"Die Kanzlerkandidaten der CSU"
Ende der siebziger Jahre war die CDU in einer Krise. Helmut Kohl hatte in der Bundestagswahl 1976 das bislang beste Ergebnis der Union erzielt und dennoch verloren. Anschließend gelang es ihm nicht, die Flügel in einer selbstbewussten Fraktion zusammenzuführen; auch die Ministerpräsidenten der CDU gingen eigene Wege.
Anfang des neuen Jahrhunderts ging es Angela Merkel kaum besser. Gleichsam aus dem Stand wurde sie im Frühjahr 2000 Parteivorsitzende - niemand anderes in der CDU konnte oder wollte die Scherben zusammenkehren, die Kohl hinterlassen hatte. Die Frau aus dem Osten führte eine Partei, die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, als das sie ihrer Vorsitzenden als Basis für einen erfolgreichen Bundestagswahlkampf dienen konnte.
Saskia Richter erzählt zwei spannende Geschichten mit vielen Gemeinsamkeiten. Der Leser nimmt Teil an innerparteilichen Entscheidungsprozessen. Dass die Luft dünn ist in den oberen Ebenen der Politik, das hat man immer vermutet: hier liest man es schwarz auf weiß.
"Beide Male war die Union in der bundespolitischen Opposition, die CDU hatte Führungsprobleme und befand sich nach der Spendenaffäre von 1999 sogar in einer elementaren Krise - ohne Personal, ohne Finanzmittel und ohne Perspektive. Zu der Zeit, als sich abzeichnete, dass Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber nominiert werden sollten, glaubte die Union selbst nicht an einen Regierungswechsel nach der nächsten Bundestagswahl. Aus dieser Perspektive erscheinen die Kanzlerkandidaten der CSU wie "Retter in der Not", die in einer ausweglosen Situation auf dem Altar der Politik geopfert wurden."
Ende der 70er Jahre verfügten die Unionsparteien über kein Gremium, das die K-Frage entscheiden konnte. Entscheidend war das Votum der gemeinsamen Bundestagsfraktion von CDU und CSU. Helmut Kohl spürte den Gegenwind: wäre er vor der Fraktion einem Gegenkandidaten unterlegen, hätte dies wohl das Ende seiner politischen Karriere bedeutet. Und er war 15 Jahre jünger als Franz Josef Strauß, der Herausforderer aus Bayern. Für Strauß war die Bundestagswahl 1980 die letzte Gelegenheit zum Sturm auf das Kanzleramt. Ob es stimmt, dass Strauß, wie die Autorin schreibt, "vom Wein benommen war", als er in den "Klopfstuben" in Bad Godesberg einer Kandidatur zustimmte, sei dahin gestellt: für den besten hielt sich der CSU-Vorsitzende ohnehin.
Kampflos wollte der CDU-Vorsitzende Kohl den Bayern das Feld indes nicht überlassen. Er überredete den niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, vor der Fraktion gegen Strauß anzutreten. Das Ergebnis der Kampfabstimmung ist bekannt.
Nach 1998 war es die CSU, die seit dem Regierungswechsel als Stabilitätsgarant unter den Unionsschwestern auftrat. Was also lag näher, als in Bayern auch den nächsten Kanzlerkandidaten zu suchen? Im Gegensatz zu Strauß, so die Autorin, musste Edmund Stoiber zum Jagen getragen werden:
"Edmund Stoiber wollte im Gegensatz zu seinem Ziehvater und Vorgänger Strauß aus eigenem Antrieb keine bundespolitischen Ämter übernehmen. Er war Landespolitiker und wurde nominiert, weil er als erfolgreicher bayerischer Ministerpräsident von außen kam und mit seiner Person die unruhige Situation in der christdemokratischen Parteispitze befrieden konnte. Der Oberbayer wies mehr preußische Merkmale auf, als es manchem seiner bayerischen Parteikollegen lieb gewesen sein muss, als er pflichtbewusst die Verantwortung für die Union übernahm."
1980 wurde im Wahlkampf polarisiert: Strauß präsentierte sich mit klarem Profil als Mann der Rechten; die Wähler konnten zwischen verschiedenen Lebensarten, Politikmodellen und Zukunftsvisionen unterscheiden. Die Versuche liberaler CDU-Politiker, den ungeliebten Kandidaten dennoch zu unterstützen, blieben dabei halbherzig und wirkten unglaubwürdig: das Wahlergebnis war entsprechend. Die Union verlor 4.1 Prozentpunkte, während Kanzler Helmut Schmidt sich mit leichten Gewinnen behauptete.
