Armin Greder: Die Insel
Mit einem Nachwort von Heribert Prantl
Fischer Sauerländer
32 Seiten, 16,00 Euro
Flüchtlingsdebatte in Comic-Form
An einem Strand wird ein nackter Mann angeschwemmt, ein Flüchtling. Das Comic "Die Insel" beschreibt, was dann passiert und wie er im Dorf aufgenommen wird. Ein verstörendes und eindrucksvolles Buch mit einem schwer erträglichen Ende.
"Am Morgen fanden die Inselbewohner einen Mann am Strand, da wo Meeresströmung und Schicksal sein Floß hingeführt hatten. Er stand auf, als er sie kommen sah. Er war nicht wie sie."
Der Mann hat keinen Namen, er hat keine Sprache und keine Kleider. Seine Herkunft ist nicht zu erkennen und spielt in der Geschichte auch keine Rolle. Völlig nackt und mit kahlem Kopf steht er vor den Inselbewohnern und schaut ihnen – und den Betrachtern des ersten Bildes – gerade in die Augen.
"Sie starrten ihn an. Sie fragten sich, warum er hierhergekommen sei. Was er hier wolle. Einer sagte, es sei wohl am besten, wenn der Mann gleich wieder weggeschickt würde – da, wo er hingehörte."
Die Dorfbewohner sprechen nicht mit dem Mann, sie sprechen über ihn. Dick und feist, mit dunklen Kleidern, gezückten Mistgabeln und Harken, mit verzerrten Gesichtern und weit aufgerissenen Augen treten sie auf den Mann zu, um ihn wieder aufs Meer hinauszuschicken. Nur der Fischer, der mit den Gefahren des Meeres vertraut ist, stellt sich an die Seite des Mannes.
"'Es wäre sein Tod, und den möchte ich nicht auf dem Gewissen haben', sagte er. 'Wir müssen ihn aufnehmen.'"
Die meisten Kinderbücher bemühen sich, den Geschichten von Flucht und Fremdsein eine positive Wendung zu geben. Die jungen Leser sollen sehen, dass es sich lohnt, die Flüchtlinge willkommen zu heißen und Freundschaft mit ihnen zu schließen. "Die Insel" erzählt etwas anderes. Im Jahr 2002 kam das Buch mit dem Untertitel "Eine tägliche Geschichte" auf den Markt. Es gewann unter anderen den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis und verschwand nach wenigen Jahren wieder, obwohl die Flüchtlingsdebatte auch damals schon ein brisantes Thema war. Zehn Jahre lang war "Die Insel" vergriffen. Nun hat die Wirklichkeit Armin Greders Buch wieder an Land gespült, versehen mit einem Nachwort des Journalisten Heribert Prantl, eines glühenden Verfechters humaner Flüchtlingspolitik.
"Wir können doch nicht einfach jeden durchfüttern, der zu uns kommt"
"Ich schreibe seit 25 Jahren zu den Flüchtlingsproblemen, hab Bücher dazu geschrieben, eine Streitschrift dazu veröffentlicht - ich krieg viele solche Anfragen, Nachwörter, Vorwörter zu schreiben zu neu erschienenen Büchern im Bereich Migration, aber dieses Buch hat mich gleich gepackt in seiner Konzentration und in der Dichte dieser Bilder."
"'Wir können doch nicht einfach jeden durchfüttern, der zu uns kommt', empörte sich der Krämer. 'Sonst müssen wir selbst bald Hunger leiden.' Der Fischer schlug vor, jemand solle den Mann anstellen, damit er sich seinen Unterhalt selbst verdienen könne. 'Und nebenbei bemerkt', sagte der Fischer leise, 'dem könnt Ihr doch weniger zahlen als einem von hier.'"
Die Angst ist größer als das Vertrauen, dass der Fremde ein – vielleicht sogar nützliches – Mitglied der Dorfgemeinschaft werden könnte.
"'Ich bin sicher, dass er uns alle umbringen würde, wenn er Gelegenheit dazu hätte', sagte der Wachmeister."
Prantl: "Dann verbreitet auch die Zeitung Furcht, indem sie schlichtweg eine Schlagzeile verbreitet, die heißt: Fremder verbreitet Furcht."
Heribert Prantl beginnt sein Nachwort mit der Vision eines Flüchtlingsbuches. 60 Mio Flüchtlinge weltweit – sie alle sollte dieses Buch umfassen. Selbst mit nur einer einzigen Seite für jeden Flüchtling würde diese Sammlung eine riesige Bibliothek füllen.
"Dieser nackte Mann, der hier angeschwemmt wird, ist der - auch wenn er nie so bezeichnet wird - ist der Flüchtling, er ist ein Einzelfall, von dem man weiß beim Lesen: ein einzelnes Schicksal, das millionenfach derzeit auf der Welt stattfindet und gelebt werden muss."
"Angst machte sich breit"
Ebenso exemplarisch wie die Figur des Mannes ist das Verhalten der Dorfbewohner.
Prantl: "Das ist ja ein allgemeingültiges Destillat der Flüchtlingsdebatten, die wir seit vielen Jahren führen. In wenigen Sätzen und in ganz, ganz eindrucksvollen Bildern wird gezeigt, was in unserer Gesellschaft los ist."
"Angst machte sich breit. Die Lage sei bedrohlich, sagten einige. Man habe es schon schwer genug. Der Mann sei ein Fremder. Er solle gehen. Er müsse weg."
"Die Insel" ist ein verstörendes Buch. Es ist weder sprachlich noch auf der Bildebene ein wirkliches Kinderbuch. Selbst für Erwachsene sind die düsteren Illustrationen und das hoffnungslose Ende des Buches schwer zu ertragen. Vielleicht vor allem deshalb, weil sie sich selbst darin wiederfinden könnten: In dem skeptischen Gastwirt, der ängstlichen Mutter, dem Panik verbreitenden Wachtmeister – oder auch in der Figur des Fischers, der wohlwollend ist, aber zu leise. Eines immerhin hat sich in den 13 Jahren seit dem ersten Erscheinen des Buches geändert: Die Anzahl der Fischer hat sich – zumindest in Deutschland – deutlich erhöht.
Prantl: "Heute haben wir Gott sei Dank eine ziemlich starke Zivilgesellschaft - das ist wirklich neu. Das ist das Eindrucksvolle, aber es macht das Buch nicht falsch - weil diese Haltung, und das ist das, was mich momentan wirklich umtreibt, wird wieder stärker: Diese Abwehrhaltung, dieses: 'Wir können es doch nicht packen', was die Gesellschaft dieses kleinen Dorfes, die Armin Greder beschreibt, kennzeichnet."