Die Grünen in Baden-Württemberg

Spuren der Macht

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg © picture alliance / dpa / Rainer Jensen
Von Uschi Götz |
Winfried Kretschmann ist der erste grüne Ministerpräsident in Deutschland. Im März stellt er sich erneut zur Wahl. Wie haben die fünf Jahre Regierung ihn und die Grünen in Baden-Württemberg verändert?
"Also, ich bin nie in die Politik gegangen, weil ich eine bestimmte Position angestrebt hätte, das war nie mein Plan."
Theresia Bauer, 1965 geboren, seit 2011 Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg. Verheiratet, zwei Söhne, lebt in Heidelberg. Sie studierte Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Germanistik.
Vor über 30 Jahren lernte sie in einer grün-alternativen Hochschulgruppe Arnd Küppers kennen. Küppers, Psychologe und Unternehmensberater, zählt zu ihren engsten Vertrauten:
"Mit 20 hat keiner natürlich ein Bild gehabt, dass jemand irgendwann Ministerin wird, aber dieses Gefühl, da ist jemand, der kann viel mehr und der will auch viel mehr, das hatte ich damals schon."
Nach ihrem Studium war Theresia Bauer unter anderem Geschäftsführerin der Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg. 2001 zog sie in den Landtag ein, war hochschulpolitische Sprecherin, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und parlamentarische Geschäftsführerin. Seit fast fünf Jahren ist sie Ministerin:
"Was zu den größten persönlichen Bereicherungen zählt, ist dass das Regieren in einer ganz anderen Weise mit der gesamten gesellschaftlichen Breite in Verbindung bringt. Opposition ist viel mehr auf die eigene Partei, auf die eigene Fraktion ausgerichtet, also man droht sich viel zu sehr mit sich selber und mit der eigenen politischen Klientel zu beschäftigen und sie mit der Welt zu verwechseln. Und das Regieren zwingt oder ermöglicht, vielmehr ermöglicht meines Erachtens, in einer ganz anderen Breite, mit viel mehr Menschen, mit unterschiedlichen Positionen und unterschiedlichen Hintergründen zusammenzukommen. Deswegen habe ich unglaublich viel gelernt und habe den Eindruck, ich tue das nach wie vor. Das gehört zu den Momenten, die mich wirklich auch ein Stück glücklicher machen als die Rolle in der Opposition."
Dreimal wurde sie in ihrer bisherigen Amtszeit vom Deutschen Hochschulverband zur Wissenschaftsministerin des Jahres gewählt. Das ist bislang einmalig in der Hochschullandschaft. In der jüngsten Auszeichnung wird ihr ausgeprägte Bereitschaft zum Dialog, politische Rationalität, gar Exzellenz attestiert. Sie sei kompetent und engagiert. Ihre Arbeit sei sachorientiert und ideologiefrei.
Die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Bündnis 90 / Die Grünen)
Die baden-württembergische Grünen-Politikerin Theresia Bauer ist zum dritten Mal zur «Wissenschaftsministerin des Jahres» gekürt worden. Der Deutsche Hochschulverband bewertete ihre hochschul- und wissenschaftspolitischen Leistungen mit der Note 2,62. © dpa/ picture-alliance/ Bernd Weißbrod
Doch sie zahlt einen hohen Preis in ihrem Amt. Weniger Inhalte stehen bisweilen im Mittelpunkt, vielmehr ist es ihr Aussehen, das Schlagzeilen liefert. So schreibt "Zeit Online": "Sie sieht aus wie ihre eigene Referentin, ist nicht besonders groß, nicht ganz schlank, trägt ihre Haare so wie Merkel zu Beginn ihrer Kanzlerschaft, und auch die Farbpalette ihrer Blazer erinnert an die der Kanzlerin."
Bauer: "Ich glaube, da muss man sich schon ein Stück weit abhärten, da hilft alles nichts. Das kann man ja nicht ändern, es gibt diese Wahrnehmung von Frauen, die ja eine andere ist als die Wahrnehmung von Männern. Die Spielräume sind deswegen andere, da nutzt alles ärgern nichts, sondern damit klarkommen, sich darauf einstellen, dass zum Beispiel Äußerlichkeiten bei Frauen in der Tat eine viel größere Rolle spielen, also ich werde wirklich von Männern auf meine Frisur angesprochen. Ich möchte da mal wissen, ob sie das mit einem Kollegen machen? Da muss man schlicht und einfach mit klarkommen, um nicht verrückt zu werden, die Chancen erkennen."

