Die Heimkehr der Herero-Schädel
20 Schädel übergibt die Berliner Charité an die Nachfahren der Opfer der deutschen Kolonialherren im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika. Johanna Kahatjipara ist Mitglied der Delegation aus Namibia. Im Interview erzählt sie vom Leid ihrer Vorfahren.
Matthias Hanselmann: Johanna Kahatjipara ist Mitglied der Delegation aus Namibia, ich habe vor der Sendung mit ihr gesprochen und sie zunächst gefragt, mit welchen Eindrücken sie gerade zu uns ins Studio kommt, was sie denn gerade in der Charité erlebt hat.
Johanna Kahatjipara: Ja, ich komme jetzt wirklich aus der Charité, und ich kann kurz erzählen, was dort passiert ist. Aber erst mal möchte ich einen kleinen Dank richten an unseren Botschafter für den feierlichen Moment, den er uns erlaubt hat, dort zu erleben. Es war für unsere Delegation der erste Kontakt, den wir zu den Schädeln unserer Vorfahren aufnehmen konnten. Das war ein besonderer Moment, und es sind Leute verschiedenen Glaubens dort zusammengekommen, es sind Herero und Nama zusammengekommen. Und wir haben das ganze angefangen mit einem Lied und einem gemeinsamen Gebet, und dann gab es sozusagen die Bekanntgabe an die Gebeine unserer Vorfahren, an die Schädel, die dort lagen, dass wir hier sind, und wir haben sie darüber informiert, dass wir sie mitnehmen werden, dass jetzt die Zeit gekommen ist, dass sie nach Hause kehren können und dass sie in Begleitung nach Hause gehen können, dass jetzt ihre Zeit gekommen ist, dass ihre Geister in Frieden ruhen können, dass der Transport nach Namibia nicht erfolgen wird wie damals nach Deutschland, sondern dass ihre Nachkommen anwesend sind, dass wir sie begleiten zurück nach Hause, dort, wo sie wiedervereint sein werden mit ihren Vorfahren, ihren Müttern und Vätern in Namibia, in ihrem Mutterland, im Land der Mutigen und Tapferen.
Hanselmann: Ist einer der Schädel, die Sie mit zurücknehmen nach Namibia, einer von den persönlichen Verwandten von Ihnen?
Kahatjipara: Damals hat meine Tante mir gesagt, dass ihr Uronkel – der war auch geköpft worden. Und jetzt weiß man nicht, ich glaube, alle Köpfe, die abgeschnitten worden sind, wurden damals mit nach Deutschland genommen. So hat sie auch gesagt, dass der Kopf abgeschnitten und nach Deutschland genommen, um zu schauen, ob Hereroleute überhaupt klug sind so wie die Deutschen, oder warum sie auch so – wie sagt man? – starrsinnig sind.
Hanselmann: Was hat man Ihnen darüber erzählt, was damals Anfang des 20. Jahrhunderts passiert ist in Namibia?
Kahatjipara: Also meine Tante hat erzählt, meine Oma hat nicht viel geredet. Aber man hat manchmal gehört, wenn Sie mit ihren Freunden geredet hat. Aber da bekam man immer gesagt: Kinder, geht raus. Na ja, Kinder sind immer neugierig. Dann hat man etwas gehört, man hat von diesen Köpfen gehört, man hat gehört von Frauen, die den Schädeln mit Glasstücken die Haut wegnehmen sollten und die Köpfe aufkochen, damit die Haut weich werden kann, damit die Haut weggenommen werden kann. Und dann hat man immer gedacht, das ist vielleicht ein Albtraum, vielleicht reden die Eltern nur über ihre Fabeln. Das gibt es nicht, das kann nicht wahr sein. Also hat uns das nicht schockiert, weil wir konnten das nicht verstehen.
Und doch hat meine Tante, als ich elf Jahre alt war, diese Sachen erzählt. Und ich habe immer gefragt: Ist das wahr, Tante, was ich ab und zu höre, wenn ein sicherer alter Onkel und manche Omas – auch meine Oma – uns besuchen, und die reden über diese Sache? Da hat sie gesagt: Es ist wahr! Sie hat es so gesagt, dass sie zwei Pässe rausgeholt und mir gegeben hat zum zeigen. Das ist echt und das ist wahr, die haben einen Pass getragen im Concentration-Camp, die haben nur Nummern gehabt. Diesen Pass habe ich bis heute. Ich kann hier das jetzt auch zeigen, nach diesem Gespräch. So hat sie es mir dann erzählt, und so hat man gefragt, und als man jetzt erwachsen wurde, und das liest in Büchern, sogar geschrieben von deutschen Leuten, dann ist das doch wahr.
