"Die katholische Kirche fürchtet den Kollaps"
Der Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann erklärt, der Sinn des Zölibats liege darin, Macht zu bekommen über die Seele von Menschen. "Wer jemandem die Liebe verbieten kann, hat ihn vollkommen in seiner Hand."
Katrin Heise: In den vergangenen Wochen sind unzählige Fälle von sexuellem Missbrauch an kirchlichen Schulen in Deutschland bekannt geworden. Das war auch ein Thema oder das Thema heute zwischen Erzbischof Robert Zollitsch und Papst Benedikt XVI. in Rom. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz hat sich erneut für die Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen entschuldigt. Ich habe vor der Sendung mit Eugen Drewermann telefoniert. Er ist Theologe und Psychotherapeut, einer der bekanntesten Kirchenkritiker Deutschlands und hat wegen seiner Haltung die katholische Lehrbefugnis und sein Priesteramt verloren. Aus der katholischen Kirche ist er vor Jahren ausgetreten. Hören Sie seine Meinung zum Umgang der katholischen Kirche mit dem Missbrauch.
Eugen Drewermann: Es bleibt nichts anderes übrig, das Gespräch muss offen sein, nachdem es jahrzehntelang, man muss sagen jahrhundertelang nicht geführt wurde. Die katholische Kirche hat bis in die jüngste Gegenwart hinein ihre Amtsmitglieder, ihre Brüder im Priesteramt geschützt vor öffentlicher Kritik. Man hat die Leute einfach versetzt, man hat ihnen im Falle, dass die Taten schwerwiegend waren, auch therapeutische Hilfe angeboten – den Opfern gegenüber gab es kaum eine Entschuldigung, eine Wiedergutmachung schon gar nicht. Und dann ist wirklich struktureigen für die katholische Kirche, dass eine psychotherapeutische Behandlung, wenn sie denn fruchten würde, neue Schwierigkeiten mit sich böte.
Heise: Inwiefern?
Drewermann: Jemand, der sich zu seiner Homosexualität bekennen würde – nach Schätzungen in den Vereinigten Staaten sind das 30 bis 50 Prozent der Priester, das ist ähnlich auch in Deutschland zu befürchten –, müsste nun versuchen, offen eine erwachsene Form von Homosexualität zu leben. Davor hat die katholische Kirche die allergrößte Angst. Ein solcher würde sofort sein Amt verlieren. Oder er müsste, was eigentlich in den meisten Fällen noch wünschenswerter wäre, sich zu der Liebe zu einer Frau offen bekennen dürfen, er müsste heiraten dürfen. Dagegen steht der Zölibat, und er wird wieder bestraft mit Ausschluss vom Beruf und finanzieller Vernichtung. Dann ist es merkwürdig, dass jemand zwar Jugendliche missbraucht haben kann und bleibt weiter Priester, ansonsten aber, wenn er in gewissem Sinn psychisch normaler sich entwickelt, er bestraft gehört. Das war bis vor Kurzem so, an dieser Sexualmoral will die katholische Kirche weiter festhalten, so ist zu vernehmen. Und sie wäscht sich wieder jetzt im Hintergrund die Hände in Unschuld, indem sie Einzelne für die Schuldigen erklärt. Sie anerkennt nicht ihre Systemverantwortung.
Heise: Das heißt, vor vier Wochen beispielsweise, da mussten irische Bischöfe im Vatikan Papst Benedikt einzeln Rede und Antwort stehen. Er bezeichnet Missbrauch ja als unerträgliches Verbrechen, von null Toleranz für die Täter war die Rede. Das geht aber einfach nicht weit genug, weil da die Verantwortung eben an die Einzelnen geschoben wird und nicht am System was verändert wird.
Drewermann: Ich glaube, die vatikanische Behörde kommt nicht daran vorbei, über den Schaden des Zölibats nachzudenken. Wer entscheidet sich denn für Ehelosigkeit? Außer Jugendliche schon, die als Kinder in einer sehr strengen Sexualität aufgewachsen sind. Man hat ihnen in gewissem Sinne Schuldgefühle dafür gemacht, dass sie Jungen sind, dass sie Mädchen sind, und dann sind alle möglichen entwicklungsbedingten Hemmungen eingetreten, sodass am Ende Triebzielfixierungen sich gebildet haben. Die Missbrauchsfälle jetzt im Jesuitenkolleg wurden denn ja auch so kommentiert. Kaum dass die Kinder älter als zwölf oder 14 wurden, schieden sie als Sexualobjekte aus.
