Ausstellung "Graben für Germanien"

"Die Germanen sind ein geschichtliches Konstrukt"

Moderation: Britta Bürger |
Gab es auf deutschem Boden einst eine germanische Hochkultur? Im Dritten Reich haben Archäologen nach Belegen dafür gesucht - und sich in den Dienst der NS-Ideologie gestellt. Diesem Thema widmet sich nun eine Ausstellung in Bremen. Wir sprechen mit der Landesarchäologin Uta Halle.
Britta Bürger: "Graben für Germanien", das ist der Titel der neuen Ausstellung im Bremer Focke-Museum, dem Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte. "Graben für Germanien", dieses Motto ist eine Anspielung auf jene Archäologen, die den Nationalisten Belege für eine einst existierende germanische Hochkultur liefern wollten, samt Siedlungsgebieten und allem drum und dran. Die Allianz von Archäologen und NS-Politikern wird hier untersucht, die Frage, wie Archäologen anhand bestimmter Grabungsfunde Geschichte konstruierten. Die Bremer Landesarchäologin Uta Halle hat diese Schau miterarbeitet. Sie leitet die Abteilung Ur- und Frühgeschichte des Focke-Museums. Schönen guten Tag, Frau Halle!

Uta Halle: Guten Morgen!

Bürger: Der blonde, blauäugige, tapfere Germane – warum mussten die Nazis sich diesen Repräsentanten erfinden bzw. erfinden lassen?

Halle: Na ja, die Nationalsozialisten haben ihn nicht erfinden lassen, sondern es ist eine Entwicklung, die schon im 19. Jahrhundert beginnt, und eigentlich sogar noch viel eher. Man suchte eine gemeinsame Wurzel, bis im 19. Jahrhundert dann, mit dem aufkommenden Nationalismus und dem dann noch später dazukommenden Rassismus hatten die Nationalsozialisten quasi eine gemeinsame geschichtliche Wurzel, auf die sie dann im Grunde genommen aufsetzen konnten. Die Germanen sind also ein geschichtliches Konstrukt, an dem Archäologen, Sprachwissenschaftler, aber auch Biologen mitgearbeitet haben.

Bürger: Und im Grunde geht es ja noch weiter zurück, auf die Römer nämlich.

Halle: Genau, Tacitus beschreibt die Germanen so, dass sie bis Mittags schlafen und sich immer warm waschen, weil es bei ihnen ständig Winter ist, und er beschreibt sie als trinkfreudig. Das sind so Konstrukte, mit denen er natürlich in Rom den Römern den Spiegel vorhalten will, wie dekadent ihre Gesellschaft schon ist. Von daher gesehen, das kann man sich dann wieder zunutze machen im Nationalsozialismus, um dann auch zu sagen, Tacitus hat da zwar eine Tendenz geschrieben, aber die Germanen sind etwas Tolles, und das stellen wir jetzt mal dar. Und die Archäologen arbeiten da ganz aktiv dran mit.

Bürger: Konnte man denn aber von Tacitus schon auf so was wie eine biologische Abstammungsgemeinschaft schließen, auf die die Nazis ja abzielten?

Halle: Nein, aber das wird natürlich mit dem Nationalismus des 19. Jahrhunderts auch gedanklich gut vorbereitet. Und die Nationalsozialisten setzen dann daran an.

Bürger: 19. Jahrhundert, die heroische Germania auf Geldscheinen, Briefmarken, Hermann, der Held und all die Heldensagen – inwieweit hat man sich diese Geschichtsbilder ja dann anverwandt oder sie integriert? Das waren ja auch Mythen.

