Sie wählten Trump – doch geändert hat sich nichts
Sie heißen Steven, Avery, Milnius und Jess – vier „Mountain People“ mit besonderem Dialekt, ihrer Hillbilie-Musik und eigener Identität. Vor allem aber sind sie arm. Mit Trump als Präsident sollte sich das ändern, deshalb haben sie ihn gewählt.
Ein paar Motorräder sind unterwegs, ein paar Pkw, es ist heiß.
Von Bristol, nord-östliches Tennessee, bis in die Berge sind es knapp 20 Kilometer, die schmale Interstate 421 schlängelt sich in Serpentinen in die Appalachen hinein. Schluchten, große Seen, kleine Tümpel, Laub- und Nadelwälder.
Rechts an der Straße in einer Kurve ein Holzhaus, vor der Garage ein altes Auto, ein Mann steht am Kofferraum.
Steen Harper, 36, hier in der Gegend, jenseits eines Dorfes geboren, hier aufgewachsen. Nein, sagt er, hier sei nichts, man habe, wenn man hier lebe, viel Zeit, und ein paar Meilen weiter die Straße runter gebe es eine kleine Stadt.
"Was ich gerade mache", fragt er. "Bring´ die Lautsprecher meines Autos in Ordnung, hab' das Haus gekauft, reparier' es und besser es aus."
Hinter dem Auto, in der Garage Müll, Schrott, Schutt, Unrat, Harpers Frau kommt aus dem Haus, an der Hand ein Kind. Vier Kinder haben sie, das fünfte ist unterwegs und verheiratet sind sie seit zwei Jahren. Seine Frau und das Kind, das sie an der Hand hatte, setzen sich auf eine Bank und essen aus Plastiktellern Mittag, ein paar einfache Nudeln mit Ketchup.
"Ich bin Schreiner, und das Haus hab ich mit dem Regierungsprogramm HUD, Housing and Urban Development, erworben. Industrie gibt es hier nicht."
Stattdessen ein paar Bauernhöfe.
"Wenn jemand was will, hole ich mein Gewehr"
Das Kein-Durchgang-No-Trespassing-Schild an seinem Haus sei ernst zu nehmen, meint er, wenn jemand komme und etwas wolle, hole er sein Gewehr. Harper hat nur noch ein paar Zähne im Mund und die, die er hat, sind braun. Was ist mit Healthcare hier?
"Ziemlich heruntergekommen, das Gesundheitswesen", sagt er. "Ein wenig für die Kinder, er selbst beansprucht es nicht. Und die letzten Wahlen?"
"Kann ich Ihnen nicht sagen, darüber kann ich Ihnen nichts sagen, ich hab' noch nie in meinem Leben gewählt, hehehe."
Nein - und er brauche auch kein Staatsoberhaupt. In der Kirche war Harper am heutigen Sonntag nicht – dass er dennoch an Gott glaubt, ist klar.
Mountain People. Eigener Dialekt, eigene Musik, eigenes Selbstbewusstsein, niedriges Einkommen. Jessica Turner, Ethnologin aus Bristol, selbst in den Bergen aufgewachsen:
"Sie waren arm. Schon historisch waren die weißen Bewohner dieser Bergregion meist arm."
Und Mountain People benennt politisch fast korrekt heutzutage eine Gruppe, die früher - und manchmal immer noch - abfällig und abschätzig als Hillbilly, etwa Hinterwäldler oder Landei, beschrieben wurde.
"Wir haben 525 Briefkästen in Shady Valley"
Shady Valley. Kühe, eine Kornmühle, die Tankstelle mit dem Raceway-Restaurant ist zu verkaufen, an der presbyterianischen Kirche steht "Eine lose Zunge kann andere kränken", und shady bedeutet sowohl schattig als auch dubios. Shady Valley, am Rande der Iron Mountains, ist mit 850 Metern über normal Null Tennessees zweithöchste Gemeinde: Ein Gemischtwarenhandel, eine Grundschule, eigenes Postamt.
Im "Shady Valley Country Store", gleichzeitig Café und Kneipe. Die Inhaberin, Avery Dugger, kommt. Zusammen mit ihrem Mann Daniel, ehemals professioneller Rodeo-Reiter und Feuerwehrmann. Avery, aus Shady Valley, war Psychologin, spezialisiert auf die Arbeit von Kindern mit Autismus. Nach dem Studium kam sie nach Shady Valley zurück, die beiden heirateten, bekamen ein Kind, und entschieden, den Country Store zu übernehmen.
Die Schlange sei nach 15 Jahren endlich betoniert, sagt sie. Die Schlange ist die kurvenreiche Straße von Bristol bis hierher.
