Die Gefahr der seelischen Überlastung
In seinem Roman "Indigo" beschreibt der österreichische Autor Clemens J. Setz die Entwicklung des hochbegabten, nervösen Menschen und stellt Fragen nach dessen Grausamkeit, Einsamkeit und Egozentrik. Das interessanteste Buch dieses Herbstes, meint unsere Kritikerin.
"Indigo" ist kein Buch wie viele andere. Es ist ein Zukunftsbuch, wenn auch kein empirisches, eher ein anthropologisches. Es geht darin um die Entwicklung des hochbegabten, nervösen Menschen. Und es ist Teil der Geschichte des Clemens J. Setz, der 1982 in Graz geboren wurde, dort Mathematik und Germanistik studierte und selbst, wie er behauptet, am "Indigo-Syndrom" litt, dem Leiden des sozial schwer zu integrierenden, selbstbestimmten Kindes. Indigo gilt in Amerika als New Age-Erscheinung. In den späten 90er-Jahren kamen zu dem Phänomen Bücher und Filme heraus.
Im Zentrum des Romans, der zwischen 2006 und 2021 spielt, stehen zwei Männer, der Mathematiklehrer Clemens J. Setz und sein Schüler Robert Tätzel. Der Lehrer unterrichtet als Tutor am Helianau-Institut in der Steiermark. Kinder dieser Schule sind von einer rätselhaften Krankheit befallen, dem "Indigo-Syndrom". Menschen in ihrer Nähe werden reihenweise krank. Die Symptome: Kopfschmerzen, Erbrechen und Schwindelgefühle. Die Diagnose, die der Autor Setz auf knapp 500 Seiten ausbreitet, oszilliert zwischen einer Vision des Menschen, der zwischen Science-Fiction, Comic, Bilderflut und zwischen Realität und Einbildung nicht mehr unterscheiden kann.
Die Kindheit ist ein Zustand, dem die Erwachsenen - das legt der Autor dem Leser nahe - nicht mehr gewachsen sind. Die alten Einsichten und Fragen, die "Einflüsterungen fremder Gedanken von einem älteren Gehirn", taugen nicht mehr für das Großwerden. Clemens J. Setz strukturiert seinen Roman nach der Art einer Materialsammlung für einen Rechenschaftsbericht. Er beginnt mit der Anamnese des Patienten Setz. Die kriminalistische Wende tritt mit Bekanntmachung der Freilassung von Clemens J. Setz ein, dem vorgeworfen worden war, einem Tierquäler bei lebendigem Leib die Haut abgezogen zu haben.
Damit greift Setz die von J.M. Coetzee in seinem Roman "Schande" begonnene Diskussion um den ethischen Wert der Tiere auf. "Indigo" ist eine literarische Auseinandersetzung mit den Gefahren seelischer Überlastung, einer Selbstüberforderung und dem großen Einfluss des Fantastischen auf das Innenleben des Menschen. Wie die Romantiker von der blauen Blume, so sind die neuen Menschen von einer indigoblauen Aura umgeben.
"Indigo" wirft viele Fragen nach der Grausamkeit des Menschen, seiner Einsamkeit, Leidensfähigkeit, Egozentrik und seinen Idiosynkrasien auf und zeigt, was geschieht, wenn ein kluger Autor wie Clemens J. Setz seinen Gedanken erlaubt, "merkwürdige Bahnen", auch "subversive", zu nehmen und deren Wege zu beschreiben. Dass "Indigo" das interessanteste, zu Diskussionen einladende Buch des Herbstes ist, daran besteht kein Zweifel.
Besprochen von Verena Auffermann
Clemens J. Setz: Indigo
Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
475 Seiten, 22,95 Euro
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Im Zentrum des Romans, der zwischen 2006 und 2021 spielt, stehen zwei Männer, der Mathematiklehrer Clemens J. Setz und sein Schüler Robert Tätzel. Der Lehrer unterrichtet als Tutor am Helianau-Institut in der Steiermark. Kinder dieser Schule sind von einer rätselhaften Krankheit befallen, dem "Indigo-Syndrom". Menschen in ihrer Nähe werden reihenweise krank. Die Symptome: Kopfschmerzen, Erbrechen und Schwindelgefühle. Die Diagnose, die der Autor Setz auf knapp 500 Seiten ausbreitet, oszilliert zwischen einer Vision des Menschen, der zwischen Science-Fiction, Comic, Bilderflut und zwischen Realität und Einbildung nicht mehr unterscheiden kann.
Die Kindheit ist ein Zustand, dem die Erwachsenen - das legt der Autor dem Leser nahe - nicht mehr gewachsen sind. Die alten Einsichten und Fragen, die "Einflüsterungen fremder Gedanken von einem älteren Gehirn", taugen nicht mehr für das Großwerden. Clemens J. Setz strukturiert seinen Roman nach der Art einer Materialsammlung für einen Rechenschaftsbericht. Er beginnt mit der Anamnese des Patienten Setz. Die kriminalistische Wende tritt mit Bekanntmachung der Freilassung von Clemens J. Setz ein, dem vorgeworfen worden war, einem Tierquäler bei lebendigem Leib die Haut abgezogen zu haben.
Damit greift Setz die von J.M. Coetzee in seinem Roman "Schande" begonnene Diskussion um den ethischen Wert der Tiere auf. "Indigo" ist eine literarische Auseinandersetzung mit den Gefahren seelischer Überlastung, einer Selbstüberforderung und dem großen Einfluss des Fantastischen auf das Innenleben des Menschen. Wie die Romantiker von der blauen Blume, so sind die neuen Menschen von einer indigoblauen Aura umgeben.
"Indigo" wirft viele Fragen nach der Grausamkeit des Menschen, seiner Einsamkeit, Leidensfähigkeit, Egozentrik und seinen Idiosynkrasien auf und zeigt, was geschieht, wenn ein kluger Autor wie Clemens J. Setz seinen Gedanken erlaubt, "merkwürdige Bahnen", auch "subversive", zu nehmen und deren Wege zu beschreiben. Dass "Indigo" das interessanteste, zu Diskussionen einladende Buch des Herbstes ist, daran besteht kein Zweifel.
Besprochen von Verena Auffermann
Clemens J. Setz: Indigo
Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
475 Seiten, 22,95 Euro
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