Heise: Das heißt, Sexualität bleibt in einer kindlichen Warte stecken?
Drewermann: Quasi gefangen aus lauter Angst vor der Weiterentwicklung. Dann später flieht man gewissermaßen vor den Unheimlichkeiten der eigenen Psyche ins Konvikt, ins Priesterseminar in der Hoffnung, davon frei zu werden. Das findet natürlich nicht statt und wird dann später erkauft mit allen möglichen Doppelbödigkeiten. Das muss der Vatikan anerkennen. Es gibt keine Genehmigung dafür, Menschen die Liebe zu verbieten.
Heise: Jetzt ist der Zölibat ja nicht Ursache von Missbrauch, aber er verdeutlicht die Haltung der katholischen Kirche zu Sexualität – Sie haben das ja auch schon deutlich gemacht. Welche Funktion tatsächlich erfüllt der Zölibat denn tatsächlich noch?
Drewermann: Natürlich wäre es ein falscher Umkehrschluss zu sagen, der Zölibat ist die Ursache für Kindesmissbrauch, aber der Weg zum Zölibat ist ursächlich verknüpft mit Triebfixierungen, die dann zu Missbrauchshandlungen führen – plus der künstlichen Welt, in der Zölibatäre leben, und dem Versprechen, nie später irgendeinen Partner, sei es ein Mann, eine Frau, in die Arme schließen zu dürfen. Solche Versprechen kann niemand geben. Der Sinn des Zölibats liegt im Grunde darin, Macht zu bekommen über die Seele von Menschen. Wer jemandem die Liebe verbieten kann, hat ihn vollkommen in seiner Hand.
Heise: Sie hören Eugen Drewermann im Deutschlandradio Kultur. Herr Drewermann, schauen wir doch uns mal diesen Nachwuchs, diesen Priesternachwuchs an, Sie kennen Priesterseminare ja auch aus eigener Anschauung. Wie wird denn da jetzt, was glauben Sie, unter jungen Priestern momentan miteinander gesprochen, denn die sehen sich ja quasi einem allgemeinen Misstrauen ausgesetzt?
Drewermann: Es wurde in den Zeiten, wo diese Missbrauchsfälle jetzt sich zeitlich einordnen, überhaupt nicht über Sexualität gesprochen, und wenn, in einer abscheulichen, abstoßenden Weise. Das kann ich selber bezeugen und das kann jeder Priester bezeugen, der in der Zeit unterrichtet wurde. Dass das heute sehr viel besser ist, mag ich nicht glauben. Natürlich sind die 68er-Generationen darüber hinweggegangen, es gibt eine ganze Industrie inzwischen, die von Sexualität sich bereichert, das alles wird auch an den Priesterseminaren nicht vorbeigegangen sein. Aber es gibt keine wirkliche Reifung zur Liebe, das ist das zentrale Problem. Sie lässt sich mit dem Zölibat ja nicht vereinbaren.
Heise: Das Problem der Kirche – oder der Kirchen muss man dabei auch sagen – geht ja aber noch viel weiter. Auch über diese ganzen Themen der Sexualität hinaus, sehen Sie insgesamt eine Erosion der Glaubwürdigkeit der Kirche?
Drewermann: Man muss sagen, dass Menschen, die keine reifen Persönlichkeiten sein dürfen oder nur abgespalten bestimmte Teilformen davon leben sollen, für die Seelsorge sehr problematisch sind. Sie werden das Verständnis nicht haben für Ehen, die scheitern. Das katholische Moralgebilde lehnt jede Ehescheidung ab. Man muss auch daran erinnern, dass Johannes Paul II. im volkreichsten Land Afrikas, in Nigeria, nötig hatte zu erklären, dass künstliche Empfängnisverhütung gegen das Sittengesetz Gottes sei, eigentlich eine Todsünde. Etwas Ähnliches hat er auch in Uganda erklärt, wo die Hälfte der Bevölkerung aidskrank ist. Das alles sind Ungeheuerlichkeiten. 50 Millionen Menschen sterben heute schon an Hunger. Das ist wohl nicht übertriebener Pessimismus, davor zu warnen und eine vernünftige Geburtenkontrollpolitik einzurichten. Der Vatikan ist mitschuldig an unglaublichen Zuständen heute auf Erden, weil er eine ganz verengte Moraltheologie befolgt.