Jetzt ist es noch mehr wahr, wenn man die Schädel selber in der Charité gesehen hat. Das war ein Moment der Wahrheit für uns, ein Moment der Bestätigung, dass das, was man immer als Kind gehört hatte, wirklich wahr war. Und das war sehr schmerzhaft, das zu realisieren, es war verletzend und wirklich sehr schmerzhaft. Dieser Moment der Schmerzen, der zeigte sich auch auf den Gesichtern von allen, die das erlebt haben. Und auch ich selbst habe das gespürt. Ich dachte: Wie müssen sich die Mütter gefühlt haben dieser Schädel, dieser Überreste, die erlebt haben, dass die Schädel ihres Sohnes oder ihrer Tochter abgeschlagen worden sind? Wie müssen die sich gefühlt haben, wenn schon ich diesen Schmerz so gespürt habe, alleine in der Vorstellung? I would like to correct: Es ist keine Festlichkeit. Das ist ein Moment der Traurigkeit. Also es ist einfach ein Moment der Trauer, ein Moment der Schmerzen, ein Moment der Wahrheit über dieses Schmerzen.
Hanselmann: Halten Sie es für notwendig, für wichtig, dass die deutsche Regierung sich entschuldigt?
Kahatjipara: Ja, das sollte die deutsche Regierung auf jeden Fall. Wir wollen darüber sprechen. Und das sage ich nicht nur als Herero, sondern für alle in dieser Delegation, und besonders natürlich für mein Komitee (…) und die Frage ist natürlich: Mit wem soll dieser Dialog stattfinden? Mit wem wollen wir sprechen? Wir sind nicht die Regierung der Herero, aber über die Regierung wollen wir in den Dialog treten mit der Regierung. Und wir wollen berichten, wie wir uns fühlen, wie wir verletzt worden sind, was wir durchgemacht haben, wie das die Entwicklung unseres Landes, unseres Volkes beeinflusst hat, wie dieser Völkermord, diese Massaker, dieser Krieg, unser Leben verändert haben. Wenn man sich anguckt, dass Entschädigungen von Deutschland an die Juden gehen, dass jährlich Millionen gezahlt werden, dann fragt man sich, warum das nicht auch an die Herero und die Namas gezahlt wird.
Dann wird argumentiert, dass dieser Völkermord ja stattgefunden hätte, bevor Deutschland den Genfer Konventionen beigetreten ist. Aber wenn ich mich richtig erinnere, war das 1954 bis 55, und das war auch nach den Morden an den Juden. Und was ist der Unterschied, frage ich mich? Liegt das daran, dass wir schwarz sind? Das ist doch die Frage. Wir waren sozusagen die Versuchskaninchen für all diese schrecklichen Dinge, die dort passiert sind, bevor sie das gleiche mit den Juden angestellt haben. Und wir wollen den Dialog, wir wollen den Frieden, aber wir denken, dass das nur geht, wenn wir wirklich uns alle an einen Tisch setzen und noch mal über diesen Schrecken sprechen und feststellen, was für ein Schaden angerichtet worden ist. Und dann können wir natürlich auch über die Entschädigung sprechen.
Hanselmann: Wenn Sie wieder zurück sind in Namibia – das wird in ungefähr einer Woche sein –, was wird dann dort mit den sterblichen Überresten von Ihren Verwandten passieren, was wird mit den Schädeln passieren?
Kahatjipara: Also dort wird unser Prime Minister uns beim Flugplatz empfangen, und danach werden diese Schädel im Museum aufbewahrt.
Hanselmann: Es findet also keine Beerdigung der Schädel statt?
Kahatjipara: Nein, es wird keine Beerdigung stattfinden, da haben alle übereingestimmt, dass sie in ein Museum kommen müssen, weil damit möchten wir auch der neuen Generation zeigen, was passiert ist, dass solche bösen Sachen stattgefunden haben, und das darf nicht wieder passieren – und nicht nur den schwarzen Kindern, sondern allen Namibianern, sogar auch den deutschen Kindern, damit die wissen, was ihre Urgroßeltern gemacht haben mit den anderen, mit den anderen Namibianern, damit diese jungen Leute in Zukunft in Frieden miteinander leben können und vermeiden müssen, dass solche bösen Sachen wiederholt werden.
