Die gemeinsame Geschichte eines geteilten Volkes
Erbdiktatur und Raketentests auf der einen, asiatisches Musterland auf der anderen Seite des 38. Breitengrades. Die Stereotype Nord- und Südkoreas sind für Du-Yul Song und Rainer Werning "grobschlächtige Vereinfachungen". In ihrem Buch zeichnen sie die Geschichte Koreas nach - von der japanischen Besetzung bis heute.
Den Namen Nordkorea verbinden die meisten Deutschen mit Erbdiktatur, Hungerkatastrophen und Raketentests. Südkorea hingegen gehört zu den asiatischen Tigern und wurde zu einem Musterbeispiel für die Entwicklung vom Agrar- zum Industrieland. Dort werden Hyundai-Autos und Samsung-Handys hergestellt. Konsumgüter, die zum deutschen Alltag gehören.
Als "grobschlächtige Vereinfachungen" sehen dies Du-Yul Song und Rainer Werning an. Der eine war Soziologie-Professor in Münster - als Koreaner in Tokio geboren studierte er in Seoul. Der andere arbeitet als Publizist in Berlin und war Student in Manila und Tokio. Aus eigener Erfahrung, aus Engagement für Korea wollen sie Stereotypen facettenreiche Bilder entgegensetzen.
"Um die Prozesse auf der koreanischen Halbinsel im historischen Kontext angemessen zu verstehen, ist es bedeutsam, sich auch und gerade auf die Paradoxien einzulassen. Vieles in diesem Teil Nordostasiens mutet ebenso paradox wie surreal an."
Südkorea zum Beispiel gehört seit dem Jahr 1996 zum Club der reichen Industrieländer, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. In der Hauptstadt Seoul ragen Beton- und Glasfassaden in den Himmel. Das Leben pulsiert wie in einer großen westlichen Metropole.
In Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang hingegen fühlen sich Besucher in weiten Teilen noch in die Zeit der Kulturrevolution im China der sechziger Jahre zurückversetzt.
Ein anderes Beispiel ist die sogenannte Koreanische Mauer. Sie ist das Ergebnis eines Waffenstillstandsabkommens zwischen Nord- und Südkorea im Jahr 1953. Ein Friedensvertrag ist diesem Abkommen bis heute nicht gefolgt. Noch immer teilt eine Grenze das Land in Süd- und Nordkorea. Diese Zone befindet sich auf der Höhe des 38. Breitengrades, ist etwa 240 Kilometer lang und vier Kilometer breit.
Solche Paradoxien erklären sich aus der Geschichte, und diese Geschichte zeichnen die Autoren in fünf Kapiteln nach. Du-Yul und Werning sind nicht die einzigen, die sich in jüngster Zeit kritisch mit der koreanischen Gesellschaft beschäftigt haben. Sie aber wollten ein "anderes Buch" über Korea schreiben, weil sie sich für das Land auch politisch einsetzen.
Der koreanisch stämmige Du-Yul Song verbrachte Jahrzehnte im Exil und setzt sich für eine Annäherung beider Staaten ein. Im Jahr 2003 reiste er erstmals wieder nach Südkorea. Er wurde verhaftet und erst nach weltweiten Protesten wieder freigelassen.
Sein Co-Autor Rainer Werning verfolgt die Geschicke Koreas mit dem professionellen Interesse eines Politik- und Sozialwissenschaftlers. Zudem war er einige Jahre Vorsitzender des Korea-Verbandes. Zu dessen Zielen gehört auch die friedliche Überwindung der koreanischen Teilung.
Diese persönlichen Verwicklungen der Autoren sind den Lesern nicht immer dienlich. Statt mit einer Beschreibung von Fakten sind sie häufig mit der Meinung der beiden konfrontiert. Das ist unnötig, denn die Fakten sprechen für sich selbst, und die Leser könnten sich ein eigenes Urteil bilden. Zudem macht der Duktus die Lektüre streckenweise recht anstrengend.
