"Die gute Mitte der Gesellschaft"
Die drei Mitglieder der sogenannten Zwickauer Terrorzelle waren kein Randphänomen, sagt der Journalist Patrick Gensing. Sie konnten nur morden, weil sie Unterstützung erhielten. Rechtsextremismus sei dabei nicht nur ein ostdeutsches Problem.
Frank Meyer: Die drei Mitglieder der Zwickauer Terrorzelle sind als Jugendliche zu ihren mörderischen rechtsextremen Ideen gekommen, in den 90er-Jahren. Wie das passiert ist, und was heute gegen eine solche rechtsextreme Radikalisierung von Jugendlichen getan wird, das besprechen wir jetzt mit Patrick Gensing. Er arbeitet unter anderem für das ARD-Magazin "Panorama", und er berichtet schon lange für verschiedene Medien über Rechtsextreme in Deutschland. Vor kurzem hat er das Buch "Terror von Rechts" veröffentlicht. Seien Sie willkommen, Herr Gensing!
Patrick Gensing: Hallo, guten Tag!
Meyer: Eine logische Konsequenz wäre eigentlich aus der Aufdeckung der Zwickauer Terrorzelle, jetzt etwas dagegen zu tun, dass da eine neue Generation heranwächst von gewaltbereiten rechtsextremen Jugendlichen. Ist denn in dem vergangenen Jahr etwas in diese Richtung passiert?
Gensing: Nein, da ist nichts konkretes passiert. In den Jahren zuvor gibt es Fortschritte zu verzeichnen, gerade in den neuen Bundesländern ist die Jugendkultur bunter geworden. Das liegt aber jetzt weniger daran, dass die Bundesregierung sich da besonders hervorgetan hätte, sondern das sind einfach Leute, die sich da engagieren und Alternativen anbieten, damit die rechtsextreme Hegemonie, die dort über Jahre geherrscht hat, die zu durchbrechen und andere Angebote auch zu haben für junge Leute.
Meyer: Bleiben wir erst mal bei der Bundesregierung, über die haben Sie in anderem Zusammenhang schon mal gesagt: "Diese Bundesregierung hat das Engagement gegen Rechts systematisch geschwächt." Wie denn das?
Gensing: Indem die Programme für Demokratie und gegen Rechtsextremismus zuerst gekürzt werden sollten. Nachdem das einfach nicht mehr durchsetzbar war, hat man zumindest eine Extremismusklausel eingeführt. Das heißt, Leute, die sich für Demokratie engagieren, die wirklich in Ostdeutschland in Regionen, wo sich sonst kein Mensch engagiert, die wirklich den Kopf hinhalten, die werden mit Misstrauen überzogen, die müssen erst mal erklären, dass sie keine Extremisten sind, dass sie nicht mit Extremisten zusammenarbeiten, die müssen ihre Zeit und ihr Geld damit verschwenden, zu dokumentieren, mit wem sie da zusammenarbeiten.
Und das ist ein sehr elitäres Demokratieverständnis meiner Ansicht nach: Auf der einen Seite sagt man - beispielsweise argumentiert Kristina Schröder -, man dürfe keine Frauenquote einführen, keine gesetzliche Frauenquote, der Staat muss sich da zurückhalten, aber wenn es um die Gesinnung der Bürger geht, dann muss das alles geregelt werden mit Erklärung und so weiter und Sanktionierung. Das passt überhaupt nicht zusammen, und da ist ein großes Misstrauen gegen Menschen vorhanden, die sich engagieren.
Meyer: Und kennen Sie Beispiele dafür, dass die Arbeit von Menschen, die sich gegen Rechts einsetzen, auch ganz praktisch behindert wird?
Gensing: Auf jeden Fall. Es gibt beispielsweise in Bayern das a.i.d.a.-Archiv. Das a.i.d.a.-Archiv macht eine hervorragende Recherchearbeit - dieses Archiv wurde im Verfassungsschutzbericht genannt als "diskursiv linksextremistisch" oder ähnlich, auf jeden Fall ein sehr dehnbarer Begriff. Es ist überhaupt nicht klar, warum die linksextremistisch sein sollten, nur weil die Recherchearbeit über Neonazis machen, und zwar sehr wertvolle Recherchearbeit. Dagegen hat das a.i.d.a.-Archiv geklagt, und es hat Recht bekommen, und jetzt müssen Verfassungsschutzberichte, jetzt muss der Verfassungsschutz sogar schwärzen. Er darf nicht, sondern er muss rückwirkend. Das ist kein Einzelfall, solche Beispiele gibt es mehrere, und natürlich geht da viel Zeit und viel Geld verloren, und das ist einfach nicht haltbar. Es gibt ganz andere Probleme.
