Jasamin Ulfat-Seddiqzai lehrt und forscht an der Universität Duisburg-Essen zu britischer Literatur im 19. Jahrhundert. Ihre Schwerpunkte sind Orientalismus, Stereotypenbildung und Männlichkeitsbilder, insbesondere im Kontext der Anglo-Afghanischen Kriege, über die sie derzeit ihre Dissertation schreibt. Ihre journalistischen Texte behandeln Xenophobie, Frauen im Islam und erschienen in der „taz“ und der „Rheinischen Post“.
Neue Rechte
Mitglieder und Sympathisanten der AfD demonstrieren in Greifswald gegen die Corona-Maßnahmen. © picture alliance / dpa / Stefan Sauer
Die inszenierte Harmlosigkeit
Selbstverharmlosung ist die Strategie, mit der die gar nicht mehr so neue Rechte versucht, salonfähig zu werden. Wer vor ihr warnt, erscheine dann schrill und alarmistisch, meint die Wissenschaftlerin Jasamin Ulfat-Seddiqzai.
Im Bundestagswahlkampf hatte die AfD sich einen skurrilen Slogan ausgedacht. Auf kitschigen Wahlplakaten prangte der Spruch: „Deutschland. Aber normal.“ Abgesehen davon, dass das nach einer Blödelkomödie mit Tom Gerhardt klingt, hat es einen seltsamen Beigeschmack, wenn man die eigene Normalität so überbetont. Ähnlich dem Wolf, der mit Kreide, Mehl und Teig die sieben Geißlein überlisten will, sendeten auch die Wahlplakate die zuckersüße Botschaft: Liebe Kinder, die AfD hat jedem von euch etwas Leckeres aus dem Wald mitgebracht, so macht doch endlich die Tür auf!
Die Rechnung ist nicht aufgegangen, und so hat das vergleichsweise schlechte Wahlergebnis dafür gesorgt, dass das intellektuelle Gesicht der Partei, Jörg Meuthen, wohl die längste Zeit Parteivorsitzender gewesen ist. Auf dem nächsten Bundesparteitag wird sich ein Ritual wiederholen: Denn alle paar Jahre schält sich eine bereits rechte AfD aus ihrem bürgerlichen Kokon, um sich dann als noch rechtere Raupe erneut zu verpuppen.
Von Lucke über Petry bis Meuthen verschlingt die rechte Revolution ihre Kinder. Denn nach außen muss die Partei gleichzeitig harmlos und aggressiv erscheinen, also konservativ das Bürgerliche vertreten – und trotzdem zum Umsturz aufrufen. Eigentlich ist das unmöglich.
Umsturzfantasien und Fackelzüge
Wie man es vielleicht doch hinbekommt, hat der völkische Denker Götz Kubitschek 2017 skizziert, als er in einem Artikel die Strategie der „Selbstverharmlosung“ vorstellte. Im Zentrum steht die „Zurschaustellung der eigenen Harmlosigkeit“, die dazu dient, emotionale Barrieren zwischen der bürgerlichen Mitte und der extremen Rechten einzureißen. Kubitschek hatte verstanden, dass es dem Durchschnittsbürger schwerfällt, einen Demokratiefeind zu erkennen, wenn er wie ein Biedermeier aussieht. Grölende Neonazis stören und haben zusätzlich eine menschenverachtende Ideologie. Es ist sehr einfach, da dagegen zu sein. Dass aber jemand, der ordentlich seinen Müll trennt, gleichzeitig ein Menschenfeind ist, können wir uns nicht vorstellen.
Die Strategie funktionierte nicht. Erst vor ein paar Tagen berichtete der Bayrische Rundfunk über Umsturzfantasien in einer Telegram-Chatgruppe der AfD. Auch gegen die Corona-Maßnahmen wird zunehmend aggressiver mobilisiert. Die Freude am Krawall ist zu groß, als dass man sie völlig unterdrücken kann. Wozu wird man rechts, wenn man nicht einmal Fackelzüge vor Privathäusern von Politikern organisieren darf? Jetzt kam heraus, dass Kubitscheks „Institut für Staatspolitik“ seit zwei Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Auch dem Erfinder der Selbstverharmlosung gelingt sie also nicht.
Rechte Agitatoren verkleidet als Biedermänner
Ist die Strategie damit gescheitert? Leider nicht, denn eine Konsequenz der Selbstverharmlosung ist sehr effektiv. Wenn rechte Agitatoren sich als biedere Langweiler verkleiden, tauchen sie damit nicht nur unter. Ihre gespielte Bürgerlichkeit lässt jeden, der sich gegen sie stellt, wie einen hysterischen Alarmisten erscheinen. Und so hatten die Rechten auf der Frankfurter Buchmesse ein kleines Erfolgserlebnis. Im Oktober sagte die schwarze Autorin Jasmina Kuhnke dort ihre Teilnahme ab, weil Rechtsextreme wie Philip Stein ausstellen durften. Durch ihre Absage wurde sie zur „wütenden“ schwarzen Frau, während Stein und sein Verlag als einfache Aussteller wahrgenommen wurden.
Im Feuilleton wurde Kuhnkes vermeintlicher „Kurzschlussaktivismus“ hoch- und runterdiskutiert, jeder wusste, wie sie es hätte besser machen können. Die Anwesenheit der rechtsextremen Verleger hatte ein Polylemma geschaffen: eine Situation nämlich, in der jede Reaktion unbeholfen wirkt. Klar kann sich Kuhnke bedroht fühlen, mit Opfern rassistischer Gewalt haben wir gerne Mitleid. Aber sie muss dabei leise sein, um uns mit ihrem privaten Bedrohungsproblem nicht das Buchmesse-Erlebnis zu vermiesen.
In dem Moment, wo Menschen wie Kuhnke den Mund aufmachen, erscheinen sie überempfindlich. Wenn wir jedoch die Mahner zu Spielverderbern erklären, vergessen wir, wer wirklich den Frieden stört: diejenigen nämlich, die mit gebügelten Hosen den Untergang der Demokratie planen, während sie uns harmlos ins Gesicht lächeln.