Die Grenze zwischen USA und Mexiko

Eine 170-jährige Geschichte voller Gewalt und populärer Mythen

Ein Auto der US-Grenzpolizei wartet am Zaun zwischen den USA und Mexiko in der Nähe von Nogales.
Grenzzaun in der Nähe von Nogales - insgesamt ist die Grenze zwischen den USA und Mexiko 3144 Kilometer lang. © imago/ZUMA Press
Jeanette Erazo-Heufelder im Gespräch mit Joachim Scholl |
Gewalt, Drogenkrieg, Migration - damit verbindet man heute die Grenze zwischen den USA und Mexiko. Die Ethnologin Jeanette Erazo Heufelder beschäftigt sich in "Welcome to Borderland" aber auch mit den Mythen der 1848 gezogenen Demarkationslinie.
Joachim Scholl: 3144 Kilometer ist sie lang, die Grenze zwischen den USA und Mexiko, und seit Donald Trumps Amtsantritt hören wir auch regelmäßig davon. Die Stichworte sind Mauer, illegale Migranten, der Drogenkrieg. Alle diese Themen kommen nun auch vor im neuen Buch der Ethnologin Jeanette Erazo Heufelder. "Welcome to Borderland" heißt es, "Die US-mexikanische Grenze".
Erazo Heufelder, 2011 haben Sie ein Buch über den mexikanischen Drogenkrieg veröffentlicht – damals waren Sie auch wochenlang in der Region unterwegs –, Ihr neues Buch ist ja auch Ergebnis einer Reise. Wie lang haben Sie diesmal gebraucht für diese Tausenden von Kilometern?
Erazo Heufelder: Ich war vergangenen Sommer mehrere Wochen wiederum an der Grenze unterwegs und hab dort angefangen, wo ich quasi den Drogenkorridor beendet habe, nämlich in Ciudad Juárez.

Populäre Mythen wie der Western

Scholl: Es ist ja wirklich die Biografie einer Grenze geworden, Ihr Buch, mit allen historischen, geopolitischen, ethnischen, kulturellen Aspekten – was hat Sie aber am meisten fasziniert oder was fasziniert Sie am meisten an dieser Grenze, was macht sie zu so etwas Besonderem?
Erazo Heufelder: Dass die Grenze unglaublich präsent in unserer Kultur ist, ohne dass wir daran denken, dass all das, was wir mit populären Mythen verbinden, viel mit dieser Grenze zu tun hat, Stichwort Western.
Scholl: Das ist schön im historischen Teil Ihres Buches nachzulesen. Da fallen einem plötzlich lauter Sachen auf, was man schön gehört hat, obwohl man gar nicht so dran denkt. Das meinen Sie damit …
Erazo Heufelder: Ganz genau.
Scholl: … mit diesem unterbewussten, wie soll man sagen, kulturellen Bewusstsein, also diese Mythen, die Apachenkriege, der Geronimo, die Westernfilme, die Helden von Alamo, und dann kommen natürlich so die Namen, die Gringos und die Wüsten und die Outlaws.
Erazo Heufelder: Und Karl May.
Die Ethnologin Jeanette Erazo Heufelder
Die Ethnologin Jeanette Erazo Heufelder© Deutschlandradio / Waleczek
Scholl: Aber ist das eigentlich noch spürbar da? Ich bin noch nie da gewesen.
Erazo Heufelder: Das ist in Form von Vorurteilen auch spürbar, und damit fängt natürlich die Gegenwart der Grenze an, also die gegenwärtige Geschichte der Grenze, dass die Sprache und das Handeln und das Gefühl von Angst viel mit diesen Mythen auch zu tun hat, die seitdem es die Grenze gibt, transportiert werden, seit dem Jahr 1848.

