"Die Inszenierungen waren sehr laut"
Der US-amerikanische Regisseur Travis Preston verfolgte das Berliner Theatertreffen als Teil einer Gruppe von ausländischen Gästen. "Testament" von She She Pop hat den stärksten Eindruck bei ihm hinterlassen.
Susanne Burkhardt: Herr Preston – nach einer Woche Theater Total – welches ist Ihr stärkster Eindruck vom Theatertreffen 2011?
Travis Preston: Den stärksten Eindruck hat bei mir das Stück "Testament" von She She Pop hinterlassen. Ich fand das eine ausgesprochen interessante Performance, weil sie außerhalb des konventionellen Theatersystems stattfand.
Mich hat das Stück sehr bewegt. Neben den Performern stehen ja auch deren Väter mit auf der Bühne. Und was da abgehandelt wurde, die Geschichte von Liebe und Vermögen und Vererben – das hat mich sehr berührt. Es war so inszeniert, dass ich das Gefühl hatte, ich hätte wirklich Zeit mit diesen Menschen verbracht. Auffallend war, dass alle Stücke, die wir beim Theatertreffen gesehen haben, direkt das Publikum ansprachen. Immer haben die Schauspieler unmittelbar zu uns gesprochen. Das zeigt ja, dass das Theater in Deutschland sehr auf Diskurs ausgerichtet ist. Und dieser Ansatz geht zurück auf eine lange Tradition des deutschen Theaters – bis hin zu Schiller und Goethe. Danach ist die Bühne ein Ort, an dem kulturelle Werte vermittelt werden. Zum Beispiel in lehrender Form – wie es Schiller genannt hat: moralische Anstalt.
Burkhardt: Das Theater als moralische Anstalt.
Preston: Dieser Ansatz ist noch immer sehr aktuell. Es ist interessant, dass man in fast allen gezeigten Stücken einen Teil dieser Idee wiederfinden konnte.
Burkhardt: Dabei waren die Themen alle recht unterschiedlich – wir hatten die Bandbreite von "Biberpelz", inszeniert von Herbert Fritsch, sehr klamaukig, sehr schräg, es gab die Jelinek-Text-Blöcke aus dem Schauspiel Köln, wir hatten Tschechow mit dem "Kirschgarten" und das von Ihnen eben erwähnte und so gut gefundene Stück von She She Pop "Testament". Gibt es andere Gemeinsamkeiten, die Sie gesehen haben in diesen Inszenierungen – oder etwas was das deutsche Theater heute ausmacht aus ihrer Sicht?
Preston: Ich finde, dass die Stücke, die von den Stadttheatern kommen, äußerst kontrolliert wirken. Das ist vielleicht der Grund, warum ich hier keine wirklich überraschenden Erfahrungen machen konnte. Die Handschrift des Regisseurs steht immer zwischen den Zuschauern und der Bühne als vermittelndes Element. Das ist ganz offensichtlich. Natürlich kann man ein klassisches Theaterstück einrichten, inszenieren – aber eben nicht so, dass man die ganze Zeit den Einfluss des Regisseurs überdeutlich erkennt. Das war in allen Inszenierungen wirklich klar zu sehen – bis auf She She Pop, die ja ein Theaterkollektiv sind, und keinen klassischen Regisseur dabei haben.
Burkhardt: Weil der Regisseur auf der Bühne steht als Darsteller gleichzeitig.
Preston: Genau. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Regisseur den Diskurs ganz genau kontrolliert. Wenn man dann also Szenen sieht, die Chaos darstellen sollen – wie zum Beispiel im Jelinek-Stück, dann wird nicht das Chaos – sondern nur das Bild des Chaos' gezeigt, das vom Regisseur durchinszeniert ist.
Burkhardt: Das ist das kontrollierte Chaos. Und das hat Sie gestört?