Hanselmann: Also die Schädel kommen ins Museum als ein Mahnmal gegen den Völkermord.
Kahatjipara: Ja.
Hanselmann: Vielen Dank, Johanna.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Johanna Kahatjipara: Ja, ich komme jetzt wirklich aus der Charité, und ich kann kurz erzählen, was dort passiert ist. Aber erst mal möchte ich einen kleinen Dank richten an unseren Botschafter für den feierlichen Moment, den er uns erlaubt hat, dort zu erleben. Es war für unsere Delegation der erste Kontakt, den wir zu den Schädeln unserer Vorfahren aufnehmen konnten. Das war ein besonderer Moment, und es sind Leute verschiedenen Glaubens dort zusammengekommen, es sind Herero und Nama zusammengekommen. Und wir haben das ganze angefangen mit einem Lied und einem gemeinsamen Gebet, und dann gab es sozusagen die Bekanntgabe an die Gebeine unserer Vorfahren, an die Schädel, die dort lagen, dass wir hier sind, und wir haben sie darüber informiert, dass wir sie mitnehmen werden, dass jetzt die Zeit gekommen ist, dass sie nach Hause kehren können und dass sie in Begleitung nach Hause gehen können, dass jetzt ihre Zeit gekommen ist, dass ihre Geister in Frieden ruhen können, dass der Transport nach Namibia nicht erfolgen wird wie damals nach Deutschland, sondern dass ihre Nachkommen anwesend sind, dass wir sie begleiten zurück nach Hause, dort, wo sie wiedervereint sein werden mit ihren Vorfahren, ihren Müttern und Vätern in Namibia, in ihrem Mutterland, im Land der Mutigen und Tapferen.
Hanselmann: Ist einer der Schädel, die Sie mit zurücknehmen nach Namibia, einer von den persönlichen Verwandten von Ihnen?
Kahatjipara: Damals hat meine Tante mir gesagt, dass ihr Uronkel – der war auch geköpft worden. Und jetzt weiß man nicht, ich glaube, alle Köpfe, die abgeschnitten worden sind, wurden damals mit nach Deutschland genommen. So hat sie auch gesagt, dass der Kopf abgeschnitten und nach Deutschland genommen, um zu schauen, ob Hereroleute überhaupt klug sind so wie die Deutschen, oder warum sie auch so – wie sagt man? – starrsinnig sind.
Hanselmann: Was hat man Ihnen darüber erzählt, was damals Anfang des 20. Jahrhunderts passiert ist in Namibia?
Kahatjipara: Also meine Tante hat erzählt, meine Oma hat nicht viel geredet. Aber man hat manchmal gehört, wenn Sie mit ihren Freunden geredet hat. Aber da bekam man immer gesagt: Kinder, geht raus. Na ja, Kinder sind immer neugierig. Dann hat man etwas gehört, man hat von diesen Köpfen gehört, man hat gehört von Frauen, die den Schädeln mit Glasstücken die Haut wegnehmen sollten und die Köpfe aufkochen, damit die Haut weich werden kann, damit die Haut weggenommen werden kann. Und dann hat man immer gedacht, das ist vielleicht ein Albtraum, vielleicht reden die Eltern nur über ihre Fabeln. Das gibt es nicht, das kann nicht wahr sein. Also hat uns das nicht schockiert, weil wir konnten das nicht verstehen.
Und doch hat meine Tante, als ich elf Jahre alt war, diese Sachen erzählt. Und ich habe immer gefragt: Ist das wahr, Tante, was ich ab und zu höre, wenn ein sicherer alter Onkel und manche Omas – auch meine Oma – uns besuchen, und die reden über diese Sache? Da hat sie gesagt: Es ist wahr! Sie hat es so gesagt, dass sie zwei Pässe rausgeholt und mir gegeben hat zum zeigen. Das ist echt und das ist wahr, die haben einen Pass getragen im Concentration-Camp, die haben nur Nummern gehabt. Diesen Pass habe ich bis heute. Ich kann hier das jetzt auch zeigen, nach diesem Gespräch. So hat sie es mir dann erzählt, und so hat man gefragt, und als man jetzt erwachsen wurde, und das liest in Büchern, sogar geschrieben von deutschen Leuten, dann ist das doch wahr.