Theresia Bauer muss mehr Zeit für ihr Aussehen verwenden

In der ersten Zeit als Ministerin ist ihre Unsicherheit spürbar. Doch Theresia Bauer passt sich an. Sie verändert ihren Stil, trägt eine neue Brille und eine andere Frisur. Ein täglicher Rollenwechsel beginnt:
"Das Thema korrekt Aussehen und dafür sorgen, dass die Frisur sitzt und dass die Kleider stimmen, das nimmt eine größere Rolle ein als früher, eindeutig. Und das ist nicht eine Entscheidung von einem Tag zum anderen, sondern das ist eine Entscheidung, die jeden Tag dazu gehört. Das ist nicht nur eine Beeinträchtigung, da kann man was daraus machen, der Moment, sich vorzubereiten auf das Reinschlüpfen ins Amt ist auch ein Moment, indem man mit sich selber alleine ist und sich einstimmen kann auf den Tag. Ich nutze das inzwischen auch als Gelegenheit, mir wirklich auch meine Gedanken zu machen, was mir an diesem Tag wirklich wichtig ist, worauf es wirklich ankommt. Kann man schön kombinieren."
Sie verinnerlicht die Rolle immer mehr, ihre Auftritte werden selbstbewusster. Ihre Reden sind spätestens im zweiten Jahr ihrer Amtszeit flüssiger, sie wird ruhiger. Das beobachtet auch ihr Freund Arnd Küppers:
"Sie hat ja ihre Rolle finden müssen, gerade was öffentliche Auftritte angeht, was die öffentliche Rede angeht. Das ist das Feld, wo sie wahrscheinlich auch die meiste Entwicklung für sich selbst erlebt hat und da gab es auch schon Rückmeldungen, wenn irgendeine Rede nicht die Präsenz hatte oder die Schmissigkeit, die Klarheit, die sich die Zuhörer gewünscht hätten. Dann hat man auch diese Rückmeldung gegeben. Das war am Anfang, ich glaube, wenn man vergleicht, dann hat sie heute einen anderen Auftritt noch als vor fünf Jahren."
Männliche Kollegen haben es nur auf den ersten Blick leichter als Frauen in der Politik, davon ist die Ministerin überzeugt:
Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Bündnis 90/Die Grünen) kurz nach ihrem Amtsantritt 2011.
Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Bündnis 90/Die Grünen) kurz nach ihrem Amtsantritt 2011.© dpa/ picture-alliance/ Bernd Weissbrod
"Es gibt besondere, finde ich, strategische Vorteile, die wir als Frauen in der Position haben. Und ich glaube, da gibt es vielleicht wirklich eine Ähnlichkeit zu Merkel. Ich glaube, dass Frauen generell, aber manche Frauen vielleicht in besonderer Weise, den Vorteil haben, dass sie unterschätzt werden. Und mit diesem Unterschätztwerden und diesem tendenziell nicht ernst genommen werden, kann man unglaublich gut agieren. Da kann man sehr lange in Deckung, frei agieren, sich gut vorbereiten und Dinge durchsetzen, mit denen andere nicht gerechnet haben."
Immer häufiger wird Theresia Bauer als mögliche Nachfolgerin von Ministerpräsident Kretschmann genannt. Sie hat ihre Rolle mittlerweile angenommen, ihren Einfluss vergrößert, in ihrem Ressort hat sie einiges bewegt. Spürt sie dabei die Macht?
"Ich assoziiere damit, dass meine Handlungsreichweite gestiegen ist. Das, was ich entscheide, hat eine andere Durchschlagskraft, als Entscheidungen, die ich in einer anderen Position getroffen hätte. Wohlwissend, dass es nicht nur meine individuelle Handlung ist, sondern jede Entscheidung hat am Ende etwas damit zu tun, dass ich viele, viele Menschen um mich herum habe, die ich überzeugt habe oder die dieses mittragen."
Küppers: "Sie hat sich verändert, weil sie dieses Amt angenommen hat, und weil sie alles, was mit diesem Amt verbunden ist, was an Professionalisierung, von Auftritt, Rede, Wirkung, das hat sie gefordert und sie hat das sehr schnell angenommen. Und dann hat sie sich natürlich verändert, weil sie diese Rolle ja vorher nie gespielt hat. Sie hat sich aber nicht verändert in dem Sinne, dass sie ein Stück ihres Wesens aufgegeben hat oder dass sie etwas lernen musste, was sie überhaupt nicht konnte vorher, oder dass sie etwas verstecken muss von ihrer Person, was jetzt keinen Platz mehr hätte. In diesem Sinne hat sie sich gar nicht verändert, in ihrem Kern erlebt man sie noch als genau als die Person, die man vor 30 Jahren erlebt hat, man erlebt sie selbst als öffentliche Person noch so, wie man sie vor 30 Jahren erlebt hat."