Ein Beispiel: Im ersten Kapitel beschreiben die Verfasser die Folgen für die Koreaner, nachdem ihr Land im Jahr 1910 endgültig zur Kolonie der asiatischen Großmacht Japan wurde.
"Die Geschichte des Landes wurde umgeschrieben. Für Japan und eine ihm hörige Zunft koreanischer Historiker war Korea zur Stagnation verdammt und unfähig, jemals eigenständig zu werden und unabhängig zu sein. Eine koloniale Durchdringung von Hirn und Herz mit weit reichenden Konsequenzen: Den Koreanern sollten ihr Selbstbewusstsein und der Glaube an sich selbst buchstäblich ausgetrieben werden."
Konkret sah das so aus: Ab dem Jahr 1938 verbot Japans Regierung den Koreanern, ihre eigene Sprache zu sprechen. Öffentlich durften sie nur noch Japanisch reden. Auch ihre landestypischen Namen mussten sie ablegen und durch japanische ersetzen. Die Proteste gegen die Besatzer endeten für viele Tausend Menschen tödlich.
Hätten die Autoren solche Tatsachen stärker ins Zentrum ihrer Beschreibung gerückt und anschließend eingeordnet, entstünde im Kopf der Leser ein anschaulicheres Bild.
Aus der japanischen Vorherrschaft konnten sich die Koreaner am Ende des Zweiten Weltkrieges befreien. Doch gleichzeitig vereinbarten die Siegermächte USA und Sowjetunion die Aufteilung des Landes in zwei Besatzungszonen. Sie bestehen im Gegensatz zur deutsch-deutschen Teilung bis heute. Trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung war der Korea-Krieg Anfang der 50er-Jahre. Mehr als 4,6 Millionen Menschen starben.
Das Autoren-Duo betont immer wieder, eine Wiedervereinigung setze voraus, dass sich Vertreter beider Landesteile zunächst durch Gespräche annähern, um das Misstrauen zu überwinden. Militärische Konfrontationen seien da wenig hilfreich.
Von Vermittlungsversuchen der Großmächte wie den USA oder China erhoffen sie sich auch keinen Durchbruch. Vor allem die Rolle der USA sehen sie ausgesprochen kritisch. Ihre kompromisslose Haltung gegenüber Nordkorea erschwere den Austausch zwischen Nord und Süd. Ex-Präsident George W. Bush zählte Nordkorea zur "Achse des Bösen".
Neben dem Dialog setzen sie auf gemeinsame Projekte zwischen Nord und Südkorea - wie zum Beispiel auf die große Industriezone in der nordkoreanischen Stadt Gaeseong: Südkorea bringt Geld und Technologie ein, Nordkorea die Gewerbeflächen und preiswerte Arbeitskräfte. Dort sammeln die Nordkoreaner Erfahrungen mit der Marktwirtschaft. Diese könnten einen wirtschaftlichen Wandel und eine Öffnung des Landes einleiten.
Damit mögen Du-Yul Song und Rainer Werning Recht haben. Gleichzeitig scheint ihnen ihre Überzeugung aber auch die klare Sicht zu verstellen. So beschreiben sie den schweren Stand für Demokraten in Südkorea. Denen macht noch immer ein Gesetz aus den Tagen der Staatsgründung das Leben schwer: Wer sich zum Beispiel für die friedliche Wiedervereinigung einsetzt, wird politisch verfolgt und muss mit einer Gefängnisstrafe rechnen.
Gleichzeitig erfährt der Leser aber kein einziges Detail über den absurd anmutenden Personenkult um die politischen Führer in Nordkorea. Die Hungerkatastrophen in den neunziger Jahren werden nur am Rand erwähnt. Eine Analyse der Ursachen findet nicht statt.