Preston: Nein. Ich habe es einfach wahrgenommen. Das hat mich nicht gestört. Aber ehrlich gesagt, sehne ich mich nach dem Unmittelbaren, dem Überraschenden, auch in dem Sinne, dass meine Beziehung zum Schauspieler direkter ist – und eben niemand zwischen uns steht. Diese Idee, dass jemand dazwischen geschaltet ist, zeigt sich oft auch in formale Strukturen. Beispielsweise waren die Inszenierungen sehr laut. Sehr laut. Das ist natürlich eine formale Entscheidung, wie der Text dem Publikum vermittelt werden soll.
In gewisser Weise ist das auch außerordentlich überwältigend– zum Beispiel beim Jelinek-Stück – da werden wir aufgrund der Expressivität die uns von der Bühne entgegenkommt überwältigt. Und auch beim "Biberpelz" – da wurden wir auf eine Weise überwältigt, die ich wirklich schwer auszuhalten fand. Ich hab darin keinen Wert erkennen können. Das Stück war für mich einfach sehr schlecht. Ich glaube, ich hab verstanden, was der Regisseur Herbert Fritsch da versucht hat – diese äußerst aggressive Haltung zum Publikum – aber man hat wenig dafür bekommen, dass man sich das angeschaut hat. Das sind so einige charakteristische Merkmale. Aber: Es war auch extrem intensiv.
Burkhardt: Ist das etwas typisch Deutsches? Sie haben ja in Europa inszeniert, in den Vereinigten Staaten. Was Sie gerade beschrieben haben, diese Lautstärke, dieses Schreien, dieses Angreifen auch des Zuschauers – ist das typisch deutsch?
Preston: Ich weiß nicht. Ich glaube nicht. Zumindest, bei den anderen Stücken, die ich hier in Deutschland gesehen habe, war es nicht mein genereller Eindruck, dass das etwas absolut Charakteristisches ist. Es gibt natürlich eine starke Regie-Theater-Tradition hier in Deutschland. Und auch ich bin davon beeinflusst – gar keine Frage. Meine Arbeit ist Teil dieser Tradition.
Aber die genaue Kontrolle des Schauspielers – die ich in den Theatertreffen-Stücke bemerkt habe, die wir gesehen haben, ist schon recht einzigartig. Wenn ich dagegen an die Volksbühne denke und an Frank Castorfs Arbeiten - natürlich war mir da auch klar, dass hier ein großer Regisseur präsent ist – aber gleichzeitig ist eben auch viel mehr von der kreativen Individualität und Fantasie der Schauspieler zu spüren. Ich würde sagen, dass die Anarchie der Fantasie, die ein Martin Wuttke auf die Bühne bringt, diese Anarchie fehlte den Inszenierungen, die ich hier beim Theatertreffen gesehen habe.
Burkhardt: Deutschlandradio Kultur, ich spreche mit dem amerikanischen Theaterregisseur Travis Preston, er ist künstlerischer Leiter des Zentrums für neue Performance, am California Institute of Arts in Los Angelos und inszeniert als Regisseur in den USA und Europa. Jetzt war er als Beobachter beim Theatertreffen in Berlin zu Gast, Herr Preston, Sie waren in einer Gruppe von anderen Theatermachern unterwegs, was waren die wichtigsten Diskussionen, die Sie geführt haben nach den Aufführungen?
Preston: Die Themen, die ich bereits angesprochen habe, über die Lautstärke der Inszenierungen, wie überwältigend bis aufdringlich die Stücke waren, auch die Frage der direkten Ansprache wurde viel diskutiert. Und manche meiner Kollegen waren sehr verstört. Sie fanden, dass die Inszenierungen immer auf einem Ton blieben. Wenig Nuancen. Und die meisten ablehnenden Reaktionen gab es zu "Biberpelz".
Burkhardt: Aus amerikanischer Sicht muss ja Deutschland wirken wie so ein Theaterparadies mit seinen vielen subventionierten Stadt- und Staatstheatern. Gibt es so eine Art neidischen Blick von Theaterliebhabern nach Deutschland?
Preston: Grundsätzlich stimmt das. Wir schauen auf das deutsche Theater mit einigem Neid, weil es so großartig finanziert wird. Das Schwierigste in den USA ist, hier eine seriöse Theaterkarriere zu machen. Wir haben viele junge Künstler hier, die kaum unterstützt werden, auch wenn sie ihren Beruf wirklich ernst nehmen. Es ist sehr schwer für sie, wenn sie nicht nur kommerziell orientiert sind. Und so ist es für viele von uns eine reizvolle Strategie, mit deutschen Theatern zu kooperieren.