Endlose Gewalt

Scholl: Ich meine, in den jetzigen Büchern und Filmen, da dreht sich fast alles um die endlose Gewalt des Drogenkriegs oder um das Elend der Migranten.
Erazo Heufelder: Ganz genau. Also allein an dem Begriff Gewalt kann man sehen, wie sich was durchzieht und wie das wieder in neuem Gewand, nämlich in Form von Drogengewalt, neue Bilder kreiert, die jetzt mit der Gegenwart eben verbunden werden und an dieser Grenze manifest werden, und zwar eigentlich auf der gesamten Länge der Grenze – 3144 Kilometer.
Scholl: Wie müssen wir uns denn diese Ihre Reise vorstellen? Was wollten Sie wissen, wo sind Sie langgegangen, mit wem haben Sie sich verabredet, wie haben Sie das geplant?
Erazo Heufelder: Wie gesagt, ich hab dort angefangen, wo ich das letzte Mal vor acht Jahren aufgehört habe, nämlich in Ciudad Juárez, um zu sehen, was sich verändert hat, was sich seit meinem letzten Aufenthalt verändert hat, und hatte kein festes Konzept im Kopf in dem Sinne, dass ich wusste, was ich nachher nach Hause bringen will. Aber letztlich sind diese Themen der Zeit – Gewalt, Drogenkrieg, Militarisierung der Grenze, Migration – so allgegenwärtig und so stark, dass die auch einen großen Teil meiner Reportage in meinen Essays einnehmen.
Ein Straßenschild in Ysidro warnt vor Flüchtlingen, die die Fahrbahn überqueren.
Ein Straßenschild in Ysidro warnt vor Flüchtlingen, die die Fahrbahn überqueren.© imago/ZUMA Press
Scholl: Ich meine, Sie waren ja jetzt genau zu dieser Zeit an der Grenze, nachdem Donald Trump hier also ganz neue Eskalationsstufen ins Werk gesetzt hat, also mit dem geplanten Mauerbau, mit dieser harten Politik gegen illegale Migranten, die Nachrichten der von ihren Eltern getrennten Kindern gingen ja um die ganze Welt. Spürt man denn dieses neue Klima, diese Politik, jetzt diese, an der Grenze?
Erazo Heufelder: Das neue Klima spürt man in einer allgemeinen Verunsicherung. Die Politik selbst, die Grenzpolitik selbst ist nicht neu, aber die Art und Weise, wie quasi Abschottung als Ziel an sich erklärt wird und das mit Rassismus in der Sprache verbunden wird, das ist neu.

Ein Land zwischen zwei Ländern

Scholl: Aber was Sie auch schildern, ist sozusagen dieser rassistische Konflikt, wie alt der eigentlich ist, also Hunderte von Jahren eigentlich. Das hat sich nie in irgendeiner Weise angeglichen, verbessert, hat man den Eindruck. Oder gibt es da doch Anzeichen dafür?
Erazo Heufelder: Doch es gibt … Also wenn man dann vor Ort ist, merkt man, das Bild, das von der Grenze transportiert wird, ist ja nicht identisch mit der gelebten Realität an der Grenze, abgesehen jetzt von Gewalt, also von all diesen Problematiken politischer Art. Es ist so, dass die Bevölkerung an der Grenze das Produkt dieser Geschichte ist, das heißt, die Leute bezeichnen das selbst als ein Land zwischen zwei Ländern.
Es wird mehr Spanisch als Englisch auf der amerikanischen Seite auch gesprochen, wobei man ja dazusagen muss, dass die heutige amerikanische Seite vor 170 Jahren mexikanisches Gebiet noch war. Also all das zieht sich so durch, und die Realität an der Grenze ist eben ganz stark tatsächlich das Ergebnis von dieser 170-jährigen Grenzüberquerungsgeschichte auch.
Zwei Polizisten an einem Tatort in Ciudad Juárez.
Ein Tatort in Ciudad Juárez - im Jahr 2010 wurden in der Stadt 4000 Menschen ermordet.© picture alliance / dpa / Diego Aguilar Caudillo
Scholl: Sie machen ja gern so Parallelisierungen von Städten auch, und Sie haben Ciudad Juárez schon erwähnt. Gegenüber liegt El Paso. Ich hab in Ihrem Buch diese Statistik gesehen, 4000 Menschen sind in Ciudad Juárez 2010 ermordet worden, in El Paso, das sozusagen direkt gegenüberliegt, waren es fünf. Das sind für uns natürlich kaum vorstellbare Zahlen, 4000 ermordete Menschen in einer Stadt. Wie leben die Menschen eigentlich mit so einem Gefälle, ich meine, fährt zum Beispiel ein Amerikaner, ein Tourist, überhaupt noch von El Paso da rüber?
Erazo Heufelder: Es leben Amerikaner in Ciudad Juárez, arme Amerikaner, die sich auf der anderen Seite der Grenze die Miete nicht leisten können. Das sieht man: Wenn man sich an die Grenze stellt und beobachtet, wer geht morgens über die Grenze, stellt man fest, es sind auch viele oder es sind vergleichsweise nicht so viele, aber es sind auch Amerikaner, die in Juárez schlafen und in El Paso arbeiten.
Scholl: Sie haben Ihr Buch über den Drogenkrieg schon erwähnt, Frau Erazo Heufelder. Ich meine, seit 2006 tobt dieser Krieg, den die damalige Regierung gegen die Kartelle erklärt hat, und 250.000 Menschen sind bislang ums Leben gekommen. Kein einziges Kartell wurde besiegt, steht in Ihrem Buch. Ich meine, wie stark bestimmt eigentlich diese Problematik die ganzen Diskussionen um die Grenze?
Erazo Heufelder: Sehr stark. Man spricht von einem mexikanischen Drogenkrieg, es ist in Wirklichkeit ein Prozess, der natürlich nicht an der Grenze aufhört. Also die Gewalt ist auf mexikanischer Seite, die Rüstungsindustrie ist auf nordamerikanischer Seite, der gesamte Südwesten Amerikas, der ja in der Mentalitätsgeschichte sehr mystifiziert wird, ist heute militärisches Areal. Es gibt zig Raketentestareale, Trainingsgelände und so weiter. Die Militarisierung der Grenze hat schon vor langer Zeit stattgefunden, das ist nicht jetzt der Beginn.

