Die gut geölte Maschine Karlsruhe

28.02.2013
Das Bundesverfassungsgericht ist eine deutsche Erfolgsgeschichte. Es gilt als Korrektiv der Politik. Dabei wurden in Karlsruhe auch peinliche Urteile gefällt. Der Journalist Christian Rath beleuchtet das höchste Gericht der Deutschen und scheut sich nicht, Kritik an den Richtern in den roten Roben zu üben.
"Eine Verfassung muss kurz und dunkel sein!" - dieses Zitat, das Napoleon Bonaparte zugesprochen wird, zeigt das Grundproblem jeder Verfassung: Um für alle Zeiten allgemeingültig zu sein, muss sie in ihren Grundsätzen klar sein, in ihrer Ausgestaltung aber flexibel bleiben.

Diese Aufgabe muss nicht zwingend von einem Verfassungsgericht erfüllt werden, es könnte auch ein von Bürgern besetzter Verfassungsgebender Rat sein, wie in Frankreich, oder ein Oberster Gerichtshof, wie in den Vereinigten Staaten. Dass das Bundesverfassungsgericht eine solche Erfolgsgeschichte geworden ist, liegt daran, dass es das Vertrauen der Bürger in die Politik gestärkt hat. Mittlerweile dient es als Vorbild für vergleichbare Gerichte, etwa in den Ländern des ehemaligen Ostblocks.

Die Deutschen haben das Bundesverfassungsgericht anfangs ebenso wenig geliebt wie das Grundgesetz, das als oktroyiert und provisorisch empfunden wurde. Es hat bis in die 60er-Jahre gedauert, bis die Deutschen es als Korrektiv der Bonner Republik sahen: Der Gang nach Karlsruhe bleibt jedem Bürger, der sich um sein Recht gebracht fühlt. Karlsruhe wirkt einerseits als Ventil für Politikverdrossenheit - andererseits haben Gesetze, die das Siegel der Verfassungskonformität bekommen, es leichter, respektiert zu werden. Sei es im Umgang mit Kriegsdienstverweigerern, bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, bei der Homo-Ehe oder bei der Frage, was die Grundbedürfnisse des Menschen in Euro und Cent ausgedrückt sind. Das Bundesverfassungsgericht übernimmt die Rolle eines Schiedsrichters in Streitfragen, der eine Entscheidung trifft, ohne sich ins politische Geschäft selbst einzumischen.

Christian Rath zeigt in seinem Buch "Der Schiedsrichterstaat" allerdings, dass das Gericht durchaus fehlbar sein kann, und nicht immer frei von Eitelkeiten und Existenzängsten ist. So kann die ausgesprochen europakritische Rechtsprechung der letzten Jahre auch damit erklärt werden, dass das Grundgesetz und damit das ihn kontrollierende Gericht an Bedeutung verlieren würde, wenn ein europäischer Bundesstaat Wirklichkeit würde. Und Karlsruhe erzeugt bisweilen Abneigung gegen die Politik, weil es das Wirken der Parlamentarier als fahrlässig und verfassungswidrig hinstellt - und den einseitigen Zungenschlag, den die Urteile in der Öffentlichkeit bekommen können, nicht richtig stellt.

Die Wirkung, die das Bundesverfassungsgericht erzielt, hat, so Rath, viel mit der Selbstinszenierung der Richter zu tun: Die Urteilsverkündungen in roten Roben wirken staatstragend und verbindlich, und das Medienverhalten der Richter vor und während der Beratungen ist oftmals auf den Effekt hin kalkuliert.

Christian Rath ist seit Jahren Korrespondent für verschiedene Zeitungen am Bundesverfassungsgericht. Ihm gelingt es, die gut geölte Maschine Karlsruhe in ihrer Komplexität zu beschreiben, er erklärt die Aufgaben der beiden Senate und sieben Kammern, den Weg von der Beschwerde zum Richterspruch. Und er scheut sich nicht, Karlsruhe zu kritisieren. Er berichtet von peinlichen Urteilen und davon, dass die Verfassungshüter auch gerne mal einen Fall so lange liegen lassen, bis er sich von selbst erledigt hat - das Gericht kann in Einzelfällen willkürlich oder launisch sein. Rath ist kritisch und respektlos genug, die dunkle Seite von Karlsruhe anzusprechen, darin liegt die Stärke dieses Buches.

Eine Schwäche liegt in seiner Sprache. Sie ist zu unambitioniert, der Autor verliert sich in Aufzählungen und droht langweilig zu werden, wenn er - ganz Jurist - um Vollständigkeit bemüht ist. Im Übrigen hat man manches schon in seinen Zeitungsartikeln gelesen. Dennoch ist es ein lesenswertes Buch für alle Laien, die einen schnellen Zugang zum Thema suchen.

Rezensiert von Andreas Baum

Christian Rath: Der Schiedsrichterstaat - Die Macht des Bundesverfassungsgerichts
Wagenbach, Berlin 2013
94 Seiten, 14,90 Euro