Die Gier nach mehr Geld
Der neue Roman des 50-jährigen britischen Schriftstellers John Lanchester spielt in London. Das Buch ist erst in diesem Jahr im Original herausgekommen und liegt nun schon auf Deutsch vor: ein Roman über das Großstadtleben in der Finanzkrise.
Über London heißt es in diesem Roman, "selbst die Luft" rieche hier "irgendwie nach Geld". Geld und die Gier danach färbt die Gespräche, Geld baut sich seine eigenen Tempel in Form von spektakulären Türmen mit Spiegelglasfassade im Finanzdistrikt der Stadt, der "City", auch die vielen Immigranten kommen naturgemäß dorthin, um der Gelddoktrin zu folgen und "ein Maximum an Kapital" aus diesem Ort zu schlagen. Vielleicht ist deshalb die Londoner Luft so "schwer zu atmen", "so voller Hass und Verzweiflung".
So voller Wut auch, und sei es nur blinde Kaufwut, wie sie Arabella Yount, die 37-jährige Gattin eines Investmentbankers, an den Tag legt. Immer schön shoppend getreu dem Motto: "Wozu lebte man schließlich in London, wenn man nicht ab und zu ein wenig Geld unter die Leute bringen konnte?"
John Lanchesters gewaltiges Gegenwartspanorama "Kapital" nimmt seinen Ausgang in einer Zeit, in der Millionenboni noch alltäglich waren, im Dezember 2007. Elf Monate später endet es, im November 2008. Kein Jahr ist vergangen und doch hat sich alles geändert, was Roger Yount schon daran merkt, dass er nicht nur gefeuert, sondern sein Arbeitgeber kurz danach pleitegegangen ist.
Wäre "Kapital" lediglich ein Roman über einen, der im komplexen "Flash-Trading" ins Trudeln gerät, man müsste ihn nicht lesen. Aber dieses Buch ist so unendlich viel mehr, denn es erzählt uns die Geschichten eines polnischen Handwerkers und seines Zufallsfundes genauso wie die eines 17-jährigen Fußballstars aus dem Senegal, der seine Profikarriere in der Premier League startet und gar nicht glauben mag, wie viel Geld er da plötzlich kassiert. "Kapital" berichtet uns von einem Pakistani, dessen "Jihad-Kumpel" es als Auftrag verstehen, wenn der Imam in der Moschee wieder mal gegen den Kapitalismus wettert.
"Kapital" ist ebenso die Geschichte von Quentina Mkfesi, einem politischen Flüchtling aus Zimbabwe, dem im Auffanglager die Abschiebung droht, und es ist die Geschichte der sterbenden 82-jährigen Petunia Howe und ihres 28jährigen Enkels Smitty - eine Figur, die angelehnt ist an jenen subversiven Graffiti- und Performancekünstler "Banksy", der als berühmter Unbekannter seine "totale Anonymität" zu seinem "interessantesten Kunstwerk" gemacht hat. Die vollkommene Kommerzialisierung des Lebens zeigt sich nicht zuletzt darin, wie viel Geld die Leute gerade für Smittys ja doch eigentlich systemkritische Kunst auszugeben bereit sind.
Was all diese Personen verbindet, ist eine Straße im Süden Londons, in der sie wohnen, arbeiten oder einfach nur vorbeischauen - die fiktive Pepys Road, Inbild der "gentrification". Der nicht sonderlich wohlhabende Mittelstand wird langsam, aber stetig aus der Gegend verdrängt - durch in die Höhe schießende Miet- und Immobilienpreise, die nur noch zahlen kann, wer Fantasiegehälter bezieht. Kunstvoll spannt Lanchester in seinem Roman Lebensgeschichten zusammen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf intelligente Weise führt er vor, was es heißt, wenn einer Gesellschaft der soziale Zusammenhalt abhandenkommt, wenn das Streben nach "ein wenig Kapital" oder auch mehr aus einem Miteinander ein Gegen- oder aber indifferentes Nebeneinander macht.
