Die jugoslawische Tragödie
Im Kern jeder Beschäftigung mit der Geschichte Jugoslawiens kann immer nur die Frage stehen: Wie konnte das alles so katastrophal enden? Der Berliner Südosteuropa-Historiker geht dem nach - unaufgeregt und mit der gebotenen Distanz. Der Vielschichtigkeit des Themas wird dieses Buch jedoch nicht gerecht.
Hulm Sundhaussen erzählt die komplizierte Geschichte des sozialistischen Jugoslawiens und seiner sieben Nachfolgestaaten auf etwa 550 Seiten. Dieses Werk folgt seiner Geschichte Serbiens vom 19. bis zum 21. Jahrhundert – erschienen 2007. Bald will Sundhaussen eine Geschichte Sarajewos vorlegen: 2014 werden es hundert Jahre seit dem Attentat sein, nach dem es zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam.
Im Kern jeder Beschäftigung mit der jugoslawischen Tragödie kann immer nur die Frage stehen: Wie konnte das alles so katastrophal enden? Wie konnte es dazu kommen, dass große Teile der jugoslawischen Gesellschaft unter dem propagandistischen Beschuss ihrer "Führer" kollektiv den Verstand aufgaben? Wie konnte es geschehen, dass am Ende des 20. Jahrhunderts in Europa in einer Abfolge von Kriegen annähernd 150.000 Menschen getötet wurden? Auf diese Fragen antwortet der Berliner Südosteuropa-Historiker:
"Die komplexen Rahmenbedingungen in Jugoslawien, komplexer als in Belgien, aber nicht ganz so komplex wie im Kaukasus, und das nahezu völlige Fehlen einer Zivilgesellschaft in Kombination mit einem schwachen Rechtsstaat verschafften Politikern und Eliten zeitweilig einen Spielraum, den sie in einer funktionierenden Demokratie nicht gehabt hätten. Diese Konstellation – ungewöhnliche Komplexität auf der einen und Abwesenheit unabhängiger gesellschaftlicher Institutionen auf der anderen Seite – ermöglichten die Außerkraftsetzung und schließlich Zerstörung der Regelwerke, auf denen das zweite Jugoslawien aufgebaut war. Die Politiker ließen die bisherige Staats- und Gesellschaftsordnung in sich zusammenstürzen."
Im Kern jeder Beschäftigung mit der jugoslawischen Tragödie kann immer nur die Frage stehen: Wie konnte das alles so katastrophal enden? Wie konnte es dazu kommen, dass große Teile der jugoslawischen Gesellschaft unter dem propagandistischen Beschuss ihrer "Führer" kollektiv den Verstand aufgaben? Wie konnte es geschehen, dass am Ende des 20. Jahrhunderts in Europa in einer Abfolge von Kriegen annähernd 150.000 Menschen getötet wurden? Auf diese Fragen antwortet der Berliner Südosteuropa-Historiker:
"Die komplexen Rahmenbedingungen in Jugoslawien, komplexer als in Belgien, aber nicht ganz so komplex wie im Kaukasus, und das nahezu völlige Fehlen einer Zivilgesellschaft in Kombination mit einem schwachen Rechtsstaat verschafften Politikern und Eliten zeitweilig einen Spielraum, den sie in einer funktionierenden Demokratie nicht gehabt hätten. Diese Konstellation – ungewöhnliche Komplexität auf der einen und Abwesenheit unabhängiger gesellschaftlicher Institutionen auf der anderen Seite – ermöglichten die Außerkraftsetzung und schließlich Zerstörung der Regelwerke, auf denen das zweite Jugoslawien aufgebaut war. Die Politiker ließen die bisherige Staats- und Gesellschaftsordnung in sich zusammenstürzen."
Jugoslawien ist überall
Sein Buch zeigt, wie Menschen sich verhalten können, sobald die Regelwerke versagen, die wie zum Schutz vor sich selbst errichtet worden sind. In diesem Sinne sei die Geschichte Jugoslawiens ein Lehrstück des Alltäglichen, der Banalität:
"Nicht in dem Sinn, dass die Ereignisse banal gewesen wären, sondern die Verhaltensweisen, die zu ihnen führten, waren banal. Und so außergewöhnlich uns die Verbrechen während der postjugoslawischen Kriege der 90er-Jahre erscheinen mögen, so gewöhnlich waren die Verantwortlichen und Täter. Man findet sie überall und zu allen Zeiten. In diesem Sinne ist Jugoslawien überall."
