Die Geige als Sexsymbol des Barock
Wenn Musiker oder Musikinstrumente auf Bildern von Jan Vermeer auftauchen, werden Kunstinterpretatoren nervös: Schließlich galt z.B. die Violine im niederländischen Barock als Symbol für den weiblichen Körper. Die National Gallery in London zeigt entsprechende Werke Vermeers und lässt die Musik der Zeit aufspielen.
Frauen sitzen allein am Virginal, blicken unverwandt aus dem Bild auf den Betrachter, als wollten sie ihn auffordern, sich hinzuzugesellen. Oder wie bei der berühmten "Gitarrenspielerin" um 1672, dem Hauptwerk dieser Ausstellung, in dem das engelgleiche Mädchen mit dem ganzen Reiz ihrer unschuldigen Ausstrahlung und mit der Gitarre auf dem Schoß fast fotografisch, nämlich wie in einer momenthaften, sogleich wieder vergehenden Bewegung festgehalten erscheint.
Vielleicht waren es Pieter de Hooch und Jan Steen, die Jan Vermeer mit der Genremalerei vertraut machten. Beide lebten nachweislich kurz nach 1650 mehrere Jahre in Delft und brachten Vermeer vielleicht auch auf das Musik-Sujet, das in dieser Zeit ein wahrhaft avantgardistisches Thema für die niederländische Malerei wurde.
Betsy Wieseman: "In dieser Zeit waren die Niederlande protestantisch und im weitesten Sinn eine demokratische Gesellschaft. Anders als in den meisten europäischen Staaten gab es weder ein Königshaus noch eine mächtige Kirche, die das Musikleben lenkten. Musik in den Niederlanden war deshalb eine eher individuelle, gutbürgerliche Angelegenheit geworden, man spielte zu Hause. Das Ergebnis war eine leichte Muse, keine grandiosen Kompositionen oder Orchesterstücke, sondern vor allem Lieder und kleinere, galante Stücke, die die Leute zu Hause selber mit ihren Freunden und Familien spielen konnten. So bekam Musik eine aktive, partizipatorische Funktion, sie war Teil des Alltags, und das wirkt sich aus auf das, was wir auch in den Malereien sehen."
So Betsy Wieseman, Kuratorin niederländische Malerei an der National Gallery, die in ihrer Ausstellung höchst gekonnt mit einer zugleich einfachen und doch komplexen Hängung vorführt, was man als Fusion zweier Künste bezeichnen könnte. Malerei und Musik allein vermochten nicht die moralische Brisanz dieses neuen kulturellen Individualismus zu erhellen. Beide in Kombination aber schon.
Musik, seit der Renaissance Symbol mit vielen Bedeutungen, repräsentierte zunächst einen der fünf Sinne. Da sie im Augenblick ihres Verklingens auch endete, stand sie ebenso für Transzendenz und Moral, als Mahnung an die Vergänglichkeit.
Ganz anders aber nun im Goldenen Zeitalter des Niederländischen Barock, wie auf dem kleinen Gemälde "Musikalische Gesellschaft in einem Innenhof" von Vermeers großem Vorbild Pieter de Hooch aus dem Jahr 1677, bei der ein Musiker einem Paar eine Darbietung auf einer Violine anzubieten scheint.
"Die Violine im 17. Jahrhundert ist ein interessanter Fall. Anfang des Jahrhunderts war sie vor allem ein ländliches Instrument, eine Fiedel, die kaum in guter Gesellschaft verwendet wurde. In der Mitte des Jahrhunderts hatte sich das Repertoire erweitert, und nun sah man die Violine häufiger auch auf Gemälden. Dabei erhielt sie zusätzlich einen symbolischen Aspekt, als erotische Anspielung auf die weibliche Figur. Und in diesem Gemälde von Pieter de Hooch scheint im Hintergrund die Frage auf, ob wir hier nicht eine Prostituierte mit ihrem Freier sehen, die von einem Musiker unterhalten werden."
Gerade bei Szenen musikalischer Unterweisung oder von Duetten scheint die wahre Absicht der Darstellung absichtsvoll offen zu bleiben: Geht es hier wirklich um Musik oder ist es eine symbolische Szene des Liebesspiels, in dem es nicht allein um rein tonale Harmonien geht?
Die sinnliche Anmutung wird in dieser Ausstellung durch historische Instrumente wirksam unterstützt, kostbare Lauten, Violinen, Gitarren oder jenes reine Fraueninstrument, das den vielsagenden Namen Virginal trug und das man sich ungefähr wie ein Cembalo vorstellen kann. Instrumente, die hier transformiert erscheinen als Figurinen, körperhafte Modelle für den brisanten erotischen Gehalt von ungekannt offenherzigen Darstellungen der Geschlechterbeziehungen.
Mitglieder der Academy of Ancient Music treten in einem eigenes eingerichteten kleinen Bühnenraum auf und geben einen klanglichen Eindruck von der Einfachheit der Musik, die jedem zugänglich war, die in ihrer Intimität keiner professionellen Auftritte bedurfte. Vermeer verwandelte dieses Sujet seinerseits, indem er die Akteure seiner Bilder scheinbar vereinzelt.
"Die Frauenfigur ist nicht genau im Zentrum des Bildes platziert, wie Vermeer es bei den beiden Virginal-Spielerinnen in seinen Gemälden links und rechts davon noch getan hat. Die 'Gitarrenspielerin' ist dagegen an die linke Seite gerückt, sie blickt uns auch nicht mehr direkt aus dem Bild heraus an, sie blickt zur Seite, als ob jemand, den wir nicht sehen können, den Raum beträte. Fast möchte man kurz mit den Fingern schnippen und ihr zurufen: He, ich will, dass du wieder zu mir schaust. Kommuniziere mit mir, nicht mit dieser anderen Person. Auf diese Weise erzeugt das Bild zusätzlich Aufmerksamkeit des Betrachters für die Figur auf dem Bild."
