Die Grande Dame des Dadaismus
Hannah Höch war eine der wegweisenden Avantgardistinnen in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Durch ihre Collagen ließ sie neue Sichten auf die Welt entstehen. Nach großen Ausstellungserfolgen in New York und Madrid sind ihre Arbeiten nun auch in Berlin zu sehen.
Dass Hannah Höch die Collage so ganz zu ihrer Sache macht, hat unterschiedliche Gründe. Anfangs markiert sie die Absage an die bisherige Kunstgeschichte, an die selbstherrliche künstlerische Schaffensgeste. Sie bezieht ihr Material aus der frühen Bilderflut der Illustrierten ebenso wie aus dem banalen Alltag, denn auch Stickmuster und grafische Vorlagen, mit denen sie beim Ullstein Handarbeitsverlag ihren Lebensunterhalt verdient hat, integriert sie in ihre Arbeiten. Fast scheint es, als sei Hannah Höchs frühe künstlerische Strategie eher Sezieren, statt Zusammensetzen: den Schnitt wagen; "den Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands", wie eines der Bilder von 1919/20 heißt. Ralf Burmeister, der Kurator der Ausstellung und Leiter des Künstlerarchivs der Berlinischen Galerie, das den Hannah-Höch-Nachlass verwaltet:
"Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass wir heute tagtäglich mit Collagen umgehen, ich muss nur an meine Windows-Oberfläche denken, wo ich permanent Fenster öffne, Fenster schließe, etwas hin- und herschiebe, so sind wir diese collagierte Form des Sehens gewohnt. Dass aber die Dadaisten die Collage als künstlerisches Ausdrucksmittel in die Welt gebracht haben, ein Vielblick in einen Rahmen zu bringen, zu inszenieren, dass das sozusagen der Ausgangspunkt unserer heutigen Wahrnehmung ist, das finde ich schon besonders spannend und interessant. Und da sieht man natürlich auch die Wichtigkeit und die Verbindung von DADA zu heute."
Es ist tatsächlich immer wieder verblüffend, wie genau Hannah Höch die Sprache der Medien, deren Werbestrategien und Bildangebote verstanden hat, wie subtil sie den vorhandenen Dingen gewissermaßen ihre eigene Melodie abgelauscht und diese freigelegt hat: bösartig, bissig, verspielt. In den frühen Arbeiten fängt sie mit dem an der urbanen Reizüberflutung geschulten Blick die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ein. Sie konterkariert den Mythos "Neue Frau", ebenso wie den technizistischen Übergriff auf die Welt, die Phrasen der Politik und sie zeigt die Allianz von Wohlanständigkeit und Skrupellosigkeit, das Groteske im Normalen. Ihr Basteln mit Schere und Kleber ist alles andere als "beiläufige Handarbeit". Die Collage half Hemmungen zu überwinden, so eine Notiz.
"Aber es ist auch notwendig, hemmungslos zu agieren, wenn man die Schere in die Hand nimmt und ein Bild tatsächlich zerschneidet. Und wenn man sieht, was sie macht, sie zerschneidet Gesichter, da braucht man eine Art von Hemmungslosigkeit. Es ist interessant genau zu gucken, wenn sie hemmungslos agiert, was sie zum Beispiel nie macht. Es gibt auch Tabus. Sie werden sehen, dass sie leitmotivisch immer wieder in ihre Collagen Augen einklebt. Aber sie macht einen Schnitt nie: den Schnitt durchs Auge, der ja eigentlich durch Bunuel in die Filmgeschichte gekommen ist. Und sie war eine sehr aufmerksame Filmgängerin, sie kannte diesen Schnitt. Sie verletzte nie das Auge. Vielleicht eine Chiffre für ihr eigenes Sehen und Wahrnehmen in dieser Welt."
Und das geht weit über die gängigen Hierarchisierungen hinaus, ist geprägt von einer ganz eigenen Sensibilität, durchsetzt mit einer speziellen Mischung aus Intuition und Kalkül, Wärme und Bosheit. Folgende Selbstbeschreibung macht es deutlich:
"Ich möchte die festen Grenzen auswischen, die wir Menschen mit einer eigensinnigen Sicherheit um alles, was in unseren Bereich kam, gezogen haben. Ich male, um diesem Wunsch Form zu geben und um ihn anschaulich zu machen. (…) Ich würde heute die Welt aus der Sicht einer Ameise wiedergeben und morgen so, wie der Mond sie vielleicht sieht."