Diese Feststellung ist bedeutsam, wenn man sich daran erinnert, wie auf das Ende Jugoslawiens in Deutschland und insgesamt im Westen reagiert wurde. Mit Unverständnis und oft auch mit Verachtung für die Menschen in Südosteuropa, die man als unberechenbar und primitiv empfand.
Besonders in Deutschland und Österreich, und besonders in den konservativen Leitmedien, wurden damals Vorurteile schamlos als fundierte Meinung camoufliert. Immer wieder redete man daher vom "immerwährenden Hass" zwischen den jugoslawischen Völkern.
Auf der Titelseite einer Hamburger Wochenzeitung wurde Jugoslawien als "Völkerkerker" verunglimpft. Zu den schlimmen Höhepunkten gehörte die Behauptung des Berichterstatters einer großformatigen Frankfurter Tageszeitung, wonach "nicht diese oder jene Führungsschicht", sondern "Serbien an sich" das eigentliche Problem sei.
"Nicht in dem Sinn, dass die Ereignisse banal gewesen wären, sondern die Verhaltensweisen, die zu ihnen führten, waren banal. Und so außergewöhnlich uns die Verbrechen während der postjugoslawischen Kriege der 90er-Jahre erscheinen mögen, so gewöhnlich waren die Verantwortlichen und Täter. Man findet sie überall und zu allen Zeiten. In diesem Sinne ist Jugoslawien überall."
Diese Feststellung ist bedeutsam, wenn man sich daran erinnert, wie auf das Ende Jugoslawiens in Deutschland und insgesamt im Westen reagiert wurde. Mit Unverständnis und oft auch mit Verachtung für die Menschen in Südosteuropa, die man als unberechenbar und primitiv empfand.
Besonders in Deutschland und Österreich, und besonders in den konservativen Leitmedien, wurden damals Vorurteile schamlos als fundierte Meinung camoufliert. Immer wieder redete man daher vom "immerwährenden Hass" zwischen den jugoslawischen Völkern.
Auf der Titelseite einer Hamburger Wochenzeitung wurde Jugoslawien als "Völkerkerker" verunglimpft. Zu den schlimmen Höhepunkten gehörte die Behauptung des Berichterstatters einer großformatigen Frankfurter Tageszeitung, wonach "nicht diese oder jene Führungsschicht", sondern "Serbien an sich" das eigentliche Problem sei.
Zu viel Stoff, zu hastig verarbeitet
Vorurteile über die Menschen in Südosteuropa und ihre Geschichte sind zweifellos nach wie vor vorhanden. Um Falsches richtig zu stellen, ist Sundhaussens neueste Arbeit von Belang. Unaufgeregt und mit der gebotenen Distanz erklärt er, wie es zu diesem, wie er sich ausdrückt, epistemologischen Zusammenbruch kam.
Er erinnert daran, dass es Zusammenbrüche dieser Art auch in anderen Gesellschaften gab und verweist auf naheliegende Beispiele aus den düstersten Kapiteln der deutschen Geschichte im 20.Jahrhundert.
Dem Einsteiger in die Materie bietet er eine weitgehend unvoreingenommene Darstellung. Jene Leser, die schon über ein Vorwissen verfügen, werden allerdings bemängeln, dass der emeritierte Professor zu viel Stoff zu hastig verarbeitet. 550 Seiten reichen einfach nicht aus, um die enorme Vielschichtigkeit der jugoslawischen Verwicklungen derart detailreich zu durchleuchten.
Zudem wird viel zu viel auf Vorgänge in Serbien eingegangen und zu wenig die politische Dynamik in anderen früheren jugoslawischen Teilrepubliken berücksichtigt. Insbesondere die Darstellung des Zeitabschnitts nach dem Zerfall Jugoslawiens, also der Jahre 1991 bis 2011, besteht aus einem gehetzten und nicht besonders analytischen Durchmarsch.
