Die heilige Rechtfertigung von weltlicher Gewalt
Die Wahrheit hinter der Parole vom "Kreuzzug" ist komplex und widersprüchlich. Denn auch wenn die Kreuzzüge einst eine heilige Rechtfertigung hatten - am Ende ging es um weltliche Dinge. So lautet das Resümee von Jonathan Philipps' Werk über die Kreuzzüge.
Als der US-Präsident George W. Bush nach den Attentaten vom 11. September 2001 einen "Kreuzzug" gegen den Terrorismus ankündigte, wurde das als unangemessene Provokation der muslimischen Welt kritisiert. Damals gewann auch die von Samuel Huntington schon 1993 veröffentliche These vom "Kampf der Zivilisationen" Brisanz. In den folgenden zehn Jahren aber hat sich die Parallele zwischen Postmoderne und Mittelalter als gar nicht so abwegig erwiesen, wie sie zunächst empfunden wurde.
Heute wie damals wurde die einheitliche Frontbildung zwar mit großem rhetorischem und moralischem Nachdruck beschworen, aber nur selten erreicht. Der Londoner Historiker Jonathan Phillips zeigt in seiner Geschichte der Kreuzzüge, dass schon der "Heilige Krieg" des Mittelalters sehr viel komplexer und widersprüchlicher war als es dessen theologische Legitimation vermuten ließe:
"Freundschaften und Bündnisse zwischen Christen und Muslimen; Triumphe der Diplomatie, nicht des Schwertes; Kreuzzüge gegen Christen und Aufrufe zum Dschihad gegen Muslime. Alles in allem birgt diese facettenreiche Beziehung das Potential zu einer tieferen Darstellung als die herkömmlichen Schilderungen, die sich auf das beiderseitige Blutvergießen beschränken."
Phillips durchleuchtet diese "facettenreiche Beziehung" anhand von Detaildarstellungen, die neben den legendären Protagonisten wie Richard Löwenherz und Saladin auch Gestalten wie den muslimischen Gelehrten Usama ibn Munqidh erfassen. Der schilderte in seinem Buch "Kitab al-I'tibar" persönliche Erfahrungen mit den als "Franken" bezeichneten Kreuzfahrern.
Philipps zitiert eine Szene, in dem ein fränkischer Neuankömmling Usama bei seinen Gebeten in der Al-Aqsa-Moschee gestört habe und darauf von christlichen Tempelrittern hinausbefördert worden sei, die sich für dessen Verhalten entschuldigt hätten. Usama ließ deshalb zwar keine Zweifel daran, dass die muslimische Kultur für ihn der christlichen überlegen war, doch hielt er die Christen für bildungsfähig:
"Alle Franken, die erst seit kurzem ihr Land verlassen haben, sind roher in ihrem Wesen als jene, die sich schon an unser Land gewöhnt haben und mit den Muslimen Umgang pflegen."
So hatte sich Papst Urban II. den erzieherischen Charakter der Kreuzzüge nicht vorgestellt, als er 1095 im französischen Clermont eine begeisterte Menge zum Beistand für die von Ungläubigen drangsalierten Glaubensbrüder im Osten aufforderte. Doch zu den Problemen innerhalb Westeuropas, die das Kirchenoberhaupt damit laut Philipps lösen wollte, zählte vor allem auch die Gewalttätigkeit jener weltlichen Herren, die das Rückrat der Kreuzzüge bilden sollten.
Den Rittern Europas, die sich nicht nur aus kirchlicher Sicht zu einer Landplage ausgewachsen hatten, bot Urbans Aufruf zum Kreuzzug Gelegenheit zugleich als Helden und Pilger, als Räuber und fromme Christen zu reüssieren, die weltliche Beute mit der Vergebung aller Sünden zu verbinden. Im Zeichen des Kreuzes wurde so ein beträchtliches Gewaltpotential diszipliniert, der Kirche unterstellt und ins Heilige Land hin abgeleitet.
Eine neue Geschichte der Kreuzzüge"Zumindest in der Theorie. In der von Philipps beschriebenen Praxis jedoch ließ sich der einmal ausgerufene Krieg von geistlichen Herren kaum beherrschen. Zehntausende von Kreuzfahrern rund ums Mittelmeer oder auf dem Seeweg ans Ziel zu führen, erforderte enormen Aufwand. Einmal mobilisiert, tobten sich Heerhaufen auch gegen Juden im eigenen Lande aus oder plünderten im Rahmen des Vierten Kreuzzuges 1204 Konstantinopel und fügten den orthodoxen Christen damit eine bis heute nicht verheilte Wunde zu.
