Die Herausforderin wahrt ihr Geheimnis

Von Michael Meyer |
Das ZDF porträtiert in zwei Dokumentationen den amtierenden Bundeskanzler und seine Herausforderin. Das Porträt "Angela Merkel – Jetzt oder nie" bleibt aber ein seltsam oberflächlicher Film. Der Erkenntniswert hält sich in Grenzen. Was die Herausforderin wirklich antreibt, bleibt weiterhin ihr Geheimnis.
Seehofer: " Ja, sie ist schon sehr konsequent..."
Schwarzer: "Eine Frau an der Macht ist etwas anderes als ein Mann an der Macht. Und das wird sie ein Stück mitzuprägen haben. Das muss sie miterfinden, sie hat kein Vorbild."

Mit den Einschätzungen von Horst Seehofer und Alice Schwarzer über Angela Merkel beginnt das 45-minütige ZDF-Porträt. Die Autoren Michaela Kolster und Ulf-Jensen Roller nähern sich der noch weitgehend unbekannten Kandidatin mittels Gesprächen mit Weggefährten wie ehemaligen Schulfreunden, Arbeitskollegen, Merkel-Biografen, aber auch Parteifreunden und –feinden. Herausgekommen ist ein seltsam oberflächlicher Film, der aber sein bestes versucht, sich der Person Angela Merkel zu nähern.

So fuhren die ZDF – Autoren fuhren mit Merkel nach Templin - dort wuchs sie als Tochter eines Pfarrers auf. Ihre Eltern gingen Anfang der 50er Jahre den ungewöhnlichen Weg von West nach Ost, von Hamburg in die Uckermark. Merkels Jugendjahre waren bereits geprägt von extremem Ergeiz, den sie von ihren Eltern mit auf den Weg bekam. Sie war gerade in ihrer Schul- und Universitätszeit durchaus das, was man heute als eine "Mitläuferin" bezeichnen würde, wie sie selbst im Film zugibt:

" Ich war keine Bürgerrechtlerin, aber ein Maßstab, der war für mich immer ganz wichtig: Niemals einem anderen schaden, dadurch, dass man selber einen Vorteil hat. Ich glaube, dass kann ich für mich in Anspruch nehmen."

Massive Zweifel an der Richtigkeit des sozialistischen Systems kommen Angela Merkel erst in den Achtziger Jahren, in ihrer Zeit als Physikerin am Ostberliner Wissenschaftszentrum. Sie würde im Osten nie eine große Karriere machen können, das war ihr bereits damals klar.

Nach dem Mauerfall geht Merkel in die Politik, genauer: zur CDU, wird unter Lothar de Maziére stellvertretende Regierungssprecherin. Warum Merkel in die Politik ging, und warum gerade zur CDU, darauf gibt der Film keine Antwort. Die ersten Interviews, die sie damals als stellvertretende Regierungssprecherin gab, wirken aus heutiger Sicht geradezu rührend naiv – der Griff ins Fernseharchiv kann ziemlich gemein sein:

Merkel: "Dann gibt es die schon angesprochene Verkürzung der Anmeldefrist für vermögensrechtliche Ansprüche, irgendwie 'ne Einschätzung, aber das weiß ich jetzt nicht so genau. "

Merkels Weg hinauf in die oberste Etage der CDU verlief nicht reibungslos – diesen steinigen Weg rekapituliert der Film noch einmal. Die Autoren mussten dabei leider auf die interessantesten Gesprächspartner verzichten. Weder Friedrich Merz, noch Helmut Kohl, der sie jahrelang als "mein Mädchen" titulierte, waren zu einem Interview bereit. Auch Wolfgang Schäuble, dessen Ambition auf den Posten des Bundespräsidenten von Merkel durchkreuzt wurde, äußert sich nur sehr schmallippig vor der Kamera über die damalige Demütigung:

Schäuble: "Manche sagen, dass die Art, wie das da zu dritt besprochen worden ist, vielleicht auch nicht den richtigen Respekt vor den Institutionen unserer Verfassung zum Ausdruck gebracht hat, aber da war sie ja nicht allein, da waren sie immerhin zu dritt. "
Und was sagt Wolfgang Schäuble?
"Nichts! "

Geradezu unfreiwillig komisch wirkt der Film immer dann, wenn doch einige von Merkels vehementen Widersachern zu Wort kommen. Die jüngste Debatte um die Stoiber-Äußerungen gegenüber den Ostdeutschen ist eine dankbare Steilvorlage für die Autoren des Films. Ganz besonders aufschlussreich ist eine Szene, in der Stoiber zur Lagebesprechung in Berlin ist. Merkel und Stoiber sitzen mit ihren Generalsekretären an einem kleinen Tisch und werden gefragt: Vertrauen Sie einander?

Merkel: "Ja, anders geht’s ja gar nicht. "
Stoiber: "Wir haben ja ein gemeinsames Ziel, es gibt zwar Nuancen und persönliche Vorlieben, aber das steht hinten an. Wir wollen gemeinsan, CDU und CSU, die Regierung stellen."
Merkel: "Und Deutschland voranbringen! "

Dieses mantrahaft vorgetragene Wort vom "Deutschland nach vorne bringen" bleibt Merkels einziges Motiv für die Eroberung des Kanzleramts. Mehr ist aus ihr nicht herauszuholen – auch ihr Privatleben – ohne eigene Kinder, aber einem Ehemann und dessen Kindern - bleibt den Zuschauern weitgehend verborgen. Weder ihr Mann noch ihre Stiefkinder waren zu einem Interview bereit.

Überhaupt war es schwierig, hinter die Fassade der Angela Merkel zu schauen, wie die Autorin des Films, Michaela Kolster zugibt:

"Ich glaube, es gibt da zwei Angela Merkels. Die sich in einem kleinen Kreis, wenn sie weiß, dass sie da Leute um sich hat, denen sie vertrauen kann, sehr locker, sehr offen, sehr humorvoll und sehr lustig geben kann, dann die Angela Merkel, die vor der Kamera agiert, und mit der Kamera ganz im Gegensatz zu Herrn Schröder keine Beziehung eingeht, das ist ein Manko für sie. Und das ist auch etwas, was sie eigentlich nicht mag. "

Von daher hält sich der Erkenntnisgewinn des Films in Grenzen. Immerhin: Nach 15 Jahren Politikerfahrung gibt Angela Merkel auch vor laufender Kamera ihre Erkenntnis preis, dass der Gestaltungsspielraum von Politik seine Grenzen hat:

"Deshalb ist die Arbeit im Wahlkreis für jemanden wie mich immer auch eine, die eine große Komponente von Traurigkeit hat, und wo ich sagen muss: Ich kann Euch nicht allen das helfen, das ihr vielleicht von mir erwartet. "

Service: "Angela Merkel – Jetzt oder nie", ist heute Abend, 16.8.2005 im ZDF um 20 Uhr 15 zu sehen. Das Porträt über Gerhard Schröder mit dem Titel " Wer nicht kämpft, hat schon verloren" sehen Sie dann am 23.August.