Die irdische Schwester der ISS
Das Envihab sei wichtig für die Zukunftsforschung, erläuterte Rupert Gerzer zum Start des neuen Labors in Köln: als Link zwischen Raumfahrt, Wissenschaft, Industrie und terrestrischer Medizin. Auch ganz normale Besucher werden die Anlage besichtigen können, betonte der Raumfahrtmediziner.
Dieter Kassel: Einer der Gründe, warum Wissenschaftler zur Raumstation ISS schicken und sie dort viele Monate leben lassen, ist herauszufinden, wie sich der menschliche Körper in einer für ihn so ungewöhnlichen Umgebung wie dem Weltall verhält. Das wird auch weiterhin sinnvoll sein, aber zumindest einiges, wozu man bisher diese gut 400 Kilometer ins All fliegen musste, das geht jetzt auch im rechtsrheinischen Köln. Dort, genauer im Stadtteil Porz, eröffnet das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sein Envihab, ein Wort, gebildet aus "Environment", englisch für Umgebung und "Habitat", Latein für Lebensraum. Bei mir im Studio ist jetzt der Leiter des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR, Professor Rupert Gerzer. Schönen guten Tag!
Rupert Gerzer: Ja, guten Tag!
Kassel: Ist es denn wirklich, wir ahnen es alle, in Grenzen, aber ist es denn wirklich möglich, mitten im Rheinland in etwa die Bedingungen herzustellen, die auf der ISS herrschen?
Gerzer: Also das Wesentliche, die Schwerelosigkeit, können wir nicht herstellen. Zum Glück können wir auch nicht die gefährliche Strahlenumgebung herstellen, aber wir haben ein Labor, in dem wir Bettruhestudien, Isolationsstudien machen können, und zwar unter hoch definierten Bedingungen. In Schwerelosigkeit haben wir ja eines der Probleme, dass dadurch, dass man schwebt, schwerelos ist, man nicht mehr gehen, laufen, stehen muss, und deshalb bauen die entsprechenden Körpersysteme ab. Knochen, Muskeln, auch das Herzkreislaufsystem. Und wenn man im Bett liegt und in Kopftieflage, dann sind einige dieser Effekte ähnlich wie in Schwerelosigkeit. Und jetzt sagt man, na ja, im Bett liegen, da brauchen wir keine Forschungsanlage.
Aber wir haben eine Anlage mit zwölf Betten so ausgestattet, dass wir Tag und Nacht, auch wenn der Proband schlafen kann, dann ihn untersuchen können, Blut abnehmen können zum Beispiel im Schlaf, ohne dass der gestört wird. Wir haben direkt neben dieser Anlage einen sogenannten Magnetresonanztomografen. In der Anlage selber können wir die Konzentration der Luft genau einstellen, und da ist ganz wichtig jetzt nicht nur der Sauerstoff und der Stickstoff, sondern vor allem das Kohlendioxid. In der Raumstation haben wir nämlich immer hohes Kohlendioxid, das ja da aus der Luft immer herausgefiltert werden muss. Dann haben wir auch noch eine Zentrifuge, die ist weltweit ganz einmalig.
Kassel: Da möchte ich aber den offiziellen Namen, das habe ich mir gemerkt. Das ist eine Kurzarm-Humanzentrifuge.
Gerzer: Genau. Bedeutet, auf der Zentrifuge gibt es so eine Art von Schlitten, da kann wieder der Astronaut drauf liegen, die Astronautin – oder der Proband, die Probandin drauf liegen, und wir können das so machen, dass der Kopf der Person direkt im Zentrum liegt. Wenn sich also die Zentrifuge dreht, dann dreht sich der Kopf nur, wird aber nicht beschleunigt, während der ganze Körper sich natürlich auch dreht. Und je weiter das Ganze von dem Zentrum weg ist, umso mehr beschleunigt wird. Und damit haben wir ein Verhältnis, wo wir dann, wenn wir während des Drehens jemand auch noch am Fahrradergometer treten lassen oder hüpfen oder so etwas machen, wo dann genau diese Teile des Körpers, die in Schwerelosigkeit entlastet werden, mehr belastet werden, als wenn wir nur auf der Erde wären. Weil wir ja dann ein paar, zwei, drei Gs Beschleunigung, also zwei-, dreifache Erdanziehungskraft Beschleunigung haben.