Die grüne Ministerin fährt oft Auto - weil sie dort arbeiten kann

Die einzige Chauffeurin im Fuhrpark der Landesregierung fährt die grüne Ministerin von Heidelberg ins Stuttgarter Ministerium. Ein ganzer Hofstab kümmert sich um das ministeriale Drumherum.
Das Leben von Theresia Bauer hat sich verändert: abends liest sie die Zeitungen vom nächsten Tag, auf der Rückbank ihres Autos geht sie Akten durch. Ein Termin jagt den nächsten:
"Ich fahre ab und an Bahn, insbesondere, wenn ich besonders schnell sein muss, dann ist der Zug dem Auto überlegen, auf den Strecken rund um Stuttgart. Aber es ist völlig klar, wenn ich Bahn fahre, dann kann ich auf diesem Weg nicht arbeiten. Also ich kann nicht telefonieren, ich kann auch diesen Aktenkoffer nicht mitschleppen, könnte auch nicht öffentlich diese Akte lesen, Bahn fahren bedeutet auch bereit zu sein Gespräche zu führen oder auch mal wirklich durchzuschnaufen. Deswegen ist es funktional nicht wirklich hilfreich und es ist wirklich eine reine Frage der Beschleunigung, dann doch mal Bahn zu fahren. In meinem Wahlkreis in Heidelberg fahre ich sogar Fahrrad. Das löst immer großes Erstaunen aus, wenn die Ministerin mit dem Fahrrad kommt."
Beschleunigt, neues Äußeres und weit über Stadt und Land hinaus bekannt. Bis heute mache sie den Job gerne, sagt die Ministerin, nur manchmal:
"Manchmal würde ich mir wünschen, dass es Momente gibt, wo ich dieses Amt auch irgendwie für einen Moment ablegen kann und einfach privat sein kann und auch unerkannt. Das legt sich wie eine zweite Haut um einen herum. Und das ist eine Beeinträchtigung an persönlicher Freiheit."