Jetzt ist es noch mehr wahr, wenn man die Schädel selber in der Charité gesehen hat. Das war ein Moment der Wahrheit für uns, ein Moment der Bestätigung, dass das, was man immer als Kind gehört hatte, wirklich wahr war. Und das war sehr schmerzhaft, das zu realisieren, es war verletzend und wirklich sehr schmerzhaft. Dieser Moment der Schmerzen, der zeigte sich auch auf den Gesichtern von allen, die das erlebt haben. Und auch ich selbst habe das gespürt. Ich dachte: Wie müssen sich die Mütter gefühlt haben dieser Schädel, dieser Überreste, die erlebt haben, dass die Schädel ihres Sohnes oder ihrer Tochter abgeschlagen worden sind? Wie müssen die sich gefühlt haben, wenn schon ich diesen Schmerz so gespürt habe, alleine in der Vorstellung? I would like to correct: Es ist keine Festlichkeit. Das ist ein Moment der Traurigkeit. Also es ist einfach ein Moment der Trauer, ein Moment der Schmerzen, ein Moment der Wahrheit über dieses Schmerzen.
Hanselmann: Halten Sie es für notwendig, für wichtig, dass die deutsche Regierung sich entschuldigt?
Kahatjipara: Ja, das sollte die deutsche Regierung auf jeden Fall. Wir wollen darüber sprechen. Und das sage ich nicht nur als Herero, sondern für alle in dieser Delegation, und besonders natürlich für mein Komitee (…) und die Frage ist natürlich: Mit wem soll dieser Dialog stattfinden? Mit wem wollen wir sprechen? Wir sind nicht die Regierung der Herero, aber über die Regierung wollen wir in den Dialog treten mit der Regierung. Und wir wollen berichten, wie wir uns fühlen, wie wir verletzt worden sind, was wir durchgemacht haben, wie das die Entwicklung unseres Landes, unseres Volkes beeinflusst hat, wie dieser Völkermord, diese Massaker, dieser Krieg, unser Leben verändert haben. Wenn man sich anguckt, dass Entschädigungen von Deutschland an die Juden gehen, dass jährlich Millionen gezahlt werden, dann fragt man sich, warum das nicht auch an die Herero und die Namas gezahlt wird.
Dann wird argumentiert, dass dieser Völkermord ja stattgefunden hätte, bevor Deutschland den Genfer Konventionen beigetreten ist. Aber wenn ich mich richtig erinnere, war das 1954 bis 55, und das war auch nach den Morden an den Juden. Und was ist der Unterschied, frage ich mich? Liegt das daran, dass wir schwarz sind? Das ist doch die Frage. Wir waren sozusagen die Versuchskaninchen für all diese schrecklichen Dinge, die dort passiert sind, bevor sie das gleiche mit den Juden angestellt haben. Und wir wollen den Dialog, wir wollen den Frieden, aber wir denken, dass das nur geht, wenn wir wirklich uns alle an einen Tisch setzen und noch mal über diesen Schrecken sprechen und feststellen, was für ein Schaden angerichtet worden ist. Und dann können wir natürlich auch über die Entschädigung sprechen.
Hanselmann: Wenn Sie wieder zurück sind in Namibia – das wird in ungefähr einer Woche sein –, was wird dann dort mit den sterblichen Überresten von Ihren Verwandten passieren, was wird mit den Schädeln passieren?
Kahatjipara: Also dort wird unser Prime Minister uns beim Flugplatz empfangen, und danach werden diese Schädel im Museum aufbewahrt.
Hanselmann: Es findet also keine Beerdigung der Schädel statt?
Kahatjipara: Nein, es wird keine Beerdigung stattfinden, da haben alle übereingestimmt, dass sie in ein Museum kommen müssen, weil damit möchten wir auch der neuen Generation zeigen, was passiert ist, dass solche bösen Sachen stattgefunden haben, und das darf nicht wieder passieren – und nicht nur den schwarzen Kindern, sondern allen Namibianern, sogar auch den deutschen Kindern, damit die wissen, was ihre Urgroßeltern gemacht haben mit den anderen, mit den anderen Namibianern, damit diese jungen Leute in Zukunft in Frieden miteinander leben können und vermeiden müssen, dass solche bösen Sachen wiederholt werden.
Hanselmann: Also die Schädel kommen ins Museum als ein Mahnmal gegen den Völkermord.
Kahatjipara: Ja.
Hanselmann: Vielen Dank, Johanna.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.