Die Glashüterin
Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es geschätzt 100.000 Glasmalerei-Fenster. Die Kunsthistorikerin Annette Jansen-Winkeln katalogisiert die Fenster. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn in Zeiten klammer Kassen reißen die Gemeinden die Kirchen ab und zerstören die Fenster.
Von außen wirkt er nicht gerade einladend, der Klinkerbau im Mönchengladbacher Stadtteil Winkeln: Von der Straße aus sind nur einige Betonstreben zu sehen, aber keine Fenster. Die Leute im Ort nennen das Haus den "Knast von Winkeln".
Von innen aber bekommt man einen ganz anderen Eindruck: Man könnte meinen, man wäre in einem sakralen Raum oder einer Kirche, gerade wegen der vielen Bleifenster mit ihren farbigen Ornamenten aus Glas, die einen umgeben. Es ist das Reich der Kunsthistorikerin Annette Jansen-Winkeln, die hier mit ihrem Mann lebt und arbeitet.
Er ist Architekt und hat das Haus vor vielen Jahren entworfen. Mit einem kleinen Kreis von Interessierten haben die beiden Eheleute vor genau zwanzig Jahren die "Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jahrhunderts" gegründet, die im Haus untergebracht ist. Annette Jansen-Winkeln leitet die Einrichtung.
Gerade ist die 57-Jährige auf dem Weg in den ersten Stock. In zig Kästen und Fächern lagern hier die Nachlässe von Künstlern. Das Herzstück aber ist die Datenbank, in der sich sämtliche Glasmalereien finden, die Annette Jansen-Winkeln und ihr Team bisher erfasst haben. Augenblicklich umfasst die Datenbank rund 50 000 Einträge – Tendenz steigend.
Annette Jansen-Winkeln: "Uns hat neulich mal jemand gesagt, also das wäre ja wirklich ein Schatz wie ein Rohdiamant, derartig viele Kulturwerke zunächst einmal als Rohmaterial eben dokumentiert zu haben. Da gibt es sicherlich noch Jahrzehnte an Forschungsmaterial und an Möglichkeiten, da tiefer einzusteigen."
Mehrere Bücher hat Annette Jansen-Winkeln über Glasmalerei verfasst – eine Kunst, der sich auch Marc Chagall, Max Pechstein, Gerhard Richter und andere bekannte Künstler gewidmet haben.
Wie viele Glasmalereien es bundesweit gibt und wie sich die Kunstwerke regional unterscheiden, darüber ist bislang wenig bekannt. Annette Jansen-Winkeln hat sich deswegen zunächst einmal vorgenommen, bis 2016 alle rund 100 000 Glasmalereien in Nordrhein-Westfalen flächendeckend zu erfassen.
Ein Mammutprojekt: In jedem noch so kleinen Ort holt sie Informationen ein, vereinbart Termine und fotografiert Glasmalereien vor Ort, meist in Kirchen, aber auch in Schulen oder Rathäusern.
"Ich hatte zunächst einmal gedacht, ja, ich erforsche die Glasmalerei eben als Kunsthistorikerin, und es ist etwas, was nur Fachleute interessiert. Und wenn ich Glück habe, schreibe ich ein Buch. Und wenn ich noch mehr Glück habe, dann liest auch einer das Buch. Aber nun haben wir ja alles in Kurzform auf unserer Internetseite stehen, und wir merken immer wieder, wie groß das Interesse in der Bevölkerung ist. Es kommen unendlich viele E-Mails und Anrufe. Und der eine sagt: 'Ist ja alles toll, was Sie machen.' Aber hier ist noch eine Schule, die hat noch Fenster, die haben Sie noch vergessen. "
Und dann nimmt Annette Jansen-Winkeln auch dieses Fenster in die Datenbank auf. Die Früchte ihrer Arbeit zeigen sich bereits.
""Und das Schöne ist eben, dass man schon mal vergleichen kann: Also, ich kann ja nach verschiedensten Möglichkeiten abfragen. Wenn ich eingebe 'Maria', dann kommen jetzt 2280 Einträge, die mit Maria in Verbindung stehen."
Auch nach Regionen lässt sich suchen. Wenn man sich etwa die Bilder im Ruhrgebiet anschaut, fällt auf, dass in den Fenstern häufig Hochtürme und Zechen abgebildet sind. Etwa auf dem Bild "Ruhrgebietschristus", das in der evangelischen Stadtkirche in Dinslaken zu sehen ist. Auch die Heilige Barbara ist oft zu sehen, die Patronin der Bergleute. In einem Kirchenfenster in Gelsenkirchen ist zudem das Jahr verewigt, in dem Schalke 04 zuletzt Deutscher Meister wurde: 1958.
"Das fällt im ersten Blick nicht auf, wenn man durch die Kirche geht. Man sieht halt lauter Heiligenfiguren. Man muss sich schon ein bisschen damit beschäftigen, um all die vielen, kleinen Details zu finden, die eben in den Fenstern und in den Bildern mit versteckt sind."