Über einige Schlussfolgerungen ließe sich trefflich streiten. Zum Beispiel darüber:
"Heute ist nicht mehr wichtig, ob das Elsass zu Frankreich oder die vormals deutschen Gebiete zu Polen gehören. Ähnliches sollte auch für Kosovo und Serbien gelten."
Diese Einschätzung dürfte in Frankreich oder Polen als wirklichkeitsfremd empfunden werden. Noch weniger könnte es Albanern und Serben gleichgültig sein, wie sich die Auseinandersetzung um Kosovo weiter entwickeln wird, die nach wie vor gefährlich ist. Auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens gibt es noch weitere offene Konflikte, so in Bosnien und Herzegowina oder Makedonien. Die entspannte Antwort, dass im modernen Europa die Kontrolle über Grenzen und Territorien nicht mehr wichtig sein soll, ignoriert die Realität.
Offenbar bleibt nicht nur die Erschließung einschlägiger Dokumente aus der Geschichte Jugoslawiens, wie Holm Sundhaussen folgert, eine Jahrhundertaufgabe. Die Bewältigung der Folgen des Untergangs Jugoslawiens ist gleichermaßen eine noch lang andauernde Herausforderung - für die Akteure vor Ort, für die europäischen Politiker in Brüssel und anderswo. Und auch für Historiker.
Er erinnert daran, dass es Zusammenbrüche dieser Art auch in anderen Gesellschaften gab und verweist auf naheliegende Beispiele aus den düstersten Kapiteln der deutschen Geschichte im 20.Jahrhundert.
Dem Einsteiger in die Materie bietet er eine weitgehend unvoreingenommene Darstellung. Jene Leser, die schon über ein Vorwissen verfügen, werden allerdings bemängeln, dass der emeritierte Professor zu viel Stoff zu hastig verarbeitet. 550 Seiten reichen einfach nicht aus, um die enorme Vielschichtigkeit der jugoslawischen Verwicklungen derart detailreich zu durchleuchten.
Zudem wird viel zu viel auf Vorgänge in Serbien eingegangen und zu wenig die politische Dynamik in anderen früheren jugoslawischen Teilrepubliken berücksichtigt. Insbesondere die Darstellung des Zeitabschnitts nach dem Zerfall Jugoslawiens, also der Jahre 1991 bis 2011, besteht aus einem gehetzten und nicht besonders analytischen Durchmarsch.
Über einige Schlussfolgerungen ließe sich trefflich streiten. Zum Beispiel darüber:
"Heute ist nicht mehr wichtig, ob das Elsass zu Frankreich oder die vormals deutschen Gebiete zu Polen gehören. Ähnliches sollte auch für Kosovo und Serbien gelten."
Diese Einschätzung dürfte in Frankreich oder Polen als wirklichkeitsfremd empfunden werden. Noch weniger könnte es Albanern und Serben gleichgültig sein, wie sich die Auseinandersetzung um Kosovo weiter entwickeln wird, die nach wie vor gefährlich ist. Auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens gibt es noch weitere offene Konflikte, so in Bosnien und Herzegowina oder Makedonien. Die entspannte Antwort, dass im modernen Europa die Kontrolle über Grenzen und Territorien nicht mehr wichtig sein soll, ignoriert die Realität.
Offenbar bleibt nicht nur die Erschließung einschlägiger Dokumente aus der Geschichte Jugoslawiens, wie Holm Sundhaussen folgert, eine Jahrhundertaufgabe. Die Bewältigung der Folgen des Untergangs Jugoslawiens ist gleichermaßen eine noch lang andauernde Herausforderung - für die Akteure vor Ort, für die europäischen Politiker in Brüssel und anderswo. Und auch für Historiker.
Holm Sundhaussen: Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943-2011
Eine ungewöhnliche Geschichte des Gewöhnlichen
Böhlau Verlag Wien Köln Weimar, Herbst 2012
567 Seiten, 59,- Euro
Eine ungewöhnliche Geschichte des Gewöhnlichen
Böhlau Verlag Wien Köln Weimar, Herbst 2012
567 Seiten, 59,- Euro