Meyer: Sie haben ja auf der anderen Seite schon gesagt, im Osten Deutschlands, und da richtet sich der Blick ja oft hin bei diesen Problemen, ist es bunter geworden, haben sich mehr Menschen gefunden, die etwas dagegen tun, gegen zum Teil ja die Vorherrschaft der Rechtsextremen. Wie kommt das, wodurch?
Gensing: Das ist ein normaler Prozess der Demokratisierung, würde ich sagen. Also dass eben eine Gesellschaft durchaus differenziert, dass es Jugendliche gibt, die sich dagegen auflehnen, gegen rechtsextreme Hegemonie. Es ist eben auch wichtig, aber das nicht als Jugendphänomen zu verstehen, sondern diese drei Rechtsterroristen und deren Netzwerk, von dem wir hier sprechen, die haben sich ja nicht irgendwo außerhalb radikalisiert oder sind von außerhalb eingeflogen worden, sondern die haben sich in der Mitte dieser Gesellschaft radikalisiert, und das ist die eigentlich spannende Frage, die es jetzt auch mal zu beantworten gilt oder zumindest zu stellen gilt: Wie kann das eigentlich sein, dass die Leute sich so weit mit wirklich einem fanatischen Rassismus radikalisieren mitten in der Gesellschaft, und das muss Gründe haben, und diese Gründe werden bislang nicht thematisiert.
Meyer: Was meinen Sie jetzt damit konkret, in der Mitte der Gesellschaft radikalisiert? Gerade im Blick auch auf die drei von der rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle, denn soweit ich weiß, waren die ja auch in rechtsextremen Jugendverbänden unterwegs und sind in diesem Rahmen radikalisiert worden. Was meinen Sie damit, Mitte der Gesellschaft?
Gensing: Nun, wenn man sich anschaut, dass Innenminister Friedrich sich beispielsweise am Sonntag bei Günther Jauch hinsetzt und behauptet, es sei geradezu absurd - ich habe jetzt nicht den genauen Wortlaut, aber auf jeden Fall hat er es abgetan, dass es bei der Polizei möglicherweise auch rassistische Ressentiments geben könnte, da fängt das Problem an.
Natürlich gibt es so was, das ist jetzt mehrfach dokumentiert, dass Polizisten oder Verfassungsschützer mit Rechtsextremen zusammengearbeitet haben. Das Problem wird in der Öffentlichkeit gerne exotisiert, das heißt, man sagt, das sind die Neonazis, dann gibt es eine Trennlinie, und dann kommt die gute Mitte der Gesellschaft. Und das funktioniert nicht, denn die Einstellung, die die Neonazis haben, besonders der Rassismus und die Ausländerfeindlichkeit, diese Einstellungen sind ja nicht nur begrenzt auf den neonazistischen Bereich, sondern auch darüber hinaus.
Deswegen fühlen sich diese Leute oft als Vollstrecker des heimlichen Volkswillens. Wenn man sich anschaut, in welcher gesellschaftlichen Atmosphäre Anfang der 90er-Jahre zum Beispiel Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda stattgefunden hat, und wenn man sich dann anschaut, dass wir um die Jahrtausendwende ... hatten wir den Wahlkampf "Kinder statt Inder", wir hatten den Wahlkampf gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, und zu dieser Zeit fing auch die Mordserie an. Damit möchte ich nicht sagen, dass das ausschlaggebend war für die Mordserie, aber so was ermutigt solche Leute natürlich noch.