Winfried Hermann spürt den Verlust von Privatsphäre

Auch ihrem grünen Kollegen am Kabinettstisch, Winfried Hermann, Minister für Verkehr und Infrastruktur in Baden-Württemberg, geht es ähnlich:
"Das passiert mir oft, dass ich irgendwo bin und ich denke, schön, kennt mich keiner und dann grüßt mich einer plötzlich mit Namen. Und dann ist klar, das Gefühl von Anonymität war ein Scheingefühl."
Winfried Hermann 1952 im schwäbischen Rottenburg geboren, verheiratet, ein Kind. Bis Mitte der 1980er Jahre Gymnasiallehrer, knapp zehn Jahre Ressortleiter an der Volkshochschule Stuttgart. Landtagsabgeordneter, später Bundestagsabgeordneter, bis 2011 Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag. Seit fünf Jahren ist Hermann Verkehrsminister in Baden-Württemberg und sagt ganz deutlich:
"Ja, ich habe mich sicherlich auch verändert. Ich glaube übrigens, wenn sich da ein Mensch nicht verändert, müsste er auch einmal drüber nachdenken, was mit ihm los ist, weil das ist ja eine andere Herausforderung, als sonst im Leben. Das ist ein großer Unterschied, ob ich Abgeordneter bin mit einem Recht auf freie Meinung, oder ob ich Minister bin, wo man eingebunden ist in eine Regierung, in eine Koalition, und wo man auch anders beobachtet wird, und auch eine andere Verantwortung hat. Und übrigens auch ständig belauert wird, und deswegen auch misstrauischer wird, das ist, finde ich, einer der unangenehmsten Folgen des Ministerseins."
Ulli Pfau: "Er war mein Trauzeuge, ich war sein Trauzeuge, wir haben viermal zusammen gewohnt. Da ist so viel Substanz da, dass die Facette Minister, ich nenne es jetzt einmal so, die Facette Minister ist eben eine Episode in einer langen Lebensfreundschaft. Und da werte ich mich jetzt auch nicht auf, sondern das ist einfach so. Da denke ich nicht drüber nach, ist es richtig, wenn Du sagst ... also es ist eine Distanz ist da. Man merkt diese Energie, die er mobilisieren muss, um dieses Leben zu leben, und das geht auch nicht weg, wenn wir jetzt auch mal sprechen, das merke ich schon, das ist so eine Agglomeration von Energie und Power, und es geht nicht so weit wie es früher ging."
Winfried Hermann, baden-württembergischer Verkehrsminister, sitzt während eines Interviews in seinem Büro im Ministerium.
Winfried Hermann, baden-württembergischer Verkehrsminister, ist sich sicher, dass er sich im Amt auch persönlich verändert hat.© imago/Lichtgut
Der Filmproduzent Ulli Pfau und Winfried Hermann kennen sich seit der gemeinsamen Studienzeit in Tübingen. Zuletzt haben sie zusammen in Berlin gewohnt. Heute sehen sie sich die beiden nur noch selten. Die Zahl der Freunde, die man regelmäßig trifft sei mittlerweile aus Zeitgründen sehr begrenzt, sagt Hermann:
"Ich habe früher nie verstanden, warum Politiker immer sagen, Familien sei ihnen so wichtig, als ich selber noch keine hatte. Inzwischen kann ich das gut nachvollziehen, weil die Zeit ist so knapp, dass man eigentlich die verbliebene Zeit weitegehend mit der Familie verbringt und dann nur noch sehr selten mit Freunden zusammen etwas macht."