"Wir haben 525 Briefkästen im Ort, somit um die 800 Einwohner."
Und die Landwirtschaft, der Tabakanbau, die grünen Bohnen, der Paprika und die Chillischoten – alles nicht mehr da, die Arbeitslosigkeit sei hoch.
Avery Dugger:
"Keine Industrie, keine Arbeit, die Leute müssen pendeln, und manche wollen das nicht. Oder sie können es nicht, aus welchen Gründen auch immer. Wir sind ein armer Landkreis, kaum Anschluss an öffentlichen Nahverkehr - sozusagen überhaupt kein öffentlicher Nahverkehr."
Im Sommer ist Betrieb, im Winter seien sie in No-man´s-Land und Drogen, der Nachbarort Mountain City werde gerade zu einer Hochburg für Crystal Meth, billig herzustellen, einfach zu vertreiben.
"Diese Region ist gewissermaßen viel zu schön für sowas, die Landschaft ist tatsächlich Gottes Land."
"Ich habe Trump wirklich geglaubt"
Und dieses "Gottes Land" sollte nach Donald Trump wieder etwas werden und etwas gelten. Und deshalb, so Avery Dugger, hätten sie ihn gewählt.
"Als er den Wahlkampf startete, habe ich wirklich geglaubt, dass er das small-town-america, das Kleinstadt-Amerika, miteinschließt. Ein Amerika, in dem es für das kleine Gewerbe, die kleinen Geschäfte einfacher wird, denn im Augenblick ist das nicht so. Ob er, so wie unsere Politik arbeitet, mit diesem Versprechen Erfolg hat? Ich weiß es nicht, die Zeit wird es zeigen."
Noch will sie es nicht unumwunden zugeben, aber ja, diese Empfindung hat sich nicht verändert: Sie fühlen sich vergessen.
"Einige schon, ja, ich denke einige schon. Wir machen immer einen Witz: Unser Staat Tennessee endet in Knoxville, dieser Winkel hier existiert nicht, das ist ein Scherz, wenn Du jemandem erzählst, Du kommst aus Tennessee, dann ist die erste Frage: Bist Du aus Knoxville? Oder: Bist Du aus Nashville? Somit endet unser Staat in östlicher Richtung in Knoxville - und deshalb haben sie uns hier vergessen."
Knoxville ist drei Stunden Richtung Südwesten entfernt, Nashville fünf. Shady Valley: Einige Farmen sind aufgeben und zu veräußern, hier und da verrottete Traktoren, 82 Prozent des Johnson County haben Donald Trump gewählt, 15 Prozent Hillary Clinton.
Von Shady Valley, Richtung Norden nach Damascus sind es zwölf Meilen, zwanzig Minuten. Hier haben 75 Prozent Trump gewählt und immerhin 22 Prozent Clinton.
Tabak-Industrie, Kohlebergbau – "alles ging den Bach runter"
Der Virginia-Tabak, süß, strohig, heu-artig und hell.
"Die Tabak-Industrie? Die Regierung kam hier durch und kaufte die kleinen Farmer auf, die großen Farmer vergrößerten anschließend ihre Felder auf 10, 12, 20 Morgen und so weiter, aber sie machen keinen Profit mehr, weil sie mehr Geld rein stecken als sie rausholen können. Ein wenig Tabak wird noch geerntet, aber nicht mehr viel."
Der Tabak, schließt Milnius Wagner an, komme inzwischen aus Übersee, aus Billiglohnländern. Die Folge: Eine Abnahme der Anbaufläche und der Zahl der US-Tabakbauern insgesamt.
Milnius Wagner, 67, Rentner, steht mit seinem verbeulten Pick Up vor einer Sparkasse, hinten auf der Ladefläche landwirtschaftliches Gerät, Wagners Gesicht ist durch das Wetter gegerbt, er raucht und schnippt die Asche in den Fußraum. Und erinnert sich wehmütig:
Tabak aus Virginia, von hier und aus den angrenzenden Counties, war erstklassig und berühmt. Und die Kohle-Minen 50, 60 Meilen in westlicher Richtung. Auch für die: harte Zeiten. Und die gab es bereits vor Trump, vor Obama, vor den beiden Bush‘s, ebenso vor Clinton. Zwar noch in Betrieb, aber wie’s weiter geht, weiß niemand. Und am Bergbau hing die Infrastruktur, die Supermärkte, die Tankstellen, die Kneipen.
Damascus, Virginia, hat sich zu einem kleinen Touristenörtchen für Motorradfahrer und Wanderer entwickelt.
