Die gesalzene Rechnung kommt im Frühjahr

Von Stephanie Kowalewski |
Dieser Winter ist lang und schneereich. Allein in Nordrhein-Westfalen landeten bisher rund 260.000 Tonnen Salz auf den Straßen. Da sich das Streugut nicht einfach auflöst, macht sich manch einer Sorgen um die Folgen für die Umwelt. Berechtigt?
Für Dirk Jansen vom BUND Nordrhein-Westfalen ist die Sache klar:

"Salz gehört aufs Frühstücksei oder in die Suppe. Also in der Umwelt hat eigentlich Streusalz überhaupt nichts zu suchen. Es schädigt die Vegetation und belastet auch unsere Gewässer."

Denn das gelöste Salz sickert in die Böden und vermischt sich mit dem Grundwasser. Die Folgen, sagt der Umweltschützer, werden wir im Frühjahr sehen, dann, wenn die Bäume austreiben.

"Die Feinwurzeln werden geschädigt, Pflanzen können absterben, sie zeigen krankhafte Veränderungen - sogenannte Nekrosen - an den Blättern, eine frühe Welke. Für gestresste Stadtbäume kann das den Exodus bedeuten."

Andreas Weber, Professor für Biochemie der Pflanzen an der Düsseldorfer Universität, bewertet die Folgen des Streusalzes auf die Umwelt als nicht ganz so schädlich. Natürlich sei Salz nicht gut für Böden, Pflanzen und Gewässer, jedes Gramm weniger, ein Gewinn für die Umwelt. Doch der Biochemiker ist davon überzeugt, dass unsere Straßen im Frühjahr nicht von toten Bäumen gesäumt werden:

"Pflanzen sind in der Lage, sich an Stressbedingungen anzupassen und haben auch Mechanismen, das Salz, das einmal in die Pflanze reingelangt ist, auch wieder zu entsorgen, zum Beispiel über den Blattabwurf im nächsten Herbst."

Die Bäume und Sträucher an besonders belasteten Straßen und Autobahnen entgiften sich also quasi selbst. Doch Andreas Weber schränkt ein:

"Es wird einige Jahre dauern, bis das Salz, was jetzt in der Pflanze aufgenommen ist, komplett entsorgt ist, aber sie ist in der Lage, sich zu regenerieren, wenn keine anderen wesentlichen Stressfaktoren wie zum Beispiel ein trockener Sommer, ein sehr heißer Sommer jetzt dazu kämen."

Auch weitere strenge Winter mit erneutem massivem Streusalzeinsatz würden den Überlebenskampf der angeschlagenen Pflanzen erschweren.

Das Streusalz gelangt aber nicht nur in Böden, es lässt auch in Flüssen und Klärwerken die Werte für Natrium und Chlorid regelmäßig ansteigen. Doch das sei selbst bei einem so langen und strengen Winter wie in diesem Jahr kein Grund zur Sorge, sagt Thomas Tscherner vom Klärwerk Düsseldorf, und vergleicht die durchschnittlichen Chloridwerte von Sommer und Winter:

"Normal, das heißt so in den Sommermonaten irgendwo um die 100 Milligramm pro Liter. Das kann in den Wintermonaten um das Doppelte oder etwas mehr noch steigen. Aber nachteilige Auswirkungen hat es für uns nicht."

Selbst bei kleineren Gewässern wie etwa der Niers, die sich über 114 Kilometer durch den linken Niederrhein schlängelt, bleibt die Chloridkonzentration meist unterhalb des zulässigen Grenzwertes von 250 Milligramm pro Liter Wasser, teilte der Niersverband auf Anfrage mit. Da das Streusalz über einen längeren Zeitraum hinweg ausgebracht wird, gelangt es peu à peu in die Gewässer und sorgt deshalb auch nicht für einen dramatischen Anstieg der Messwerte, sagt Thomas Tscherner.

"Wir haben also nicht eine plötzliche, schlagartige Belastung, sondern es ist eine kontinuierliche Erhöhung."

Das Wasser aus dem Düsseldorfer Klärwerk landet schließlich im Rhein, aus dem dann Trinkwasser gewonnen wird.

"Wenn ich das Verdünnungsverhältnis mir ansehe, wir mit unserer Einleitung zum Verhältnis der Wassermenge im Rhein, kann man davon ausgehen, dass diese Erhöhung marginal ist."

So sieht das auch die Verbraucherzentrale NRW und verweist darauf, dass manche Mineralwässer mehr Salz enthalten, als das Trinkwasser aus dem Wasserhahn. Dennoch bedeutet der höhere Salzgehalt Stress für im Wasser lebende Organismen und er verändert die umgebende Vegetation, warnt Dirk Jansen vom BUND.

"Es ist eindeutig nachgewiesen, dass diese hohen Salzgehalte in dem gesamten Ökosystem der Fließgewässer zu Veränderungen führen. Es wachsen auf einmal zum Beispiel Salzmoose in der Nähe von Gewässern, die sonst nur an der Ostsee, also an sehr stark vom Salzwasser geprägten Standorten vorkommen."

Auch wenn solche Veränderungen vermutlich eher auf den industriellen Kaliabbau zurückzuführen sind als auf den winterlichen Streusalzeinsatz, so gilt dennoch: weniger ist mehr. Land, Städte und Gemeinden beherzigen das inzwischen, so der Wissenschaftler Andreas Weber:

"Die meisten Studien sind schon in den 70er- und 80er-Jahren gemacht worden. Und die Ergebnisse der Studien sind in der Art und Weise, wie heutzutage der Winterdienst gemacht wird, schon umgesetzt. Also in den 60er- und 70er-Jahren wurden 40 und mehr Gramm pro Quadratmeter auf die Straßen aufgebracht. Durch neue Technik, durch Flüssigsalz ist man inzwischen bei 15 Gramm pro Quadratmeter und weniger. Also man hat im Lauf der letzten 20 Jahre das geviertelt."

Ein großes Problem, da sind sich alle Experten einig, ist hingegen der Streusalzgebrauch in privaten Haushalten. Zwar ist der ohnehin in vielen Kommunen verboten, doch es kontrolliert halt keiner. Also wird das aggressive Salz gern eimerweise auf den Gehweg gekippt. Nach dem Motto: viel hilft viel. Ganz falsch, urteilt der Biochemiker Andreas Weber:

"Privathaushalte sind nicht in der Lage, das Salz so zu dosieren, dass es effizient taut, aber ein Überschuss vermieden wird. Da ist es besser, entweder normale abstumpfende Mittel zu nehmen oder sehr viel weniger einzusetzen."

Dirk Jansen vom BUND rät daher zum Gebrauch von Besen und Schaufel oder zu Streugut mit Umweltsiegel.

"Das Umweltbundesamt gibt eine Liste heraus mit solchen abstumpfenden Mitteln, die das Umweltzeichen 'Blauer Engel' tragen. Die sind eigentlich noch das verträglichste für die Umwelt. Aus reiner Bequemlichkeit auf Salz zurückzugreifen, ist nicht ratsam."