Stuttgart 21-Gegner Hermann muss das Bahn-Projekt vertreten

Die ersten Monate als Minister waren für Hermann besonders schwierig. Noch vor Amtsantritt sprach er sich für den Ausstieg aus dem Bahnprojekt Stuttgart 21 aus, wenige Monate nach der Landtagswahl stimmten die Baden-Württemberger in einem Volksentscheid für den Bau von Stuttgart 21. Hermann muss seither als Minister das Land als Projektpartner repräsentieren. Bahn-Projektgegner schimpfen ihn bis heute einen Verräter. Die Kritik lässt ihn nicht kalt. Er punktet an anderer Stelle, so legt er ein neues Mobilitätskonzept für das Land vor. Doch er ist empfindsamer geworden:
"Man verliert ja auch im Laufe der Zeit die Distanz zu sich selber, man weiß ja gar nicht mehr genau, wie man war. Ich spüre manchmal, dass ich früher spontaner war und vertrauensseliger. Ich bin heute, das empfinde ich wirklich, also am meisten gegenüber Journalisten, da habe ich früher ein Gottvertrauen in einen guten Journalismus gehabt, aber nach einigen Erfahrungen, dass auch Leute, die man gut kennt, im Zweifel dann doch die Schlagzeile lieben und nicht die Absprache."
Ist da noch etwas vom früheren grünen Politiker zu erkennen? Hermann zählt zu den Urgesteinen der Südwest-Grünen, er kam 1982 dazu. Hermann galt als unbiegsam, in seiner Berliner Zeit stimmte er einst gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.
Die Grünen haben die Wahl 2011 auch deshalb gewonnen, weil sie Stuttgart 21 verhindern wollten. Hat Winfried Hermann seine grüne Seele der Macht wegen verkauft?
Ulli Pfau: "Ich beobachte ihn eigentlich in die Richtung: Wie kommt er rüber? Und ich finde, dass er nach wie vor authentisch ist, also er kommt mir nicht vor, wie einer, der mediatisiert ist, dadurch, dass er durch das Medium spricht, dann irgendwie eine Rolle spielt, aus politischem Kalkül vielleicht bestimmte Formulierungen nutzt oder so. Das würde mir sofort auffallen."
Optisch hat sich Hermann wenig verändert. Er treibt Sport, fährt mit dem Rad ins Ministerium und geht auch weite Strecken zu Fuß. Trotz Ministeramt trägt er nie eine Krawatte.
Ulli Pfau: "Auf solche Sachen achte ich gar nicht sonderlich. Durch so eine lange Beziehung ... also gut, wenn der jetzt wie so ein lackierter Amtmann daherkäme, das würde mir schon auffallen, dadurch dass mir nichts auffällt, ist es vermutlich völlig normal, also so, wie ich ihn immer erlebt habe."
Sind die Grünen noch normal, so normal wie sie vielleicht nie sein wollten? Wie viel Macht spürt ein Minister nach fünf Jahren an der Regierung?
Hermann: "Da bin ich mir sehr sicher, dass ich nicht entschwebt bin, weder gegenüber den Grünen, und auch hier nicht im Hause. Also das ist ziemlich eindeutig zu verneinen. Ich kann nicht sagen, dass wenn man in einer Demokratie ein Führungsamt hat, dass man da mächtig ist. Da haben viele Leute eine völlig falsche Vorstellung von dem, wie Demokratie funktioniert. Das merkt man immer so, wenn Leute, selbst gebildete Menschen, an einen hinreden, als wäre man der König von Württemberg ... "das müssen sie doch mal machen, warum machen sie das nicht"? Und wo sie dann sagen, entschuldige einmal, wir sind eine Koalition, da gibt es einen Koalitionsvertrag, außerdem gibt es ein Parlament, das Parlament macht Gesetze. Und im Übrigen sind wir da nicht alleine unterwegs, sondern da gibt es einen Bund und dann gibt es eine Europäische Union und dann gibt es noch die Medien."
Die Macht wird auf vielen Schultern verteilt. Und doch: ein Minister steht im Mittelpunkt, er repräsentiert sein Ressort:
"Ich freue mich, dass wir das Ministerium so gut aufgebaut haben, dass hier im Ministerium so eine gute Atmosphäre ist, dass man selbst Leute, die nicht bei den Grünen sind, attestieren, dass ich ein guter Chef bin oder dass ich zuhöre. Dass auch die Abteilung, die Sorge hatte, dass ein Grüner mit Straßenbau und mit anderen Themen mit Fahrrad umgehen kann, haben begriffen, dass das bei mir anders ist. Darauf bin ich schon stolz. Das ist wahr. Und natürlich ist man irgendwann auch stolz, wenn man, was weiß ich, wenn man irgendwo auf Auslandsreise ist und dann als Staatsgast empfangen wird, oder wenn man auch hier merkt, dass man eine wichtige Person ist. Menschen Wert darauf legen, dass sie mit mir klarkommen oder bei mir etwas erreichen wollen, dass man dann schon auch spürt, dass man was zu sagen hat, und dass man sich bisweilen an seine Jugend erinnert, und sich fragt: hättest du dir das damals zugetraut?"

