"Die Hauptschule gehört morgen abgeschafft!"
Der Leiter der Heinrich-von-Stephan-Oberschule in Berlin-Moabit fordert, in Schulen den Unterricht stärker zu individualisieren und die Hinwendung zum Einzelnen stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Vor allem in Hauptschulen sei das hilfreich. Gleichwohl glaubt er, dass die Hauptschule als Schulform keine Zukunft habe.
Holger Hettinger: Einst bewährte Standardausbildung, jetzt Problemfall des deutschen Bildungssystems: Hauptschule. Dieser Begriff steht gerade in Großstädten nur zu oft für Verhältnisse, in denen regulärer Unterricht kaum möglich scheint, und für Schüler, die auf dem Abstellgleis gelandet sind. Wir sprechen gleich mit dem Buchautor Bruno Preisendörfer und dem Hauptschulrektor Jens Großpietsch über die Ursachen und über mögliche Perspektiven für die Hauptschule.
Zuvor Eindrücke aus Berliner Hauptschulen, gesammelt von Jens Rosbach: ( Beitrag als MP3-Audio )
Hier im Studio von Deutschlandradio Kultur ist Bruno Preisendörfer, der Autor des Buches "Die Bildungsfalle", am Telefon Jens Großpietsch, der Leiter der Heinrich-von-Stephan-Oberschule in Berlin-Moabit. Schönen guten Morgen, meine Herren!
Bruno Preisendörfer: Guten Morgen!
Jens Großpietsch: Guten Morgen!
Hettinger: Herr Preisendörfer, da war ja einiges zu hören in diesem Beitrag, eine große Aggressivität an Hauptschulen, Konflikte zwischen deutschen Schülern und solchen mit Migrationshintergrund, wie man immer so schön sagt. Das führt dazu, dass letztlich kein regulärer Unterricht mehr möglich ist, dass die Hauptschule zum Abstellgleis wird. Da stellt sich natürlich auch die Frage nach der Henne und dem Ei. Was war zuerst da? Wie bedingt das einander?
Preisendörfer: Ja, erlauben Sie mir zuerst eine kleine Korrektur. Das Buch, das ich geschrieben habe, heißt nicht "Die Bildungsfalle".
Hettinger: Oh, Entschuldigung!
Preisendörfer: Sondern "Das Bildungsprivileg". Das ist wichtig, nicht aus Eitelkeit, sondern weil es natürlich sachlich ein erheblicher Unterschied ist, ob man von Bildung als Privileg oder als Falle spricht. Das vorweg.
Was die Hauptschule als "Restschule" angeht, ist ja interessant, dass die Hauptschule, der Begriff "Restschule" ist Jahrgang 1964. 1964 wurde die Volksschule, die damalige Volksschule, zur Hauptschule veredelt, und im gleichen Jahr tauchte zum ersten Mal in einem Expertengremium der Begriff Restschule auf. Die Restschule ist so alt wie die Hauptschule. Und das ist eben seit vier Jahrzehnten so.
Bereits zehn Jahre später, Mitte der 70er Jahre, wurde zum ersten Mal die Abschaffung der Hauptschule gefordert, vor über 30 Jahren. Das ist also ein Problem, was eine ganz lange Kontinuität hat, was jahrzehntelang, buchstäblich jahrzehntelang dramatisch vernachlässigt wurde und erst durch diesen medialen Superhype, Schock, durch Pisa hat sich die Politik und auch die Lehrer und die Schüler und die Schulleitungen mit diesem Problem neu und ernsthafter befasst. Und es ist jetzt zu hoffen, dass auf allen Ebenen an dem Drama gearbeitet wird, um es wenigstens zu mildern, lösen wird man es vermutlich nicht können.
Hettinger: Herr Großpietsch, Bruno Preisendörfer hat eben auch von einem medialen Hype gesprochen. Eben im Beitrag war zu hören, was macht man, wenn Lehrer Morddrohungen bekommen. Wie erleben Sie das als Leiter einer Hauptschule, der Heinrich-von-Stephan-Hauptschule in Berlin-Moabit? Ist das trauriger Alltag, oder sind das Spitzen, die medial überhöht werden?
Großpietsch: Das sind mit Sicherheit Spitzen, auf die die Medien gerne zugehen, weil das interessant ist, der Alltag interessiert eher weniger. Wir sind eine integrierte Haupt- und Realschule. Wir waren bis vor acht Jahren eine reine Hauptschule, und da war die Situation schon schwieriger. Ohne Zweifel ist die Situation an üblichen Hauptschulen entschieden schwieriger als an anderen Schulen. In Berlin gehen ganze vier Prozent der Schülerschaft nach der sechsten Klasse freiwillig auf eine Hauptschule.
