Die hohen Maßstäbe der Bildungsministerin

Von Jürgen König |
Annette Schavan wird sich jetzt mit dem auseinander setzen müssen, was sie vor 32 Jahren geschrieben hat. Und sie wird auch darüber reden müssen - das ist sie der Öffentlichkeit schuldig, meint Jürgen König. Bis dahin gelte die Unschuldsvermutung.
Mit anonymen Vorwürfen könne man schwerlich umgehen, sagt Annette Schavan. Allein: Sie wird es tun müssen. Ja, das Anonyme der Beschuldigungen, dem immer auch etwas Feiges und Diffamierendes anhaftet, ist abzulehnen, schon weil die Motive dieser Angriffe völlig im Dunkeln bleiben. Doch ganz gleich, ob da jemand Frau Schavan aus welchen Gründen auch immer angreifen will oder den Kampf um die wissenschaftliche Rechtschaffenheit mit einem weiteren prominenten Fall fortsetzen möchte: Auch Frau Schavan muss die Dokumente, die "schavanplag" zusammenführt, zur Kenntnis nehmen und sich mit ihnen auseinandersetzen.

Akribisch werden dort Auszüge der erziehungswissenschaftlichen Dissertation Annette Schavans einzelnen Passagen aus der Fachliteratur gegenübergestellt. Die inhaltlichen Entsprechungen sind immer wieder groß, die Ähnlichkeiten der Formulierungen oft genug mehr als auffallend. Kein "Graubereich" des gerade noch erlaubten Zitierens, zitiert die Süddeutsche Zeitung den Münchener Rechtswissenschaftler Volker Rieble, dafür gäbe es zu viele "Wortidentitäten", "eine Arbeitsweise" werde deutlich". Ein hartes Urteil - entscheidend ist nun, ob die angeführten Textstellen korrekt wiedergegeben werden oder nicht. Das sollte die Universität Düsseldorf möglichst bald herausfinden.

Wer jemals einen Text geschrieben hat, weiß, wie viel Sorgfalt es erfordert, die fremden Gedanken für Leser - oder Hörer - unterscheidbar zu machen von den eigenen Gedanken. Und wie groß die Versuchung ist, die fremden Gedanken - zumal, wenn es besonders schöne sind -, sich formulierend so anzuverwandeln, dass sie fortan als eigene Gedanken dastehen. Womit man nicht nur andere, sondern auch sich selbst getäuscht hätte. Jeder Schreibende ist in dieser Gefahr; mancher erliegt ihr und korrigiert sich dann - oder eben auch nicht.

Auch einer Doktorandin von Mitte 20, im vordigitalen Zeitalter noch mit Zettelkasten operierend, konnte das passieren. Wie darüber zu urteilen wäre, hängt maßgeblich davon ab, wie diese frühere Doktorandin jetzt damit umgeht: Als angesehene Bundesministerin für Bildung und Forschung. Die Messlatte liegt sehr hoch: In der Plagiatsaffäre um die Promotion des Karl-Theodor zu Guttenberg war es Annette Schavan, die sehr früh schon sagte, sie schäme sich "nicht nur heimlich". Ob sie auch an sich selbst so hohe Maßstäbe setzt? Ich glaube, ja.

Sie wird sich mit dem auseinandersetzen, was sie vor 32 Jahren geschrieben hat; dafür braucht sie Zeit; viel Zeit aber wird sie nicht haben. Bei jedem öffentlichen Auftritt wird das Thema "Plagiatsverdacht" in den Köpfen präsent, wird der mediale Druck, etwas "aufgeklärt" zu sehen, spürbar sein - leider. Mit ihren Kritikern wolle sie reden, wenn die ihre Anonymität aufgegeben hätten. Das werden die "Kritiker" nicht tun - was zu kritisieren ist. Über das Thema wird Frau Schavan trotzdem reden müssen, das ist sie als Ministerin der Öffentlichkeit schuldig. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung - und mediale Zurückhaltung wäre auch nicht schlecht.
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