Indianische Kulturen in der Grenzregion

Scholl: Was Sie auch schildern, ist aber auch so ein Phänomen von Desert Reds, Menschen, die die Wüste lieben, die diese Region lieben und die alles tun dafür, damit sie auch als Kulturraum erhalten bleibt. Waren das denn so die Momente, die Dinge, die Ihnen auch vielleicht ein bisschen Hoffnung gemacht haben und vielleicht auch mal so ein Lächeln auf die Lippen gezaubert?
Erazo Heufelder: Das sind viele gleichzeitig existierende Wirklichkeiten, und Sie haben recht, das ist natürlich einer der Punkte, an denen sich die beiden Kulturen sehr nahe kommen. Das andere ist die Tatsache, dass in der Region, durch die irgendwann mal eine Linie gezogen wurde, auch indianische Kulturen leben – nicht Vergangenheit, lebten, sondern immer noch leben –, für die diese Grenze im Alltag heute auch noch keine solche Rolle spielt. Die Regionen, in denen diese Kontakte herrschen und in denen diese unterschiedlichen Einflüsse herrschen, das sind natürlich Regionen, denen sich die Grenze besonders schön zeigt.
Cover von "Welcome to Borderland" von Jeanette Erazo Heufelder
Cover von "Welcome to Borderland" von Jeanette Erazo Heufelder© Berenberg Verlag
Scholl: Als Motto Ihres Buches zitieren Sie eine Zeile aus einem Bruce-Springsteen-Song, "Sinaloa Cowboys": "one thing you will learn, for everything the north gives, it exacts a price in return". Gar nicht so leicht zu übersetzen, was meint denn Mr. Springsteen damit, das eine gibt dem anderen genau das Gleiche wieder?
Erazo Heufelder: Der Norden und der Süden. Also wenn der Norden so tut, als wäre er besonders großzügig und gibt dem Süden irgendetwas – in Form von Entwicklungshilfe zum Beispiel –, soll man immer dran denken, dass man irgendwann die Rechnung zu zahlen hat, also dass man auf alle Fälle mehr wiedergeben muss, als man selber erhalten hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Jeanette Erazo Heufelder: Welcome to Borderland: Die US-mexikanische Grenze
Berenberg Verlag, Berlin 2018
160 S., 25 Euro

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