Der Namensgeber von Lanchesters Straße, der Londoner Chronist Samuel Pepys, hat in seinem Tagebuch am 21. März 1667 geschrieben: "Es ist schön, zu sehen, was Geld alles anzurichten vermag." Der Satz eines Zynikers. John Lanchester aber ist zum Glück ein Geschichtenerzähler.
Besprochen von Knut Cordsen
John Lanchester: Kapital
Aus dem Englischen von Dorothee Merkel
Klett Cotta,Stuttgart 2012
682 Seiten, 24,95 Euro
So voller Wut auch, und sei es nur blinde Kaufwut, wie sie Arabella Yount, die 37-jährige Gattin eines Investmentbankers, an den Tag legt. Immer schön shoppend getreu dem Motto: "Wozu lebte man schließlich in London, wenn man nicht ab und zu ein wenig Geld unter die Leute bringen konnte?"
John Lanchesters gewaltiges Gegenwartspanorama "Kapital" nimmt seinen Ausgang in einer Zeit, in der Millionenboni noch alltäglich waren, im Dezember 2007. Elf Monate später endet es, im November 2008. Kein Jahr ist vergangen und doch hat sich alles geändert, was Roger Yount schon daran merkt, dass er nicht nur gefeuert, sondern sein Arbeitgeber kurz danach pleitegegangen ist.
Wäre "Kapital" lediglich ein Roman über einen, der im komplexen "Flash-Trading" ins Trudeln gerät, man müsste ihn nicht lesen. Aber dieses Buch ist so unendlich viel mehr, denn es erzählt uns die Geschichten eines polnischen Handwerkers und seines Zufallsfundes genauso wie die eines 17-jährigen Fußballstars aus dem Senegal, der seine Profikarriere in der Premier League startet und gar nicht glauben mag, wie viel Geld er da plötzlich kassiert. "Kapital" berichtet uns von einem Pakistani, dessen "Jihad-Kumpel" es als Auftrag verstehen, wenn der Imam in der Moschee wieder mal gegen den Kapitalismus wettert.
"Kapital" ist ebenso die Geschichte von Quentina Mkfesi, einem politischen Flüchtling aus Zimbabwe, dem im Auffanglager die Abschiebung droht, und es ist die Geschichte der sterbenden 82-jährigen Petunia Howe und ihres 28jährigen Enkels Smitty - eine Figur, die angelehnt ist an jenen subversiven Graffiti- und Performancekünstler "Banksy", der als berühmter Unbekannter seine "totale Anonymität" zu seinem "interessantesten Kunstwerk" gemacht hat. Die vollkommene Kommerzialisierung des Lebens zeigt sich nicht zuletzt darin, wie viel Geld die Leute gerade für Smittys ja doch eigentlich systemkritische Kunst auszugeben bereit sind.
Was all diese Personen verbindet, ist eine Straße im Süden Londons, in der sie wohnen, arbeiten oder einfach nur vorbeischauen - die fiktive Pepys Road, Inbild der "gentrification". Der nicht sonderlich wohlhabende Mittelstand wird langsam, aber stetig aus der Gegend verdrängt - durch in die Höhe schießende Miet- und Immobilienpreise, die nur noch zahlen kann, wer Fantasiegehälter bezieht. Kunstvoll spannt Lanchester in seinem Roman Lebensgeschichten zusammen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf intelligente Weise führt er vor, was es heißt, wenn einer Gesellschaft der soziale Zusammenhalt abhandenkommt, wenn das Streben nach "ein wenig Kapital" oder auch mehr aus einem Miteinander ein Gegen- oder aber indifferentes Nebeneinander macht.
Der Namensgeber von Lanchesters Straße, der Londoner Chronist Samuel Pepys, hat in seinem Tagebuch am 21. März 1667 geschrieben: "Es ist schön, zu sehen, was Geld alles anzurichten vermag." Der Satz eines Zynikers. John Lanchester aber ist zum Glück ein Geschichtenerzähler.
Besprochen von Knut Cordsen
John Lanchester: Kapital
Aus dem Englischen von Dorothee Merkel
Klett Cotta,Stuttgart 2012
682 Seiten, 24,95 Euro