Hettinger: Das ist natürlich enorm. Ihre Heinrich-von-Stephan-Schule gilt als Beispiel, wie sich eine schlecht beleumundete Schule wieder aufrappeln kann. Wie konkret haben Sie das gemacht?
Großpietsch: Vor acht Jahren haben wir die Chance bekommen, auf unsere Initiative hin integrierte Haupt-/Realschule zu werden. Also Haupt- und Realschüler sind in einer Klasse und die Herausforderung war, auch den Eltern der leistungsstärkeren Schülern deutlich zu machen, dass die bei uns gut aufgehoben sind. Und das funktioniert durch Individualisierung. Und in den letzen Jahren hatten wir nie Probleme, genug realschulempfohlene Schülerinnen und Schüler an die Schule zu bekommen.
Und durch diese andere Schülermischung, eben nicht diese hoch ausgelesene Schülerschaft, ist es uns gelungen, und durch eine stärkere Individualisierung des Unterrichts ist es uns gelungen, den unterschiedlichen Gruppen und den unterschiedlichen Individuen in der Schule gerecht zu werden und eine andere, positivere Lernatmosphäre herzustellen.
Hettinger: Bruno Preisendörfer, Sie nicken zu den Worten von Jens Großpietsch. Ist es wirklich so einfach, dass man sagt, ich vermittle den Eltern, hier, das ist kein Abstellgleis, das ist eben keine Restschule, und schon funktioniert es?
Preisendörfer: Na, einfach ist das sicherlich nicht. Nur es bleibt ja keine andere Möglichkeit. Es muss auch wirklich deutlich gesagt werden, bei aller strukturellen Kritik, die immer wieder auch geäußert werden muss, das Lehrerbashing muss aufhören. Es ist wahnsinnig wichtig, Didaktik, Pädagogik muss sich wieder lohnen, um einen Slogan aus einem anderen Bereich zu übertragen. Diese Menschen, die den Mumm haben und auch die Kompetenz haben, da an vorderster Front, um mich militaristisch auszudrücken, da pädagogische Arbeit zu leisten, Hut ab, großer Respekt vor diesen Leuten, die sich da einsetzen. Und das führt dann auch zu Erfolgen.
Das ist viel, viel wichtiger als administrative Diskussionen und wissenschaftliche Auseinandersetzungen. Es geht immer um die Arbeit an der pädagogischen Klassenlage und Klassenfront. Das heißt natürlich nicht, dass die Sachen auch durchreflektiert werden müssen. Denn die Probleme, die an einer Schule gelöst werden, die hören ja dann strukturell-gesellschaftlich deshalb nicht auf zu bestehen. Das ist natürlich dann ein Aufruf zur Weiterarbeit.
Hettinger: Herr Großpietsch, an Ihrer Schule in Berlin-Moabit ist das mit Sicherheit auch eine große Herausforderung, dass man die Lehrer motiviert, hier auch entsprechende Angebote zu machen, aktiv auf diese Schüler zugeht. Aber wenn man bedenkt, die Schüler sind ungefähr so, wie wir in diesem kleinen Beitrag vornweg gehört haben mit offensiver, aggressiver Geste, kommt es überhaupt an, dieser pädagogische Einsatz?
Großpietsch: Die Schüler sind nicht mit einer offensiven, aggressiven Geste. Das ist eher wirklich die Ausnahme. Schüler wollen lernen. Nur sie müssen herausgefordert werden, und sie müssen den ehrlichen Eindruck haben, dass die Lehrer sich auf die Schüler einlassen, sie mögen, mal ganz einfach gesagt, und dass die Forderungen, die an die Schüler gestellt werden, von den Schülern auch tatsächlich erreicht werden. Nicht zu wenig, sondern jeder springt nur so hoch, wie er kann. Aber liegt die Latte zu hoch, geht man unten durch. Das heißt, man muss auf den Einzelnen schauen mit Zuwendung und ihn herausfordern.
Hettinger: Bruno Preisendörfer, Sie haben gesagt, dass allein das strukturelle Gebastel von der Politik nicht viel hilft. Aber werfen wir dennoch mal einen Blick auf diesen Bereich. Welche Rolle spielt die Bildungspolitik? Wir reden ja alle von Bildungsgerechtigkeit, aber die Schere scheint ja aufzugehen.