Und da wissen wir inzwischen, wenn man so was macht und dann da trainiert, dann sinkt die Trainingszeit, die man braucht, um Astronauten auch fit zu halten und die Effektivität wird größer. Also wir machen die Zentrifugenstudien dazu, um auf Raumstationen oder später auch mal irgendwann auf dem Weg zum Mond oder zum Mars dann Trainingsmöglichkeiten mit so kleinen Zentrifugen zu haben, die es uns ermöglichen, dass die Astronauten nur wenig trainieren müssen. Unser Problem ist nämlich, dass die derzeit jeden Tag zweieinhalb Stunden trainieren müssen mit vollem Einsatz und Eifer. Und das sind alles Menschen, und deshalb funktioniert das nicht so optimal, wie es sein sollte, weil es denen einfach zu viel ist. Ein Astronaut kann sich auch hinterher nicht duschen, der schwitzt dann und muss sich nur mit einem Tuch abwischen. Und deshalb sind unsere derzeitigen Möglichkeiten quasi ausgereizt.
Kassel: Wenn sie jetzt dieses Beispiel gebracht haben, mögliche Marsflüge – wir sind noch ein bisschen weit entfernt von bemannten Marsflügen, aber dann denkt man natürlich an dieses Experiment in Russland, da in Moskau, was vor, ich glaube, so gut eineinhalb Jahre sind es ja inzwischen, zu Ende ging. Diese simulierte Marsmission, wo es ja auch ganz stark darum ging, zu sehen, wie groß die psychischen Belastungen bei so einer derartig langen Reise sind und wie man dem begegnen kann. Ist so was auch denkbar bei Ihnen in Köln?
Gerzer: So was ist denkbar, aber ich sage immer, unsere Anlage ist nicht eine Anlage, um Missionen zu beforschen, sondern um Fragen zu beforschen. Wir wollen also wissenschaftliche Fragestellungen beforschen, und ich sage auch, der Flug zum Mars, der kann von mir aus noch dauern. Man soll den dann machen, wenn wirklich die Zeit reif ist. Aber wir haben so viele Probleme in der Medizin, die noch nicht gelöst sind und die auch, wo die Lösungen auch auf der Erde angewandt werden können, dass wir jetzt die Stück für Stück angehen können, dann gleich auch umsetzen können.
Ob ich jetzt einen Astronauten fit halte, wenn der Knochen nicht abgebaut werden soll, oder ob ich die Lösungen anwende auf der Medizin, da ist die Fragestellung ja die gleiche. Das heißt, ich sage, wir nutzen auch diese Laboranlage, um Fortschritte einfach auf der Erde zu machen. Wenn wir dann wissen, wie wir den Knochenabbau und so weiter gut aufhalten können auf der Erde, dann können wir das später auch beim Marsflug anwenden.
Kassel: Das heißt aber auch, jetzt haben wir beide – daran bin ich natürlich auch schuld –, weil das immer das Spannende ist, so oft über Astronauten gesprochen und über die Möglichkeiten, die man auch in Science-Fiction-Filmen sieht. Aber es geht bei dem, was sie machen werden im Envihub, nicht unbedingt nur darum, Astronauten auf irgendwelche Reisen vorzubereiten?
Gerzer: Es geht auch darum, aber ein Schwerpunkt der Strategie in diesem Envihub ist, dass man die Verlinkung zur normalen terrestrischen Medizin massiv intensiviert. Wir haben deshalb auch in den letzten paar Jahren Forschungsnetzwerke geschlossen auch mit Wissenschaftlern, die überhaupt nichts mit der Raumfahrt zu tun haben. Die einfach sagen, die Möglichkeiten, die da im Envihub sind, haben wir einfach an einer normalen Universität nicht. Wir können an der Universität nicht, wie jetzt wir es können, zwölf Probanden über längere Zeit ganz definiert betreuen. Und dem definierten Stress oder den definierten Herausforderungen aussetzen, zum Beispiel sie einfach für zwei Monate ins Bett legen. Weil das in der Uni nicht geht, ist die Infrastruktur nicht vorhanden. Und da kann man dann gucken, wie reagiert der Gesunde auf verschiedene Sachen? Das heißt, wir wollen ja letztlich, wenn wir den Astronauten betreuen, nichts anderes als gesunde Leistungsträger in der mobilen Gesellschaft gesund und leistungsfähig erhalten. Und da gibt es so viele Analogien in der normalen Medizin, vor allem der präventiven Medizin, dass wir am besten, glaube ich, vorankommen, wenn wir uns in Netzwerken mit den Wissenschaftlern vernetzen und auch mit der entsprechenden Industrie. Und das machen wir ja auch im Envihub.