So entstehen neue Weltsichten wie etwa die Umwandlung musealer Menschenrepräsentation in der Serie "aus dem ethnografischen Museum". Auch innere Zustände beleuchtet die Künstlerin, entrückte Traumlandschaften, magische Welten, das Zusammenspiel unterschiedlicher Schichten des Unbewussten, die Kurzschlüsse der Erinnerung. Nicht zufällig deklariert sie den Surrealisten Max Ernst "zu ihrem nächsten Verwandten, zum Bruder" und Blätter aus seltsam organischen Gefilden wie Seeschlange von 1937 oder Sumpfgespenst von 1961 entwickeln immer noch einen speziellen Sog. Hannah Höch überträgt das Collage-Prinzip der Fragmentierung und Neuzusammensetzung in die Malerei, arbeitet mit Geometrisierungen und Entrückung, Grotesken und Sinnbildern, die an die metaphysische Malerei der Italiener erinnern oder auch kubistische Momente aufgreifen. 1937 dann: "die Vertreibung aus dem Paradies". Endgültig besiegelt ist sie mit der Münchner Ausstellung "Entartete Kunst", die Hannah Höch im Jahr darauf in Berlin sieht. Obwohl in keinem Museum vertreten, zählt die Künstlerin unter den Nazis zu den Kulturbolschewisten – wegen des karrikierenden Fratzenbildes "Journalisten". "In radikaler Vereinsamung, weil auch die allerletzten Freunde weggegangen waren" zieht sie sich in den Norden Berlins zurück. Dass sie dabei nicht nur ihren legendären Garten gepflegt hat, beweisen dunkle Bilder wie die aquarellierte Totentanz Trilogie von 1943 oder das Gemälde Trauernde Frauen von 1945. Große Arbeitsalben zeigen ihre unermüdliche Aufmerksamkeit der Welt gegenüber ebenso wie ihre Themen- und Stilvielfalt. Während sie noch versucht, in der Kunstwelt wieder Fuß zu fassen, wird sie von jüngeren Künstlern wie Wolf Vostell oder Nam Jun Paik "entdeckt". Hannah Höch war bis zu ihrem Tod 1978 eine Sammlerin - auch von Kontakten und Verbindungen, bei der Zufall und Systematik, Nebensächliches und Überlebensnotwendiges zusammengehörten. Ihr völlig zerfleddertes Notizbuch, kaum mehr gehalten von seinen Pappeinbänden, gewachsen und gewuchert seit 1917, mit Zusatzzetteln ergänzt – könnte davon erzählen. Man merkt Ralf Burmeister seine Verwunderung an:
"... Alles beeinander zu halten, zu binden, zu sammeln, aufzubewahren – und es lohnt sich auch, darüber einmal wirklich nachzudenken, was man da vor sich hat. (…) Solche Schätze hat man nicht oft."
Service: Die Ausstellung "Aller Anfang ist DADA!" in der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur ist noch bis 2. Juli zu sehen.
"Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass wir heute tagtäglich mit Collagen umgehen, ich muss nur an meine Windows-Oberfläche denken, wo ich permanent Fenster öffne, Fenster schließe, etwas hin- und herschiebe, so sind wir diese collagierte Form des Sehens gewohnt. Dass aber die Dadaisten die Collage als künstlerisches Ausdrucksmittel in die Welt gebracht haben, ein Vielblick in einen Rahmen zu bringen, zu inszenieren, dass das sozusagen der Ausgangspunkt unserer heutigen Wahrnehmung ist, das finde ich schon besonders spannend und interessant. Und da sieht man natürlich auch die Wichtigkeit und die Verbindung von DADA zu heute."
Es ist tatsächlich immer wieder verblüffend, wie genau Hannah Höch die Sprache der Medien, deren Werbestrategien und Bildangebote verstanden hat, wie subtil sie den vorhandenen Dingen gewissermaßen ihre eigene Melodie abgelauscht und diese freigelegt hat: bösartig, bissig, verspielt. In den frühen Arbeiten fängt sie mit dem an der urbanen Reizüberflutung geschulten Blick die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ein. Sie konterkariert den Mythos "Neue Frau", ebenso wie den technizistischen Übergriff auf die Welt, die Phrasen der Politik und sie zeigt die Allianz von Wohlanständigkeit und Skrupellosigkeit, das Groteske im Normalen. Ihr Basteln mit Schere und Kleber ist alles andere als "beiläufige Handarbeit". Die Collage half Hemmungen zu überwinden, so eine Notiz.