Ein großer Teil meiner Karriere fand in Europa statt. Aber auch im Rest der Welt - zum Beispiel Hongkong. Ich habe in vielen verschiedenen Ländern gearbeitet. Wie viele andere amerikanische Regisseure auch. Alle unsere Studenten arbeiten medienübergreifend. Es gibt allerdings eine Sache, die die USA und Deutschland verbindet: ein zunehmendes Interesse an Arbeiten, die nicht ins klassische Repertoire eines Stadttheater passen. So wie She She Pop beispielsweise. So etwas wird man vermutlich nicht grundsätzlich im Deutschen Schauspielhaus Hamburg sehen können.
Das Gleiche gilt für eine Reihe von unabhängigen Produktionen in den Vereinigten Staaten – die werden Sie auch in keinem konventionellen Theater sehen. Was wir erleben, ist eine fehlende Infrastruktur an Unterstützung für solche Arbeiten, die die Genre-Grenzen verwischen. Ein Stück, was nicht auf Text basiert, hat es immer noch in beiden Ländern schwer.
Burkhardt: Naja, es gibt ja hier die Idee, dass solche Stücke wie She She Pop nur in der Off-Szene entstehen können, weil sie mit weniger finanziellen Mitteln klarkommen müssen, weil man mehr improvisiert und weil einfach auch eine andere Energie in dieser Off-Szene herrscht – sodass ja diese Off-Szene oft als eine Art Durchlauferhitzer gesehen wird, um dann die großen Theater zu beliefern mit diesen neuen Energien, mit diesen neuen Leuten.
Preston: Ja. Aber ich finde, wir müssen einen neuen Weg finden, um solche Arbeiten in die großen, subventionierten Häuser zu integrieren. Wenn ich Sie beispielsweise fragen würde, ob Sie lieber die Whooster-Group sehen wollen oder ein Stück aus einem großen Stadttheater in einer beliebigen Stadt der Vereinigten Staaten – dann würden Sie sich sicher für die Whooster-Group entscheiden.
Wir müssen verstehen, dass es in den USA sehr schwer für einen Künstler ist, sich innerhalb eines bestimmten ästhetischen Rahmens zu entwickeln. Und vermutlich gilt das auch für Europa – mehr jedenfalls, als wir denken. Als ich in Frankreich gearbeitet habe – wenn ich da zum Beispiel ans National-Theatre de la Colline denke, oder auch die anderen großen Häuser – das sind nicht die Orte, an denen wir immer nur großartiges Theater zu sehen bekommen.
Ich denke diesen Institutionen würde die kreative Energie der unabhängigen Theater gut tun. Aber genau das findet nicht statt. Dabei würden alle sehr davon profitieren, wenn es mehr Austausch in dieser Richtung gäbe.
Burkhardt: Ich finde, dass jetzt beim Theatertreffen Inszenierungen wie von She She Pop, und auch kleinere Städte wie Oberhausen und Schwerin eingeladen wurde, oder auch das Ballhaus Naunynstraße "Verrücktes Blut", auch eine Off-Theaterinszenierung, ist ja vielleicht schon ein Zeichen, dass in diese Richtung gedacht wird. Zumindest in Deutschland, dass man also die Energien und die Themen, die diese kleinen Theater aufgreifen auch versucht einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Und möglicherweise sitzt der eine oder andere Intendant auch in diesen Vorstellungen und sagt: "Ich will mir die mal ins Haus holen". Also, diese Bewegung scheint es ja schon zu geben.
Preston: Das wär toll, wenn das passiert. Das ist das Positive am Theatertreffen, dass jetzt auch kleinere Gruppen gezeigt werden. Und es ist interessant für mich, dass die Jury die "bemerkenswertesten" Stücke auswählt und nicht zwangsläufig die "besten". Das hat mich anfangs irritiert - aber jetzt schätze ich diese Auswahl – denn es gibt dir einen viel besseren Überblick über die allgemeinen Impulse des deutschen Theaters, als wenn nur die Inszenierungen gezeigt werden, von denen die Kritiker meinen, es seien die absolut Besten.
