Die israelische Elektromusikerin Noga Erez

"Ich spreche für die jungen Leute"

Die israelische Sängerin und Produzentin Noga Erez.
Die israelische Sängerin und Produzentin Noga Erez. © Deutschlandradio / Anja Buchmann
Von Kerstin Poppendieck |
Die 27-jährige Israelin Noga Erez singt über Korruption und Machtmissbrauch. Dennoch bezeichnet sie sich selbst nicht als politisch. Jetzt ist ihr Debütalbum "Off The Radar", für das sie in ihrer Heimat gefeiert wurde, in Deutschland erschienen.
"Auch wenn das nicht meine Absicht war, bin ich mittlerweile eine wichtige Stimme in Israel. Ich spreche für die jungen Leute, vernünftige und aufgeklärte Menschen, die Frieden wollen und die wirklich alles versuchen, um die Situation zu ändern. Und ich finde nicht, dass diese Seite von Israel genug repräsentiert wird."
Wenn man die 27-Jährige reden hört, erwartet man eine Politikerin, oder wenigstens eine Aktivistin. Aber als nichts von Beidem würde sich die israelische Musikerin Noga Erez selbst bezeichnen. Nicht mal das Adjektiv politisch würde sie für ihre Musik verwenden. Auch nicht wenn sie in dem Lied "Dance while you shoot" über die israelische Regierung singt: "Sie nehmen Dein Geld, lassen dich aber im Dunkeln über die wirklich wichtigen Dinge, die dein Leben betreffen und lassen dich gleichzeitig ertrinken in manipulierter Berichterstattung, Ignoranz und Bürokratie."

Wann ist Musik politisch?

Es ist tatsächlich nicht ganz einfach. Wann ist Musik denn politisch? Wenn sie das politische Geschehen kommentiert? Oder schon, wenn man seine eigenen, ganz persönlichen Gedanken in Liedern äußert über ein Leben in einem politisch brisanten Land? Letzteres macht Noga Erez. Es geht ihr nicht darum, politisch korrekt recherchierte Fakten musikalisch zu präsentieren. Es gibt keinen Zeigefinger und auch keinen musikalischen Wahlkampf. Vielmehr ist sie jemand, der sich viele Gedanken macht, über das, was jeden Tag um sie herum passiert. Und diese Gedanken verarbeitet sie in ihrer Musik. Zum Song "Pity" hat sie zum Beispiel eine Massenvergewaltigung in einer Bar in Israel inspiriert, die Gäste gefilmt und später in den sozialen Medien hochgeladen haben. Oder sie singt über Korruption und Machtmissbrauch, wie im Titel "Toy". Die Musik ist entsprechend wütend.
"Ich weiß, was in der Politik passiert, und ich bin von vielen Dingen angenervt. Klar könnte ich einfach meinen Mund aufmachen und meine Meinung sagen über unsere Regierungen und die aktuellen Geschehnisse. Ich finde aber, dass das gerade schon zu oft passiert: Menschen äußern immer öfter öffentlich ihre Meinung, ohne dabei daran zu denken, dass sie eine Verantwortung tragen. Die Leute schreien einfach alles sofort raus, anstatt sich erstmal zu fragen, was die schlauste und verantwortungsvollste Art und Weise wäre, darüber zu sprechen."


Tel Aviv, Noga Erez‘ Heimatstadt, ist eine Blase mit westlichem Lebensstandard und einer sehr lebendigen Kunst- und Kulturszene. Allerdings dauert es von Tel Aviv nur 40 Minuten mit dem Auto, und man ist in einem Kriegsgebiet. Dieses Leben zwischen den Extremen verarbeiten viele junge Musiker aus Tel Aviv in ihren Songs. Manche unterschwellig wie Sun Tailor und Maya Johanna, andere offensiv wie Noga Erez. Und niemand in Tel Aviv entwickelt so kraftvolle und tanzbare Beats wie sie.
"Viele glauben, dass elektronische Musik etwas Kaltes ist, weil es mit einem Computer entstanden ist, durch eine Maschine. Aber das stimmt gar nicht. Am Computer hat man alle Möglichkeiten. Die Musik kann kalt wie warm wirken. Meine Musik ist auch keine typische elektronische Musik. Ich bin eine Songwriterin. Meine Musik ist eher wie Popsongs strukturiert."

Ein Mittel ihrer Lebenswirklichkeit zu entfliehen

Für Noga Erez ist Musik ein Mittel ihrer Lebenswirklichkeit zu entfliehen. Zu vergessen, was man gestern noch in den Nachrichten gesehen hat. Ohne Frage kann man eine ganze Nacht zu ihrer Musik durchtanzen, ohne auch nur einmal auf das zu achten, was sie da mit ihrer tiefen Stimme singt. Treibende Beats, die trotzdem melodiös sind, und ihr Gesang der eine wütende, antreibende Stimmung verbreitet.
"Ich mag diese Dualität, die man in der Kunst haben kann, besonders in Musik. Man spricht über etwas sehr Trauriges, Tiefgründiges und Schweres, aber man kann es in etwas sehr Fröhliches und Tanzbares einpacken. Wenn die Leute zu meinen Konzerten kommen, bauen sie eine Verbindung zu den Songs auf, weil sie dazu tanzen und die Musik mögen. Danach erst schauen sie sich die Texte an und stellen fest, darin geht es ja um etwas ganz Anderes. Die Musik hilft mir, Leute an meine Botschaften heranzuführen."
Noga Erez macht es ihren Zuhörern durch ihren computerverzerrten Gesang allerdings nicht leicht, zu verstehen, wovon sie da singt. Was wirklich schade ist, denn ihre Gedanke sind viel zu interessant, als dass man einfach nur über sie hinwegtanzen sollte.
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