Einmal erfolgreich etabliert, blieben die Kreuzzüge nicht auf das Heilige Land beschränkt, sondern richteten sich gegen Muslime in Spanien, heidnische Slawen im Nordosten Europas, gegen Ketzer wie die Katarer und endlich selbst gegen jene Tempelritter, deren Ordensgründer zur Avantgarde der bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem gezählt hatten.
Im Heiligen Land selbst durchlebten die zu Kolonisatoren gewordenen Kreuzfahrer eine wechselvolle Geschichte, aus der Philipps das Schicksal der Königin Melisande von Jerusalem hervorhebt, die sich mit Klugheit und Ausdauer gegen die männliche Vorherrschaft in politischen und religiösen Belangen durchsetzte. Herausragend kommt auch das diplomatische Geschick zum Tragen, mit dem der vom Papst exkommunizierte Kaiser Friedrich II. im März 1229 in Jerusalem einzog, ohne dabei, wie seine Vorgänger, Ströme von Blut zu vergießen.
Wie beim muslimischen Herrscher Saladin zeichnet Philipps in Friedrich II. das Bild eines Menschen, der die unbarmherzige Logik der Glaubenskonfrontation zu durchbrechen verstand. Der Abschluss seines Kapitels über den Fünften Kreuzzug zitiert den Grabspruch des Kaisers in der Kathedrale von Palermo:
"Wenn redlicher Sinn, wenn Klugheit, Verstand und Gewinn, wenn adliges Walten, dem Tod könnt Widerpart halten, wär' niemals verschieden Herr Friedrich. Er ruht hier in Frieden."
Es sind durchaus weltliche Tugenden, die Herrn Friedrich hier nachgesagt werden. Und wenn sie dem Tod nicht haben Widerpart halten können, so immerhin manchen weltlichen Motiven, aus denen heraus Kreuzzüge auch geführt wurden. In der langen Nachgeschichte der eigentlichen Kreuzzüge zeigt Phillips, wie aus Wallfahrern Eroberer wurden:
"Der Kreuzzug wurde ursprünglich, in vieler Hinsicht, als defensives Konzept entwickelt und gerechtfertigt, doch seine Nachfolger, etwa der Kolonialismus, waren schamlos aggressiv und haben nur wenig mit dem Original gemein."
So heilig auch die Rechtfertigung eines Krieges einst gewesen sein mag - am Ende geht es um weltliche Dinge. Das ist die Wahrheit hinter der Parole vom "Kreuzzug", die uns Jonathan Philipps in einem Buch enthüllt, in dem man viel Klugheit, Verstand und Gewinn finden kann.
Jonathan Phillips: Heiliger Krieg. Eine neue Geschichte der Kreuzzüge.
Aus dem Englischen übersetzt von Norbert Juraschitz
Deutsche Verlagsanstalt, München 2011. 640 Seiten, 29,99 Euro
Heute wie damals wurde die einheitliche Frontbildung zwar mit großem rhetorischem und moralischem Nachdruck beschworen, aber nur selten erreicht. Der Londoner Historiker Jonathan Phillips zeigt in seiner Geschichte der Kreuzzüge, dass schon der "Heilige Krieg" des Mittelalters sehr viel komplexer und widersprüchlicher war als es dessen theologische Legitimation vermuten ließe:
"Freundschaften und Bündnisse zwischen Christen und Muslimen; Triumphe der Diplomatie, nicht des Schwertes; Kreuzzüge gegen Christen und Aufrufe zum Dschihad gegen Muslime. Alles in allem birgt diese facettenreiche Beziehung das Potential zu einer tieferen Darstellung als die herkömmlichen Schilderungen, die sich auf das beiderseitige Blutvergießen beschränken."
Phillips durchleuchtet diese "facettenreiche Beziehung" anhand von Detaildarstellungen, die neben den legendären Protagonisten wie Richard Löwenherz und Saladin auch Gestalten wie den muslimischen Gelehrten Usama ibn Munqidh erfassen. Der schilderte in seinem Buch "Kitab al-I'tibar" persönliche Erfahrungen mit den als "Franken" bezeichneten Kreuzfahrern.
Philipps zitiert eine Szene, in dem ein fränkischer Neuankömmling Usama bei seinen Gebeten in der Al-Aqsa-Moschee gestört habe und darauf von christlichen Tempelrittern hinausbefördert worden sei, die sich für dessen Verhalten entschuldigt hätten. Usama ließ deshalb zwar keine Zweifel daran, dass die muslimische Kultur für ihn der christlichen überlegen war, doch hielt er die Christen für bildungsfähig:
"Alle Franken, die erst seit kurzem ihr Land verlassen haben, sind roher in ihrem Wesen als jene, die sich schon an unser Land gewöhnt haben und mit den Muslimen Umgang pflegen."