Kassel: Wir reden heute Vormittag hier im Deutschlandradio Kultur mit Rupert Gerzer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt über Envihub, eine neue Forschungseinrichtung in Köln, die morgen eröffnet wird. Forschungseinrichtung, kann man sagen, ist natürlich nicht zuletzt auch ein Gebäude. Wenn man es von außen sieht, ein großer moderner Flachbau, Nutzfläche ist, glaube ich, 3500 Quadratmeter. Wir haben jetzt über zwei Dinge konkret geredet, über diese möglichen Schlafexperimente, wir haben über die, ich sag das noch mal, Kurzarm-Humanzentrifuge geredet. Aber wie habe ich mir dieses Gebäude vorzustellen? Ist das quasi modular, also können Sie da auf eine Art Turnhallenfläche, Mehrzweckhalle alles Mögliche ein- und abbauen?
Gerzer: Wir haben ein modulares Gebäude. Das ist eine Strategie dahinter, weil wir natürlich verschiedene Herausforderungen zusammenbauen, zum Beispiel ein Physiologie-Modul. Da sagt der normale Mediziner, ja, Physiologie machen wir überall, aber wir haben ein großes Modul, wo wir dann die Probanden, wenn wir mal eine Zwei-Monate-Bettruhestudie machen, auch so in dieses Modul reinschieben können, dass überhaupt die Untersuchungen durchgeführt werden können. Man muss sich ja vorstellen, in so einer Studie dann bis zu 50 oder 30 Gruppen von Wissenschaftlern teil, und wollen sich alle auf die armen zwölf Probanden stürzen.
Deshalb hat man dann ein Modul wieder, wo dann die Uni - die Charité von mir aus oder die Leute von Houston in Amerika - der eine über den Knochen forschen kann, der andere will das Herz-Kreislauf-System. Und immer muss der entsprechende Proband dann da reingeschoben werden. Und eine ganz wichtige Funktion ist nicht nur die Wissenschaft, sondern auch, dass wir eine begehbare, für die Öffentlichkeit begehbare Forschungseinrichtung schaffen. Wir wollen der Öffentlichkeit zeigen können, was wir da tun. Wir können natürlich nicht jeden jederzeit reinlassen, aber Gruppen können hier reingeführt werden, und dann kann man in die einzelnen Module immer dann reingehen, wenn gerade keine Studien laufen. Die Zentrifuge wird auch nicht immer in Betrieb sein. Das heißt, wir werden sehr oft auch die Zentrifuge zeigen können und einfach so Zukunftsforschung auch so ein bisschen öffentlich machen.
Kassel: Vielleicht noch ein Beispiel zum Schluss. Es ist ja immer sehr naheliegend, wenn Sie über Knochenschwund und Ähnliches denken, wo man so ein bisschen weiß, ja, das passiert, wenn man da oben ist. Gibt etwas, das ist, glaube ich, ein großer Wunsch von Ihnen, da neue Ergebnisse zu finden, das Thema Bluthochdruck. Und da sage ich natürlich, Bluthochdruck, klar, das ist eine Volkskrankheit, gibt es ja aber doch auch Tabletten. Was hat zum Beispiel Bluthochdruck mit der ISS oder mit einer möglichen Marsmission zu tun.
Gerzer: Ja, wir haben ja in der Schwerelosigkeit immer die tolle Herausforderung, immer dann, wenn die Astronauten anders reagieren, als wir das vorhersagen. Dann haben wir ja nicht ein komisches Phänomen bei Astronauten, sondern dann haben wir unsere Physiologie nicht verstanden. Es ist zum Beispiel vor ein paar Jahren passiert, dass beim Flüssigkeitshaushalt des Körpers ganz was anderes herausgekommen ist, als im Lehrbuch steht. Inzwischen ist diese Forschungsrichtung, von der ich spreche, mitten in der medizinischen Forschung angekommen, und da wird jetzt gerade unser Wissen über die Blutdruckregulation, auch über ganz neues Wissen über den Zusammenhang zwischen dem Immunsystem und der Blutdruckregulation wirklich auf eine neue Basis gestellt. Und deshalb brauchen wir auch solche irdischen Referenzlabors für die Raumstation, weil ja doch 99 Prozent unserer Forschung im Labor erfolgt und nicht auf der Raumstation.