Preisendörfer: Ja, die Schere geht weiter auf. Es ist allerdings wirklich so, es sind ja soziale Probleme in der Gesellschaft insgesamt. Man kann jetzt nicht sagen, dass bestimmte strukturelle Probleme in der Gesellschaft insgesamt durch Bildungspolitik vorbereitend oder auch nacharbeitend gelöst werden kann. Das ist sehr, sehr wichtig. Bildungspolitik hat eingebettet (zu) sein in eine Gesellschaftspolitik. Das ist sehr wichtig.
Dann muss klargemacht werden, dass Bildungspolitik zu tun hat mit einem Recht auf Bildung. Das kann man nicht oft genug wiederholen, ein Bürgerrecht auf Bildung, was immer wieder betont werden muss. Und diese Dinge müssen dann in den einzelnen Ländern, das ist ja dann immer sehr unterschiedlich, in den einzelnen Schulen ist es noch einmal unterschiedlich, in den einzelnen Stadtteilen, je nach Problemlage, müssen die Sachen dann runtergebrochen werden, wie es im Politikerdeutsch heißt. Man braucht einen Rahmen, der aber flexibel ausgearbeitet und dann noch flexibler ausgefüllt werden muss im Alltag.
Hettinger: Das heißt, die Frage, hat die Hauptschule noch eine Zukunft, würden Sie mit Ja beantworten?
Preisendörfer: (…) Es läuft seit 30, 40 Jahren, wie ich vorhin gesagt habe und vermutlich geht es vielleicht noch 10, 15 Jahre weiter. Aber wenn ich nicht meine Meinung sage, sondern meine Einschätzung, würde ich sagen, dass in 10, 15 Jahren die Hauptschule als einzelne für sich bestehende Schulform vermutlich nicht mehr geben wird. Das ist meine Einschätzung.
Hettinger: Herr Großpietsch, sehen Sie das genauso?
Großpietsch: Ich glaube, es sind zwei Seiten einer Medaille. Man muss die Schulstruktur in Deutschland ändern. Und man muss die Pädagogik vor Ort weitgehend noch stärker individualisieren und die Hinwendung zum Einzelnen stärker in den Mittelpunkt rücken. Und dieses sind für mich zwei Seiten einer Medaille. Man wird in Deutschland die Gymnasien nicht abschaffen können, eher das Biertrinken und das Fußballspielen. Aber es gibt ja auch dazwischen noch eine Reihe von Lösungen.
Nur die Hauptschule gehört morgen abgeschafft. Das ist eine Schule, die kann nicht gehen. Wenn ich so eine negativ hoch ausgelesene Schülerschaft habe, dann können die Kollegen auch pädagogisch noch so viel Engagement bringen, das kann nichts werden.
Hettinger: Vielen Dank, Jens Großpietsch, Leiter der Heinrich-von-Stephan-Schule in Berlin-Moabit und Bruno Preisendörfer, hier im Studio, der Autor des Buches "Das Bildungsprivileg - Warum Chancengleichheit unerwünscht ist".
Zuvor Eindrücke aus Berliner Hauptschulen, gesammelt von Jens Rosbach: ( Beitrag als MP3-Audio )
Hier im Studio von Deutschlandradio Kultur ist Bruno Preisendörfer, der Autor des Buches "Die Bildungsfalle", am Telefon Jens Großpietsch, der Leiter der Heinrich-von-Stephan-Oberschule in Berlin-Moabit. Schönen guten Morgen, meine Herren!
Bruno Preisendörfer: Guten Morgen!
Jens Großpietsch: Guten Morgen!
Hettinger: Herr Preisendörfer, da war ja einiges zu hören in diesem Beitrag, eine große Aggressivität an Hauptschulen, Konflikte zwischen deutschen Schülern und solchen mit Migrationshintergrund, wie man immer so schön sagt. Das führt dazu, dass letztlich kein regulärer Unterricht mehr möglich ist, dass die Hauptschule zum Abstellgleis wird. Da stellt sich natürlich auch die Frage nach der Henne und dem Ei. Was war zuerst da? Wie bedingt das einander?
Preisendörfer: Ja, erlauben Sie mir zuerst eine kleine Korrektur. Das Buch, das ich geschrieben habe, heißt nicht "Die Bildungsfalle".
Hettinger: Oh, Entschuldigung!
Preisendörfer: Sondern "Das Bildungsprivileg". Das ist wichtig, nicht aus Eitelkeit, sondern weil es natürlich sachlich ein erheblicher Unterschied ist, ob man von Bildung als Privileg oder als Falle spricht. Das vorweg.
Was die Hauptschule als "Restschule" angeht, ist ja interessant, dass die Hauptschule, der Begriff "Restschule" ist Jahrgang 1964. 1964 wurde die Volksschule, die damalige Volksschule, zur Hauptschule veredelt, und im gleichen Jahr tauchte zum ersten Mal in einem Expertengremium der Begriff Restschule auf. Die Restschule ist so alt wie die Hauptschule. Und das ist eben seit vier Jahrzehnten so.