Travis Preston: Den stärksten Eindruck hat bei mir das Stück "Testament" von She She Pop hinterlassen. Ich fand das eine ausgesprochen interessante Performance, weil sie außerhalb des konventionellen Theatersystems stattfand.
Mich hat das Stück sehr bewegt. Neben den Performern stehen ja auch deren Väter mit auf der Bühne. Und was da abgehandelt wurde, die Geschichte von Liebe und Vermögen und Vererben – das hat mich sehr berührt. Es war so inszeniert, dass ich das Gefühl hatte, ich hätte wirklich Zeit mit diesen Menschen verbracht. Auffallend war, dass alle Stücke, die wir beim Theatertreffen gesehen haben, direkt das Publikum ansprachen. Immer haben die Schauspieler unmittelbar zu uns gesprochen. Das zeigt ja, dass das Theater in Deutschland sehr auf Diskurs ausgerichtet ist. Und dieser Ansatz geht zurück auf eine lange Tradition des deutschen Theaters – bis hin zu Schiller und Goethe. Danach ist die Bühne ein Ort, an dem kulturelle Werte vermittelt werden. Zum Beispiel in lehrender Form – wie es Schiller genannt hat: moralische Anstalt.
Burkhardt: Das Theater als moralische Anstalt.
Preston: Dieser Ansatz ist noch immer sehr aktuell. Es ist interessant, dass man in fast allen gezeigten Stücken einen Teil dieser Idee wiederfinden konnte.
Burkhardt: Dabei waren die Themen alle recht unterschiedlich – wir hatten die Bandbreite von "Biberpelz", inszeniert von Herbert Fritsch, sehr klamaukig, sehr schräg, es gab die Jelinek-Text-Blöcke aus dem Schauspiel Köln, wir hatten Tschechow mit dem "Kirschgarten" und das von Ihnen eben erwähnte und so gut gefundene Stück von She She Pop "Testament". Gibt es andere Gemeinsamkeiten, die Sie gesehen haben in diesen Inszenierungen – oder etwas was das deutsche Theater heute ausmacht aus ihrer Sicht?
Preston: Ich finde, dass die Stücke, die von den Stadttheatern kommen, äußerst kontrolliert wirken. Das ist vielleicht der Grund, warum ich hier keine wirklich überraschenden Erfahrungen machen konnte. Die Handschrift des Regisseurs steht immer zwischen den Zuschauern und der Bühne als vermittelndes Element. Das ist ganz offensichtlich. Natürlich kann man ein klassisches Theaterstück einrichten, inszenieren – aber eben nicht so, dass man die ganze Zeit den Einfluss des Regisseurs überdeutlich erkennt. Das war in allen Inszenierungen wirklich klar zu sehen – bis auf She She Pop, die ja ein Theaterkollektiv sind, und keinen klassischen Regisseur dabei haben.
Burkhardt: Weil der Regisseur auf der Bühne steht als Darsteller gleichzeitig.
Preston: Genau. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Regisseur den Diskurs ganz genau kontrolliert. Wenn man dann also Szenen sieht, die Chaos darstellen sollen – wie zum Beispiel im Jelinek-Stück, dann wird nicht das Chaos – sondern nur das Bild des Chaos' gezeigt, das vom Regisseur durchinszeniert ist.
Burkhardt: Das ist das kontrollierte Chaos. Und das hat Sie gestört?
Preston: Nein. Ich habe es einfach wahrgenommen. Das hat mich nicht gestört. Aber ehrlich gesagt, sehne ich mich nach dem Unmittelbaren, dem Überraschenden, auch in dem Sinne, dass meine Beziehung zum Schauspieler direkter ist – und eben niemand zwischen uns steht. Diese Idee, dass jemand dazwischen geschaltet ist, zeigt sich oft auch in formale Strukturen. Beispielsweise waren die Inszenierungen sehr laut. Sehr laut. Das ist natürlich eine formale Entscheidung, wie der Text dem Publikum vermittelt werden soll.
