Die Herrschaft der Konformisten

Von Alexander Schuller |
"Faschismus" ist ein schönes Wort, noch schöner ist "Du Faschist". Das klärt alles, auch wenn es tatsächlich nichts anderes sagt als "Du bist mein Feind". Früher, als Leute wie Brecht vom Faschismus schwärmten, war die Welt noch in Ordnung. Aber dann kam einer auf die blöde Idee, ein Linker übrigens, von "Linksfaschismus" zu reden. Das war erstens gemein und brachte zweitens alles durcheinander.
Oder auch nicht, denn dieses Wort "Linksfaschismus" bedeutet, dass Linke und Rechte etwas Wesentliches verbindet: der Totalitarismus. Auch das stimmt nicht ganz. Totalitär sind die Linken nur, wenn Sie übertreiben, also eigentlich gar nicht. Die Rechten sind dagegen immer totalitär, auch wenn sie nicht übertreiben. Anders ausgedrückt: die Linken sind totalitär, wenn sie Tausende, Hunderttausende, Millionen Menschen umbringen, die Rechten sind auch dann totalitär, wenn sie von der Pressefreiheit Gebrauch machen. Deswegen wird "faschistisch" in der letzten Zeit zunehmend durch "rechtsradikal" ersetzt. "Linksrechtsradikalismus" klingt lächerlich, und man weiß sofort: Das kann es nicht geben. Mit der Abschaffung des Wortes "Faschismus" gibt es dann auch keinen "Linksfaschismus". Und auch das ist verwirrend, denn historisch ist der Faschismus ja ein "Rechtssozialismus". Als Mussolini entdeckte, dass er nicht nur Kommunist, sondern auch Italiener war, schuf er den Faschismus, der ja damals schon National-Sozialismus hätte heißen müssen, aber nur deswegen nicht so hieß, weil Mussolini eine Glatze hatte und deswegen glaubte, er sei ein moderner Gaius Julius Caesar. Folglich wählte er das altrömische Rutenbündel - die fasces - als das Symbol für den Faschismus.

Dass es an beiden Enden des politischen Spektrums Ähnlichkeiten gibt, verwirrt die Leute natürlich. Kommunisten und Faschisten sind doch Gegensätze und Feinde, da will man nicht glauben, dass sie alte Verwandte sind. Noch schlimmer ist es, wenn auch die Demokraten mit der Demokratie Probleme haben. Und die haben sie in der Tat. Wir wissen das spätestens seit 1840, als Alexis de Tocqueville sein dreibändiges Werk über die Demokratie in Amerika veröffentlichte. Spätestens seit Hannah Arendt weiß man, dass die "Politische Ideologie" eine Voraussetzung für den politischen Terror darstellt: für den Terror der Tat und den Terror des Wortes. Bücher zu verbrennen und Menschen zu verbrennen, ist zwar nicht dasselbe, aber das gleiche. Gibt es etwas Entsprechendes auch bei aufrechten Demokraten, bei denen, die sich als Frontkämpfer der wehrhaften Demokratie fühlen? So abwegig, so schrecklich der Gedanke auch sein mag, das scheint es tatsächlich zu geben. Auch "political correctness" kann totalitär werden, umso eher als der "Demokratische Totalitarismus" - nennen wir ihn ruhig so - historisch unbefleckt und in scheinbarer Unschuld agiert.

Auch der "Demokratische Totalitarismus" betreibt still und leise das Geschäft des Terrors: Weil alle Menschen gleich sind, darf keiner anders sein. Wer sich dabei was denkt, ist suspekt. Demokratie ist aber nicht die Herrschaft der Konformisten, sondern das System, mit dem der Minderheit das Recht auf eine Zukunft als Mehrheit garantiert wird. Minderheit ist also nicht der verächtliche Rest, sondern Teil der strukturellen Vernunft. Genau hier versagt der "Demokratische Totalitarismus". Er verdächtigt den "herrschaftsfreien Dialog" und macht schleichend Angst. Er ersetzt den äußeren durch den inneren Zensor. Der Denunziant ist seine Verkörperung. In jeder Universität, in jeder Redaktion, in jeder Partei gibt es ihn, den Meinungsterroristen mit dem guten Gewissen, mit der sprungbereiten Empörung - wie damals im Historikerstreit. Das Muster ist aus totalitären Systemen bekannt: Ich Demokrat, Du rechtsradikal - auch dann, wenn es den Rechtsradikalen gar nicht gibt, auch dann wenn die Kommunisten als Demokraten gelten. "Tut nichts! der Jude wird verbrannt!" sagt der Patriarch zum Tempelherrn (Lessing, Nathan der Weise. Akt IV, 2. Auftritt).

Wie konnte das geschehen? Wie konnten wir voll schöner Leidenschaft zu dem werden, was wir fürchten und verachten? Elisabeth Noelle-Neumann hat dieses Strukturproblem der Demokratie mit dem Begriff der Schweigespirale erklärt. Es sind die Denkverbote, mit denen die Demokratie zerstört wird. Mit Denkverboten werden ganze Wirklichkeitsfelder ausgelöscht. Jedes Volk auf der Welt hat eine Leitkultur, nur wir angeblich nicht. Jeder weiß, dass wir 1945 besiegt wurden, nur Schröder nicht. Er fliegt 2005 nach Moskau und verkündet den Sieg. In seinem Roman "1984" führt uns George Orwell die totalitäre Logik dieser Wahnwelt vor: Krieg sei Frieden, Freiheit sei Unterdrückung, Blödsinn sei Stärke. Deswegen heißt unser entsprechendes Gesetz ja auch nicht Diskriminierungs-, sondern "Anti-Diskriminierungsgesetz. Und wehe Dir, wenn Du dieses Gesetz für totalitär hältst - "Du Faschist!"


Alexander Schuller ist Soziologe, Publizist und Professor in Berlin. Er hatte Forschungsprofessuren in den USA (Princeton, Harvard) und ist Mitherausgeber von 'Paragrana' (Akademie-Verlag). In seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen befasst er sich mit Fragen der Anthropologie und der Bildungs-, Medizin-, Geschichts- und Alltagssoziologie. Er arbeitet als Rundfunk-Autor sowie für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und gelegentlich für die "taz", die "Süddeutsche Zeitung", "Die Welt", "Die Zeit" und für die Zeitschriften "Merkur" und "Universitas".