"Dabei war Damascus mal eine boomende Stadt gewesen, als ich jung war. Getreidemühlen, ein paar Fabriken, die Zeiten haben sich geändert."
Alles ging den Bach runter.
"Wir sind Hillbillies"
Wagner sehe sich, sagt er, als Hillbilly. Ja natürlich, als solcher groß und in den Bergen erzogen worden. Und 75 Prozent derer, die hier leben, würden sich als solche bezeichnen. Vor zwanzig Jahren sei man auf eine Farm gegangen und habe Arbeit bekommen, Tabak, Getreide, was auch immer. Und die Politik?
"Kommt drauf an, mit wem man reden will", sagt der 67-Jährige.
"Meine Meinung? Den, den wir im Amt haben, sollte man rauswerfen, er ist herzlos."
Und eine Menge derer, die für ihn stimmten, wünschten nun, es nicht getan zu haben. Wagner war 25 Jahre verheiratet, dann fing seine Frau mit Drogen an, sie kam ins Gefängnis, er ließ sich scheiden.
An der Kirche im Ort steht: Freundliche Worte ergeben gütigen Widerhall. Die nächste Kirche: Um Gottes Königreich zu betreten, musst Du wiedergeboren werden, die Southside Free Will Baptist Church. Dann die Kirche des Heiligen Antonius aus Padua - ohne Leitspruch.
Auf einer Anhöhe mit atemberaubender Aussicht ein Trailer-Park, einhundert, einhundertzwanzig Holzhäuser, die sich versetzen lassen. Ein Mann sagt, dass er hier geboren und nie weg gekommen sei - mehr will er nicht sagen. Stattdessen fragt er: "Was willst Du, suchst Du was Bestimmtes?"
Unterhalb des Trailer-Parks die North-East-Correctional-Facility, ein Gefängnis. Das Schild vor dem Gefängnis unterrichtet darüber, dass es eine tabakfreie Einrichtung sei. Das Schild an der nächsten Kirche: Lass' Jesus Dich führen.
"Schwarze zogen nie hierher"
Eine Stunde mit dem Auto durch die Berge bis Hampton, Tennessee, ganz im Nordosten des Staates, nahe der Grenze zu North Carolina, mit seinen vormals vielen Kliniken und Krankenhäusern ein Zentrum der Gesundheitspflege.
Jess Simmerling. 72, groß, graue Haare, mit Hund. Hampton, Tennessee, ist ein Ort ohne Ortsmitte und Simmerling war 35 Jahre in einem Krankenhaus beschäftigt:
"Die Arbeitslosigkeit? Beträchtlich, ja. Viele, die arbeiten wollen, können nicht arbeiten. Zwar würden sie auch nicht gut bezahlt werden, aber sie können nicht arbeiten."
Die Anfahrtswege, die auch hier ohne öffentliche Verkehrsmittel kaum zu bewältigen sind. Selbst die Supermärkte sind ohne Auto nicht zu erreichen.
Die Gegend ist, wie die Appalachen überhaupt, weiß.
"Vielleicht zwei schwarze Familien in Hampton, von denen ich weiß. Es kam nie dazu, dass Schwarze hierher gezogen sind. "
Auch Hampton im Carter County gilt als konservativ, in Zahlen stellt sich das so dar: 80 Prozent für Trump, 16 Prozent für Hillary Clinton.
Jess Simmerling:
"Yes."
Das war das Wahlergebnis:
"Yes."
Und was bedeutet das?
"Die meisten, die hier leben, bauen ihre eigenen Nahrungsmittel an, sie haben Haustiere und Vieh und schlachten selbst, frieren das Fleisch ein und, wenn man dem nachgehen würde, würde man feststellen, dass es nur wenige gibt, die hungrig sind. Nicht immer ein Steak, aber Bohnen und Maisbrot, das ist alles, was Du brauchst. Milch, sie haben Kühe. Ich betrachte mich als sehr glücklich in dieser Gegend, ich möchte nicht weg, auf keinen Fall. Ich war in Las Vegas, in Michigan, diese flachen Landstriche, die kümmern mich nicht. Wenn ich wieder hier war, wollte ich die nicht mehr sehen. Und wenn du hier ein Problem hast, klopfst Du bei Deinem Nachbarn an und er hilft Dir. Keiner macht dem anderen Angst und so was. Natürlich haben wir ein paar finstere Kerle, die hast Du überall. Natürlich haben wir unser ansehnliches Drogenproblem, das hast Du woanders auch. Aber: Wir behelligen die von woanders nicht, und die behelligen uns nicht."