Inszenierung ohne Ziel
In Herbert Fritschs Inszenierung von Carl Sternheims "Die Kassette" will nichts zünden: Grimassen, Augenrollen, Kreischen, Krabbeln - die Premiere am Hamburger Schauspielhaus vermittelt einzig Beliebigkeit.
Ob es dieses Mal einen Anlass, einen Grund, ein Motiv gegeben hat für die mittlerweile sehr bewährte Regie-Methode des gelernten Schauspielers Herbert Fritsch? Oder ob "Die Kassette - das 1911, in Vorkriegszeiten also geschriebene Stück des deutschen Expressionisten Carl Sternheim - vielleicht doch eher beliebig auf die Vorschlagsliste der Dramaturgie am Hamburger Schauspielhaus für den geschätzten und umworbenen Regisseur geriet?
Das Ergebnis sieht eher nach Beliebigkeit aus; erkennbare Ziel hat die neue Inszenierung von Herbert Fritsch eher nicht – außer natürlich die üblichen: Grimassen, Augenrollen, Geschlenker der Gliedmaßen und Körper, Stürzen Steppen, Kreischen und Krabbeln.
Die Themen des Originals sind ja auch ziemlich weit – Fragen bürgerlicher Moral. Erbschleicherei steht im Mittelpunkt – der bis dato eher bieder-brave Oberlehrer Krull hechelt nun der "Kassette" hinterher, in der wohl sämtliche Schätze der künftigen Erblasserin Elsbeth versammelt sind; das ist die Tante von Fanny, Krulls zweiter und sehr junger Frau.
Grübeln über Macht und Einfluss von Geld und Kapital
Um diesen Motor herum rattert das Komödien-Maschinchen: Fanny ist tendenziell unbefriedigt und würde wohl ganz gern dem Künstler Seidenschnur erliegen, der seinerseits aber zunächst mal Töchterchen Lydia schöne Augen macht und als Fotograf gerade die Erbtante abgelichtet hat. Womit die gar nicht zufrieden war – was noch so ein schwer überholtes Thema markiert: Wann und wie darf eine Frau von Stand und Ehre sich fotografieren lassen? 1911? Und der Künstler selber will als Lydias Gatte kein moderner Fotograf bleiben, sondern – mit Krulls Reichtum im Rücken – ein arrivierter lieber ein altbackener Maler werden. Wie zeitgenössisch ist das denn ...
Wenn also irgendetwas von hier und heute sein könnte, dann Krulls ausführliches Grübeln über Macht und Einfluss von Geld und Kapital – aber im Zentrum steht dieses strukturelle Motiv bei Fritsch nicht. Wie die Methode des Regisseurs in diesem Falle ganz grundsätzlich schwer verstehbar macht, was überhaupt passiert; zumal der Pianist Ingo Günther den ganzen Abend über alle Handlung mit einer Art Improvisation unterlegt: Charleston und Ragtime, teilweise sogar choreografiert für's Ensemble, aber auch zeitgenössischerer Jazz-Sound legt sich über unter alles. Aber Sternheims Text ist halt kein Libretto.
Im Gegenteil – der eher etwas holprige Sprachgestus des Expressionismus in Sternheims Ton hätte Anlass genug bieten für eine eben sprachlich verstolperte Komödie der Marke Fritsch! Aber gerade dafür, für Sternheims Sprache mit ziemlich vielen Wort-Kreationen weit weg von aller Gegenwart, interessiert sich die Aufführung nicht; zwingt stattdessen alles Gesprochene vor allem in ziemlich rasende Geschwindigkeit.
War da also was?
Und auch Fritschs zentrale Ideen helfen nicht wirklich – vor der bühnenhohen Blümchentapete und dem überdimensional großen Kamin im Zentrum; mit einem monströsen Vorrat an Holzscheiten rechts auf der Bühne, der natürlich immer mal wieder umgerissen und vom Diener wieder aufgeschichtet wird.
Das Bühnenbild stammt wie immer vom Regisseur, die grandios überkandidelten Kostüme hat die Top-Kostümbildnerin Victoria Behr kreiert. Alles also wie immer – aber nichts zündet wirklich; nicht die Musikalisierung, nicht die absichtsvolle Nicht-Existenz einer realen Kassette (der Schlüssel zu ihr wird virtuell in der Luft gedreht bzw. im Leib der Erbtante!), nicht der finale Irrsinn des Dieners, der sich minutenlang mit der stumpfen Seite einer Axt vors Hirn haut, bis er so delirant wird, dass ihm und uns die Axt zu Gummi zerfließt ... auch das ist nur ein Effekt, der zu nichts führt.
War da also was? Eher nicht. An allen denkbaren Sternheim-Zielen also karriolt Fritsch mit dem sehr animierten Hamburger Team weiträumig vorbei. Zu den besseren Fritsch-Produktionen jedenfalls gehört "Die Kassette" von Carl Sternheim eindeutig nicht.