22 Jahre später herrschten andere Zeiten: Polarisierung war nicht mehr angesagt. Gerade weil er unter keinen Umständen das Schicksal Strauß` erleiden und in der "rechten Ecke" die Wahl verlieren wollte, ließ sich Stoiber eine Kampagne verpassen, in der er oft verloren wirkte.
"Da Edmund Stoiber die Politik der CSU über Jahrzehnte mitgestaltet hatte, gelang der kurzfristige Imagewechsel wie auch schon bei Franz Josef Strauß nicht. Sein geschliffenes Auftreten, seine lavierenden Äußerungen zu Fragen, die er bisher immer zu beantworten wusste, erweckten den Eindruck der Fremdbestimmung, wirkten wenig authentisch, hölzern und gestelzt. Wie schon so oft, passte Stoiber sich an die an ihn gestellten Anforderungen als Spitzenkandidat der Unionsparteien an, verlor dabei jedoch die Orientierung und wusste nicht mehr, nach wem oder was er sich richten sollte."
Die Kanzlerkandidatur Franz Josef Strauß’ war Ausdruck christlich-sozialer Stärke - der Stärke der Partei des Vorsitzenden. In Edmund Stoibers Kanzlerkandidatur drückte sich hingegen die Schwäche der christlich-demokratischen Parteiführung aus. In beiden Fällen, schreibt die Autorin, habe die Schwäche der CDU-Vorsitzenden maßgeblich dazu beigetragen, die K-Frage im Sinne der CSU zu entscheiden. Die Begleitumstände aber unterschieden sich:
"Während die CSU ihre Schwesterpartei 1979 unter Druck setzte, bildeten sich 2001/02 innerhalb der CDU Strömungen, die einer Kandidatur der eigenen Vorsitzenden verhindern wollten. Daher wird die Entkräftung der christdemokratischen Parteivorsitzenden zur ausschlaggebenden Größe, die eine Kanzlerkandidatur eines CSU-Politikers ermöglicht."
Heute ist die Lage anders: die Kanzlerkandidatur für die kommende Bundestagswahl kann Angela Merkel niemand streitig machen. Die Fehlbesetzung Stoiber erlebt kein Deja Vue auf Bundesebene. Die CDU-Vorsitzende wird nach wie vor nicht geliebt, aber es ist ihr weitgehend gelungen, die Partei aus negativen Schlagzeilen heraus zu halten. Geschlossenheit, auch dies lernt man aus dieser lesenswerten Analyse, ist ein Gut, das Wähler honorieren. Die Männer aus Frau Merkels Generation, ob sie Koch oder Wulff heißen, werden bis Herbst 2006 still halten. Dann wird sich zeigen, ob die Mehrheit der Bürger die Union wieder für regierungsfähig hält.
Saskia Richter: "Die Kanzlerkandidaten der CSU" - Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber als Ausdruck christdemokratischer Schwäche?
Verlag Dr. Kovac
Hamburg 2004
Saskia Richter erzählt zwei spannende Geschichten mit vielen Gemeinsamkeiten. Der Leser nimmt Teil an innerparteilichen Entscheidungsprozessen. Dass die Luft dünn ist in den oberen Ebenen der Politik, das hat man immer vermutet: hier liest man es schwarz auf weiß.
"Beide Male war die Union in der bundespolitischen Opposition, die CDU hatte Führungsprobleme und befand sich nach der Spendenaffäre von 1999 sogar in einer elementaren Krise - ohne Personal, ohne Finanzmittel und ohne Perspektive. Zu der Zeit, als sich abzeichnete, dass Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber nominiert werden sollten, glaubte die Union selbst nicht an einen Regierungswechsel nach der nächsten Bundestagswahl. Aus dieser Perspektive erscheinen die Kanzlerkandidaten der CSU wie "Retter in der Not", die in einer ausweglosen Situation auf dem Altar der Politik geopfert wurden."
Ende der 70er Jahre verfügten die Unionsparteien über kein Gremium, das die K-Frage entscheiden konnte. Entscheidend war das Votum der gemeinsamen Bundestagsfraktion von CDU und CSU. Helmut Kohl spürte den Gegenwind: wäre er vor der Fraktion einem Gegenkandidaten unterlegen, hätte dies wohl das Ende seiner politischen Karriere bedeutet. Und er war 15 Jahre jünger als Franz Josef Strauß, der Herausforderer aus Bayern. Für Strauß war die Bundestagswahl 1980 die letzte Gelegenheit zum Sturm auf das Kanzleramt. Ob es stimmt, dass Strauß, wie die Autorin schreibt, "vom Wein benommen war", als er in den "Klopfstuben" in Bad Godesberg einer Kandidatur zustimmte, sei dahin gestellt: für den besten hielt sich der CSU-Vorsitzende ohnehin.