Heise: Haben Sie denn den Eindruck, dass die katholische Kirche inzwischen durch die öffentliche Diskussion, durch eben das Wegbrechen der Glaubwürdigkeit, die Erosion der Glaubwürdigkeit, so angeschlagen ist, dass sie sich jetzt öffnen und reformieren muss und es auch tun wird?
Drewermann: Die katholische Kirche fürchtet den Kollaps. Der Zölibat ist nicht irgendein Randgebiet, er ist eigentlich der Kern der Sozialpsychologie der katholischen Kirche, basierend auf Machtausübung über Menschen, im Zentralismus der Papstautorität, in der Triebunterdrückung und in der Aufspaltung des Frauenbildes in Madonna und Hure. Diese Elemente sind der katholischen Kirche wesentlich, da ist der Priester eine besondere, von Gott geweihte Person, also muss er auch ganz anders leben als normale Menschen. Er muss vor die Alternative gestellt werden, ob er Gott liebt oder einen Menschen. Eine ganz absurde Wahl, die sich gegen die Botschaft Jesu sogar frontal richtet. Jesus wollte, dass man Menschen liebt in Gott oder Gott in den Menschen, aber doch nicht entweder-oder. Die katholische Kirche hat der Reformation widerstanden, die im 16. Jahrhundert genau das gesagt hat. Sie hat der Aufklärung widerstanden, sie hat der Psychoanalyse widerstanden, sie hat der Frauenemanzipation widerstanden. Die Frage ist, für wen redet sie eigentlich noch, und wie soll es weitergehen.
Ein Motiv, dass die Kirche sich ändern muss, wird von ganz anderen Grund her kommen, das ist der chronische Priestermangel. Die Priesterschaft dünnt nicht zuletzt der Zölibatsforderung wegen derart aus, dass sich der heilige Stand nicht länger rekrutiert. Man legt Gemeinden zusammen, man erwartet von den Gläubigen, dass sie zehn, 20 Kilometer weit fahren, dass sie eine Sonntagsmesse, die zu besuchen sie verpflichtet sind, wirklich dann ableisten können. Das wird dahin führen, dass weiter von der katholischen Kirche immer weniger Menschen erreicht werden. Und das ist wieder ein Teufelskreis, der natürlich auch zu mangelnden Angeboten beim Priesternachwuchs führen wird.
Heise: Aber eine Lösung aufseiten der katholischen Kirche aus diesem Teufelskreis heraus sehen Sie nicht?
Drewermann: Die Lösung steht bei Friedrich Schiller in "Don Carlos" mit der Adresse an Erzherzog Alba, der mit blutigen Stiefeln den Katholizismus in den Niederlanden zu verbreiten sucht: Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!
Heise: Sagt Eugen Drewermann. Herr Drewermann, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!
Drewermann: Ich danke Ihnen, Frau Heise!
Heise: Morgen am Samstag zwischen neun und 11 führen wir das Thema weiter. Annegret Laakmann, Vertreterin der Reformbewegung "Wir sind Kirche" wird mit Ihnen, unseren Hörern, diskutieren über das Thema: Die Kirchen und die Erosion der Glaubwürdigkeit.
Eugen Drewermann: Es bleibt nichts anderes übrig, das Gespräch muss offen sein, nachdem es jahrzehntelang, man muss sagen jahrhundertelang nicht geführt wurde. Die katholische Kirche hat bis in die jüngste Gegenwart hinein ihre Amtsmitglieder, ihre Brüder im Priesteramt geschützt vor öffentlicher Kritik. Man hat die Leute einfach versetzt, man hat ihnen im Falle, dass die Taten schwerwiegend waren, auch therapeutische Hilfe angeboten – den Opfern gegenüber gab es kaum eine Entschuldigung, eine Wiedergutmachung schon gar nicht. Und dann ist wirklich struktureigen für die katholische Kirche, dass eine psychotherapeutische Behandlung, wenn sie denn fruchten würde, neue Schwierigkeiten mit sich böte.