In gewisser Weise ist das auch außerordentlich überwältigend– zum Beispiel beim Jelinek-Stück – da werden wir aufgrund der Expressivität die uns von der Bühne entgegenkommt überwältigt. Und auch beim "Biberpelz" – da wurden wir auf eine Weise überwältigt, die ich wirklich schwer auszuhalten fand. Ich hab darin keinen Wert erkennen können. Das Stück war für mich einfach sehr schlecht. Ich glaube, ich hab verstanden, was der Regisseur Herbert Fritsch da versucht hat – diese äußerst aggressive Haltung zum Publikum – aber man hat wenig dafür bekommen, dass man sich das angeschaut hat. Das sind so einige charakteristische Merkmale. Aber: Es war auch extrem intensiv.
Burkhardt: Ist das etwas typisch Deutsches? Sie haben ja in Europa inszeniert, in den Vereinigten Staaten. Was Sie gerade beschrieben haben, diese Lautstärke, dieses Schreien, dieses Angreifen auch des Zuschauers – ist das typisch deutsch?
Preston: Ich weiß nicht. Ich glaube nicht. Zumindest, bei den anderen Stücken, die ich hier in Deutschland gesehen habe, war es nicht mein genereller Eindruck, dass das etwas absolut Charakteristisches ist. Es gibt natürlich eine starke Regie-Theater-Tradition hier in Deutschland. Und auch ich bin davon beeinflusst – gar keine Frage. Meine Arbeit ist Teil dieser Tradition.
Aber die genaue Kontrolle des Schauspielers – die ich in den Theatertreffen-Stücke bemerkt habe, die wir gesehen haben, ist schon recht einzigartig. Wenn ich dagegen an die Volksbühne denke und an Frank Castorfs Arbeiten - natürlich war mir da auch klar, dass hier ein großer Regisseur präsent ist – aber gleichzeitig ist eben auch viel mehr von der kreativen Individualität und Fantasie der Schauspieler zu spüren. Ich würde sagen, dass die Anarchie der Fantasie, die ein Martin Wuttke auf die Bühne bringt, diese Anarchie fehlte den Inszenierungen, die ich hier beim Theatertreffen gesehen habe.
Burkhardt: Deutschlandradio Kultur, ich spreche mit dem amerikanischen Theaterregisseur Travis Preston, er ist künstlerischer Leiter des Zentrums für neue Performance, am California Institute of Arts in Los Angelos und inszeniert als Regisseur in den USA und Europa. Jetzt war er als Beobachter beim Theatertreffen in Berlin zu Gast, Herr Preston, Sie waren in einer Gruppe von anderen Theatermachern unterwegs, was waren die wichtigsten Diskussionen, die Sie geführt haben nach den Aufführungen?
Preston: Die Themen, die ich bereits angesprochen habe, über die Lautstärke der Inszenierungen, wie überwältigend bis aufdringlich die Stücke waren, auch die Frage der direkten Ansprache wurde viel diskutiert. Und manche meiner Kollegen waren sehr verstört. Sie fanden, dass die Inszenierungen immer auf einem Ton blieben. Wenig Nuancen. Und die meisten ablehnenden Reaktionen gab es zu "Biberpelz".
Burkhardt: Aus amerikanischer Sicht muss ja Deutschland wirken wie so ein Theaterparadies mit seinen vielen subventionierten Stadt- und Staatstheatern. Gibt es so eine Art neidischen Blick von Theaterliebhabern nach Deutschland?
Preston: Grundsätzlich stimmt das. Wir schauen auf das deutsche Theater mit einigem Neid, weil es so großartig finanziert wird. Das Schwierigste in den USA ist, hier eine seriöse Theaterkarriere zu machen. Wir haben viele junge Künstler hier, die kaum unterstützt werden, auch wenn sie ihren Beruf wirklich ernst nehmen. Es ist sehr schwer für sie, wenn sie nicht nur kommerziell orientiert sind. Und so ist es für viele von uns eine reizvolle Strategie, mit deutschen Theatern zu kooperieren.