Meyer: Deutschlandradio Kultur - ein Jahr nach dem Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle sprechen wir über die Konsequenzen mit dem Journalisten Patrick Gensing, der sich intensiv mit diesem Thema befasst. Es heißt auch im Rückblick auf die 90er-Jahre, dass man nachdenken muss, wie man mit Jugendlichen umgeht, besonders im Blick auf die damals sogenannte akzeptierende Jugend-Sozialarbeit. Da wurden zum Teil rechtsextreme Treffpunkte auch unterstützt, weil man sagte, man muss auch diese Jugendlichen erst mal annehmen und ihnen zeigen, dass sie auch zu unserer Gesellschaft gehören. Halten Sie das von heute aus gesehen für einen Fehler, so ein Umgang mit rechtsextremen Jugendlichen?
Gensing: Das hat sich im Nachhinein als Fehler erwiesen, ja. Das ist natürlich relativ leicht zu sagen, ich bin auch kein Sozialarbeiter, aber das hat sich als Fehler erwiesen, definitiv, weil den jungen Rechtsextremisten da eine Struktur, Infrastruktur geboten wurde, die sie nutzen konnten, die sie ausbauen konnten, und diese Infrastruktur war Voraussetzung dafür, dass ein Netzwerk heranwächst, das dann später eine Terrorzelle auch im Untergrund versorgen kann.
Das ist eben auch wichtig zu verstehen, dass diese drei NSU-Mitglieder, von denen wir ausgehen, nicht alleine sind, sondern die können natürlich nicht 14 Jahre im Untergrund gelebt haben, durch ganz Deutschland reisen, Leute erschießen, Banken überfallen, Bombenanschläge ausführen - da braucht es einige Unterstützer für, und dieses Unterstützernetzwerk konnte nur entstehen, weil man wirklich jahrelang massiv weggeguckt hat.
Meyer: Man schaut dabei jetzt immer auf den Osten, weil diese Zwickauer Terrorzelle eben aus dem Osten kam. Ist das aus Ihrer Sicht berechtigt, dieses Thema auf den Osten Deutschlands zu fokussieren?
Gensing: Jain, also zum einen glaube ich nicht, dass es nur auf den Osten fokussiert wird, aber es ist schon so, dass der subkulturelle Rechtsextremismus im Osten definitiv stärker ist. Da gibt es einfach stärkere Strukturen - die NPD ist im Osten deutlich erfolgreicher, das ist eindeutig so. Aber wenn man jetzt von rechtsextremen Einstellungsmustern spricht, dann ist das ein gesamtdeutsches Problem. Und auch, wenn man sich anschaut, die Strukturen, die sich bei der Recherche langsam herausbilden, herauskristallisieren, in Baden-Württemberg, wenn es um Polizei geht, um Verfassungsschutz und mögliche Verbindungen in die rechtsextreme Szene, dann ist es natürlich zu kurz gesprungen, nur vom Osten zu sprechen. Aber es gibt im Osten definitiv einige Besonderheiten, die auch mit der Nachwendezeit zu erklären sind.
Meyer: Wenn wir noch mal auf den Ausgangspunkt zurückgehen, auf die Frage, wie kann man verhindern, dass sich jugendliche Rechtsextreme radikalisieren, was müsste da jetzt passieren aus Ihrer Sicht?
Gensing: Meiner Ansicht nach müssen vor allen Dingen die Erwachsenen und die Eliten in der Gesellschaft und die Multiplikatoren mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn ich mir überlege, welche Debatten wir hier so führen, die sogenannte Integrationsdebatte, da wird Kindern ja schon sehr früh beigebracht auch, dass es hauptsächlich darum geht, um die Frage, wer gehört hier hin und wer gehört hier nicht hin. Über solche Sachen sollten wir sprechen, ansonsten ist es natürlich wichtig, dass es eine tolerante Gesellschaft ist, dass es eine Gesellschaft gibt mit verschiedenen Angeboten, und auch eine Gesellschaft, die kulturell vital ist.
Also das heißt, wenn man sich jetzt anschaut, dass in einigen Regionen Ostdeutschlands halt wirklich das kulturelle Leben leider brachliegt, weil die Leute abwandern, da ist natürlich die Frage, ob man nicht dahin massiv Geld investieren müsste, um das kulturelle Leben auch wieder attraktiv zu machen, damit da Familien hinziehen, denn dort, wo Öde herrscht, dort, wo es wirklich eine reine homogene Jugendkultur gibt, dort sind die Rechtsextremisten meistens stark, und sie stoßen in ein Vakuum und bieten sich als Kümmerer an, und da muss man gegenhalten.