Heise: Inwiefern?
Drewermann: Jemand, der sich zu seiner Homosexualität bekennen würde – nach Schätzungen in den Vereinigten Staaten sind das 30 bis 50 Prozent der Priester, das ist ähnlich auch in Deutschland zu befürchten –, müsste nun versuchen, offen eine erwachsene Form von Homosexualität zu leben. Davor hat die katholische Kirche die allergrößte Angst. Ein solcher würde sofort sein Amt verlieren. Oder er müsste, was eigentlich in den meisten Fällen noch wünschenswerter wäre, sich zu der Liebe zu einer Frau offen bekennen dürfen, er müsste heiraten dürfen. Dagegen steht der Zölibat, und er wird wieder bestraft mit Ausschluss vom Beruf und finanzieller Vernichtung. Dann ist es merkwürdig, dass jemand zwar Jugendliche missbraucht haben kann und bleibt weiter Priester, ansonsten aber, wenn er in gewissem Sinn psychisch normaler sich entwickelt, er bestraft gehört. Das war bis vor Kurzem so, an dieser Sexualmoral will die katholische Kirche weiter festhalten, so ist zu vernehmen. Und sie wäscht sich wieder jetzt im Hintergrund die Hände in Unschuld, indem sie Einzelne für die Schuldigen erklärt. Sie anerkennt nicht ihre Systemverantwortung.
Heise: Das heißt, vor vier Wochen beispielsweise, da mussten irische Bischöfe im Vatikan Papst Benedikt einzeln Rede und Antwort stehen. Er bezeichnet Missbrauch ja als unerträgliches Verbrechen, von null Toleranz für die Täter war die Rede. Das geht aber einfach nicht weit genug, weil da die Verantwortung eben an die Einzelnen geschoben wird und nicht am System was verändert wird.
Drewermann: Ich glaube, die vatikanische Behörde kommt nicht daran vorbei, über den Schaden des Zölibats nachzudenken. Wer entscheidet sich denn für Ehelosigkeit? Außer Jugendliche schon, die als Kinder in einer sehr strengen Sexualität aufgewachsen sind. Man hat ihnen in gewissem Sinne Schuldgefühle dafür gemacht, dass sie Jungen sind, dass sie Mädchen sind, und dann sind alle möglichen entwicklungsbedingten Hemmungen eingetreten, sodass am Ende Triebzielfixierungen sich gebildet haben. Die Missbrauchsfälle jetzt im Jesuitenkolleg wurden denn ja auch so kommentiert. Kaum dass die Kinder älter als zwölf oder 14 wurden, schieden sie als Sexualobjekte aus.
Heise: Das heißt, Sexualität bleibt in einer kindlichen Warte stecken?
Drewermann: Quasi gefangen aus lauter Angst vor der Weiterentwicklung. Dann später flieht man gewissermaßen vor den Unheimlichkeiten der eigenen Psyche ins Konvikt, ins Priesterseminar in der Hoffnung, davon frei zu werden. Das findet natürlich nicht statt und wird dann später erkauft mit allen möglichen Doppelbödigkeiten. Das muss der Vatikan anerkennen. Es gibt keine Genehmigung dafür, Menschen die Liebe zu verbieten.
Heise: Jetzt ist der Zölibat ja nicht Ursache von Missbrauch, aber er verdeutlicht die Haltung der katholischen Kirche zu Sexualität – Sie haben das ja auch schon deutlich gemacht. Welche Funktion tatsächlich erfüllt der Zölibat denn tatsächlich noch?
Drewermann: Natürlich wäre es ein falscher Umkehrschluss zu sagen, der Zölibat ist die Ursache für Kindesmissbrauch, aber der Weg zum Zölibat ist ursächlich verknüpft mit Triebfixierungen, die dann zu Missbrauchshandlungen führen – plus der künstlichen Welt, in der Zölibatäre leben, und dem Versprechen, nie später irgendeinen Partner, sei es ein Mann, eine Frau, in die Arme schließen zu dürfen. Solche Versprechen kann niemand geben. Der Sinn des Zölibats liegt im Grunde darin, Macht zu bekommen über die Seele von Menschen. Wer jemandem die Liebe verbieten kann, hat ihn vollkommen in seiner Hand.
