Die Juden sind keine Fremden in Europa
In Köln ist ein Museum geplant, das zwei Jahrtausende jüdischen Bürgerlebens dokumentieren soll. In Warschau eröffnete bereits in diesem Jahr ein nationales Museum über jüdische Geschichte. Beide Projekte belegen, dass Juden keine Fremden in Europa sind, meint der Historiker Klaus Hödl.
Juden gehörten schon immer dazu. Das ist die schlichte Aussage des jüngst eröffneten jüdischen Museums in Warschau wie auch der archäologischen Funde in Köln. Sie sind ein integraler Bestandteil der polnischen beziehungsweise Kölner Geschichte und nicht erst in jüngerer Vergangenheit zugewandert - von irgendwo her nach Zentraleuropa, nach Deutschland oder Polen.
Vielmehr haben sie über Jahrhunderte die Entwicklung der Gesellschaften, in welchen sie von Anfang an lebten, immer schon mitgestaltet. Sie waren aus ihnen nicht wegzudenken.
Deswegen war es historisch falsch, von ihnen zu fordern, sich den kulturellen Standards der Umgebung anzupassen, an deren Ausformung sie ja selbst mitgewirkt haben. Doch diese Sichtweite hat es schwer sich durchzusetzen. Denn weitverbreitet ist die Auffassung, wonach Juden gleichsam Fremde seien, die von außen kamen.
Entsprechend beschreiben HistorikerInnen und VertreterInnen anderer Disziplinen das jüdisch-nichtjüdische Beziehungsgeflecht als Assimilation oder Akkulturation. Dabei wird von einer einseitigen Anpassungsleistung von Seiten der Juden ausgegangen. So als würde man an einem Christen beobachten, wie viel er schon von seiner katholischen oder evangelischen Tradition aufgegeben hat, um als angepasster Deutscher, echter Preuße oder guter Bayer gelten zu können.
Gleichfalls in dieses Verständnis kultureller Prozesse fällt die Bezeichnung des sogenannten Beitrags. Sofern Juden nicht nur als sich Anpassende gelten, haben sie - zumeist im künstlerischen Bereich - zur Kultur der 'Gastgesellschaft' etwas 'beigetragen'. Dabei wird davon ausgegangen, dass Juden ihrem eigenen kulturellen Umfeld etwas entnommen und dieses dem nichtjüdischen kulturellen Bereich zugeführt haben.
Diese Beschreibung kulturellen Wirkens setzt implizit voraus, dass bekannt ist, was das Jüdische und was das Nichtjüdische ausmacht. Um dies an einem konkreten Beispiel zu veranschaulichen: Max Liebermann, der Begründer des deutschen Impressionismus, war Jude. Aber nur ganz wenig aus seinem umfangreichen Schaffen hat einen Bezug zum Judentum.
Vielleicht wäre es angemessen, von ihm als einem Deutschen, Juden, Maler und vieles mehr zu sprechen. Und all diese Identitätsfacetten haben sein Werk in gewisser Weise bestimmt. Es ist aber nicht möglich, das Jüdische oder Nichtjüdische in seiner Malerei genau zu ermitteln. Juden und Nichtjuden stellen eben keine deutlich voneinander unterscheidbaren Kollektive dar.
Und das jüdische Museum in Warschau wie auch die Ausgrabungen in Köln liefern dafür Belege.
Wenn aber, so fragt Sven Schütte, der anfängliche Leiter der Ausgrabungen in Köln in einem Interview für die israelische Tageszeitung Haaretz, wenn aber Juden "ein integraler Bestandteil der Geschichte der Stadt, Deutschlands und des ganzen Europas" seien, was bedeute das für den Holocaust: "Dass wir unser eigenes Volk getötet haben?"
Ja, durchaus. Nur verleiht eine solche Neubewertung des jüdisch-nichtjüdischen Verhältnisses dem Holocaust nicht eine andere Dimension.
Kein Zweifel besteht allerdings darüber, dass die deutsche bzw. europäische Geschichte in wesentlichen Punkten umgeschrieben werden muss, wenn die Vorstellung einer (einseitigen) Anpassung der Juden durch das Bild einer gemeinsamen Gestaltung von Kultur und Gesellschaft durch Juden und Nichtjuden ersetzt wird.