Meyer: Was sind die Konsequenzen ein Jahr nach dem Ende der Zwickauer Terrorzelle, das haben wir mit Patrick Gensing besprochen. Sein Buch heißt "Terror von Rechts - die Nazimorde und das Versagen der Politik", das ist beim Rotbuch-Verlag erschienen. Herr Gensing, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Gensing: Vielen Dank auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Patrick Gensing: Hallo, guten Tag!
Meyer: Eine logische Konsequenz wäre eigentlich aus der Aufdeckung der Zwickauer Terrorzelle, jetzt etwas dagegen zu tun, dass da eine neue Generation heranwächst von gewaltbereiten rechtsextremen Jugendlichen. Ist denn in dem vergangenen Jahr etwas in diese Richtung passiert?
Gensing: Nein, da ist nichts konkretes passiert. In den Jahren zuvor gibt es Fortschritte zu verzeichnen, gerade in den neuen Bundesländern ist die Jugendkultur bunter geworden. Das liegt aber jetzt weniger daran, dass die Bundesregierung sich da besonders hervorgetan hätte, sondern das sind einfach Leute, die sich da engagieren und Alternativen anbieten, damit die rechtsextreme Hegemonie, die dort über Jahre geherrscht hat, die zu durchbrechen und andere Angebote auch zu haben für junge Leute.
Meyer: Bleiben wir erst mal bei der Bundesregierung, über die haben Sie in anderem Zusammenhang schon mal gesagt: "Diese Bundesregierung hat das Engagement gegen Rechts systematisch geschwächt." Wie denn das?
Gensing: Indem die Programme für Demokratie und gegen Rechtsextremismus zuerst gekürzt werden sollten. Nachdem das einfach nicht mehr durchsetzbar war, hat man zumindest eine Extremismusklausel eingeführt. Das heißt, Leute, die sich für Demokratie engagieren, die wirklich in Ostdeutschland in Regionen, wo sich sonst kein Mensch engagiert, die wirklich den Kopf hinhalten, die werden mit Misstrauen überzogen, die müssen erst mal erklären, dass sie keine Extremisten sind, dass sie nicht mit Extremisten zusammenarbeiten, die müssen ihre Zeit und ihr Geld damit verschwenden, zu dokumentieren, mit wem sie da zusammenarbeiten.
Und das ist ein sehr elitäres Demokratieverständnis meiner Ansicht nach: Auf der einen Seite sagt man - beispielsweise argumentiert Kristina Schröder -, man dürfe keine Frauenquote einführen, keine gesetzliche Frauenquote, der Staat muss sich da zurückhalten, aber wenn es um die Gesinnung der Bürger geht, dann muss das alles geregelt werden mit Erklärung und so weiter und Sanktionierung. Das passt überhaupt nicht zusammen, und da ist ein großes Misstrauen gegen Menschen vorhanden, die sich engagieren.
Meyer: Und kennen Sie Beispiele dafür, dass die Arbeit von Menschen, die sich gegen Rechts einsetzen, auch ganz praktisch behindert wird?
Gensing: Auf jeden Fall. Es gibt beispielsweise in Bayern das a.i.d.a.-Archiv. Das a.i.d.a.-Archiv macht eine hervorragende Recherchearbeit - dieses Archiv wurde im Verfassungsschutzbericht genannt als "diskursiv linksextremistisch" oder ähnlich, auf jeden Fall ein sehr dehnbarer Begriff. Es ist überhaupt nicht klar, warum die linksextremistisch sein sollten, nur weil die Recherchearbeit über Neonazis machen, und zwar sehr wertvolle Recherchearbeit. Dagegen hat das a.i.d.a.-Archiv geklagt, und es hat Recht bekommen, und jetzt müssen Verfassungsschutzberichte, jetzt muss der Verfassungsschutz sogar schwärzen. Er darf nicht, sondern er muss rückwirkend. Das ist kein Einzelfall, solche Beispiele gibt es mehrere, und natürlich geht da viel Zeit und viel Geld verloren, und das ist einfach nicht haltbar. Es gibt ganz andere Probleme.