Kassel: Es sieht ein bisschen aus wie eine architektonisch doch anspruchsvoll gemachte Lagerhalle. Es ist aber in Wirklichkeit, wenn ich das mal so poetisch ausdrücken darf, die Brücke eigentlich zwischen der Erde und dem Weltall, wie Ihre ganze Forschung. Morgen wird in Köln das Envihub eröffnet, das ist ein neues Forschungszentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Und der Leiter des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR, Professor Rupert Gerzer, war bei uns im Studio, um uns dieses Zentrum zu erklären. Ich danke Ihnen sehr!
Gerzer: Ja, bitteschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Rupert Gerzer: Ja, guten Tag!
Kassel: Ist es denn wirklich, wir ahnen es alle, in Grenzen, aber ist es denn wirklich möglich, mitten im Rheinland in etwa die Bedingungen herzustellen, die auf der ISS herrschen?
Gerzer: Also das Wesentliche, die Schwerelosigkeit, können wir nicht herstellen. Zum Glück können wir auch nicht die gefährliche Strahlenumgebung herstellen, aber wir haben ein Labor, in dem wir Bettruhestudien, Isolationsstudien machen können, und zwar unter hoch definierten Bedingungen. In Schwerelosigkeit haben wir ja eines der Probleme, dass dadurch, dass man schwebt, schwerelos ist, man nicht mehr gehen, laufen, stehen muss, und deshalb bauen die entsprechenden Körpersysteme ab. Knochen, Muskeln, auch das Herzkreislaufsystem. Und wenn man im Bett liegt und in Kopftieflage, dann sind einige dieser Effekte ähnlich wie in Schwerelosigkeit. Und jetzt sagt man, na ja, im Bett liegen, da brauchen wir keine Forschungsanlage.
Aber wir haben eine Anlage mit zwölf Betten so ausgestattet, dass wir Tag und Nacht, auch wenn der Proband schlafen kann, dann ihn untersuchen können, Blut abnehmen können zum Beispiel im Schlaf, ohne dass der gestört wird. Wir haben direkt neben dieser Anlage einen sogenannten Magnetresonanztomografen. In der Anlage selber können wir die Konzentration der Luft genau einstellen, und da ist ganz wichtig jetzt nicht nur der Sauerstoff und der Stickstoff, sondern vor allem das Kohlendioxid. In der Raumstation haben wir nämlich immer hohes Kohlendioxid, das ja da aus der Luft immer herausgefiltert werden muss. Dann haben wir auch noch eine Zentrifuge, die ist weltweit ganz einmalig.
Kassel: Da möchte ich aber den offiziellen Namen, das habe ich mir gemerkt. Das ist eine Kurzarm-Humanzentrifuge.
Gerzer: Genau. Bedeutet, auf der Zentrifuge gibt es so eine Art von Schlitten, da kann wieder der Astronaut drauf liegen, die Astronautin – oder der Proband, die Probandin drauf liegen, und wir können das so machen, dass der Kopf der Person direkt im Zentrum liegt. Wenn sich also die Zentrifuge dreht, dann dreht sich der Kopf nur, wird aber nicht beschleunigt, während der ganze Körper sich natürlich auch dreht. Und je weiter das Ganze von dem Zentrum weg ist, umso mehr beschleunigt wird. Und damit haben wir ein Verhältnis, wo wir dann, wenn wir während des Drehens jemand auch noch am Fahrradergometer treten lassen oder hüpfen oder so etwas machen, wo dann genau diese Teile des Körpers, die in Schwerelosigkeit entlastet werden, mehr belastet werden, als wenn wir nur auf der Erde wären. Weil wir ja dann ein paar, zwei, drei Gs Beschleunigung, also zwei-, dreifache Erdanziehungskraft Beschleunigung haben.
Und da wissen wir inzwischen, wenn man so was macht und dann da trainiert, dann sinkt die Trainingszeit, die man braucht, um Astronauten auch fit zu halten und die Effektivität wird größer. Also wir machen die Zentrifugenstudien dazu, um auf Raumstationen oder später auch mal irgendwann auf dem Weg zum Mond oder zum Mars dann Trainingsmöglichkeiten mit so kleinen Zentrifugen zu haben, die es uns ermöglichen, dass die Astronauten nur wenig trainieren müssen. Unser Problem ist nämlich, dass die derzeit jeden Tag zweieinhalb Stunden trainieren müssen mit vollem Einsatz und Eifer. Und das sind alles Menschen, und deshalb funktioniert das nicht so optimal, wie es sein sollte, weil es denen einfach zu viel ist. Ein Astronaut kann sich auch hinterher nicht duschen, der schwitzt dann und muss sich nur mit einem Tuch abwischen. Und deshalb sind unsere derzeitigen Möglichkeiten quasi ausgereizt.
