammed-Karikaturen damals in Dänemark sind nicht das eigentliche Problem - das Problem liegt woanders.
Es ist gefährlich, den Protesten nachzugeben und für unser Verständnis von Gedankenfreiheit um Entschuldigung zu bitten. Denn dann würden wir eine Form von Unterdrückung unterstützen, die wir keinem religiösen Fanatiker und keinem Romney oder Ryan und keinem verwirrten Imam im Mittleren Osten erlauben dürfen. Am Ende einer solchen Entwicklung stünde das Verbot für Frauen, ohne Burka auf die Straße zu gehen."
Diese Erfahrungen sind auch in eine Serie großformatiger, raffiniert verschachtelter Comicseiten eingeflossen, die damals in der "Zeit" publiziert wurden und unter dem Titel "Im Schatten keiner Türme" längst in Buchform vorliegen. Welche Rolle spielt 9/11 in der heutigen Öffentlichkeit?
"Da gibt es auf einer meiner Seiten eine Geschichte in drei Bildern. Auf Panel 1 sitzen Menschen am 10. September wie gewöhnlich vor dem Fernsehgerät. Auf Panel 2 stehen ihnen am 11. beim Anblick der Reportagen die Haare zu Berge. Auf Bild 3 schlafen sie, aber die Haare sind noch aufgerichtet. Das ist die 'neue Normalität‘. Wir alle bewegen uns wie Schlafwandler durch diesen Zusammenstoß der Kulturen und warten, ob da wieder etwas kommt."
Von 1992 bis 2002 entwarf Spiegelman Titelbilder für den "New Yorker”, einmalige Cover in der Geschichte dieser eher gefälligen Traditionszeitschrift. Schon seine erste Arbeit sorgte für erregte Debatten: ein chassidischer Jude küsst leidenschaftlich eine schwarze Frau. Spiegelman attackierte die Ermordung eines Migranten durch Polizisten und mokierte sich über das Interesse der Medien an Bill Clintons Sexualleben: die Mikrofone sind auf den Hosenstall des Präsidenten gerichtet.
So markant waren die meisten dieser heftig diskutierten und teils auch abgelehnten Entwürfe, dass man sich fragt, warum Spiegelman in späteren Jahren solche provokativen Cartoons zu sozialen und politischen Konflikten nicht fortgesetzt hat:
"Auch im 'New Yorker‘ waren es ja nicht nur politische Kommentare, sondern es war ein Themen-Mix. Wie ich im Vorwort zu 'Im Schatten keiner Türme‘ geschrieben habe, wollte ich nie ein politischer Cartoonist sein. Denn deren Arbeiten haben die Haltbarkeit eines Joghurt. Ich wollte immer frei sein, auch etwas ganz Anderes zu machen. Sie sehen hier in der Ausstellung manches andere, was von Dauer sein könnte - insofern die Vorstellung von Dauer nicht ohnehin eine Illusion ist."
Die heute bereits klassisch wirkenden Titel für den "New Yorker” standen schon 2003 im Berliner Gropius Bau, bei der ersten großen Spiegelman-Präsentation in Deutschland, im Mittelpunkt. Die neue, aus Frankreich kommende Ausstellung im Kölner Museum Ludwig will mehr, will seine Entwicklung veranschaulichen - und beginnt mit dessen langjähriger Arbeit für eine Kaugummi-Fabrik.
Spiegelman entwarf von 1966 an groteske Sticker, Tüten und Sammelbilder. Als Zeichner von Underground-Comix stand er mit derben Einfällen an der Seite von Robert Crumb und Gilbert Shelton. 1972 brachte er eine dreiseitige Geschichte über jüdische Erfahrungen unter der Nazi-Diktatur zu Papier: Die Opfer sind hier bereits als Mäuse dargestellt, die Unterdrücker als Katzen. Daraus wurde in den 80er-Jahren die in Spiegelmans Zeitschrift "RAW” publizierte grafische Novelle "Maus”, die in Köln komplett mit ihren klitzekleinen Originalseiten vertreten ist - und mit größeren Pastell-Entwürfen für die Buchtitel. "Das Desaster ist meine Muse”, schrieb Spiegelman.
Diese Geschichte seiner jüdischen Eltern, die Auschwitz überlebten, ist erzählt - ein stattliches, "Meta-Maus” genanntes Buch bietet in diesen Tagen noch einmal Hintergrund-Informationen.
Für den Leser ist diese Ausstellung unverzichtbar, die mit "Underground-Comix", "Maus”, "New Yorker” und den Illustrationen zur deutschen Boris Vian-Ausgabe diesem einzigartigen Zeichner gerecht wird, der Unterscheidungen zwischen "U”- und "E”-Kultur absurd erscheinen lässt, der konkrete Zeitkritik und subversive Verspieltheit, Politik und Comicgeschichte miteinander verbunden hat. Denn das ist auffällig: selbst in der Serie "Im Schatten keiner Türme” toben Figuren aus der Pionierzeit der amerikanischen Zeitungscomics über die Seiten.
Wer von diesem Künstler täglich neue Sensationen erwartet, vergisst allerdings, dass er ein ruhiges Privatleben mit Familie und Freunden durchaus zu schätzen weiß. Ein genauer Beobachter des Zeitgeschehens ist er geblieben und verfolgt die Diskussionen um die Mohammed-Karikaturen und den Anti-Islam- Film. Er spricht hier nicht von "Kunstwerken”, sondern von "Produkten”, deren eigentliche Bedeutung darin bestehe, öffentliche Erregung in Gang zu setzen. Er differenziert jedoch:
"Auch wenn ich da in der Minderheit bin: Ich bin stolz darauf, dass die französische Zeitschrift diese Cartoons veröffentlicht hat, selbst wenn sie die dortige Regierung in Schwierigkeiten bringen. Denn es geht ja nicht wirklich um böse Filme und Cartoons. Auch das dumme Video auf YouTube oder die obskuren Mohammed-Karikaturen damals in Dänemark sind nicht das eigentliche Problem - das Problem liegt woanders.
Es ist gefährlich, den Protesten nachzugeben und für unser Verständnis von Gedankenfreiheit um Entschuldigung zu bitten. Denn dann würden wir eine Form von Unterdrückung unterstützen, die wir keinem religiösen Fanatiker und keinem Romney oder Ryan und keinem verwirrten Imam im Mittleren Osten erlauben dürfen. Am Ende einer solchen Entwicklung stünde das Verbot für Frauen, ohne Burka auf die Straße zu gehen."