Wie sich die Rolle der Interpreten verändert
Mehr musikalischer Kurator als originärer Schöpfer: Produzenten und Stars wie Drake wandeln das Bild des Musikers und Sängers. Kollaboration und Teamarbeit sind angesagt, wenn es heutzutage darum geht, eine erfolgreiche Popmarke zu verkörpern.
Der Rapper und Sänger Drake aus Kanada ist ein Weltstar, der dabei ist, die Rolle des Musikers umzukrempeln. Denn "More Life" ist kein Album mehr, sondern eine Playlist, sagt er. Das Mixtape des Streaming-Zeitalters.
Darauf zu finden: nicht nur Musik von Drake. Er scheint sich also eher als Trendsetter zu begreifen denn als Musiker, der unbedingt selbst zum Mikro greifen muss. Stattdessen kuratiert er also Playlisten, wie es bei Streaming-Diensten üblich ist. Und macht damit die eigenen Fans zu Fans seiner Neuentdeckungen, zum Beispiel Black Coffee aus Südafrika.
Hans Nieswandt: "So gesehen spielt der eigentliche Künstler weniger die Rolle, dass er die ganze Kunst macht, sondern die Identifikationsfigur für das Ganze ist. Und man kann natürlich sagen, das hat auch was Kuratorisches. Aber auch da ist die Frage, wie viel kuratiert er selbst, oder wie viel wird für ihn kuratiert."
Hans Nieswandt ist DJ und Leiter des Instituts für Populäre Musik an der Folkwang Universität in Essen. Hinter jedem großen Star steckt letztlich auch eine Marke, und die lässt sich kommerziell verwerten, so Nieswandt. Was wirklich vom Künstler selbst kommt, ist schwer zu sagen. Und das auch bei den Songs, die sie selbst singen.
Viele basteln an einer erfolgreichen Personenmarke
Diese entstehen in kürzester Zeit und unter Beteiligung unzähliger Texter und Komponisten, erklärt John Seabrock, Autor des Buchs "The Song Machine. Inside the Hit Factory":
"Das ist ein ganz spezielles Verfahren, mit dem Rihanna vielleicht gar nicht so gut umgehen könnte. Der Künstler läuft eher von Studio zu Studio, verbreitet ein bisschen magische Stimmung, hört sich an, wie es vorangeht und steuert vielleicht hier und da mal etwas bei."
Als Rihannas Karriere begonnen hat, musste sie – oder eher ihre Manager – für ihre Songs kämpfen. Denn ein einziger Song kann eine ganze Karriere bedeuten. Bei ihr war das 2007 "Umbrella".
John Seabrook: "Die Produzenten wollten natürlich, dass ein bereits etablierter Star den Titel zum Hit macht. So macht man als Songwriter Geld. Sie hatten sich Mary J. Blidge und Britney Spears als Sängerin gewünscht. Rihanna war 2007 noch nicht der Star, der sie heute ist. Aber als sie und ihr Team den Song hörten, war ihnen klar: Dieses Stück wird sie zum Star machen. Und dann riefen sie fast täglich bei den Produzenten an, um den Titel 'Umbrella' zu bekommen."
Die Interpreten halten den Kopf hin
Typisch für das Pop-Business – die Interpreten auf der Bühne halten ihren Kopf hin, und versprechen den Songwritern und Produzenten im Hintergrund möglichst viele Hits. Heute sucht sich Rihanna oder ihr Team die angesagtesten Produzenten der Stunde aus.
Den Chart-Pop der Stunde bestimmen Produzenten-Teams wie Stargate aus Norwegen, Benny Blanco oder Bebe Rexha. Doch so langsam scheinen die Produzenten und Songwriter genug davon zu haben, unerkannt im Hintergrund zu arbeiten.
Ein Songschreiber plaudert aus dem Nähkästchen
Im Podcast "And the Writer is ..." plaudert der Songschreiber Ross Golan mit Kollegen aus dem Nähkästchen, um sein Business in den Vordergrund zu rücken. Und Stargate und Julia Micheals wollen nun selbst ihr Gesicht zeigen.
Julia Micheals. Sie ist eine Toplinerin, hockt also mit Produzenten im Studio und hört sich so lange einen elektronischen Track an, bis ihr die "Uuhhhs" und "Aaaahhs" für den Refrain über die Lippen kommen. Ihre Songs wandern zu Selena Gomez und Justin Bieber. Jetzt will sie selbst auf die Bühne und hat gerade ihre erste EP veröffentlicht.
John Seabrook: "Sie ist als Songwriterin total erfolgreich. Und dann hat sie entschieden, einige ihre Songs selbst zu singen. Aber das ist gar nicht so leicht als Songwriter, weil allen klar ist, dass Selena Gomez viel mehr Geld mit dem Song eingespielt hätte."
Sagt Seabrock. Aber die Macht der großen Künstler wie Justin Bieber, Rihanna oder Calvin Harris scheint zu schwinden.
Kollaboration und Teamarbeit sind angesagt
In diesem Pop-Jahr traut sich kein Popkünstler mehr, eine Single alleine zu veröffentlichen. Der am besten bezahlte DJ der Welt, Calvin Harris, hat dieses Prinzip verstanden: Auf seinem neuen Album "Funk Wav Bounces Vol 1" hat er bei jedem Song drei bis sogar vier Featuring-Partner dabei. Ähnlich wie Drake. Viel hilft viel. Das zeigt: Kollaborieren und Teamarbeit scheint das Thema des Jahres. Als Solokünstlerin mit einem Titel wie Rihanna 2007 voll durchzustarten, scheint dagegen Schnee von gestern zu sein.