Balance zwischen Tradition und Moderne
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Einst war in Westafrika das Spiel der Kora nur wenigen Männern aus bestimmten Familien vorbehalten, den Familien der Griots, die damit ihre epischen Balladen begleiteten. Heute spiegelt sich in den Liedern, die zur Kora gespielt werden, die gesellschaftliche Gegenwart.
Lange vor der Kolonialzeit waren die Griots die Troubadoure Westafrikas. Im einstigen Reich der Mandinka waren sie die Ratgeber der Könige, bewahrten die Geschichte ihres Landes, verbreiteten diese in gesungenen Balladen und gaben ihre Gesänge von Generation zu Generation weiter. Unverzichtbare Begleiterin der Griots ist die Kora: eine prächtige Stegharfe von ca. 1,60 m Höhe und mit 21 Saiten, ein klangfarbenreiches Instrument.
Die erste Kora-Spielerin
Sona Jobarteh ist die erste Frau, die das Spiel auf der Kora erlernen und diese auch öffentlich spielen durfte. In ihren kurzen Songs nimmt sie sich der Themen von heute an. Mit ihren Texten möchte sie in erster Linie den Frauen im vorwiegend muslimischen Gambia Mut machen und sie motivieren, ihre Rechte einzufordern.
Ein Besuch beim landesweit bekannten Altmeister des Koraspiels, Alagi Mbye: Er lebt mit seinen zwei Frauen und elf Kindern in Serekunda, der größten und umtriebigsten Stadt Gambias. In dem Gewirr von Gassen, gesäumt von übermannshohen Mauern, gibt es keine Straßennamen, keine Hausnummern und keine Namen an der Tür. Nur die Trommel- und Koraklänge lassen das Zuhause von Alagi Mbye erahnen. Er erzählt:
"Früher, als wir in Afrika noch gejagt haben, war die Kora mit der Haut von Antilopen überzogen, heute nehmen wir Kuhhaut. Die Saiten waren früher aus Ziegenhaut. Sie wurden mit sehr scharfen handgemachten Messern einzeln geschnitten. Man nannte sie Fassoh. 'Jaly' ist das Wort für Musiker in Gambia. Wir sind Unterhaltungsmusiker, Mediatoren und sogar Friedensstifter."
Offen für alle Kinder
Um die Kunst des Koraspiels und die traditionellen Gesänge an die nachkommenden Generationen weitergeben zu können, hat Alagi eine Musikschule gegründet. Dafür wurde er zunächst von den Altvorderen scharf kritisiert. Die Kora sollte weiterhin ausschließlich von den Männern der Griotfamilien gespielt werden. Doch Alagi Mbye wollte ein Zeichen gegen Diskriminierung setzen. Seine Musikschule sollte offen für alle Kinder sein, unabhängig von Geschlecht oder Religion.
Unter dem Baobab
Im Süden Gambias fast an der Grenze zu Senegal lebt Altmeister Jaly Madji. Eine Verabredung ist nicht möglich, denn Jaly Madji hat kein Handy. In seinem Dorf Gunjur lässt sich schnell herausfinden, wo er lebt. Jeder kennt ihn hier. Hinter Mauern und einem schweren Stahltor öffnet sich ein großer Hof, der von mehreren mit Wellblech gedeckten Häuschen umbaut ist. In der Mitte spendet ein ausladender Baobab-Baum Schatten, darunter sitzt ein kleiner alter Mann. Es ist Jaly Madji, der uns überrascht und herzlich begrüßt.
"Ich befürchte, dass unsere Kultur und unsere Traditionen verschwinden werden. Viele junge Leute machen heute Jazz und spielen in Bands. Ich bin hier der einzige im Dorf, der noch eine Kora hat. Die Kora, wie man sie manchmal im Jazz hört, ist nicht das echte Koraspiel."
Gambia ist kein sehr großes Land: Es hat ungefähr zwei Millionen Einwohner und sechs Ethnien mit unterschiedlichen Sprachen: Mandinka, Wolof, Fulla, Diola, Serahuli, Serer und kleinere ethnische Gruppen. Ihre Musik spiegelt das soziale Leben ihrer Menschen wider.
Fruchtbar dank Wassertrommel
Zu den typischen Instrumenten gehört auch die Wassertrommel der Mandinka, die ausschließlich von Frauen gespielt wird. Hier sind es vier stattliche Frauen in schwarz-weißer traditioneller Kleidung mit Hüten aus halbierten Kokosnüssen, die mit bunten Glasperlen verziert sind. Sie schleppen eine große Wanne, darin ein ausgehöhlter, halbierter Kürbis von ca. 70 cm Durchmesser.
Die Probe der "Mandinka Kanyaleng Group" beginnt. Die Frauen stimmen einen Gesang an, den sie mit wiegenden Bewegungen begleiten, während eine der Frauen auf einem Schemel sitzt und mit zwei Stöcken die Wassertrommel bespielt. Eine von ihnen erzählt:
"Wir haben für Frauen gesungen, die keine Kinder bekommen können oder noch keine haben. Sie sollen sich nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Wir möchten sie ermutigen, die Hoffnung nicht aufzugeben. Wenn wir das Wasser mit der Trommel bespielt haben, bieten wir den Frauen an hineinzusteigen, wenn sie Probleme haben, schwanger zu werden. Das Wasser voller Trommelklänge fördert die Fruchtbarkeit. Mit oder ohne Kinder - das Leben geht weiter!"
Mit der Kora in den Wahlkampf
Bis Februar 2017 litt Gambias Bevölkerung unter der Herrschaft des Diktators Yahya Jammeh. Dass er abgelöst wurde und das Land seither demokratisch regiert wird, hat die Bevölkerung auch der Künstlerszene zu verdanken und vor allem den Griots. Pabobo Jobarteh lebt in Brikama, der zweitgrößten Stadt Gambias und hat mit seinen rebellischen Songs zur Kora Furore gemacht.
Yahya Jammeh versuchte, Pabobo zu benutzen. Er als Griot sollte vor den anstehenden Wahlen im Dezember 2016 mit ihm durch Gambia touren und Loblieder auf ihn singen, begleitet auf der Kora. Pabobo weigerte sich. Er erhob seine Stimme und rief dazu auf, diesen Präsidenten nicht noch einmal zu wählen. Sein Song wurde bald überall im Land gesungen. Danach konnte sich Pabobo seines Lebens nicht mehr sicher sein und musste in den Senegal fliehen.
Pabobo kennt noch die jahrhundertealte traditionelle Musik und die legendenhaften Balladen der Griots in Gambia. Auch er gibt die alten Balladen in ihrer ursprünglichen Form an die nachkommenden Generationen weiter, doch er hat er auch dazu beigetragen, dass die Melodien der Griots versehen mit aktualisierten Texten und wichtigen sozialpolitischen Inhalten in der Gegenwart angekommen sind.