So hatte sich Papst Urban II. den erzieherischen Charakter der Kreuzzüge nicht vorgestellt, als er 1095 im französischen Clermont eine begeisterte Menge zum Beistand für die von Ungläubigen drangsalierten Glaubensbrüder im Osten aufforderte. Doch zu den Problemen innerhalb Westeuropas, die das Kirchenoberhaupt damit laut Philipps lösen wollte, zählte vor allem auch die Gewalttätigkeit jener weltlichen Herren, die das Rückrat der Kreuzzüge bilden sollten.
Den Rittern Europas, die sich nicht nur aus kirchlicher Sicht zu einer Landplage ausgewachsen hatten, bot Urbans Aufruf zum Kreuzzug Gelegenheit zugleich als Helden und Pilger, als Räuber und fromme Christen zu reüssieren, die weltliche Beute mit der Vergebung aller Sünden zu verbinden. Im Zeichen des Kreuzes wurde so ein beträchtliches Gewaltpotential diszipliniert, der Kirche unterstellt und ins Heilige Land hin abgeleitet.
Eine neue Geschichte der Kreuzzüge"Zumindest in der Theorie. In der von Philipps beschriebenen Praxis jedoch ließ sich der einmal ausgerufene Krieg von geistlichen Herren kaum beherrschen. Zehntausende von Kreuzfahrern rund ums Mittelmeer oder auf dem Seeweg ans Ziel zu führen, erforderte enormen Aufwand. Einmal mobilisiert, tobten sich Heerhaufen auch gegen Juden im eigenen Lande aus oder plünderten im Rahmen des Vierten Kreuzzuges 1204 Konstantinopel und fügten den orthodoxen Christen damit eine bis heute nicht verheilte Wunde zu.
Einmal erfolgreich etabliert, blieben die Kreuzzüge nicht auf das Heilige Land beschränkt, sondern richteten sich gegen Muslime in Spanien, heidnische Slawen im Nordosten Europas, gegen Ketzer wie die Katarer und endlich selbst gegen jene Tempelritter, deren Ordensgründer zur Avantgarde der bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem gezählt hatten.
Im Heiligen Land selbst durchlebten die zu Kolonisatoren gewordenen Kreuzfahrer eine wechselvolle Geschichte, aus der Philipps das Schicksal der Königin Melisande von Jerusalem hervorhebt, die sich mit Klugheit und Ausdauer gegen die männliche Vorherrschaft in politischen und religiösen Belangen durchsetzte. Herausragend kommt auch das diplomatische Geschick zum Tragen, mit dem der vom Papst exkommunizierte Kaiser Friedrich II. im März 1229 in Jerusalem einzog, ohne dabei, wie seine Vorgänger, Ströme von Blut zu vergießen.
Wie beim muslimischen Herrscher Saladin zeichnet Philipps in Friedrich II. das Bild eines Menschen, der die unbarmherzige Logik der Glaubenskonfrontation zu durchbrechen verstand. Der Abschluss seines Kapitels über den Fünften Kreuzzug zitiert den Grabspruch des Kaisers in der Kathedrale von Palermo:
"Wenn redlicher Sinn, wenn Klugheit, Verstand und Gewinn, wenn adliges Walten, dem Tod könnt Widerpart halten, wär' niemals verschieden Herr Friedrich. Er ruht hier in Frieden."
Es sind durchaus weltliche Tugenden, die Herrn Friedrich hier nachgesagt werden. Und wenn sie dem Tod nicht haben Widerpart halten können, so immerhin manchen weltlichen Motiven, aus denen heraus Kreuzzüge auch geführt wurden. In der langen Nachgeschichte der eigentlichen Kreuzzüge zeigt Phillips, wie aus Wallfahrern Eroberer wurden:
"Der Kreuzzug wurde ursprünglich, in vieler Hinsicht, als defensives Konzept entwickelt und gerechtfertigt, doch seine Nachfolger, etwa der Kolonialismus, waren schamlos aggressiv und haben nur wenig mit dem Original gemein."
So heilig auch die Rechtfertigung eines Krieges einst gewesen sein mag - am Ende geht es um weltliche Dinge. Das ist die Wahrheit hinter der Parole vom "Kreuzzug", die uns Jonathan Philipps in einem Buch enthüllt, in dem man viel Klugheit, Verstand und Gewinn finden kann.
Jonathan Phillips: Heiliger Krieg. Eine neue Geschichte der Kreuzzüge.
Aus dem Englischen übersetzt von Norbert Juraschitz
Deutsche Verlagsanstalt, München 2011. 640 Seiten, 29,99 Euro