Kassel: Wenn sie jetzt dieses Beispiel gebracht haben, mögliche Marsflüge – wir sind noch ein bisschen weit entfernt von bemannten Marsflügen, aber dann denkt man natürlich an dieses Experiment in Russland, da in Moskau, was vor, ich glaube, so gut eineinhalb Jahre sind es ja inzwischen, zu Ende ging. Diese simulierte Marsmission, wo es ja auch ganz stark darum ging, zu sehen, wie groß die psychischen Belastungen bei so einer derartig langen Reise sind und wie man dem begegnen kann. Ist so was auch denkbar bei Ihnen in Köln?
Gerzer: So was ist denkbar, aber ich sage immer, unsere Anlage ist nicht eine Anlage, um Missionen zu beforschen, sondern um Fragen zu beforschen. Wir wollen also wissenschaftliche Fragestellungen beforschen, und ich sage auch, der Flug zum Mars, der kann von mir aus noch dauern. Man soll den dann machen, wenn wirklich die Zeit reif ist. Aber wir haben so viele Probleme in der Medizin, die noch nicht gelöst sind und die auch, wo die Lösungen auch auf der Erde angewandt werden können, dass wir jetzt die Stück für Stück angehen können, dann gleich auch umsetzen können.
Ob ich jetzt einen Astronauten fit halte, wenn der Knochen nicht abgebaut werden soll, oder ob ich die Lösungen anwende auf der Medizin, da ist die Fragestellung ja die gleiche. Das heißt, ich sage, wir nutzen auch diese Laboranlage, um Fortschritte einfach auf der Erde zu machen. Wenn wir dann wissen, wie wir den Knochenabbau und so weiter gut aufhalten können auf der Erde, dann können wir das später auch beim Marsflug anwenden.
Kassel: Das heißt aber auch, jetzt haben wir beide – daran bin ich natürlich auch schuld –, weil das immer das Spannende ist, so oft über Astronauten gesprochen und über die Möglichkeiten, die man auch in Science-Fiction-Filmen sieht. Aber es geht bei dem, was sie machen werden im Envihub, nicht unbedingt nur darum, Astronauten auf irgendwelche Reisen vorzubereiten?
Gerzer: Es geht auch darum, aber ein Schwerpunkt der Strategie in diesem Envihub ist, dass man die Verlinkung zur normalen terrestrischen Medizin massiv intensiviert. Wir haben deshalb auch in den letzten paar Jahren Forschungsnetzwerke geschlossen auch mit Wissenschaftlern, die überhaupt nichts mit der Raumfahrt zu tun haben. Die einfach sagen, die Möglichkeiten, die da im Envihub sind, haben wir einfach an einer normalen Universität nicht. Wir können an der Universität nicht, wie jetzt wir es können, zwölf Probanden über längere Zeit ganz definiert betreuen. Und dem definierten Stress oder den definierten Herausforderungen aussetzen, zum Beispiel sie einfach für zwei Monate ins Bett legen. Weil das in der Uni nicht geht, ist die Infrastruktur nicht vorhanden. Und da kann man dann gucken, wie reagiert der Gesunde auf verschiedene Sachen? Das heißt, wir wollen ja letztlich, wenn wir den Astronauten betreuen, nichts anderes als gesunde Leistungsträger in der mobilen Gesellschaft gesund und leistungsfähig erhalten. Und da gibt es so viele Analogien in der normalen Medizin, vor allem der präventiven Medizin, dass wir am besten, glaube ich, vorankommen, wenn wir uns in Netzwerken mit den Wissenschaftlern vernetzen und auch mit der entsprechenden Industrie. Und das machen wir ja auch im Envihub.
Kassel: Wir reden heute Vormittag hier im Deutschlandradio Kultur mit Rupert Gerzer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt über Envihub, eine neue Forschungseinrichtung in Köln, die morgen eröffnet wird. Forschungseinrichtung, kann man sagen, ist natürlich nicht zuletzt auch ein Gebäude. Wenn man es von außen sieht, ein großer moderner Flachbau, Nutzfläche ist, glaube ich, 3500 Quadratmeter. Wir haben jetzt über zwei Dinge konkret geredet, über diese möglichen Schlafexperimente, wir haben über die, ich sag das noch mal, Kurzarm-Humanzentrifuge geredet. Aber wie habe ich mir dieses Gebäude vorzustellen? Ist das quasi modular, also können Sie da auf eine Art Turnhallenfläche, Mehrzweckhalle alles Mögliche ein- und abbauen?