Ein großer Teil meiner Karriere fand in Europa statt. Aber auch im Rest der Welt - zum Beispiel Hongkong. Ich habe in vielen verschiedenen Ländern gearbeitet. Wie viele andere amerikanische Regisseure auch. Alle unsere Studenten arbeiten medienübergreifend. Es gibt allerdings eine Sache, die die USA und Deutschland verbindet: ein zunehmendes Interesse an Arbeiten, die nicht ins klassische Repertoire eines Stadttheater passen. So wie She She Pop beispielsweise. So etwas wird man vermutlich nicht grundsätzlich im Deutschen Schauspielhaus Hamburg sehen können.
Das Gleiche gilt für eine Reihe von unabhängigen Produktionen in den Vereinigten Staaten – die werden Sie auch in keinem konventionellen Theater sehen. Was wir erleben, ist eine fehlende Infrastruktur an Unterstützung für solche Arbeiten, die die Genre-Grenzen verwischen. Ein Stück, was nicht auf Text basiert, hat es immer noch in beiden Ländern schwer.
Burkhardt: Naja, es gibt ja hier die Idee, dass solche Stücke wie She She Pop nur in der Off-Szene entstehen können, weil sie mit weniger finanziellen Mitteln klarkommen müssen, weil man mehr improvisiert und weil einfach auch eine andere Energie in dieser Off-Szene herrscht – sodass ja diese Off-Szene oft als eine Art Durchlauferhitzer gesehen wird, um dann die großen Theater zu beliefern mit diesen neuen Energien, mit diesen neuen Leuten.
Preston: Ja. Aber ich finde, wir müssen einen neuen Weg finden, um solche Arbeiten in die großen, subventionierten Häuser zu integrieren. Wenn ich Sie beispielsweise fragen würde, ob Sie lieber die Whooster-Group sehen wollen oder ein Stück aus einem großen Stadttheater in einer beliebigen Stadt der Vereinigten Staaten – dann würden Sie sich sicher für die Whooster-Group entscheiden.
Wir müssen verstehen, dass es in den USA sehr schwer für einen Künstler ist, sich innerhalb eines bestimmten ästhetischen Rahmens zu entwickeln. Und vermutlich gilt das auch für Europa – mehr jedenfalls, als wir denken. Als ich in Frankreich gearbeitet habe – wenn ich da zum Beispiel ans National-Theatre de la Colline denke, oder auch die anderen großen Häuser – das sind nicht die Orte, an denen wir immer nur großartiges Theater zu sehen bekommen.
Ich denke diesen Institutionen würde die kreative Energie der unabhängigen Theater gut tun. Aber genau das findet nicht statt. Dabei würden alle sehr davon profitieren, wenn es mehr Austausch in dieser Richtung gäbe.
Burkhardt: Ich finde, dass jetzt beim Theatertreffen Inszenierungen wie von She She Pop, und auch kleinere Städte wie Oberhausen und Schwerin eingeladen wurde, oder auch das Ballhaus Naunynstraße "Verrücktes Blut", auch eine Off-Theaterinszenierung, ist ja vielleicht schon ein Zeichen, dass in diese Richtung gedacht wird. Zumindest in Deutschland, dass man also die Energien und die Themen, die diese kleinen Theater aufgreifen auch versucht einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Und möglicherweise sitzt der eine oder andere Intendant auch in diesen Vorstellungen und sagt: "Ich will mir die mal ins Haus holen". Also, diese Bewegung scheint es ja schon zu geben.
Preston: Das wär toll, wenn das passiert. Das ist das Positive am Theatertreffen, dass jetzt auch kleinere Gruppen gezeigt werden. Und es ist interessant für mich, dass die Jury die "bemerkenswertesten" Stücke auswählt und nicht zwangsläufig die "besten". Das hat mich anfangs irritiert - aber jetzt schätze ich diese Auswahl – denn es gibt dir einen viel besseren Überblick über die allgemeinen Impulse des deutschen Theaters, als wenn nur die Inszenierungen gezeigt werden, von denen die Kritiker meinen, es seien die absolut Besten.