Die heimlichen Herren der Kaffeehäuser

Roland Girtler ist in Österreich kein Unbekannter. Der Soziologieprofessor der Wiener Universität hat Bücher über die Wiener Unterwelt, Pfarrersköchinnen, Wilderer und den Straßenstrich geschrieben. Zudem veröffentlicht der sich selbst als "vagabundierenden Kulturwissenschaftler" bezeichnende Lehrende allwöchentlich eine Kolumne in einer österreichischen Boulevardzeitung, in der er die Erlebnisse seiner Fahrten mit Rad oder Bahn durchs Land wiedergibt.
So verspricht sein soeben erschienenes Buch "Herrschaften wünschen zahlen" über Kellner und Kellnerinnen viel Unterhaltung und Erkenntnis über einen Beruf, dem in Österreich, speziell in Kaffeehäusern und Traditionsgaststätten, ein bestimmter Nimbus anhaftet: Kellner sind "Herren", werden von den Stammgästen auch so, in Verbindung mit ihrem Vornamen, angesprochen und strahlen Würde aus.

Girtler hat Dutzende Interviews geführt und das Ergebnis nach Typen sortiert. Da gibt es die Kellner mit und ohne Ausbildung, jene in ungewöhnlichen Betrieben wie Gefängnissen oder Bordellen und die verschiedenen Kategorien von Gästen, aus Sicht der Kellner.

Leider wird Girtlers Feldforschung den Erwartungen nicht gerecht: Man wird den Eindruck nicht los, er verwerte zum Großteil Abfallprodukte früherer Recherchen zu anderen Themen und Gespräche mit Kellnern auf seinen zahlreichen Radtouren. Kein Wort schreibt er über den "grantigen Kellner", der ein so festes Bild der Wiener Kaffeehauskultur ist wie der unfreundliche Taxifahrer in Berlin. Das mag damit zusammenhängen, dass Girtler hauptsächlich Kellner seiner Stammlokale interviewt und stets voll des Lobes ist.

Dem Leser bietet er wenig Möglichkeit, seine Gesprächspartner auseinanderzuhalten, sie sind entweder "ein nobler Herr" oder "eine liebenswürdige Dame". Wie überhaupt "nobel" sein am Häufigsten gebrauchtes Adjektiv im Buch ist. Durch diese über allem liegende Zufriedenheit und den permanent zur Schau getragenen Respekt erhält der Stil etwas Betuliches, ja Peinliches. Witze erklärt der Autor im Nachhinein, was diesen den Garaus macht.

Hinzu kommen zahlreiche Redundanzen, die den Leser ermüden. Das geht so weit, dass mindestens viermal Interviewpassagen an anderer Stelle über mehrere Absätze wörtlich wiederholt werden. Zudem einmal als Aussage von Kellner Elmar, dann als Worte von Kellner Boris. Spätestens da stellt sich die Frage, wo bei der Buchwerdung das Lektorat geblieben sein mag, ebenso die Frage nach der Wissenschaftlichkeit dieser Feldforschung.

Girtler schreibt das Gegenteil von Soziologendeutsch, allerdings schon dermaßen populärwissenschaftlich, dass sich mancher Leser intellektuell unterfordert empfinden wird. Hinzu kommen die inhaltlich unverändert gelassenen Interviewpassagen mit den Kellnern: Wiederholungen werden nicht eliminiert, die Interviewten bestätigen einander in ihren Aussagen, was den Leser ermüdet. In der mündlichen Erzählform der Vergangenheit lesen sich die exakt niedergeschriebenen Texte holprig und unbeholfen. Die verbindenden Worte Girtlers sind außerdem kaum aufschlussreich, er fasst Gesagtes in oft banalen Sätzen zusammen ("Der gute Kellner achtet Stammgäste und ehrt sie durch Aufmerksamkeit"). Spannend wird es lediglich an jenen Stellen, wo der Autor Gesprächspartner über längere Strecken aus ihrem Leben erzählen lässt: Den Kellner, der in Venezuela einen Diktator bedient hat oder den schlitzohrigen Saisonkellner.

Somit ist mit diesem Buch eine interessante Chance kaum genützt worden: Es befriedigt weder als Unterhaltungslektüre, weil es sich durch Dubletten und Variantenarmut in die Länge zieht, noch als Erkenntnis schaffende wissenschaftliche Arbeit. Denn das Meiste des Präsentierten kennt man aus eigener Anschauung. Der Titel ist noch das Beste am Buch.

Rezensiert von Stefan May

Roland Girtler: Herrschaften wünschen zahlen - Die bunte Welt der Kellnerinnen und Kellner
Böhlau Verlag, Wien, 2008
401 Seiten, 24,90 Euro