Die Grünen genießen auch mal das Rampenlicht

Nicht nur Hermann stellt sich diese Frage. Und doch: Parkettsicher schreiten die Grünen in Baden-Württemberg mittlerweile über rote Teppiche, tanzen auf Bällen, die Aktenkoffer werden ihnen hinterher getragen, der Fahrdienst wartet vor der Tür. Sie sind nicht die Könige von Württemberg, aber sie genießen das Rampenlicht, auch ein Minister Hermann.
Ulli Pfau: "Ich glaube, das ist ihm schon auch wichtig. Ich glaube auch, wenn dir das nicht wichtig ist, kannst du es nicht machen und ich glaube, dass er das auch funktional einsetzt. Um seine Ziele zu erreichen, ist ihm die Power des Amtes wichtig, hat eine Bedeutung für ihn. Ich würde es eher so rum sehen, nicht wie man, ohne irgendwelche Namen zu nennen, viele andere Politiker erlebt, wo man das Gefühl hat, denen ist vor allem wichtig, dass sie Minister sind und einen Pressesprecher haben und einen Referenten und einen Staatssekretär.
Es hat sich wenig von dem, wie ich ihn, kann man ja noch sagen, wir waren da Anfang 20, es sind wenig Sachen, bei denen ich sagen würde, das verstehe ich jetzt alles überhaupt nicht. Es eigentlich sehr kongruent, wie wir uns kennengelernt haben und für was er sich interessiert hat und wo er hingegangen ist und da, wo er heute ist, und wo ich vieles immer noch wiedererkenne von dem, wie es früher war."
Im März 1980 zogen die Grünen erstmals in den baden-württembergischen Landtag ein. Winfried Kretschmann, Mitbegründer der Grünen-Partei, gehört zu den ersten grünen Landtagsabgeordneten im baden-württembergischen Landtag.

Winfried Kretschmann hat sich ans Bedientwerden gewöhnt

Bei der Landtagswahl 2011 schreibt die Partei erneut Geschichte. Kretschmann war jahrelang Fraktionschef, mit ihm an der Spitze erreichen die Grünen ihr bestes Wahlergebnis bei einer Landtagswahl. Der 1948 in Spaichingen geborene Lehrer wird der erste grüne Ministerpräsident eines Bundeslandes.
Rastlos ist er unterwegs, ein Interview mit ihm findet im Dienstwagen statt, die Zeit ist knapp bemessen. Der Dienstwagen wird von Personenschützern eskortiert:
"Diese ganzen Aperçus der Macht, da erlebe ich jetzt keinen besonderen Genuss."
Gerlinde Kretschmann: "Es ist natürlich so, das Bedientwerden, ich nenne das einfach einmal so, dass immer jemand da ist, der einem so das Alltägliche abnimmt, da kann man sich schon daran gewöhnen. Und ich denke, dass das mein Mann in Kleinigkeiten, wenn das wegfiele, schon schwer fallen würde."
Ministerpräsident Kretschmann: "In so einem hohen Amt wird alles für einen organisiert, das führt in vielen normalen Fragen zu einer gewissen Infantilisierung. Ein Politiker hat einmal gesagt, da muss man wieder das Telefonieren lernen. Das ist sicher ein Problem, dass man wieder lernt, dass man wieder die trivialen Sachen wie ein Flug buchen selber machen muss. Das ist ja etwas, was man völlig verlernt, das wird einem ja total alles abgenommen."
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seine Ehefrau Gerlinde lachen beim Politischen Aschermittwoch der Grünen in Baden-Württemberg in der Stadthalle Biberach.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seine Ehefrau Gerlinde sind seit 1975 verheiratet und beide politisch aktiv.© dpa/ picture-alliance/ Felix Kästle
Gerlinde und Winfried Kretschmann sind seit 1975 verheiratet, sie haben drei Kinder, seit kurzem auch ein Enkelkind. Bis heute wohnen die Kretschmanns in einem Teilort von Sigmaringen im oberen Donautal. Frau Kretschmann war Grundschullehrerin und über 15 Jahre lang grüne Gemeinderätin in Sigmaringen, zuletzt Fraktionschefin, auch im Kreistag saß sie für die Grünen:
"Im alltäglichen politischen Geschäft gebe ich ihm keine Ratschläge. Aber bei manchen Fragen bin ich dann doch noch mehr dran, weiß, was die Leute so umtreibt und denken. Da sage ich dann schon meine Meinung. Manchmal ist es dann schon so, dass er dann auch etwas ein bisschen anders bedenkt, ein bisschen von einer anderen Warte, wie von dieser aufgeregten Politikerklasse."
Der Frau des Ministerpräsidenten sei der Job ihres Mannes nicht in den Kopf gestiegen, bestätigen alle, die Gerlinde Kretschmann kennen. Die Aufmerksamkeit gelte dem Amt ihres Mannes, nicht ihrer Person, sagt sie. Beide sind sich einig: Das Amt verändert vor allem den, der es ausübt:
"Man macht da ja durchgreifende Erfahrungen in so einem Amt. Das wäre ja alles andere als verwunderlich, wenn man da so raus kommt, wie man reingegangen ist. Was die Leute ja oft denken, man wird da verbogen, das sehe ich nicht. Man wird gebogen, aber nicht verbogen. Die Biegekräfte sind enorm, aber man muss einfach immer gucken, dass man nichts macht, was gegen die Grundüberzeugung geht, und ich denke, das ist mir gelungen. Verbiegen musste ich mich wirklich nicht."

