Die heilige Quelle von Marienborn

Von Peter Kaiser |
Kennen Sie Marienborn? Ja genau, dieser frühere Grenzübergang zwischen Bundesrepublik und DDR, aus dem heute die Gedenkstätte Deutsche Teilung geworden ist. Marienborn ist zugleich der älteste Wallfahrtsort in Deutschland.
Der kleine Ort hat eine Quelle, der seit dem 12. Jahrhundert Heilwirkung zugeschrieben wird. Bis heute pilgern Kranke, Gläubige und Trostsuchende hierher, um von dem berühmten Wasser zu trinken.

Schritte zur Kapelle in Marienborn. Führerin Erika Kiewitt spricht dabei:

"Und … ein Mann im Rollstuhl, na ja, von Hannover, er ist das erste Mal, natürlich, seine Frau hat ihm geholfen, das erste Mal ein paar Schritte gegangen."

Jetzt wird die Kapelle aufgeschlossen.

"Wenn ich das nicht gesehen hätte, ich würde das nicht glauben. Aber wirklich …"

Frau Kiewitt geht hinein.

"Ja, ja, er hat hier sein Wasser getrunken, hatte hier gebetet, mit seiner Frau. Und dann ist er aufgestanden, hat sie am Arm gefasst, und sie sind dann bis zum Rollstuhl gegangen. Und das habe ich gesehen. Also das ist öfter …"

Leises Plätschern der Quelle im Hintergrund

Die 83-jährige Erika Kiewitt ist sozusagen die Hüterin des Schlüssels zur Marienborner Kapelle. Sie berichtet von den "Wundern", die sie in der kühlen Kapelle erlebt hat. Auch Marienerscheinungen haben manche Menschen hier schon gehabt.

"Ja, sie haben die Augen zu, und sie sehen sie vor sich …"

Den meisten Menschen ist das rund 500 Einwohner zählende Marienborn noch immer als das Dorf beim einst größten Grenzübergang von der EX-DDR-Transitstrecke zur BRD bekannt.

Geschichtsträchtig ist der Ort aber nicht erst seit dem Kalten Krieg. Marienborn liegt im einem alten Klostergebiet. Über 70 Augustinerinnen lebten von 1224 bis 1810 hier. Eine mächtige romanische Wallfahrtskirche mit den Klosterzellen, und einem dem Künstler Tilman Riemenschneider zugeschriebenen Schnitzaltar zeugen noch heute davon. Doch das kleine Dorf Marienborn hat noch mehr zu bieten.

"Marienborn ist der älteste Wallfahrtsort Deutschlands."

Ursprünglich hieß Marienborn Mordthal, weil in diesem dunklen Lappwalder Flecken Böses geschah. Die Namensänderung geht auf ein Erlebnis zurück, das der Überlieferung nach ein Hirte namens Conrad im Jahr 1106 an diesem Ort hatte.

"Der weidete hier seine Schafe. Und da sah er, wie Frauen mit brennenden Fackeln zu alten Eiche gingen, nahe eines Brunnens, sich verneigten und beteten. Und diese alte Eiche stand hinter der Kapelle bis 1956, war schon mit Ketten gesichert, und fiel dann doch einem Gewitter zum Opfer. Dann trieb der Schäfer seine Schafe zu diesem Brunnen, um sie zu tränken."

Doch die Tiere schreckten vor dem Wasser zurück.

"Also hat es diese Bedeutung, das Wasser ist nicht für das Vieh bestimmt, sondern für die Menschen."

Und Conrad, der Schäfer, nickte wieder ein.

"Dann sah er im Traum, wie Maria ihren Sohn bat, er möchte ihr doch diesen Ort schenken, so lange die Welt besteht. Dass man seine Sorgen und Bitten hier vortragen kann. Dann stieg sie in den Brunnen, und der Sohn danach …"

Conrad träumte, dass Engel eine Marienstatue im Born, also im Brunnen versenkten und ein Kreuz über den Brunnen hielten.

"…. und somit ist es gesegnetes Wasser."

Im Jahr 1190 wurde über der Quelle eine kleine Kapelle errichtet. In der Kapelle steht heute eine Marienstatue aus weißem Alabaster. Rechts und links der großen Statue sind Bänke zur stillen Einkehr.

"Das ist die Quelle?"

"Ja. Aus dem 12. Jahrhundert."

Draußen sprudelt das Heilige Wasser aus einer Leitung, drinnen ist die Quelle selbst mit einer Glasplatte abgedeckt. Die mystische Stille des Ortes und natürlich das Wasser spenden seit je her Trost und Hoffnung, und auch Heilung, sagt Erika Kiewitt auf dem Weg zurück zur Wallfahrtskirche.

Schritte jetzt.

"Wenn so Kinder an Krebs erkrankt sind, und die fallen hier auf Knien und beten, und wenn es ihnen nachher besser geht, dann danken sie."

Am Ende des Besuchs zeigt Frau Kiewitt, was sie selten zeigt. Sicher geborgen unter einer Glasglocke, etwa 15 Zentimeter groß - die in Conrads Traum im Brunnen versenkte Marienstatue.

"Die wurde in dem Brunnen im 12. Jahrhundert gefunden."

Allein der Anblick der Statue macht die Reise nach Marienborn lohnenswert. Aus Holz ist sie, braun, beige, rot, rissig und alt. Und zerfurcht überall, zerkratzt auch - als hätten die Nöte, Sorgen und Bitten der Menschen, die sie seit über 800 Jahren in Marienborn besuchen, ihre Spuren hinterlassen. Nur selten wird kostbare Marienstatue gezeigt, meist ist, sagt Erika Kiewitt.

"Beim Pfarrer im Archiv, oder sie ist zu Ausstellungen."