Die glühende Revolutionärin

Von Ulrike Gondorf |
Wer hätte gedacht, dass man das Lob des Kommunismus noch einmal hören könnte, ohne spöttisch oder gähnend die Mundwinkel zu verziehen: Bertolt Brechts Stück "Die Mutter" zeigt in Lehrstück-Manier die Wandlung einer Arbeiterwitwe im zaristischen Russland - von einer gottesgläubigen Analphabetin zur glühenden Revolutionärin. Jetzt haben ein paar Wochen der Finanzmarktkrise genügt, um der alten Botschaft einen neuen Klang zu verleihen.
"Das Lob des Kommunismus" - wer hätte gedacht, dass man das noch einmal hören könnte, ohne spöttisch oder gähnend die Mundwinkel zu verziehen. Der Kommunismus schien doch die toteste aller überlebten Weltanschauungen, ein für alle Mal widerlegt vom Lauf der Geschichte, auf der ganzen Linie gescheitert, schlimmer noch: überflüssig gemacht vom Kapitalismus, der viele seiner Glücksversprechen offenbar viel besser verwirklichen konnte.

Genauso tot waren Brechts "Lehrstücke" aus den frühen 30er Jahren, die die Theorien des politischen Wandels am theatralischen Exempel durchbuchstabieren: beinhartes, staubtrockenes Thesentheater, ungenießbar und unspielbar.

Als jetzt am Theater Oberhausen "Die Mutter" zur Premiere gebracht wurde - eines jener Lehrstücke, das Brecht 1932 in seinem Theater am Schiffbauerdamm uraufführte mit seiner Frau Helene Weigel in der Titelrolle - konnte man eine erstaunliche Erfahrung machen. Ein paar Wochen im Oktober 2008, die mit dem Finanzmarkt auch unser ganzes eingespieltes Denken über Kapital und Wert, Profit und Risiko zum Einsturz brachten, haben genügt, um der alten Botschaft einen neuen Klang zu verleihen.

Nicht, dass die einfachen und agitatorisch vorgetragenen Rezepte, die das Stück zu bieten hat, auf einmal gangbare Wege aufzeigen könnten. Aber die alten, einfachen Fragen, die es stellt - zu allererst die nach der Gerechtigkeit - die könnten dringender und zeitgemäßer nicht sein.

Zwei Schlagworte beherrschen die Szene, die Christian Wiehle in Oberhausen für die Inszenierung von Andrea Moses gebaut hat: "Schrecken" und "Solidarität". Im Spannungsfeld dieser Begriffe wird die Geschichte der Pelageja Wlassowa aufgerollt, die Brecht in Maxim Gorkis Roman "Die Mutter" fand. Sie spielt in den unruhigen Zeiten vor der russischen Oktoberrevolution und schildert den Weg einer naiven, unpolitischen, ungebildeten Frau, aus der eine aktive, klassenbewußte (und sehr geschickte) Vorkämpferin des Proletariats wird.

Das ist holzschnittartig und mit dramatisierter Ideologie ziemlich schwarz-weiß erzählt - ein schlechtes Stück, wenn man plausible Entwicklungen, glaubwürdige Menschen und echte Konflikte auf der Bühne erwartet. Die Inszenierung von Andrea Moses spielt diese Schwächen aber nicht aus, sondern nutzt sie. Hier wird nie behauptet, dass man einer realistischen Geschichte folgt: Andrea Moses zeigt theatralische Versuchsordnungen, die um einzelne, einfache, zentrale Fragen kreisen.

Die Mittel, die die Regisseurin gekonnt und mit Fantasie und leichter Hand zum Einsatz bringt, wechseln von Szene zu Szene: Da gibt es Anleihen beim amerikanischen Gangsterfilm, Kabarett, Slapstick, Puppen- und Maskenspiel, große Chorszenen (die Musik von Hanns Eissler, dargeboten von fünf Instrumentalisten und einem Vokalensemble, nimmt den ihr gebührenden Raum ein.).

Das Konzept ist auf den ersten Blick weit weg von Brechts didaktischem Theater und seinen kargen Bühnenmitteln. Auf den zweiten erweist es sich als gelungene Umsetzung des berühmten "Verfremdungseffekts", weil es in seiner Buntheit und Vielfältigkeit absolut anti-illusionistisch ist.

Ein Glücksgriff ist die Besetzung der Titelrolle mit der "Volksbühnen"-Schauspielerin Astrid Meyerfeldt: ein totales Gegenbild zu den berühmten Protagonistinnen Helene Weigel oder Therese Giehse, keine verhärmte, herbe, müde Proletariern, sondern eine kindlich neugierige, koboldhaft und manchmal auch clownesk durch die Szenen stolpernde Entdeckerin des real existierenden Kapitalismus.

Dazu eine Sympathieträgerin, deren einfachen, kleinen, riesengroßen Fragen man gern zuhört - und der man sogar das "Lob des Kommunismus" abnimmt. Ein Abend, der wunderbar einlöst, was der alte B.B. immer wieder betont hat: dass das Denken zu den größten Vergnügen des Menschen zählt.