Klaus Hödl ist Historiker am Centrum für Jüdische Studien an der Karl-Franzens-Universität Graz, dessen Gründungsdirektor er von 2001-2007 war, und Autor von sechs Monographien über osteuropäische Juden, Bilder des jüdischen Körpers und jüdische Geschichtsschreibung, zuletzt "Kultur und Gedächtnis", September 2012, Verlag Ferdinand Schöningh.
Vielmehr haben sie über Jahrhunderte die Entwicklung der Gesellschaften, in welchen sie von Anfang an lebten, immer schon mitgestaltet. Sie waren aus ihnen nicht wegzudenken.
Deswegen war es historisch falsch, von ihnen zu fordern, sich den kulturellen Standards der Umgebung anzupassen, an deren Ausformung sie ja selbst mitgewirkt haben. Doch diese Sichtweite hat es schwer sich durchzusetzen. Denn weitverbreitet ist die Auffassung, wonach Juden gleichsam Fremde seien, die von außen kamen.
Entsprechend beschreiben HistorikerInnen und VertreterInnen anderer Disziplinen das jüdisch-nichtjüdische Beziehungsgeflecht als Assimilation oder Akkulturation. Dabei wird von einer einseitigen Anpassungsleistung von Seiten der Juden ausgegangen. So als würde man an einem Christen beobachten, wie viel er schon von seiner katholischen oder evangelischen Tradition aufgegeben hat, um als angepasster Deutscher, echter Preuße oder guter Bayer gelten zu können.
Gleichfalls in dieses Verständnis kultureller Prozesse fällt die Bezeichnung des sogenannten Beitrags. Sofern Juden nicht nur als sich Anpassende gelten, haben sie - zumeist im künstlerischen Bereich - zur Kultur der 'Gastgesellschaft' etwas 'beigetragen'. Dabei wird davon ausgegangen, dass Juden ihrem eigenen kulturellen Umfeld etwas entnommen und dieses dem nichtjüdischen kulturellen Bereich zugeführt haben.
Diese Beschreibung kulturellen Wirkens setzt implizit voraus, dass bekannt ist, was das Jüdische und was das Nichtjüdische ausmacht. Um dies an einem konkreten Beispiel zu veranschaulichen: Max Liebermann, der Begründer des deutschen Impressionismus, war Jude. Aber nur ganz wenig aus seinem umfangreichen Schaffen hat einen Bezug zum Judentum.
Vielleicht wäre es angemessen, von ihm als einem Deutschen, Juden, Maler und vieles mehr zu sprechen. Und all diese Identitätsfacetten haben sein Werk in gewisser Weise bestimmt. Es ist aber nicht möglich, das Jüdische oder Nichtjüdische in seiner Malerei genau zu ermitteln. Juden und Nichtjuden stellen eben keine deutlich voneinander unterscheidbaren Kollektive dar.
Und das jüdische Museum in Warschau wie auch die Ausgrabungen in Köln liefern dafür Belege.
Wenn aber, so fragt Sven Schütte, der anfängliche Leiter der Ausgrabungen in Köln in einem Interview für die israelische Tageszeitung Haaretz, wenn aber Juden "ein integraler Bestandteil der Geschichte der Stadt, Deutschlands und des ganzen Europas" seien, was bedeute das für den Holocaust: "Dass wir unser eigenes Volk getötet haben?"
Ja, durchaus. Nur verleiht eine solche Neubewertung des jüdisch-nichtjüdischen Verhältnisses dem Holocaust nicht eine andere Dimension.
Kein Zweifel besteht allerdings darüber, dass die deutsche bzw. europäische Geschichte in wesentlichen Punkten umgeschrieben werden muss, wenn die Vorstellung einer (einseitigen) Anpassung der Juden durch das Bild einer gemeinsamen Gestaltung von Kultur und Gesellschaft durch Juden und Nichtjuden ersetzt wird.
Klaus Hödl ist Historiker am Centrum für Jüdische Studien an der Karl-Franzens-Universität Graz, dessen Gründungsdirektor er von 2001-2007 war, und Autor von sechs Monographien über osteuropäische Juden, Bilder des jüdischen Körpers und jüdische Geschichtsschreibung, zuletzt "Kultur und Gedächtnis", September 2012, Verlag Ferdinand Schöningh.