Kampflos wollte der CDU-Vorsitzende Kohl den Bayern das Feld indes nicht überlassen. Er überredete den niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, vor der Fraktion gegen Strauß anzutreten. Das Ergebnis der Kampfabstimmung ist bekannt.
Nach 1998 war es die CSU, die seit dem Regierungswechsel als Stabilitätsgarant unter den Unionsschwestern auftrat. Was also lag näher, als in Bayern auch den nächsten Kanzlerkandidaten zu suchen? Im Gegensatz zu Strauß, so die Autorin, musste Edmund Stoiber zum Jagen getragen werden:
"Edmund Stoiber wollte im Gegensatz zu seinem Ziehvater und Vorgänger Strauß aus eigenem Antrieb keine bundespolitischen Ämter übernehmen. Er war Landespolitiker und wurde nominiert, weil er als erfolgreicher bayerischer Ministerpräsident von außen kam und mit seiner Person die unruhige Situation in der christdemokratischen Parteispitze befrieden konnte. Der Oberbayer wies mehr preußische Merkmale auf, als es manchem seiner bayerischen Parteikollegen lieb gewesen sein muss, als er pflichtbewusst die Verantwortung für die Union übernahm."
1980 wurde im Wahlkampf polarisiert: Strauß präsentierte sich mit klarem Profil als Mann der Rechten; die Wähler konnten zwischen verschiedenen Lebensarten, Politikmodellen und Zukunftsvisionen unterscheiden. Die Versuche liberaler CDU-Politiker, den ungeliebten Kandidaten dennoch zu unterstützen, blieben dabei halbherzig und wirkten unglaubwürdig: das Wahlergebnis war entsprechend. Die Union verlor 4.1 Prozentpunkte, während Kanzler Helmut Schmidt sich mit leichten Gewinnen behauptete.
22 Jahre später herrschten andere Zeiten: Polarisierung war nicht mehr angesagt. Gerade weil er unter keinen Umständen das Schicksal Strauß` erleiden und in der "rechten Ecke" die Wahl verlieren wollte, ließ sich Stoiber eine Kampagne verpassen, in der er oft verloren wirkte.
"Da Edmund Stoiber die Politik der CSU über Jahrzehnte mitgestaltet hatte, gelang der kurzfristige Imagewechsel wie auch schon bei Franz Josef Strauß nicht. Sein geschliffenes Auftreten, seine lavierenden Äußerungen zu Fragen, die er bisher immer zu beantworten wusste, erweckten den Eindruck der Fremdbestimmung, wirkten wenig authentisch, hölzern und gestelzt. Wie schon so oft, passte Stoiber sich an die an ihn gestellten Anforderungen als Spitzenkandidat der Unionsparteien an, verlor dabei jedoch die Orientierung und wusste nicht mehr, nach wem oder was er sich richten sollte."
Die Kanzlerkandidatur Franz Josef Strauß’ war Ausdruck christlich-sozialer Stärke - der Stärke der Partei des Vorsitzenden. In Edmund Stoibers Kanzlerkandidatur drückte sich hingegen die Schwäche der christlich-demokratischen Parteiführung aus. In beiden Fällen, schreibt die Autorin, habe die Schwäche der CDU-Vorsitzenden maßgeblich dazu beigetragen, die K-Frage im Sinne der CSU zu entscheiden. Die Begleitumstände aber unterschieden sich:
"Während die CSU ihre Schwesterpartei 1979 unter Druck setzte, bildeten sich 2001/02 innerhalb der CDU Strömungen, die einer Kandidatur der eigenen Vorsitzenden verhindern wollten. Daher wird die Entkräftung der christdemokratischen Parteivorsitzenden zur ausschlaggebenden Größe, die eine Kanzlerkandidatur eines CSU-Politikers ermöglicht."
Heute ist die Lage anders: die Kanzlerkandidatur für die kommende Bundestagswahl kann Angela Merkel niemand streitig machen. Die Fehlbesetzung Stoiber erlebt kein Deja Vue auf Bundesebene. Die CDU-Vorsitzende wird nach wie vor nicht geliebt, aber es ist ihr weitgehend gelungen, die Partei aus negativen Schlagzeilen heraus zu halten. Geschlossenheit, auch dies lernt man aus dieser lesenswerten Analyse, ist ein Gut, das Wähler honorieren. Die Männer aus Frau Merkels Generation, ob sie Koch oder Wulff heißen, werden bis Herbst 2006 still halten. Dann wird sich zeigen, ob die Mehrheit der Bürger die Union wieder für regierungsfähig hält.
Saskia Richter: "Die Kanzlerkandidaten der CSU" - Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber als Ausdruck christdemokratischer Schwäche?
Verlag Dr. Kovac
Hamburg 2004