Meyer: Sie haben ja auf der anderen Seite schon gesagt, im Osten Deutschlands, und da richtet sich der Blick ja oft hin bei diesen Problemen, ist es bunter geworden, haben sich mehr Menschen gefunden, die etwas dagegen tun, gegen zum Teil ja die Vorherrschaft der Rechtsextremen. Wie kommt das, wodurch?
Gensing: Das ist ein normaler Prozess der Demokratisierung, würde ich sagen. Also dass eben eine Gesellschaft durchaus differenziert, dass es Jugendliche gibt, die sich dagegen auflehnen, gegen rechtsextreme Hegemonie. Es ist eben auch wichtig, aber das nicht als Jugendphänomen zu verstehen, sondern diese drei Rechtsterroristen und deren Netzwerk, von dem wir hier sprechen, die haben sich ja nicht irgendwo außerhalb radikalisiert oder sind von außerhalb eingeflogen worden, sondern die haben sich in der Mitte dieser Gesellschaft radikalisiert, und das ist die eigentlich spannende Frage, die es jetzt auch mal zu beantworten gilt oder zumindest zu stellen gilt: Wie kann das eigentlich sein, dass die Leute sich so weit mit wirklich einem fanatischen Rassismus radikalisieren mitten in der Gesellschaft, und das muss Gründe haben, und diese Gründe werden bislang nicht thematisiert.
Meyer: Was meinen Sie jetzt damit konkret, in der Mitte der Gesellschaft radikalisiert? Gerade im Blick auch auf die drei von der rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle, denn soweit ich weiß, waren die ja auch in rechtsextremen Jugendverbänden unterwegs und sind in diesem Rahmen radikalisiert worden. Was meinen Sie damit, Mitte der Gesellschaft?
Gensing: Nun, wenn man sich anschaut, dass Innenminister Friedrich sich beispielsweise am Sonntag bei Günther Jauch hinsetzt und behauptet, es sei geradezu absurd - ich habe jetzt nicht den genauen Wortlaut, aber auf jeden Fall hat er es abgetan, dass es bei der Polizei möglicherweise auch rassistische Ressentiments geben könnte, da fängt das Problem an.
Natürlich gibt es so was, das ist jetzt mehrfach dokumentiert, dass Polizisten oder Verfassungsschützer mit Rechtsextremen zusammengearbeitet haben. Das Problem wird in der Öffentlichkeit gerne exotisiert, das heißt, man sagt, das sind die Neonazis, dann gibt es eine Trennlinie, und dann kommt die gute Mitte der Gesellschaft. Und das funktioniert nicht, denn die Einstellung, die die Neonazis haben, besonders der Rassismus und die Ausländerfeindlichkeit, diese Einstellungen sind ja nicht nur begrenzt auf den neonazistischen Bereich, sondern auch darüber hinaus.
Deswegen fühlen sich diese Leute oft als Vollstrecker des heimlichen Volkswillens. Wenn man sich anschaut, in welcher gesellschaftlichen Atmosphäre Anfang der 90er-Jahre zum Beispiel Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda stattgefunden hat, und wenn man sich dann anschaut, dass wir um die Jahrtausendwende ... hatten wir den Wahlkampf "Kinder statt Inder", wir hatten den Wahlkampf gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, und zu dieser Zeit fing auch die Mordserie an. Damit möchte ich nicht sagen, dass das ausschlaggebend war für die Mordserie, aber so was ermutigt solche Leute natürlich noch.
Meyer: Deutschlandradio Kultur - ein Jahr nach dem Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle sprechen wir über die Konsequenzen mit dem Journalisten Patrick Gensing, der sich intensiv mit diesem Thema befasst. Es heißt auch im Rückblick auf die 90er-Jahre, dass man nachdenken muss, wie man mit Jugendlichen umgeht, besonders im Blick auf die damals sogenannte akzeptierende Jugend-Sozialarbeit. Da wurden zum Teil rechtsextreme Treffpunkte auch unterstützt, weil man sagte, man muss auch diese Jugendlichen erst mal annehmen und ihnen zeigen, dass sie auch zu unserer Gesellschaft gehören. Halten Sie das von heute aus gesehen für einen Fehler, so ein Umgang mit rechtsextremen Jugendlichen?