Da sich beide Autoren schon lange mit Korea beschäftigen, gelten sie als Kenner. Doch es bleibt der Eindruck, dass es ihnen nicht ausreichend gelungen ist, die politischen Widersprüche und die tatsächliche Situation darzustellen. Ihren eigenen Anspruch, bestehende Paradoxien verständlich zu machen, konnten sie deshalb nicht einlösen. Zumindest nicht auf eine für alle Leser nachvollziehbare Weise.
Du-Yul Song, Rainer Werning: Korea. Von der Kolonie zum geteilten Land
Pro Media Verlag Wien, 2012
Als "grobschlächtige Vereinfachungen" sehen dies Du-Yul Song und Rainer Werning an. Der eine war Soziologie-Professor in Münster - als Koreaner in Tokio geboren studierte er in Seoul. Der andere arbeitet als Publizist in Berlin und war Student in Manila und Tokio. Aus eigener Erfahrung, aus Engagement für Korea wollen sie Stereotypen facettenreiche Bilder entgegensetzen.
"Um die Prozesse auf der koreanischen Halbinsel im historischen Kontext angemessen zu verstehen, ist es bedeutsam, sich auch und gerade auf die Paradoxien einzulassen. Vieles in diesem Teil Nordostasiens mutet ebenso paradox wie surreal an."
Südkorea zum Beispiel gehört seit dem Jahr 1996 zum Club der reichen Industrieländer, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. In der Hauptstadt Seoul ragen Beton- und Glasfassaden in den Himmel. Das Leben pulsiert wie in einer großen westlichen Metropole.
In Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang hingegen fühlen sich Besucher in weiten Teilen noch in die Zeit der Kulturrevolution im China der sechziger Jahre zurückversetzt.
Ein anderes Beispiel ist die sogenannte Koreanische Mauer. Sie ist das Ergebnis eines Waffenstillstandsabkommens zwischen Nord- und Südkorea im Jahr 1953. Ein Friedensvertrag ist diesem Abkommen bis heute nicht gefolgt. Noch immer teilt eine Grenze das Land in Süd- und Nordkorea. Diese Zone befindet sich auf der Höhe des 38. Breitengrades, ist etwa 240 Kilometer lang und vier Kilometer breit.
Solche Paradoxien erklären sich aus der Geschichte, und diese Geschichte zeichnen die Autoren in fünf Kapiteln nach. Du-Yul und Werning sind nicht die einzigen, die sich in jüngster Zeit kritisch mit der koreanischen Gesellschaft beschäftigt haben. Sie aber wollten ein "anderes Buch" über Korea schreiben, weil sie sich für das Land auch politisch einsetzen.
Der koreanisch stämmige Du-Yul Song verbrachte Jahrzehnte im Exil und setzt sich für eine Annäherung beider Staaten ein. Im Jahr 2003 reiste er erstmals wieder nach Südkorea. Er wurde verhaftet und erst nach weltweiten Protesten wieder freigelassen.
Sein Co-Autor Rainer Werning verfolgt die Geschicke Koreas mit dem professionellen Interesse eines Politik- und Sozialwissenschaftlers. Zudem war er einige Jahre Vorsitzender des Korea-Verbandes. Zu dessen Zielen gehört auch die friedliche Überwindung der koreanischen Teilung.
Diese persönlichen Verwicklungen der Autoren sind den Lesern nicht immer dienlich. Statt mit einer Beschreibung von Fakten sind sie häufig mit der Meinung der beiden konfrontiert. Das ist unnötig, denn die Fakten sprechen für sich selbst, und die Leser könnten sich ein eigenes Urteil bilden. Zudem macht der Duktus die Lektüre streckenweise recht anstrengend.
Ein Beispiel: Im ersten Kapitel beschreiben die Verfasser die Folgen für die Koreaner, nachdem ihr Land im Jahr 1910 endgültig zur Kolonie der asiatischen Großmacht Japan wurde.