Service:
Die Ausstellung Vermeer & Music ist bis zum 8. September 2013 in der National Gallery London zu sehen.
Vielleicht waren es Pieter de Hooch und Jan Steen, die Jan Vermeer mit der Genremalerei vertraut machten. Beide lebten nachweislich kurz nach 1650 mehrere Jahre in Delft und brachten Vermeer vielleicht auch auf das Musik-Sujet, das in dieser Zeit ein wahrhaft avantgardistisches Thema für die niederländische Malerei wurde.
Betsy Wieseman: "In dieser Zeit waren die Niederlande protestantisch und im weitesten Sinn eine demokratische Gesellschaft. Anders als in den meisten europäischen Staaten gab es weder ein Königshaus noch eine mächtige Kirche, die das Musikleben lenkten. Musik in den Niederlanden war deshalb eine eher individuelle, gutbürgerliche Angelegenheit geworden, man spielte zu Hause. Das Ergebnis war eine leichte Muse, keine grandiosen Kompositionen oder Orchesterstücke, sondern vor allem Lieder und kleinere, galante Stücke, die die Leute zu Hause selber mit ihren Freunden und Familien spielen konnten. So bekam Musik eine aktive, partizipatorische Funktion, sie war Teil des Alltags, und das wirkt sich aus auf das, was wir auch in den Malereien sehen."
So Betsy Wieseman, Kuratorin niederländische Malerei an der National Gallery, die in ihrer Ausstellung höchst gekonnt mit einer zugleich einfachen und doch komplexen Hängung vorführt, was man als Fusion zweier Künste bezeichnen könnte. Malerei und Musik allein vermochten nicht die moralische Brisanz dieses neuen kulturellen Individualismus zu erhellen. Beide in Kombination aber schon.
Musik, seit der Renaissance Symbol mit vielen Bedeutungen, repräsentierte zunächst einen der fünf Sinne. Da sie im Augenblick ihres Verklingens auch endete, stand sie ebenso für Transzendenz und Moral, als Mahnung an die Vergänglichkeit.
Ganz anders aber nun im Goldenen Zeitalter des Niederländischen Barock, wie auf dem kleinen Gemälde "Musikalische Gesellschaft in einem Innenhof" von Vermeers großem Vorbild Pieter de Hooch aus dem Jahr 1677, bei der ein Musiker einem Paar eine Darbietung auf einer Violine anzubieten scheint.
"Die Violine im 17. Jahrhundert ist ein interessanter Fall. Anfang des Jahrhunderts war sie vor allem ein ländliches Instrument, eine Fiedel, die kaum in guter Gesellschaft verwendet wurde. In der Mitte des Jahrhunderts hatte sich das Repertoire erweitert, und nun sah man die Violine häufiger auch auf Gemälden. Dabei erhielt sie zusätzlich einen symbolischen Aspekt, als erotische Anspielung auf die weibliche Figur. Und in diesem Gemälde von Pieter de Hooch scheint im Hintergrund die Frage auf, ob wir hier nicht eine Prostituierte mit ihrem Freier sehen, die von einem Musiker unterhalten werden."
Gerade bei Szenen musikalischer Unterweisung oder von Duetten scheint die wahre Absicht der Darstellung absichtsvoll offen zu bleiben: Geht es hier wirklich um Musik oder ist es eine symbolische Szene des Liebesspiels, in dem es nicht allein um rein tonale Harmonien geht?
Die sinnliche Anmutung wird in dieser Ausstellung durch historische Instrumente wirksam unterstützt, kostbare Lauten, Violinen, Gitarren oder jenes reine Fraueninstrument, das den vielsagenden Namen Virginal trug und das man sich ungefähr wie ein Cembalo vorstellen kann. Instrumente, die hier transformiert erscheinen als Figurinen, körperhafte Modelle für den brisanten erotischen Gehalt von ungekannt offenherzigen Darstellungen der Geschlechterbeziehungen.
Mitglieder der Academy of Ancient Music treten in einem eigenes eingerichteten kleinen Bühnenraum auf und geben einen klanglichen Eindruck von der Einfachheit der Musik, die jedem zugänglich war, die in ihrer Intimität keiner professionellen Auftritte bedurfte. Vermeer verwandelte dieses Sujet seinerseits, indem er die Akteure seiner Bilder scheinbar vereinzelt.
"Die Frauenfigur ist nicht genau im Zentrum des Bildes platziert, wie Vermeer es bei den beiden Virginal-Spielerinnen in seinen Gemälden links und rechts davon noch getan hat. Die 'Gitarrenspielerin' ist dagegen an die linke Seite gerückt, sie blickt uns auch nicht mehr direkt aus dem Bild heraus an, sie blickt zur Seite, als ob jemand, den wir nicht sehen können, den Raum beträte. Fast möchte man kurz mit den Fingern schnippen und ihr zurufen: He, ich will, dass du wieder zu mir schaust. Kommuniziere mit mir, nicht mit dieser anderen Person. Auf diese Weise erzeugt das Bild zusätzlich Aufmerksamkeit des Betrachters für die Figur auf dem Bild."
Service:
Die Ausstellung Vermeer & Music ist bis zum 8. September 2013 in der National Gallery London zu sehen.