Tina Breckwoldt: "Die ganze Wahrheit über Münchhausen & Co"
Benevento Verlag, Elsbethen 2020
288 Seiten, 24 Euro
Wie ländliches Seemannsgarn zum Erfolg wurde
08:08 Minuten
In Deutschland gilt der Freiherr von Münchhausen bis heute als "Lügenbaron". Zu Unrecht findet die Biografin Tina Breckwoldt, die nun in einem Buch das Leben des echten Geschichtenerzählers darstellt.
Bei dem Freiherr von Münchhausen haben viele sofort den Schauspieler Hans Albers vor Augen, wie er im UFA-Film von 1943 mit einer Kanonenkugel durch die Luft gleitet. Bis heute wenig bekannt ist die Geschichte des echten Münchhausen, zu dessen 300. Geburtstag die Historikerin Tina Breckwoldt nun eine Biografie veröffentlicht hat.
Ein Lügenbaron sei der Freiherr von Münchhausen eigentlich nicht gewesen, sagt Breckwoldt. Münchhausen sei ein Landadliger mit einer ganz normalen Biografie gewesen. In jungen Jahren sei er als Page an einen größeren Hof gekommen und dann zeitweise nach Russland gegangen. Dort habe er in Lettland gelernt, Geschichten zu erzählen. "Da gibt es eine große Erzähltradition", so die Buchautorin.
Begnadeter Geschichtenerzähler
Münchhausen sei es darum gegangen, schöne Geschichten zu erzählen, die unterhalten sollten. Auch in Deutschland habe es damals Jagdgeschichten und Schwänke gegeben. "Ein bisschen wie Seemannsgarn, nur auf dem Land." Viele dieser Münchhausen-Geschichten seien vermutlich allgemeines Kulturgut gewesen, die sozusagen herumschwirrten.
"Er war einfach ein absolut begnadeter Erzähler, der es geschafft hat, seine Geschichten lebendig werden zu lassen", sagt Breckwoldt und vergleicht seine Auftritte mit einer Art Improvisationstheater. Münchhausen sei dafür legendär gewesen. "Das war sein Inneres und das teilte er mit seinen Freunden." Der Freiherr habe selber Gäste dazu eingeladen und wenn die Atmosphäre stimmte, habe er zu erzählen begonnen.
Dass seine Geschichten veröffentlich worden seien, habe Münchhausen sehr verärgert. Nicht nur dass sie ihm mit dieser Niederschrift geraubt worden seien. "Schlimmer ist noch, dass man ihm seinen Namen damit gestohlen hat", sagt Breckwoldt. Zunächst habe eine Berliner Zeitschrift seine Geschichten anonym veröffentlicht. Aber als sie dann auf Englisch als Buch erschienen, sei der Name Münchhausen mit aufgetaucht. "Er fühlte sich der Lächerlichkeit preisgegeben." Damit sei ihm auch seine Identität gestohlen worden, sagt Breckwoldt.
Literatur oder "Schund"
Münchhausen habe seine Geschichten erzählt, um zu unterhalten und zu erfreuen. "Er will die Leute zum Lachen bringen." Heute sind die Bücher in mehr als 50 Sprachen übersetzt und werden in vielen Ländern literarisch anerkannt.
Warum sie in Deutschland immer noch skeptischer beurteilt würden, erklärt die Kennerin so: Die deutsche Version der Münchhausen-Geschichten habe der Dichter Gottfried August Bürger geschrieben, der ihr seinen eigenen Stempel aufgedrückt habe. Für ihn und die deutsche Literatur hätten die Geschichten bei allem Vergnügen als "Schund" gegolten.
"Dieser Witz und diese Leichtigkeit, die ja auch funktioniert, die das Buch sehr unterhaltsam macht, die hat Bürger selber nicht so toll gefunden, da hat er sich vielleicht sogar ein bisschen dafür geschämt." Dabei sei das Buch sprachlich grandios, findet Breckwoldt.
(gem)