Halle: Das sind Mythen, aber die sind natürlich Bestandteil eines Wissenskanons, der im 19. Jahrhundert wirklich weit verbreitet ist. Davon hat man in der Schule gehört, das Fach Heimatkunde gab es zum Beispiel in den Schulen, wo dann auch erzählt worden ist, hier haben Germanen gelebt. Man hat nach heimischen Altertümern sonntagnachmittags gebuddelt und da ein Familienvergnügen draus gemacht. Also da kennen wir auch erste alte Fotografien, wo man so etwas gemacht hat. Und dann natürlich der Bau des Hermannsdenkmals in der Nähe von Detmold, an dem sich sehr viele Bürger mit Spenden beteiligt haben – also dieser Germanenmythos ist in der Gesellschaft angekommen und wird dann im 20. Jahrhundert pervertiert.

Bürger: Ja, und darauf konzentrieren Sie sich in Ihrer Ausstellung, auf die tatkräftige Fantasie und Unterstützung der Archäologen in der NS-Zeit. Was waren das für Funde, anhand derer sich jetzt Geschichte konstruieren ließ?

Halle: Das sind unsere normal üblichen Funde, die wir bei Grabungen machen, also aus Siedlungen, die in der Zeit zum Beispiel zwischen 300 vor Christi und 800 nach Christi bestanden haben. Das sind Gräberfunde, vor allen Dingen auch aus den Reihengräber-Friedhöfen in Süddeutschland, da hat man das Skelettmaterial und die Beigaben.

Bürger: Knochen, was ist daran germanisch?

Halle: An den Knochen ist eigentlich nichts germanisch. Es gibt sogenannte Rassenkundler, die versuchen anhand der Schädelform zu sagen, das ist die typisch germanische Schädelform. Aber es gibt auch Reinuntersuchungen in der Zeit schon – also im 19. Jahrhundert – von einem bekannten Prähistoriker und Mediziner, Rudolf Virchow, der gesagt hat, man kann Slawen und Germanen und Kelten an der Schädelform nicht voneinander unterscheiden.

Bürger: Und doch haben die Nationalsozialisten das versucht. Wie war das mit anderen Funden, Grabbeigaben, was sind das für Dinge, von denen gesagt wurde, das sind Zeichen dafür, dass es sich hier um Germanen handelte?

Halle: Wir haben hier in Bremen, wir haben ja ein vorgeschaltetes Forschungsprojekt gehabt, in dem wir untersucht haben, was hat man hier in Bremen in der Zeit ausgegraben. Und hier gibt es ein Gräberfeld, auf dem sowohl Körperbestattungen als auch Brandbestattungen sind. Und ein Teil dieser Brandbestattungen ist in Urnen gewesen, die reich verziert waren, unter anderem gab es auf drei Urnen halt auch ein Hakenkreuz zusammen mit anderen Motiven. Und da hat natürlich sofort der Ausgräber auch gesagt, wir haben hier drei prächtige Hakenkreuzurnen gefunden, und lässt eine dieser Hakenkreuzurnen auch auf der populärwissenschaftlichen Zeitschrift "Germanenerbe" abbilden.

Bürger: Haben die Archäologen unter Druck und im Auftrag des Regimes gearbeitet oder haben sie von sich aus, also freiwillig Angebote geliefert, die solche Geschichtsvisionen dann möglich machten?

Halle: Die Archäologen, muss man leider sagen, haben sich bereitwillig in den Dienst der Sache gestellt. Wir kennen niemanden, der irgendwie versucht hat, Widerstand zu leisten, und es sind viele Archäologen schon vor 1933, als es noch nicht opportun war, in die NSDAP einzutreten, der Partei schon beigetreten. Das heißt, wir haben eine Reihe von Archäologen, die auch wirklich überzeugte Nationalsozialisten sind. Und die stoßen nun auf eine Reichsregierung, die das Fach fördern möchte. Von daher gesehen stoßen da zwei Interessen aufeinander, und das ist dann so, dass wir quasi 1927 den ersten ordentlichen Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte eingerichtet bekommen an der Universität in Marburg, und 1945 gibt es 25 Lehrstühle, und dann kann man diese Explosion des Faches sehen.