Bereits zehn Jahre später, Mitte der 70er Jahre, wurde zum ersten Mal die Abschaffung der Hauptschule gefordert, vor über 30 Jahren. Das ist also ein Problem, was eine ganz lange Kontinuität hat, was jahrzehntelang, buchstäblich jahrzehntelang dramatisch vernachlässigt wurde und erst durch diesen medialen Superhype, Schock, durch Pisa hat sich die Politik und auch die Lehrer und die Schüler und die Schulleitungen mit diesem Problem neu und ernsthafter befasst. Und es ist jetzt zu hoffen, dass auf allen Ebenen an dem Drama gearbeitet wird, um es wenigstens zu mildern, lösen wird man es vermutlich nicht können.
Hettinger: Herr Großpietsch, Bruno Preisendörfer hat eben auch von einem medialen Hype gesprochen. Eben im Beitrag war zu hören, was macht man, wenn Lehrer Morddrohungen bekommen. Wie erleben Sie das als Leiter einer Hauptschule, der Heinrich-von-Stephan-Hauptschule in Berlin-Moabit? Ist das trauriger Alltag, oder sind das Spitzen, die medial überhöht werden?
Großpietsch: Das sind mit Sicherheit Spitzen, auf die die Medien gerne zugehen, weil das interessant ist, der Alltag interessiert eher weniger. Wir sind eine integrierte Haupt- und Realschule. Wir waren bis vor acht Jahren eine reine Hauptschule, und da war die Situation schon schwieriger. Ohne Zweifel ist die Situation an üblichen Hauptschulen entschieden schwieriger als an anderen Schulen. In Berlin gehen ganze vier Prozent der Schülerschaft nach der sechsten Klasse freiwillig auf eine Hauptschule.
Hettinger: Das ist natürlich enorm. Ihre Heinrich-von-Stephan-Schule gilt als Beispiel, wie sich eine schlecht beleumundete Schule wieder aufrappeln kann. Wie konkret haben Sie das gemacht?
Großpietsch: Vor acht Jahren haben wir die Chance bekommen, auf unsere Initiative hin integrierte Haupt-/Realschule zu werden. Also Haupt- und Realschüler sind in einer Klasse und die Herausforderung war, auch den Eltern der leistungsstärkeren Schülern deutlich zu machen, dass die bei uns gut aufgehoben sind. Und das funktioniert durch Individualisierung. Und in den letzen Jahren hatten wir nie Probleme, genug realschulempfohlene Schülerinnen und Schüler an die Schule zu bekommen.
Und durch diese andere Schülermischung, eben nicht diese hoch ausgelesene Schülerschaft, ist es uns gelungen, und durch eine stärkere Individualisierung des Unterrichts ist es uns gelungen, den unterschiedlichen Gruppen und den unterschiedlichen Individuen in der Schule gerecht zu werden und eine andere, positivere Lernatmosphäre herzustellen.
Hettinger: Bruno Preisendörfer, Sie nicken zu den Worten von Jens Großpietsch. Ist es wirklich so einfach, dass man sagt, ich vermittle den Eltern, hier, das ist kein Abstellgleis, das ist eben keine Restschule, und schon funktioniert es?
Preisendörfer: Na, einfach ist das sicherlich nicht. Nur es bleibt ja keine andere Möglichkeit. Es muss auch wirklich deutlich gesagt werden, bei aller strukturellen Kritik, die immer wieder auch geäußert werden muss, das Lehrerbashing muss aufhören. Es ist wahnsinnig wichtig, Didaktik, Pädagogik muss sich wieder lohnen, um einen Slogan aus einem anderen Bereich zu übertragen. Diese Menschen, die den Mumm haben und auch die Kompetenz haben, da an vorderster Front, um mich militaristisch auszudrücken, da pädagogische Arbeit zu leisten, Hut ab, großer Respekt vor diesen Leuten, die sich da einsetzen. Und das führt dann auch zu Erfolgen.
Das ist viel, viel wichtiger als administrative Diskussionen und wissenschaftliche Auseinandersetzungen. Es geht immer um die Arbeit an der pädagogischen Klassenlage und Klassenfront. Das heißt natürlich nicht, dass die Sachen auch durchreflektiert werden müssen. Denn die Probleme, die an einer Schule gelöst werden, die hören ja dann strukturell-gesellschaftlich deshalb nicht auf zu bestehen. Das ist natürlich dann ein Aufruf zur Weiterarbeit.