Gerzer: Wir haben ein modulares Gebäude. Das ist eine Strategie dahinter, weil wir natürlich verschiedene Herausforderungen zusammenbauen, zum Beispiel ein Physiologie-Modul. Da sagt der normale Mediziner, ja, Physiologie machen wir überall, aber wir haben ein großes Modul, wo wir dann die Probanden, wenn wir mal eine Zwei-Monate-Bettruhestudie machen, auch so in dieses Modul reinschieben können, dass überhaupt die Untersuchungen durchgeführt werden können. Man muss sich ja vorstellen, in so einer Studie dann bis zu 50 oder 30 Gruppen von Wissenschaftlern teil, und wollen sich alle auf die armen zwölf Probanden stürzen.
Deshalb hat man dann ein Modul wieder, wo dann die Uni - die Charité von mir aus oder die Leute von Houston in Amerika - der eine über den Knochen forschen kann, der andere will das Herz-Kreislauf-System. Und immer muss der entsprechende Proband dann da reingeschoben werden. Und eine ganz wichtige Funktion ist nicht nur die Wissenschaft, sondern auch, dass wir eine begehbare, für die Öffentlichkeit begehbare Forschungseinrichtung schaffen. Wir wollen der Öffentlichkeit zeigen können, was wir da tun. Wir können natürlich nicht jeden jederzeit reinlassen, aber Gruppen können hier reingeführt werden, und dann kann man in die einzelnen Module immer dann reingehen, wenn gerade keine Studien laufen. Die Zentrifuge wird auch nicht immer in Betrieb sein. Das heißt, wir werden sehr oft auch die Zentrifuge zeigen können und einfach so Zukunftsforschung auch so ein bisschen öffentlich machen.
Kassel: Vielleicht noch ein Beispiel zum Schluss. Es ist ja immer sehr naheliegend, wenn Sie über Knochenschwund und Ähnliches denken, wo man so ein bisschen weiß, ja, das passiert, wenn man da oben ist. Gibt etwas, das ist, glaube ich, ein großer Wunsch von Ihnen, da neue Ergebnisse zu finden, das Thema Bluthochdruck. Und da sage ich natürlich, Bluthochdruck, klar, das ist eine Volkskrankheit, gibt es ja aber doch auch Tabletten. Was hat zum Beispiel Bluthochdruck mit der ISS oder mit einer möglichen Marsmission zu tun.
Gerzer: Ja, wir haben ja in der Schwerelosigkeit immer die tolle Herausforderung, immer dann, wenn die Astronauten anders reagieren, als wir das vorhersagen. Dann haben wir ja nicht ein komisches Phänomen bei Astronauten, sondern dann haben wir unsere Physiologie nicht verstanden. Es ist zum Beispiel vor ein paar Jahren passiert, dass beim Flüssigkeitshaushalt des Körpers ganz was anderes herausgekommen ist, als im Lehrbuch steht. Inzwischen ist diese Forschungsrichtung, von der ich spreche, mitten in der medizinischen Forschung angekommen, und da wird jetzt gerade unser Wissen über die Blutdruckregulation, auch über ganz neues Wissen über den Zusammenhang zwischen dem Immunsystem und der Blutdruckregulation wirklich auf eine neue Basis gestellt. Und deshalb brauchen wir auch solche irdischen Referenzlabors für die Raumstation, weil ja doch 99 Prozent unserer Forschung im Labor erfolgt und nicht auf der Raumstation.
Kassel: Es sieht ein bisschen aus wie eine architektonisch doch anspruchsvoll gemachte Lagerhalle. Es ist aber in Wirklichkeit, wenn ich das mal so poetisch ausdrücken darf, die Brücke eigentlich zwischen der Erde und dem Weltall, wie Ihre ganze Forschung. Morgen wird in Köln das Envihub eröffnet, das ist ein neues Forschungszentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Und der Leiter des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR, Professor Rupert Gerzer, war bei uns im Studio, um uns dieses Zentrum zu erklären. Ich danke Ihnen sehr!
Gerzer: Ja, bitteschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.