"Die Geschichte des Landes wurde umgeschrieben. Für Japan und eine ihm hörige Zunft koreanischer Historiker war Korea zur Stagnation verdammt und unfähig, jemals eigenständig zu werden und unabhängig zu sein. Eine koloniale Durchdringung von Hirn und Herz mit weit reichenden Konsequenzen: Den Koreanern sollten ihr Selbstbewusstsein und der Glaube an sich selbst buchstäblich ausgetrieben werden."
Konkret sah das so aus: Ab dem Jahr 1938 verbot Japans Regierung den Koreanern, ihre eigene Sprache zu sprechen. Öffentlich durften sie nur noch Japanisch reden. Auch ihre landestypischen Namen mussten sie ablegen und durch japanische ersetzen. Die Proteste gegen die Besatzer endeten für viele Tausend Menschen tödlich.
Hätten die Autoren solche Tatsachen stärker ins Zentrum ihrer Beschreibung gerückt und anschließend eingeordnet, entstünde im Kopf der Leser ein anschaulicheres Bild.
Aus der japanischen Vorherrschaft konnten sich die Koreaner am Ende des Zweiten Weltkrieges befreien. Doch gleichzeitig vereinbarten die Siegermächte USA und Sowjetunion die Aufteilung des Landes in zwei Besatzungszonen. Sie bestehen im Gegensatz zur deutsch-deutschen Teilung bis heute. Trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung war der Korea-Krieg Anfang der 50er-Jahre. Mehr als 4,6 Millionen Menschen starben.
Das Autoren-Duo betont immer wieder, eine Wiedervereinigung setze voraus, dass sich Vertreter beider Landesteile zunächst durch Gespräche annähern, um das Misstrauen zu überwinden. Militärische Konfrontationen seien da wenig hilfreich.
Von Vermittlungsversuchen der Großmächte wie den USA oder China erhoffen sie sich auch keinen Durchbruch. Vor allem die Rolle der USA sehen sie ausgesprochen kritisch. Ihre kompromisslose Haltung gegenüber Nordkorea erschwere den Austausch zwischen Nord und Süd. Ex-Präsident George W. Bush zählte Nordkorea zur "Achse des Bösen".
Neben dem Dialog setzen sie auf gemeinsame Projekte zwischen Nord und Südkorea - wie zum Beispiel auf die große Industriezone in der nordkoreanischen Stadt Gaeseong: Südkorea bringt Geld und Technologie ein, Nordkorea die Gewerbeflächen und preiswerte Arbeitskräfte. Dort sammeln die Nordkoreaner Erfahrungen mit der Marktwirtschaft. Diese könnten einen wirtschaftlichen Wandel und eine Öffnung des Landes einleiten.
Damit mögen Du-Yul Song und Rainer Werning Recht haben. Gleichzeitig scheint ihnen ihre Überzeugung aber auch die klare Sicht zu verstellen. So beschreiben sie den schweren Stand für Demokraten in Südkorea. Denen macht noch immer ein Gesetz aus den Tagen der Staatsgründung das Leben schwer: Wer sich zum Beispiel für die friedliche Wiedervereinigung einsetzt, wird politisch verfolgt und muss mit einer Gefängnisstrafe rechnen.
Gleichzeitig erfährt der Leser aber kein einziges Detail über den absurd anmutenden Personenkult um die politischen Führer in Nordkorea. Die Hungerkatastrophen in den neunziger Jahren werden nur am Rand erwähnt. Eine Analyse der Ursachen findet nicht statt.
Da sich beide Autoren schon lange mit Korea beschäftigen, gelten sie als Kenner. Doch es bleibt der Eindruck, dass es ihnen nicht ausreichend gelungen ist, die politischen Widersprüche und die tatsächliche Situation darzustellen. Ihren eigenen Anspruch, bestehende Paradoxien verständlich zu machen, konnten sie deshalb nicht einlösen. Zumindest nicht auf eine für alle Leser nachvollziehbare Weise.
Du-Yul Song, Rainer Werning: Korea. Von der Kolonie zum geteilten Land
Pro Media Verlag Wien, 2012