Hettinger: Herr Großpietsch, an Ihrer Schule in Berlin-Moabit ist das mit Sicherheit auch eine große Herausforderung, dass man die Lehrer motiviert, hier auch entsprechende Angebote zu machen, aktiv auf diese Schüler zugeht. Aber wenn man bedenkt, die Schüler sind ungefähr so, wie wir in diesem kleinen Beitrag vornweg gehört haben mit offensiver, aggressiver Geste, kommt es überhaupt an, dieser pädagogische Einsatz?
Großpietsch: Die Schüler sind nicht mit einer offensiven, aggressiven Geste. Das ist eher wirklich die Ausnahme. Schüler wollen lernen. Nur sie müssen herausgefordert werden, und sie müssen den ehrlichen Eindruck haben, dass die Lehrer sich auf die Schüler einlassen, sie mögen, mal ganz einfach gesagt, und dass die Forderungen, die an die Schüler gestellt werden, von den Schülern auch tatsächlich erreicht werden. Nicht zu wenig, sondern jeder springt nur so hoch, wie er kann. Aber liegt die Latte zu hoch, geht man unten durch. Das heißt, man muss auf den Einzelnen schauen mit Zuwendung und ihn herausfordern.
Hettinger: Bruno Preisendörfer, Sie haben gesagt, dass allein das strukturelle Gebastel von der Politik nicht viel hilft. Aber werfen wir dennoch mal einen Blick auf diesen Bereich. Welche Rolle spielt die Bildungspolitik? Wir reden ja alle von Bildungsgerechtigkeit, aber die Schere scheint ja aufzugehen.
Preisendörfer: Ja, die Schere geht weiter auf. Es ist allerdings wirklich so, es sind ja soziale Probleme in der Gesellschaft insgesamt. Man kann jetzt nicht sagen, dass bestimmte strukturelle Probleme in der Gesellschaft insgesamt durch Bildungspolitik vorbereitend oder auch nacharbeitend gelöst werden kann. Das ist sehr, sehr wichtig. Bildungspolitik hat eingebettet (zu) sein in eine Gesellschaftspolitik. Das ist sehr wichtig.
Dann muss klargemacht werden, dass Bildungspolitik zu tun hat mit einem Recht auf Bildung. Das kann man nicht oft genug wiederholen, ein Bürgerrecht auf Bildung, was immer wieder betont werden muss. Und diese Dinge müssen dann in den einzelnen Ländern, das ist ja dann immer sehr unterschiedlich, in den einzelnen Schulen ist es noch einmal unterschiedlich, in den einzelnen Stadtteilen, je nach Problemlage, müssen die Sachen dann runtergebrochen werden, wie es im Politikerdeutsch heißt. Man braucht einen Rahmen, der aber flexibel ausgearbeitet und dann noch flexibler ausgefüllt werden muss im Alltag.
Hettinger: Das heißt, die Frage, hat die Hauptschule noch eine Zukunft, würden Sie mit Ja beantworten?
Preisendörfer: (…) Es läuft seit 30, 40 Jahren, wie ich vorhin gesagt habe und vermutlich geht es vielleicht noch 10, 15 Jahre weiter. Aber wenn ich nicht meine Meinung sage, sondern meine Einschätzung, würde ich sagen, dass in 10, 15 Jahren die Hauptschule als einzelne für sich bestehende Schulform vermutlich nicht mehr geben wird. Das ist meine Einschätzung.
Hettinger: Herr Großpietsch, sehen Sie das genauso?
Großpietsch: Ich glaube, es sind zwei Seiten einer Medaille. Man muss die Schulstruktur in Deutschland ändern. Und man muss die Pädagogik vor Ort weitgehend noch stärker individualisieren und die Hinwendung zum Einzelnen stärker in den Mittelpunkt rücken. Und dieses sind für mich zwei Seiten einer Medaille. Man wird in Deutschland die Gymnasien nicht abschaffen können, eher das Biertrinken und das Fußballspielen. Aber es gibt ja auch dazwischen noch eine Reihe von Lösungen.
Nur die Hauptschule gehört morgen abgeschafft. Das ist eine Schule, die kann nicht gehen. Wenn ich so eine negativ hoch ausgelesene Schülerschaft habe, dann können die Kollegen auch pädagogisch noch so viel Engagement bringen, das kann nichts werden.
Hettinger: Vielen Dank, Jens Großpietsch, Leiter der Heinrich-von-Stephan-Schule in Berlin-Moabit und Bruno Preisendörfer, hier im Studio, der Autor des Buches "Das Bildungsprivileg - Warum Chancengleichheit unerwünscht ist".