Bürger: "Graben für Germanien – Archäologie unterm Hakenkreuz", die neue Ausstellung im Bremer Focke-Museum ist unser Thema im Gespräch mit der Landesarchäologin Uta Halle, die diese Ausstellung miterarbeitet hat. Frau Halle, inwieweit erforscht das Bremer Focke-Museum mit dieser Schau denn auch seine eigene Geschichte und die Rolle seiner Direktoren während des Nationalsozialismus?

Halle: Was für uns neu als Ergebnis war, dass das Focke-Museum zum Beispiel erst 1937 eine Abteilung für Ur- und Frühgeschichte bekommt. Wir haben gedacht, die Ur- und Frühgeschichte ist von Anfang an dabei gewesen. Nein, das ist eine Zutat aus der NS-Zeit, der Grabungsleiter von dieser Grabung, von der ich vorhin erzählt habe, mit den Hakenkreuzurnen, ist gleichzeitig Direktor des Museums, und er baut natürlich in dieser Ausstellung auch ein Stück weit ein ideologisches Bild auf, er lässt zum Beispiel über die eine Eingangstür schreiben ein Goethe-Zitat, was es so gar nicht gibt. Da geht es auch um die germanische Rasse, und wenn man sich Goethe im Original dann mal anguckt, dann steht da vorher was von Pferden, deren Rasse man nicht verändern sollte. Goethe hatte das auf Pferde bezogen und hat von den Germanen da in dem Zusammenhang überhaupt nichts geschrieben. Aber wenn dann unter so einem Zitat drunter steht Goethe, dann glaubt das natürlich der Museumsbesucher auch erst mal, bevor wir heute dann nachweisen können, das Zitat hat es so gar nicht gegeben.

Bürger: Lassen Sie uns einen kleinen Sprung machen, denn dieses Konstrukt einer germanischen Hochkultur wird ja bis heute aktiviert, zum Beispiel in der rechtsextremen Szene benutzt, dort als Argument für eine vermeintliche Überlegenheit. Zeigen Sie das auch in der Ausstellung?

Halle: Wir zeigen das auch mit zwei Vitrinen, die wir bestückt haben, wie sich zum Beispiel Rechtsextreme zwischen 1945 und 1990 in etwa verhalten haben und was sie da benutzt haben, und dann im Grunde genommen, wie das mit dem Internetzeitalter und dem Aufbau von solchen Versandgeschäften, in denen Rechtsextreme sich ihr ideologisch geprägtes Weltbild auch so als Zimmerschmuck und als T-Shirts und so etwas bestellen können. Also von daher gesehen zeigen wir bis ganz aktuell heute, wie sich das in die Gegenwart auswirkt. Aber wir zeigen auch, wie Germanen immer noch so im Alltagsleben vorkommen. Da gibt es das Bier des Jahres 2012, also letztes Jahr, das heißt "der goldene Germane", ein Sonderbräu aus einer Privatbrauerei.

Bürger: Wo sind die Grenzen Ihrer Möglichkeiten, diese ja doch sehr festsitzenden kollektiven Bilder zu korrigieren?

Halle: Indem wir eine solche Ausstellung machen. Es hat wenig Sinn und Zweck, wenn wir im universitären Elfenbeinturm wissen, dass die Germanen ein Konstrukt sind, dass die Nationalsozialisten mit diesem Konstrukt und mit Hilfe der Archäologie das stärker verfestigt haben, aber es hat wenig Sinn und Zweck, wenn das nicht in eine breite Bevölkerung reinkommt. Und ein Museum hat auch immer einen bildungspolitischen Auftrag. Und den nehmen wir jetzt mal stärker wahr.

Bürger: Sagt die Bremer Landesarchäologin Uta Halle über die neue Ausstellung Graben für Germania - Archäologie unterm Hakenkreuz. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Halle!

Halle: Bitte, gerne!

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Hinweis:
Die Ausstellung "Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz" wird am Samstag, den 9. März eröffnet. Ab Sonntag, den 10. März ist für Besuch geöffnet. Sie läuft bis 8. September 2013.
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