Die Hölle, das sind die Schlagzeuger
Büchners merkwürdiger Zwitter aus Historiendrama und Expressionismus hätte einer ordnenden Hand bedurft. Die Kräfte einfach fließen zu lassen - wie unter der Regie von Jette Steckel in Hamburg geschehen - führt in Chaos, Zähheit und laute Trommel-Duelle.
Als der eiserne Vorhang sich hebt, ist die Welt schon irrsinnig in Bewegung. Die Darsteller schieben wie die Flügel einer Drehtür eine die gesamte Bühnenhöhe ausfüllende, offene Weltkugel an und lassen sie kreisen, laufen atemlos neben ihr her. Dazu wummert von links ein Bass, hämmert von rechts ein Keyboard, flackern gelbe und rote Lichter, steigt Rauch auf. Gleichermaßen Untergangs- wie Protestszenario, evoziert das Eingangsbild moderne Aufstandsbewegungen wie Occupy oder Stuttgart 21.
Es ist wieder alles da, was Inszenierungen von Jette Steckel ausmacht: Auf Höhe des Äquators hat Bühnenbildner Florian Lösche eine Plattform in die Weltkugel eingezogen, da spielen die Schauspieler in schwindelnder Höhe, an Seilen gesichert wie bereits im "Woyzeck" auf dem die Bühne überspannenden Netz zehn Meter über dem Boden. Die Überwindung der Höhenangst ist Teil der gemeinsamen Energie, genauso wie die musikalischen Fähigkeiten der Hauptdarsteller wieder mit eingebunden werden: Danton (Jörg Pohl) und Robespierre (Daniel Lommatzsch) ziehen für ihr Rededuell vor dem Revolutionstribunal jeweils eine Schlagzeugbatterie nach vorn und trommeln gegeneinander an. Und erneut spürt Jette Steckel jedem einzelnen Büchner-Satz nach, lässt ihn im Munde wenden und in seinen Wirkungen ausprobieren.
In der Tom-Waits-Musical-Version vom "Woyzeck" ergab das einen bunten Flickenteppich von für sich beeindruckenden, teilweise widersprüchlichen Einzelszenen, aus denen jeder Zuschauer sich sein persönliches Drama zusammenpuzzeln konnte. Doch das reicht in "Dantons Tod" eben nicht. Denn Büchners merkwürdiger Zwitter, schwankend zwischen traditionellem Historiendrama und ins 20. Jahrhundert voraus weisendem Expressionismus, hätte einer starken, ordnenden Hand bedurft. Die Kräfte einfach fließen zu lassen, führt hier ins Chaos: Vor allem im zweiten Teil, wenn die Musik immer mehr überhand nimmt und Danton und Robespierre, statt einander musikalisch zu bekriegen, ihre Schlagzeugsoli zu einem höllisch lauten Konzert vereinen, während Jörg Pohl als Danton Büchners Text vergeblich dagegen an zu schreien und zu behaupten sucht.
Daniel Lommatzsch genügen eine schwer schwarz geränderte Brille und der zwischen Wortfindungsstörung und Lautkaskade fahrig hin und her springende Sprechhabitus eines ehemaligen Stotterers, um seinen Robespierre als Zwangsneurotiker zu kennzeichnen: Trotz der Kreideflecken auf seiner Kleidung, mit denen er sich als Arbeiter im Weinberg der Revolution geriert, ist dieser Robespierre ein Rühr-mich-nicht-an: Die Welt muss seinen Tugendrichtlinien entsprechen, damit sie ihm nicht gefährlich nahe kommt.
Jörg Pohl lässt als Danton seinen Bart und seine wechselnden Eingebungen wuchern, doch der sinnenfrohe Genießer verkörpert nur die andere Seite von Robespierres Persönlichkeitsstörung: Nie kann es ihm genug sein an Liebe und Aufmerksamkeit von außen, mal überschätzt er den Schutz, den die Sympathien des Volkes ihm bieten, dann wieder, sich abgelehnt fühlend, provoziert er mit Ihr-könnt-mich-mal-Gehabe Verurteilung und Tod.
Doch wie dieses Private ins Politische übergeht, vermag Jette Steckel nicht zu fassen. Hilflos der von Camille (Mirco Kreibich) vorgetragene moderne Texteinschub, alle zehn Minuten verhungere ein Kind, obwohl nachweislich genug für alle geerntet werde. Und? Welche neue Revolution könnte für Verteilungsgerechtigkeit sorgen? Die aufrüttelnd gemeinte Rede bestätigt den Zuschauer nur in seiner distanzierten Trägheit, denn was wir nicht ändern können, haben wir gelernt, gelassen zu ertragen.