"Aber es ist auch notwendig, hemmungslos zu agieren, wenn man die Schere in die Hand nimmt und ein Bild tatsächlich zerschneidet. Und wenn man sieht, was sie macht, sie zerschneidet Gesichter, da braucht man eine Art von Hemmungslosigkeit. Es ist interessant genau zu gucken, wenn sie hemmungslos agiert, was sie zum Beispiel nie macht. Es gibt auch Tabus. Sie werden sehen, dass sie leitmotivisch immer wieder in ihre Collagen Augen einklebt. Aber sie macht einen Schnitt nie: den Schnitt durchs Auge, der ja eigentlich durch Bunuel in die Filmgeschichte gekommen ist. Und sie war eine sehr aufmerksame Filmgängerin, sie kannte diesen Schnitt. Sie verletzte nie das Auge. Vielleicht eine Chiffre für ihr eigenes Sehen und Wahrnehmen in dieser Welt."
Und das geht weit über die gängigen Hierarchisierungen hinaus, ist geprägt von einer ganz eigenen Sensibilität, durchsetzt mit einer speziellen Mischung aus Intuition und Kalkül, Wärme und Bosheit. Folgende Selbstbeschreibung macht es deutlich:
"Ich möchte die festen Grenzen auswischen, die wir Menschen mit einer eigensinnigen Sicherheit um alles, was in unseren Bereich kam, gezogen haben. Ich male, um diesem Wunsch Form zu geben und um ihn anschaulich zu machen. (…) Ich würde heute die Welt aus der Sicht einer Ameise wiedergeben und morgen so, wie der Mond sie vielleicht sieht."
So entstehen neue Weltsichten wie etwa die Umwandlung musealer Menschenrepräsentation in der Serie "aus dem ethnografischen Museum". Auch innere Zustände beleuchtet die Künstlerin, entrückte Traumlandschaften, magische Welten, das Zusammenspiel unterschiedlicher Schichten des Unbewussten, die Kurzschlüsse der Erinnerung. Nicht zufällig deklariert sie den Surrealisten Max Ernst "zu ihrem nächsten Verwandten, zum Bruder" und Blätter aus seltsam organischen Gefilden wie Seeschlange von 1937 oder Sumpfgespenst von 1961 entwickeln immer noch einen speziellen Sog. Hannah Höch überträgt das Collage-Prinzip der Fragmentierung und Neuzusammensetzung in die Malerei, arbeitet mit Geometrisierungen und Entrückung, Grotesken und Sinnbildern, die an die metaphysische Malerei der Italiener erinnern oder auch kubistische Momente aufgreifen. 1937 dann: "die Vertreibung aus dem Paradies". Endgültig besiegelt ist sie mit der Münchner Ausstellung "Entartete Kunst", die Hannah Höch im Jahr darauf in Berlin sieht. Obwohl in keinem Museum vertreten, zählt die Künstlerin unter den Nazis zu den Kulturbolschewisten – wegen des karrikierenden Fratzenbildes "Journalisten". "In radikaler Vereinsamung, weil auch die allerletzten Freunde weggegangen waren" zieht sie sich in den Norden Berlins zurück. Dass sie dabei nicht nur ihren legendären Garten gepflegt hat, beweisen dunkle Bilder wie die aquarellierte Totentanz Trilogie von 1943 oder das Gemälde Trauernde Frauen von 1945. Große Arbeitsalben zeigen ihre unermüdliche Aufmerksamkeit der Welt gegenüber ebenso wie ihre Themen- und Stilvielfalt. Während sie noch versucht, in der Kunstwelt wieder Fuß zu fassen, wird sie von jüngeren Künstlern wie Wolf Vostell oder Nam Jun Paik "entdeckt". Hannah Höch war bis zu ihrem Tod 1978 eine Sammlerin - auch von Kontakten und Verbindungen, bei der Zufall und Systematik, Nebensächliches und Überlebensnotwendiges zusammengehörten. Ihr völlig zerfleddertes Notizbuch, kaum mehr gehalten von seinen Pappeinbänden, gewachsen und gewuchert seit 1917, mit Zusatzzetteln ergänzt – könnte davon erzählen. Man merkt Ralf Burmeister seine Verwunderung an:
"... Alles beeinander zu halten, zu binden, zu sammeln, aufzubewahren – und es lohnt sich auch, darüber einmal wirklich nachzudenken, was man da vor sich hat. (…) Solche Schätze hat man nicht oft."
Service: Die Ausstellung "Aller Anfang ist DADA!" in der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur ist noch bis 2. Juli zu sehen.