Die Geschlechtertrennung hat sich überlebt

Von Tanja Dückers · 08.03.2013
Wenn Frauen von Männern einfach nur einfordern, das eigene Terrain aufzugeben, wird ihre Emanzipation scheitern. Denn langfristig sind nur die sozialen Revolutionen erfolgreich, die eine ganz neue Balance schaffen, meint die Schriftstellerin Tanja Dückers. Eine Möglichkeit: Die Geschlechtertrennung einfach abschaffen.
Es wird über die Quote diskutiert, über eine größere Zahl weiblicher DAX-Aufsichtsräte, mehr Unternehmerinnen, mehr Professorinnen. Meist ist im öffentlichen Diskus davon die Rede, was den Frauen vorenthalten oder erschwert wird, aber weniger davon, wovon die Männer profitieren könnten.

Der angestrebten Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen fehlte bisher ein entscheidendes Element: Nämlich die Überzeugung der Männer, dass ein stärker kooperatives, partizipatorisches Lebens- und Arbeitsmodell auch für sie einen Gewinn bedeutet.

Doch langfristig sind meist nur die sozialrevolutionären Bewegungen erfolgreich, denen es gelingt, eine neue Balance zu etablieren, die für beide Seiten Vorteile mit sich bringt. Kaum ein Machtinhaber gibt Territorium auf, wenn er nicht anderes Gebiet hinzugewinnt. Niemals hätte die Emanzipationsbewegung der Frau bisher überhaupt so viel erreicht, wenn sich nicht ein signifikanter Teil der Männer, bewusst oder unbewusst, selbst nach Veränderungen gesehnt hätte.

Die größere sexuelle Selbstbestimmung der Frauen durch die Verbreitung der Pille war für Männer nicht nur mit einem Machtverlust, sondern auch mit einem Lustgewinn verbunden. Und nicht aus schierer Liebe zu den Frauen haben Firmenchefs in den letzten Jahren sogenannte "weibliche Eigenschaften" wie Team- und Dialogfähigkeit für ihre Unternehmen entdeckt. Diese Unternehmen arbeiten einfach erfolgreicher.

In den vergangenen Dekaden ging es eher darum, dass Frauen überhaupt arbeiten oder sich von unteren in mittlere Führungsebenen hocharbeiten. Nun geht es um die Posten der Männer auf Augenhöhe. An diesem Punkt der Entwicklung muss erstmals wirklich eine männliche Verzichtsleistung erbracht werden. Deshalb sollte sich der Blick der Männer mehr auf die Gewinn- als auf die Verlustseite richten, auf die Vorteile eines Lebens als Teilzeitkraft oder als Vize-Chef, die Vorteile einer gesünderen work-life-balance – mit Zeit zum Kinderwagen-Joggen statt für Überstunden.

Es scheint, als ob zumindest einige Männer – unter ihnen Matthias Platzeck oder Franz Müntefering – mittlerweile ihren fairen Anteil an der Emanzipation erhalten wollen und eher ein Tauschgeschäft mit den Frauen anstreben als einfach nur eine Rückkehr zu alten Verhältnissen einzufordern. Statt an der Macht kleben zu bleiben, fordern sie in einem zähen Kampf, den sie vor allem gegen ihre eigenen Geschlechtsgenossen auszufechten haben, andere Privilegien für sich ein: das Recht darauf, Verantwortung abgeben zu können, Überlastung erkennen und ihr vorbeugen zu können, das Recht, für Kinder oder eine kranke Ehefrau Zeit aufzubringen.

Eine Studie hat unlängst ergeben, dass 80 Prozent der heute 25 bis 45-Jährigen der Aussage zustimmen, ihre Väter hätten für sie als Kinder viel zu wenig Zeit gehabt. Dieses Ergebnis spricht von einer kollektiven Tragödie. Gerade bei jungen Männern kann man feststellen, wie oft ihnen eine partizipierende Vaterfigur gefehlt hat.

Nach wie vor verbringen, laut Allensbach, Mütter täglich mehr als doppelt so viel Zeit mit ihren Kindern als Väter. Oft lassen die Frauen die Männer jedoch in ihrer Domäne ebenso unwillig "aufsteigen" wie die Männer die Frauen in die Chefetagen. Frauen trauen Männern in Bezug auf Haushalt und Umgang mit Kindern zu wenig zu. Dieses Misstrauen sagt viel über das auch bei den Frauen noch mehrheitlich vorhandene Rollenverständnis.

Unsere Gesellschaft basiert zum Glück nicht mehr auf einer dualen Arbeits- und Lebenswelt, sogenannte männliche und weibliche Sphären werden sich in Zukunft noch stärker miteinander verknüpfen. Die Geschlechtertrennung als gesellschaftlich tragendes Konstrukt hat sich überlebt. Auch wenn manch Unverbesserlicher oder Neokonservativer daran zweifelt.

Tanja Dückers, geboren 1968 in Berlin (West), Schriftstellerin, Journalistin. Zu ihren wichtigsten Veröffentlichungen zählen die Romane "Spielzone" (1999), "Himmelskörper" (2003), "Der Längste Tag des Jahres" (2006) und "Hausers Zimmer" (2011), der Essayband "Morgen nach Utopia" (2007) sowie die Lyrikbände "Luftpost" (2001) und "Fundbüros und Verstecke" (2012).

Sie ist eine der Autorinnen der jüngeren Generation, die sich immer wieder in aktuelle gesellschaftspolitische Debatten einmischen. Sie schreibt für verschiedene Zeitungen und Magazine, u.a. Spiegel, Süddeutsche, Tagesspiegel, taz, Frankfurter Rundschau, Welt, Jungle World. Monatlich erscheint ein Essay von ihr auf ZEIT Online.

Nach vielen Auslandsaufenthalten, die sie von Los Angeles und Barcelona über Tschechien und Polen bis nach Rumänien führten, lebt Tanja Dückers heute mit ihrer Familie in Berlin.

www.tanjadueckers.de
Dückers, Tanja
Dückers, Tanja© Anton Landgraf
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