In der bisher ungebrochenen Erfolgsreihe der erst 30-jährigen Regisseurin ist dies ein erster schwächerer Abend. Das Publikum im Thalia-Theater applaudierte seiner Lokalmatadorin dennoch frenetisch, auch wenn der Dramenstier hier nicht in einer eleganten Kür erlegt wurde, sondern erst nach zweieinhalbstündigem, zähem Kampf fiel.
Informationen des Hamburger Thalia Theaters zu "Dantons Tod"
Es ist wieder alles da, was Inszenierungen von Jette Steckel ausmacht: Auf Höhe des Äquators hat Bühnenbildner Florian Lösche eine Plattform in die Weltkugel eingezogen, da spielen die Schauspieler in schwindelnder Höhe, an Seilen gesichert wie bereits im "Woyzeck" auf dem die Bühne überspannenden Netz zehn Meter über dem Boden. Die Überwindung der Höhenangst ist Teil der gemeinsamen Energie, genauso wie die musikalischen Fähigkeiten der Hauptdarsteller wieder mit eingebunden werden: Danton (Jörg Pohl) und Robespierre (Daniel Lommatzsch) ziehen für ihr Rededuell vor dem Revolutionstribunal jeweils eine Schlagzeugbatterie nach vorn und trommeln gegeneinander an. Und erneut spürt Jette Steckel jedem einzelnen Büchner-Satz nach, lässt ihn im Munde wenden und in seinen Wirkungen ausprobieren.
In der Tom-Waits-Musical-Version vom "Woyzeck" ergab das einen bunten Flickenteppich von für sich beeindruckenden, teilweise widersprüchlichen Einzelszenen, aus denen jeder Zuschauer sich sein persönliches Drama zusammenpuzzeln konnte. Doch das reicht in "Dantons Tod" eben nicht. Denn Büchners merkwürdiger Zwitter, schwankend zwischen traditionellem Historiendrama und ins 20. Jahrhundert voraus weisendem Expressionismus, hätte einer starken, ordnenden Hand bedurft. Die Kräfte einfach fließen zu lassen, führt hier ins Chaos: Vor allem im zweiten Teil, wenn die Musik immer mehr überhand nimmt und Danton und Robespierre, statt einander musikalisch zu bekriegen, ihre Schlagzeugsoli zu einem höllisch lauten Konzert vereinen, während Jörg Pohl als Danton Büchners Text vergeblich dagegen an zu schreien und zu behaupten sucht.
Daniel Lommatzsch genügen eine schwer schwarz geränderte Brille und der zwischen Wortfindungsstörung und Lautkaskade fahrig hin und her springende Sprechhabitus eines ehemaligen Stotterers, um seinen Robespierre als Zwangsneurotiker zu kennzeichnen: Trotz der Kreideflecken auf seiner Kleidung, mit denen er sich als Arbeiter im Weinberg der Revolution geriert, ist dieser Robespierre ein Rühr-mich-nicht-an: Die Welt muss seinen Tugendrichtlinien entsprechen, damit sie ihm nicht gefährlich nahe kommt.
Jörg Pohl lässt als Danton seinen Bart und seine wechselnden Eingebungen wuchern, doch der sinnenfrohe Genießer verkörpert nur die andere Seite von Robespierres Persönlichkeitsstörung: Nie kann es ihm genug sein an Liebe und Aufmerksamkeit von außen, mal überschätzt er den Schutz, den die Sympathien des Volkes ihm bieten, dann wieder, sich abgelehnt fühlend, provoziert er mit Ihr-könnt-mich-mal-Gehabe Verurteilung und Tod.
Doch wie dieses Private ins Politische übergeht, vermag Jette Steckel nicht zu fassen. Hilflos der von Camille (Mirco Kreibich) vorgetragene moderne Texteinschub, alle zehn Minuten verhungere ein Kind, obwohl nachweislich genug für alle geerntet werde. Und? Welche neue Revolution könnte für Verteilungsgerechtigkeit sorgen? Die aufrüttelnd gemeinte Rede bestätigt den Zuschauer nur in seiner distanzierten Trägheit, denn was wir nicht ändern können, haben wir gelernt, gelassen zu ertragen.
In der bisher ungebrochenen Erfolgsreihe der erst 30-jährigen Regisseurin ist dies ein erster schwächerer Abend. Das Publikum im Thalia-Theater applaudierte seiner Lokalmatadorin dennoch frenetisch, auch wenn der Dramenstier hier nicht in einer eleganten Kür erlegt wurde, sondern erst nach zweieinhalbstündigem, zähem Kampf fiel.
Informationen des Hamburger Thalia Theaters zu "Dantons Tod"