Kretschmann: "Diese Amtsmacht wird überschätzt"

Ein Machtmensch ist er, wird oft von Kretschmann behauptet. Fühlt er sich mächtig? Er sei ein Anhänger des Machtbegriffs, wie ihn die politische Philosophin Hannah Arendt definiert hat:
"Die gesagt hat: Macht entsteht dadurch, indem Menschen sich um eine gemeinsame Idee versammeln und handeln. Und diese Amtsmacht, die wird überschätzt. Das ist in Wirklichkeit ein dauernder kommunikativer Prozess, denken sie an die Richtlinienkompetenz, die steht zwar in der Verfassung, aber sie haben in Wirklichkeit ja einen Koalitionsvertrag, sie müssen dauernd mit dem Koalitionspartner zurechtkommen. Sie müssen Macht immer herstellen und wenn sie in wichtigen Fragen die Bevölkerung gegen sich haben, dann richten sie wenig aus. In so einem Amt ist die Verpflichtung, die Menschen auch hinter dem, was man tut auch zu versammeln. Das heißt, es ist Überzeugungsarbeit, das ist der eigentliche anstrengende Kern eines solchen Amtes."
Gerlinde Kretschmann: "Tja, mächtig? Da verstehen ja viele drunter, dass er alles bestimmt und dass in der Politik alles gemacht wird, so wie er das möchte. Schon das stimmt ja gar nicht, er ist in einer Koalition, und die SPD, als Koalitionspartner, die machen schon selbständig Politik. Das heißt, schon von dem her ist die Macht natürlich sehr begrenzt. Dann natürlich auf der anderen Seite, das geht ja jedem so, muss er auch Rücksicht nehmen auf die Partei, durch die er auch gewählt wurde und mitgetragen wird, da sind natürlich auch Empfindlichkeiten auf die man Rücksicht nehmen muss. Die wirkliche Macht ist eigentlich eher schon sehr eingeschränkt."
Die Partei, der Koalitionspartner, das Parlament, das Volk. Regieren ist Überzeugungsarbeit, sagt Kretschmann. Er hat viele 16 Stunden Tage.
Gerlinde Kretschmann: "Das ist ja klar, da tritt die Familie doch auch ganz stark in den Hintergrund. Ob wir jetzt am Sonntag unterwegs sind, wenn eine wichtige SMS eingeht, oder auf welchem Weg auch immer, dann ist halt das das Allerwichtigste."
Wenig Zeit für die Familie und die Freunde.
Ministerpräsident Kretschmann: "Das gehört zu den Schattenseiten des Amtes, dass man seine Freunde vernachlässigt und das habe ich zu viel gemacht. Da sind auch Freundschaften auch sehr dünn geworden, auch dadurch - Freundschaften muss man pflegen, also das ist etwas, was ich nicht mehr so machen würde. Das muss ich schon ehrlich sagen. Da muss man aufpassen, weil neue Freunde in der Politik gewinnt man ohne weiteres so erst einmal nicht. Die Freunde, die man hat, stammen woanders her, Politik ist nicht das Medium, wo man Freunde gewinnt, wenigstens in der Regel nicht. Politik ist erst einmal ein Geschäft, da geht es um Erfolg, da geht es um Konkurrenzen, die auch Freundschaften belasten können, wenn sie auf einmal in Konkurrenz stehen durch irgendetwas. Politik ist nicht gerade die Sphäre der Freundschaft. Freundschaft ist etwas sehr persönliches und nichts dass die Politik fördert, aber politische Freundschaft gibt es natürlich auch, aber das ist schon etwas anderes."
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