Die Geschichte einer Filipina

Moderne Sklaverei – mitten in Deutschland

Ein Zimmermädchen bei der Arbeit.
Alina wollte als Haushaltshilfe arbeiten - und wurde versklavt. © picture alliance / dpa / Jan-Philipp Strobel
Von Johannes Nichelmann |
Sklaverei, das klingt nach vergangenen Zeiten. Doch noch immer werden Menschen von anderen behandelt, als seien sie deren Eigentum. So wie die Filipina Alisa. Sie arbeitete bei Botschaftsangehörigen in Berlin als Haushaltshilfe - und wurde zur Gefangenen.
Übersetzerin: "Sie hat es ausgehalten, zwei bis drei Monate. Danach wurde sie gepeitscht. Als sie gepeitscht wurde, hat sie oft geschrien, aber keiner hat ihr geholfen. Die Leute waren nur am Zugucken."
Alisa Ariola, das ist nicht ihr echter Name, ist Ende 40, Filipina. Ich treffe sie, gemeinsam mit einer Übersetzerin, im Büro der Berliner Beratungsstelle gegen Menschenhandel Ban Ying. Sie ist bereit zu erzählen. Von den Menschenfängern, die sie in die moderne Sklaverei getrieben haben. Vor 16 Jahren begann der qualvolle Weg von Frau Ariola – von den Philippinen aus ging es für sie nach Kuwait und schließlich über Umwege nach Deutschland.
"Auf den Philippinen war sie ganz, ganz arm. Sie hatte viele Geschwister, aber es gab kein richtiges Einkommen sozusagen. Deshalb hat sie sich entschieden in den Nahen Osten zu fahren."
Während Alisa erzählt, spielt sie mit ihren langen schwarzen Haaren. Die alleinerziehende Mutter hat ihr Kind damals in der Heimat zurückgelassen. Sie sucht den Kontakt zu einer Agentur, die philippinische Hausangestellte ins Ausland vermittelt. Erst nach der Ankunft in Kuwait-Stadt stellt sich heraus, dass diese Agentur mehr als unseriös ist. Alisa Ariola kommt zu einer Familie mit vielen Kindern, bemerkt, dass die anderen Hausangestellten geschlagen werden. Sie darf nur wenige Stunden am Tag schlafen und sie erhält wenig Lohn.

Erste Flucht endet im Gefängnis, die zweite im Bordell

"Sie haben sie als Tier gerufen. Hund gerufen und Esel gerufen. – Eines Tages hat das Enkelkind ihre Brüste angefasst und es gab Prügeleien. Eines Tages kam eine neue Hausangestellte aus den Philippinen. Diese Hausangestellte wurde mit einem Teller geschlagen und seitdem haben sie sich entschieden, die beiden Frauen, von dieser Wohnung abzuhauen."
Bei ihrer Flucht werden die Frauen aufgegriffen, landen im Gefängnis. Schließlich werden sie zurück zu dem Ort gebracht, von dem sie entfliehen wollten. Alisa Ariola berichtet davon, dass sie vergewaltigt worden ist. Die nächste Flucht gelingt, endet aber in einem Bordell. Wieder sitzt sie rechte- und mittellos in der Falle. Hier wird sie zur Sexarbeit gezwungen. Dann, elf Jahre nach ihrer Ankunft in Kuwait, fliegt sie zurück in ihre Heimat. 2013 macht sie sich erneut auf den Weg.
"Sie kam wieder zu Hause an, also in den Philippinen, aber durch die Armut musste sie wieder in Ausland und zwar wieder nach Kuwait."
Die Umstände sind kaum besser als beim ersten Mal. Wenig später findet sie eine Möglichkeit in ein anderes Land des Mittleren Ostens zu gehen und erhält dort das Angebot, in einer Botschaft in Deutschland zu arbeiten.
"Die Freundin, die ihr geholfen hat nach Deutschland zu kommen, meinte zu ihr, die Regeln in Deutschland sind andere. Hier ist alles geregelt. Aber letztendlich hat sie auch das Gleiche erlebt."

Strenge Regeln in Deutschland greifen nicht

Das Auswärtige Amt hat strenge Regeln für die Anstellung von Personal in Botschaften aufgestellt. Demnach werden private Hausangestellte einmal im Jahr zur Verlängerung ihrer Protokollausweise – der Aufenthaltsgenehmigung – zu den Bedingungen ihrer Arbeit befragt. Das Ministerium verlangt die Einrichtung eines Bankkontos und der Arbeitgeber muss die Lohnzahlungen belegen. Der Mindestlohn beträgt 950 Euro bei freier Kost und Logis.
Frau Ariola aber wird von ihrem Arbeitgeber in Berlin schnell klar gemacht, dass diese Regeln für sie nicht gelten.
"Du kriegst keine Überstunden bezahlt und Du darfst nicht das Haus verlassen, wenn sie nicht dabei sind. In dem Vertrag stand, dass ein Konto für sie eröffnet werden musste. Aber der Arbeitgeber hat nur ein Fake-Konto für sie eröffnet, damit sie diesen Protokollausweis bekommen kann. Für jeden Einkauf, wenn sie zusammen einkaufen waren, hat der Arbeitgeber für sie bezahlt, aber dann zu Hause haben sie dieses Geld wieder verlangt von ihr."
Statt der 950 Euro erhält sie 400 Euro.
"Sonntags musste sie sogar arbeiten, sie hatte keine Pause und deshalb ist sie abgehauen. Wenn die Arbeitgeberin mindestens nett zu ihr gewesen wäre, sie hätte es ausgehalten zu Hause und sie wäre nicht abgehauen."

Unfaire Behandlung in Botschaften

Wie genau ihr die Flucht gelungen ist bleibt geheim – auch andere Hausangestellte sollen die Chance erhalten, solchen Lebensumständen entfliehen zu können. Alisa Ariolas Aussagen können nicht überprüft werden. Aber sie ist kein Einzelfall. Immer wieder berichten Hausangestellte von Botschaften aus Ländern verschiedener Regionen von unfairer Behandlung, schlechten Arbeitsbedingungen und unzureichender Bezahlung. Moderne Sklaverei, mitten in Deutschland.
Das Auswärtige Amt kann bei Nichteinhaltung der Regeln die Genehmigung zur Einstellung von privaten Hausangestellten verweigern. Der Diplomatenstatus schützt aber vor härteren Strafen.
Alisa Ariolas Zukunft ist ungewiss. Momentan lebt sie an einem geheimen Ort, irgendwo in Deutschland. Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte – im Ausland äußerst umstritten, im Inland überaus populär – hat das Thema erkannt und rasche Hilfe angekündigt. Vor allem für die Millionen Filipinas in den Golfstaaten. Ein Versprechen. Frau Ariola ist dafür dankbar.
"Sie sagt, sie erhofft sich, dass alles, was sie erlebt hat, dass diese jungen Frauen das nicht erleben müssen. Weil sie sehen kann, was alles in Facebook gepostet wird. Wie jemand blutet, wie jemand um Hilfe schreit. Und jetzt, wenn sie nur mit dem Präsidenten reden könnte, um ihm zu sagen: 'Bitte hör auf, Hausangestellte ins Ausland zu schicken!', würde sie das machen. Weil bis jetzt passiert das immer noch so."
Mehr zum Thema