Michel Foucault: "Die Geständnisse des Fleisches"
Aus dem Französischen von Andrea Hemminger
Suhrkamp, Berlin 2019
556 Seiten, 36 Euro
Als die Sexualität verinnerlicht wurde
11:03 Minuten
"Die Geständnisse des Fleisches", das neue Buch von Michel Foucault, ist nicht nur eine Geschichte des Geschlechtslebens im Frühchristentum. Es lädt auch zum Nachdenken über unseren heutigen Umgang mit Sexualität ein.
Der französische Philosoph Michel Foucault gehört zu den wichtigsten Denkern des 20. Jahrhunderts. Am Montag erscheint dessen neues Buch "Die Geständnisse des Fleisches". Es ist der vierte Teil der Reihe "Sexualität und Wahrheit". Wie aktuell das Denken Foucaults heute noch ist, darüber sprachen die beiden Deutschlandfunk Kultur-Redakteure Catherine Newmark und René Aguigah.
Zwar habe Foucault angewiesen, keine Werke von ihm posthum zu veröffentlichen – woran sich sein Lebenspartner auch hielt. Doch nach der Übergabe der unveröffentlichten Manuskripte 2013 an die Bibliothèque Nationale de France in Paris sei befürchtet worden, dass es wilde Publikationen gebe, erläutert Newmark, warum "Die Geständnisse des Fleisches" nun, 35 Jahre nach dem Tod des Philosophen, erscheint.
Teil des philosophischen Kanons
In "Die Geständnisse des Fleisches" zeichnet Foucault die Diskussionen der Kirchenväter über das Geschlechtsleben in den ersten frühchristlichen Jahrhunderten nach. Das sei auch deshalb interessant, weil gerade Foucault diese zum großen Teil unbekannten christlichen Geistlichen gelesen habe, sagt René Aguigah.
Schließlich gehören die Werke des Franzosen – obwohl er bis zu seinem Tod umstritten war – zum Kanon der Philosophie. Er habe nicht nur über Sachen nachgedacht, die zu seiner Lebenszeit interessant waren, sondern ist auch heute lesbar, davon ist Aguigah überzeugt. Foucault habe sich mit der Grundfrage der Philosophie beschäftigt: Was ist der Mensch. Darauf habe er immer wieder Antworten gegeben, so auch in dem nun erscheinenden Buch.
Antike Modelle im Christentum
Newmark weißt darauf hin, dass Foucault in seinem jüngsten Buch aufzeigt, wie antike Modelle in das christliche Denken überführt worden seien. Dabei ginge es darum, Sexualität zu verinnerlichen:
"Es geht nicht mehr darum, dass Sexualität kontrolliert wird, weil man sich beispielsweise vor Ausschweifungen bewahren soll, sondern, dass Sexualität als im Inneren der Subjekte vorhandene Problematik gesehen wird, über die es ganz viel nachzudenken und zu sprechen gilt, in Beichtpraktiken, die bis in die Gegenwart strahlen", so Newmark.
#MeToo mit Foucault gelesen
Foucault habe gezeigt, dass es eine Verbindung gibt von uns in die Vergangenheit, sagt Newmark. Aguigah ist überzeugt, dass sich mit Foucault beispielsweise auch die #MeToo-Debatte über sexuelle Übergriffe beleuchten lasse:
"#MeToo ist mit dem Blick von Foucault auf alle Fälle ein Kampfplatz, wo um Macht gerungen wird. Und wenn man es einerseits beleuchtet, dann kann man sich darüber freuen, dass sich Unterdrückte gegenüber Unterdrückende auflehnen. Wenn man es anders beleuchtet, kann man sehen, dass sich da eine Gesellschaft neue Normen gibt, die wiederum einengen können", erklärt Aguigah.
(rzr)
Eine Kritik des neuen Buchs von Michel Foucault "Die Geständnisse des Fleisches" können Sie am Montag (17.6.2019) in der Sendung Studio 9 hören.