Für Annette Jansen-Winkeln sind Glasmalereien deswegen nicht nur Kunstobjekte, sondern auch wichtige Quellen, die etwas über die Geschichte und Kultur eines Ortes aussagen. Gerade deswegen möchte sie Regionen flächendeckend erfassen. Vor zehn Jahren, als sie bereits intensiv über die Werke einzelner Künstler geforscht hatte, fiel ihr etwas Interessantes auf, für das sie seitdem wissenschaftliche Belege sammelt.
"Ein Schwerpunkt der Glasmalerei ist eben das Rheinland. Das ist sicherlich ein europäischer Schwerpunkt, vielleicht auch ein weltweiter Schwerpunkt, vermute ich mal."
Dieses Kerngebiet der moderner Glasmalerei des 19. und 20. Jahrhunderts verlaufe in etwa entlang des Rheins, sagt sie: Es reiche von der deutsch-holländischen Grenzregion im Norden entlang der Eifel, über Luxemburg und bis nach Metz in Frankreich. Auch Teile des Ruhrgebiets zählten dazu.
"Man müsste eigentlich für die Glasmalerei hier einen Weltkulturerbestatus erlangen, weil die Werke auf der einen Seite wahnsinnig gefährdet sind und auf der anderen Seite es keine Landschaft gibt, in der die Glasmalerei des 19. und 20. Jahrhunderts so dicht und gedrängt vorkommt wie hier."
Noch ist Annette Jansen-Winkeln zurückhaltend mit näheren Erklärungen. Sie möchte erst einmal die Dokumentation in Nordrhein-Westfalen beenden. Und da müsse sie sich enorm beeilen, erzählt sie. Denn in Zeiten knapper Kassen werden immer mehr Kirchen und Gemeindehäuser abgerissen. Manchmal ist denjenigen, die das entscheiden, gar nicht bewusst, welche Kostbarkeiten die Gebäude beherbergen.
Vor kurzem hat es etwa das Heinrich-Held-Haus in Essen erwischt, ein Gemeindezentrum, in dem das größte Fenster auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche im Rheinland zu sehen war. Jetzt ist es zerlegt in seine Einzelteile. Mitglieder der Gemeinde durften sie mit nach Hause nehmen – als Andenken.
"Ich kenne mittlerweile kein Lebenswerk eines Künstlers, das nicht schon von diesem Verlust betroffen ist. Deswegen sind wir jetzt dabei, so schnell es geht die Dokumentation der Glasmalerei in Nordrhein-Westfalen fertig zu kriegen. Forschen kann man immer noch, aber man muss wenigstens einmal sehen, dass man eine Bilanz hat, von der man ausgehen kann. Und gerade wo die Zerstörungen zum Teil so erheblich sind, muss man sich wirklich sehr beeilen."
Von innen aber bekommt man einen ganz anderen Eindruck: Man könnte meinen, man wäre in einem sakralen Raum oder einer Kirche, gerade wegen der vielen Bleifenster mit ihren farbigen Ornamenten aus Glas, die einen umgeben. Es ist das Reich der Kunsthistorikerin Annette Jansen-Winkeln, die hier mit ihrem Mann lebt und arbeitet.
Er ist Architekt und hat das Haus vor vielen Jahren entworfen. Mit einem kleinen Kreis von Interessierten haben die beiden Eheleute vor genau zwanzig Jahren die "Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jahrhunderts" gegründet, die im Haus untergebracht ist. Annette Jansen-Winkeln leitet die Einrichtung.
Gerade ist die 57-Jährige auf dem Weg in den ersten Stock. In zig Kästen und Fächern lagern hier die Nachlässe von Künstlern. Das Herzstück aber ist die Datenbank, in der sich sämtliche Glasmalereien finden, die Annette Jansen-Winkeln und ihr Team bisher erfasst haben. Augenblicklich umfasst die Datenbank rund 50 000 Einträge – Tendenz steigend.
Annette Jansen-Winkeln: "Uns hat neulich mal jemand gesagt, also das wäre ja wirklich ein Schatz wie ein Rohdiamant, derartig viele Kulturwerke zunächst einmal als Rohmaterial eben dokumentiert zu haben. Da gibt es sicherlich noch Jahrzehnte an Forschungsmaterial und an Möglichkeiten, da tiefer einzusteigen."
Mehrere Bücher hat Annette Jansen-Winkeln über Glasmalerei verfasst – eine Kunst, der sich auch Marc Chagall, Max Pechstein, Gerhard Richter und andere bekannte Künstler gewidmet haben.
Wie viele Glasmalereien es bundesweit gibt und wie sich die Kunstwerke regional unterscheiden, darüber ist bislang wenig bekannt. Annette Jansen-Winkeln hat sich deswegen zunächst einmal vorgenommen, bis 2016 alle rund 100 000 Glasmalereien in Nordrhein-Westfalen flächendeckend zu erfassen.