Gensing: Das hat sich im Nachhinein als Fehler erwiesen, ja. Das ist natürlich relativ leicht zu sagen, ich bin auch kein Sozialarbeiter, aber das hat sich als Fehler erwiesen, definitiv, weil den jungen Rechtsextremisten da eine Struktur, Infrastruktur geboten wurde, die sie nutzen konnten, die sie ausbauen konnten, und diese Infrastruktur war Voraussetzung dafür, dass ein Netzwerk heranwächst, das dann später eine Terrorzelle auch im Untergrund versorgen kann.
Das ist eben auch wichtig zu verstehen, dass diese drei NSU-Mitglieder, von denen wir ausgehen, nicht alleine sind, sondern die können natürlich nicht 14 Jahre im Untergrund gelebt haben, durch ganz Deutschland reisen, Leute erschießen, Banken überfallen, Bombenanschläge ausführen - da braucht es einige Unterstützer für, und dieses Unterstützernetzwerk konnte nur entstehen, weil man wirklich jahrelang massiv weggeguckt hat.
Meyer: Man schaut dabei jetzt immer auf den Osten, weil diese Zwickauer Terrorzelle eben aus dem Osten kam. Ist das aus Ihrer Sicht berechtigt, dieses Thema auf den Osten Deutschlands zu fokussieren?
Gensing: Jain, also zum einen glaube ich nicht, dass es nur auf den Osten fokussiert wird, aber es ist schon so, dass der subkulturelle Rechtsextremismus im Osten definitiv stärker ist. Da gibt es einfach stärkere Strukturen - die NPD ist im Osten deutlich erfolgreicher, das ist eindeutig so. Aber wenn man jetzt von rechtsextremen Einstellungsmustern spricht, dann ist das ein gesamtdeutsches Problem. Und auch, wenn man sich anschaut, die Strukturen, die sich bei der Recherche langsam herausbilden, herauskristallisieren, in Baden-Württemberg, wenn es um Polizei geht, um Verfassungsschutz und mögliche Verbindungen in die rechtsextreme Szene, dann ist es natürlich zu kurz gesprungen, nur vom Osten zu sprechen. Aber es gibt im Osten definitiv einige Besonderheiten, die auch mit der Nachwendezeit zu erklären sind.
Meyer: Wenn wir noch mal auf den Ausgangspunkt zurückgehen, auf die Frage, wie kann man verhindern, dass sich jugendliche Rechtsextreme radikalisieren, was müsste da jetzt passieren aus Ihrer Sicht?
Gensing: Meiner Ansicht nach müssen vor allen Dingen die Erwachsenen und die Eliten in der Gesellschaft und die Multiplikatoren mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn ich mir überlege, welche Debatten wir hier so führen, die sogenannte Integrationsdebatte, da wird Kindern ja schon sehr früh beigebracht auch, dass es hauptsächlich darum geht, um die Frage, wer gehört hier hin und wer gehört hier nicht hin. Über solche Sachen sollten wir sprechen, ansonsten ist es natürlich wichtig, dass es eine tolerante Gesellschaft ist, dass es eine Gesellschaft gibt mit verschiedenen Angeboten, und auch eine Gesellschaft, die kulturell vital ist.
Also das heißt, wenn man sich jetzt anschaut, dass in einigen Regionen Ostdeutschlands halt wirklich das kulturelle Leben leider brachliegt, weil die Leute abwandern, da ist natürlich die Frage, ob man nicht dahin massiv Geld investieren müsste, um das kulturelle Leben auch wieder attraktiv zu machen, damit da Familien hinziehen, denn dort, wo Öde herrscht, dort, wo es wirklich eine reine homogene Jugendkultur gibt, dort sind die Rechtsextremisten meistens stark, und sie stoßen in ein Vakuum und bieten sich als Kümmerer an, und da muss man gegenhalten.
Meyer: Was sind die Konsequenzen ein Jahr nach dem Ende der Zwickauer Terrorzelle, das haben wir mit Patrick Gensing besprochen. Sein Buch heißt "Terror von Rechts - die Nazimorde und das Versagen der Politik", das ist beim Rotbuch-Verlag erschienen. Herr Gensing, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Gensing: Vielen Dank auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.