Die jüdische Violine

Von Detlef David Kauschke |
Kein anderes Instrument ist so eng mit dem Judentum verbunden wie die Violine. Forscher meinen, dass die Beziehung der Juden zur Fiedel bis zu ihrer Entstehung zurückgeht. Möglicherweise wurde ein Vorläufer-Instrument sogar schon im Jerusalemer Tempel gespielt.
Der Titel eines Albums von Itzhak Perlman lautet: "The jewish Violine”. Eine Sammlung jüdischer Melodien, gespielt auf der "jüdischen Violine".

Kein anderes Instrument ist so eng mit dem Judentum verbunden. Eine Erklärung dafür lautet, dass sich für Juden, die über Jahrhunderte auf der ganzen Welt unterwegs waren, ein mobiles Musikgerät besonders eignete - wie die Geige, Flöte oder Klarinette, allesamt traditionelle Instrumente der Klesmermusik.

Die Geige kann Gefühle ausdrücken, ihr Klang geht zu Herzen, sagt der bekannte südafrikanisch-britische Violinist Daniel Hope:

"Es ist ein Instrument, das so viele Seelen kaptivieren kann. Der jüdische Ausdruck in der Musik ist einmalig. Und es gibt einfach diese großartige Art und Weise, die Musik zu zeigen und die Gefühle zu zeigen, über die jüdische Identität.”"

Der historische Vorläufer der Violine soll in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Spanien erfunden worden sein, bevor die Juden 1492 das Land verlassen mussten. Vielleicht haben Juden dieses Instrument nach Italien gebracht. Zumindest steht fest, dass zu dieser Zeit Juden aus Spanien nach Italien kamen. Und: Die Geigenbauerdynastie Amati, von deren Mitgliedern selbst Antonio Stradivari in die hohe Kunst eingewiesen wurde, war jüdischer Herkunft. Die erste urkundliche Erwähnung einer Violine erfolgte übrigens um 1523. Aber lange davor gab es schon die Urgroßväter dieses Instruments, wie es Daniel Hope formuliert.

""Die Geige ist ein faszinierendes Instrument, das es seit 5000 Jahren gibt, lange bevor es die Italiener entwickelt haben. Es gab die Urgroßväter der Geige."

Einer, vielleicht der Urgroßvater dieses Instruments, ist die Kinor. Sie war bereits im Jerusalemer Tempel im Einsatz. Warum? Das erläutert der israelische Rabbiner und Kabbalist Matityahu Glazerson so:

""Weil es die Seele, die Neschama, zum Ausdruck bringt. Und im Übrigen: Wissen sie, wie die Kabbala das Wort Israel deutet? Als Schir Kel, Lied für Gott. Und für dieses Lied braucht man dieses Instrument.”"

Rabbiner Glazerson verweist auch auf die besondere Bedeutung der Buchstaben des Wortes Kinor, hebräisch für Geige:

""Kinor besteht aus den vier Buchstaben: Kaf, Nun, Waf, Resch. Der erste Kaf ist 20, das Vav ist 6, zusammen 26, das ist der Name des Gottes. Ner ist in Hebräisch Kerze. Aber in der Kabbala ist Ner der Geist. Also: Durch das Spiel der Violine bringt man die Göttlichkeit in die Neschama, den menschlichen Geist.”"

Vielleicht liegt es an dieser Göttlichkeit, dass die größten Violinisten Juden waren? Die Tradition begann im 19. Jahrhundert mit Joseph Joachim, dem Johannes Brahms sein Violinenkonzert widmete. Der Amerikaner Eugene Drucker, Gründungsmitglied des Emerson-String-Quartetts, gehört heute in die Reihe der jüdischen Weltklasse-Violinisten:

""Unbedingt gibt es eine spezielle Verbindung zwischen den Juden und der Violine. Die größten Geiger des 20. Jahrhunderts waren Juden wie Mischa Elman, Isaac Stern, Nathan Milstein und so weiter.”"

Leopold Auer, David Oistrakh, Yehudi Menuhin, Pinchas Zukerman, Joshua Bell – die Liste ließe sich fortsetzen. Sie alle berührten und berühren die Menschen mit ihrer Musik und einer damit verbundenen spirituellen Kraft, meint Eugene Drucker.

""Besonders für Leute, die nicht so religiös sind, ist die Musik eine Quelle spiritueller Kraft und man fühlt etwas jenseits der realen Welt, der Realität. Es gibt etwas Größeres, als wir im Alltagsleben sehen. Und das kann man durch die Musik fühlen.”"

Etwas Größeres, als wir im Alltag sehen. Was Eugene Drucker meint, kann man hören, wenn man zum Beispiel der "jüdischen Violine" lauscht, Yitzhak Perlmans "Jewish Violine”.