Ein Mammutprojekt: In jedem noch so kleinen Ort holt sie Informationen ein, vereinbart Termine und fotografiert Glasmalereien vor Ort, meist in Kirchen, aber auch in Schulen oder Rathäusern.
"Ich hatte zunächst einmal gedacht, ja, ich erforsche die Glasmalerei eben als Kunsthistorikerin, und es ist etwas, was nur Fachleute interessiert. Und wenn ich Glück habe, schreibe ich ein Buch. Und wenn ich noch mehr Glück habe, dann liest auch einer das Buch. Aber nun haben wir ja alles in Kurzform auf unserer Internetseite stehen, und wir merken immer wieder, wie groß das Interesse in der Bevölkerung ist. Es kommen unendlich viele E-Mails und Anrufe. Und der eine sagt: 'Ist ja alles toll, was Sie machen.' Aber hier ist noch eine Schule, die hat noch Fenster, die haben Sie noch vergessen. "
Und dann nimmt Annette Jansen-Winkeln auch dieses Fenster in die Datenbank auf. Die Früchte ihrer Arbeit zeigen sich bereits.
""Und das Schöne ist eben, dass man schon mal vergleichen kann: Also, ich kann ja nach verschiedensten Möglichkeiten abfragen. Wenn ich eingebe 'Maria', dann kommen jetzt 2280 Einträge, die mit Maria in Verbindung stehen."
Auch nach Regionen lässt sich suchen. Wenn man sich etwa die Bilder im Ruhrgebiet anschaut, fällt auf, dass in den Fenstern häufig Hochtürme und Zechen abgebildet sind. Etwa auf dem Bild "Ruhrgebietschristus", das in der evangelischen Stadtkirche in Dinslaken zu sehen ist. Auch die Heilige Barbara ist oft zu sehen, die Patronin der Bergleute. In einem Kirchenfenster in Gelsenkirchen ist zudem das Jahr verewigt, in dem Schalke 04 zuletzt Deutscher Meister wurde: 1958.
"Das fällt im ersten Blick nicht auf, wenn man durch die Kirche geht. Man sieht halt lauter Heiligenfiguren. Man muss sich schon ein bisschen damit beschäftigen, um all die vielen, kleinen Details zu finden, die eben in den Fenstern und in den Bildern mit versteckt sind."
Für Annette Jansen-Winkeln sind Glasmalereien deswegen nicht nur Kunstobjekte, sondern auch wichtige Quellen, die etwas über die Geschichte und Kultur eines Ortes aussagen. Gerade deswegen möchte sie Regionen flächendeckend erfassen. Vor zehn Jahren, als sie bereits intensiv über die Werke einzelner Künstler geforscht hatte, fiel ihr etwas Interessantes auf, für das sie seitdem wissenschaftliche Belege sammelt.
"Ein Schwerpunkt der Glasmalerei ist eben das Rheinland. Das ist sicherlich ein europäischer Schwerpunkt, vielleicht auch ein weltweiter Schwerpunkt, vermute ich mal."
Dieses Kerngebiet der moderner Glasmalerei des 19. und 20. Jahrhunderts verlaufe in etwa entlang des Rheins, sagt sie: Es reiche von der deutsch-holländischen Grenzregion im Norden entlang der Eifel, über Luxemburg und bis nach Metz in Frankreich. Auch Teile des Ruhrgebiets zählten dazu.
"Man müsste eigentlich für die Glasmalerei hier einen Weltkulturerbestatus erlangen, weil die Werke auf der einen Seite wahnsinnig gefährdet sind und auf der anderen Seite es keine Landschaft gibt, in der die Glasmalerei des 19. und 20. Jahrhunderts so dicht und gedrängt vorkommt wie hier."
Noch ist Annette Jansen-Winkeln zurückhaltend mit näheren Erklärungen. Sie möchte erst einmal die Dokumentation in Nordrhein-Westfalen beenden. Und da müsse sie sich enorm beeilen, erzählt sie. Denn in Zeiten knapper Kassen werden immer mehr Kirchen und Gemeindehäuser abgerissen. Manchmal ist denjenigen, die das entscheiden, gar nicht bewusst, welche Kostbarkeiten die Gebäude beherbergen.
Vor kurzem hat es etwa das Heinrich-Held-Haus in Essen erwischt, ein Gemeindezentrum, in dem das größte Fenster auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche im Rheinland zu sehen war. Jetzt ist es zerlegt in seine Einzelteile. Mitglieder der Gemeinde durften sie mit nach Hause nehmen – als Andenken.
"Ich kenne mittlerweile kein Lebenswerk eines Künstlers, das nicht schon von diesem Verlust betroffen ist. Deswegen sind wir jetzt dabei, so schnell es geht die Dokumentation der Glasmalerei in Nordrhein-Westfalen fertig zu kriegen. Forschen kann man immer noch, aber man muss wenigstens einmal sehen, dass man eine Bilanz hat, von der man ausgehen kann. Und gerade wo die Zerstörungen zum Teil so erheblich sind, muss man sich wirklich sehr beeilen."