Die Invasion der Bilder
Durch das Internet werden die Wände, die uns umgeben, zunehmend durchlässig. Immer mehr vormals Privates wird öffentlich. Schnappschüsse, die früher in Schuhkartons im Wohnzimmerschrank vergilbten, werden nun auf Fotoportalen wie Flickr millionenfach vor den Augen der Welt ausgebreitet. Was bisher auf Dachböden und Kellern in aller Herren Länder verborgen war, lässt sich auf Ebay durchwühlen. Über Mitmach-Netze wie Facebook und Twitter teilen die Menschen mit, wo sie sind und was sie tun.
Nun kommt Google StreetView. Die Einen sehen das geplante Angebot als Teil einer rasch anwachsenden digitalen Öffentlichkeit, in der jeder quasi automatisch Mitglied ist. Wer seine Hausfassade nicht in diesem städtischen Abbild sehen möchte, gilt als gestrig. Andere fühlen sich regelrecht überrollt und von den aus fast drei Meter Höhe über Hecken und Zäune fotografierenden Kameraautos der Firma Google ausspioniert. Fotografen sehen die Panoramafreiheit gefährdet, also das Recht, in der Öffentlichkeit ohne besondere Genehmigung fotografieren zu dürfen.
Dass ein Dienst, der kostenlos der Öffentlichkeit etwas Öffentliches zur Verfügung stellt, eine solche Kontroverse auslöst, während beispielsweise Adresshändler seit langem weitaus intimere, mikrogeografische Daten zu Millionen von Häusern und ihren Bewohnern sammeln und verkaufen, weist darauf hin, dass StreetView stellvertretend für ein Unbehagen an dem gesamten digitalen Wandel steht. Google hat sich im Vorfeld allerdings alles andere als geschickt angestellt. So wurde etwa bekannt, dass von den Kamerafahrzeugen im Vorbeifahren nicht nur Fotos aufgenommen, sondern auch Funknetze belauscht worden waren.
Wer nicht möchte, dass seine Hausfassade in StreetView zu sehen ist, kann sozusagen eine virtuelle Hecke hochziehen und die Fotografien unscharf machen lassen. Manche fürchten, Einbrecher könnten die Bilder zu ihren Zwecken nützen. Über eine Zunahme der Kriminalität in den Städten, in denen StreetView bereits seit drei Jahren verfügbar ist, war bisher allerdings noch nichts zu hören.
Der praktische Nutzen, etwa für Wohnungssuchende, die einen Eindruck von der Umgegend bekommen möchten oder für Rollstuhlfahrer, die nach einem barrierefreien Zugang Ausschau halten, wird durch die Verknüpfung mit zusätzlichen Informationen bald zunehmen. Ladenbetreiber oder Hotels beispielsweise werden Interesse daran haben, die bloßen Fotos ihrer Immobilie auch interaktiv zugänglich zu machen. Hier zeichnet sich schon der nächste Schritt der Digitalisierung ab: Die Besitzer von Geschäften werden mit Sicherheit die ersten sein, die einer Erfassung von Innenräumen, ob fotografisch oder dreidimensional, zustimmen werden, um ihr Angebot in aller Ausführlichkeit darbieten zu können, gefolgt von öffentlichen Gebäuden wie Museen und durchaus auch Behörden.
Widerstand gegen die Hopplahopp-Methoden von Google macht nichtsdestotrotz Sinn. Das durch unkenntlich gemachte Fassaden getrübte Vergnügen einer virtuellen Fahrt durch die Stadt kann auch einen Konzern wie Google durchaus dazu bringen, seine neuen Dienste vielleicht nicht mehr so aggressiv wie bisher einzuführen.
Im Übrigen sind es längst nicht mehr nur virtuelle Technologien, die eingreifen in das, was heute öffentlich sein soll und was nicht. Wer die automatische S-Bahn zwischen dem Hafen der japanischen Stadt Kobe und der künstlich angelegten Insel Rokko benutzt, kann während der Fahrt ein bemerkenswertes Phänomen beobachten. An einigen Streckenteilen fährt der Zug sehr nahe an Wohnhäusern vorbei, jeweils kurz davor werden die Fensterscheiben des Zugs plötzlich milchig und undurchsichtig – um die Privatsphäre der Anwohner zu schützen. Die Scheiben sind aus sogenanntem "Privacy Glass” gefertigt, das sich auf Knopfdruck zwischen durchsichtig und intransparent umschalten lässt. Kleine Signalgeber an der Strecke teilen den Zugfenstern automatisch mit, wann sie den elektronischen Vorhang zuziehen sollen und wann der Blick wieder freigegeben werden kann in die Bereiche, die uns gemeinsam verfügbar sind - in die Öffentlichkeit.
Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren. Lebt als Schreibprogramm in Berlin. Glaser ist Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Bachmann-Preisträger und begleitet seit drei Jahrzehnten die Entwicklung der digitalen Welt.
Dass ein Dienst, der kostenlos der Öffentlichkeit etwas Öffentliches zur Verfügung stellt, eine solche Kontroverse auslöst, während beispielsweise Adresshändler seit langem weitaus intimere, mikrogeografische Daten zu Millionen von Häusern und ihren Bewohnern sammeln und verkaufen, weist darauf hin, dass StreetView stellvertretend für ein Unbehagen an dem gesamten digitalen Wandel steht. Google hat sich im Vorfeld allerdings alles andere als geschickt angestellt. So wurde etwa bekannt, dass von den Kamerafahrzeugen im Vorbeifahren nicht nur Fotos aufgenommen, sondern auch Funknetze belauscht worden waren.
Wer nicht möchte, dass seine Hausfassade in StreetView zu sehen ist, kann sozusagen eine virtuelle Hecke hochziehen und die Fotografien unscharf machen lassen. Manche fürchten, Einbrecher könnten die Bilder zu ihren Zwecken nützen. Über eine Zunahme der Kriminalität in den Städten, in denen StreetView bereits seit drei Jahren verfügbar ist, war bisher allerdings noch nichts zu hören.
Der praktische Nutzen, etwa für Wohnungssuchende, die einen Eindruck von der Umgegend bekommen möchten oder für Rollstuhlfahrer, die nach einem barrierefreien Zugang Ausschau halten, wird durch die Verknüpfung mit zusätzlichen Informationen bald zunehmen. Ladenbetreiber oder Hotels beispielsweise werden Interesse daran haben, die bloßen Fotos ihrer Immobilie auch interaktiv zugänglich zu machen. Hier zeichnet sich schon der nächste Schritt der Digitalisierung ab: Die Besitzer von Geschäften werden mit Sicherheit die ersten sein, die einer Erfassung von Innenräumen, ob fotografisch oder dreidimensional, zustimmen werden, um ihr Angebot in aller Ausführlichkeit darbieten zu können, gefolgt von öffentlichen Gebäuden wie Museen und durchaus auch Behörden.
Widerstand gegen die Hopplahopp-Methoden von Google macht nichtsdestotrotz Sinn. Das durch unkenntlich gemachte Fassaden getrübte Vergnügen einer virtuellen Fahrt durch die Stadt kann auch einen Konzern wie Google durchaus dazu bringen, seine neuen Dienste vielleicht nicht mehr so aggressiv wie bisher einzuführen.
Im Übrigen sind es längst nicht mehr nur virtuelle Technologien, die eingreifen in das, was heute öffentlich sein soll und was nicht. Wer die automatische S-Bahn zwischen dem Hafen der japanischen Stadt Kobe und der künstlich angelegten Insel Rokko benutzt, kann während der Fahrt ein bemerkenswertes Phänomen beobachten. An einigen Streckenteilen fährt der Zug sehr nahe an Wohnhäusern vorbei, jeweils kurz davor werden die Fensterscheiben des Zugs plötzlich milchig und undurchsichtig – um die Privatsphäre der Anwohner zu schützen. Die Scheiben sind aus sogenanntem "Privacy Glass” gefertigt, das sich auf Knopfdruck zwischen durchsichtig und intransparent umschalten lässt. Kleine Signalgeber an der Strecke teilen den Zugfenstern automatisch mit, wann sie den elektronischen Vorhang zuziehen sollen und wann der Blick wieder freigegeben werden kann in die Bereiche, die uns gemeinsam verfügbar sind - in die Öffentlichkeit.
Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren. Lebt als Schreibprogramm in Berlin. Glaser ist Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Bachmann-Preisträger und begleitet seit drei Jahrzehnten die Entwicklung der digitalen Welt.