Heise: Sie hören Eugen Drewermann im Deutschlandradio Kultur. Herr Drewermann, schauen wir doch uns mal diesen Nachwuchs, diesen Priesternachwuchs an, Sie kennen Priesterseminare ja auch aus eigener Anschauung. Wie wird denn da jetzt, was glauben Sie, unter jungen Priestern momentan miteinander gesprochen, denn die sehen sich ja quasi einem allgemeinen Misstrauen ausgesetzt?
Drewermann: Es wurde in den Zeiten, wo diese Missbrauchsfälle jetzt sich zeitlich einordnen, überhaupt nicht über Sexualität gesprochen, und wenn, in einer abscheulichen, abstoßenden Weise. Das kann ich selber bezeugen und das kann jeder Priester bezeugen, der in der Zeit unterrichtet wurde. Dass das heute sehr viel besser ist, mag ich nicht glauben. Natürlich sind die 68er-Generationen darüber hinweggegangen, es gibt eine ganze Industrie inzwischen, die von Sexualität sich bereichert, das alles wird auch an den Priesterseminaren nicht vorbeigegangen sein. Aber es gibt keine wirkliche Reifung zur Liebe, das ist das zentrale Problem. Sie lässt sich mit dem Zölibat ja nicht vereinbaren.
Heise: Das Problem der Kirche – oder der Kirchen muss man dabei auch sagen – geht ja aber noch viel weiter. Auch über diese ganzen Themen der Sexualität hinaus, sehen Sie insgesamt eine Erosion der Glaubwürdigkeit der Kirche?
Drewermann: Man muss sagen, dass Menschen, die keine reifen Persönlichkeiten sein dürfen oder nur abgespalten bestimmte Teilformen davon leben sollen, für die Seelsorge sehr problematisch sind. Sie werden das Verständnis nicht haben für Ehen, die scheitern. Das katholische Moralgebilde lehnt jede Ehescheidung ab. Man muss auch daran erinnern, dass Johannes Paul II. im volkreichsten Land Afrikas, in Nigeria, nötig hatte zu erklären, dass künstliche Empfängnisverhütung gegen das Sittengesetz Gottes sei, eigentlich eine Todsünde. Etwas Ähnliches hat er auch in Uganda erklärt, wo die Hälfte der Bevölkerung aidskrank ist. Das alles sind Ungeheuerlichkeiten. 50 Millionen Menschen sterben heute schon an Hunger. Das ist wohl nicht übertriebener Pessimismus, davor zu warnen und eine vernünftige Geburtenkontrollpolitik einzurichten. Der Vatikan ist mitschuldig an unglaublichen Zuständen heute auf Erden, weil er eine ganz verengte Moraltheologie befolgt.
Heise: Haben Sie denn den Eindruck, dass die katholische Kirche inzwischen durch die öffentliche Diskussion, durch eben das Wegbrechen der Glaubwürdigkeit, die Erosion der Glaubwürdigkeit, so angeschlagen ist, dass sie sich jetzt öffnen und reformieren muss und es auch tun wird?
Drewermann: Die katholische Kirche fürchtet den Kollaps. Der Zölibat ist nicht irgendein Randgebiet, er ist eigentlich der Kern der Sozialpsychologie der katholischen Kirche, basierend auf Machtausübung über Menschen, im Zentralismus der Papstautorität, in der Triebunterdrückung und in der Aufspaltung des Frauenbildes in Madonna und Hure. Diese Elemente sind der katholischen Kirche wesentlich, da ist der Priester eine besondere, von Gott geweihte Person, also muss er auch ganz anders leben als normale Menschen. Er muss vor die Alternative gestellt werden, ob er Gott liebt oder einen Menschen. Eine ganz absurde Wahl, die sich gegen die Botschaft Jesu sogar frontal richtet. Jesus wollte, dass man Menschen liebt in Gott oder Gott in den Menschen, aber doch nicht entweder-oder. Die katholische Kirche hat der Reformation widerstanden, die im 16. Jahrhundert genau das gesagt hat. Sie hat der Aufklärung widerstanden, sie hat der Psychoanalyse widerstanden, sie hat der Frauenemanzipation widerstanden. Die Frage ist, für wen redet sie eigentlich noch, und wie soll es weitergehen.
Ein Motiv, dass die Kirche sich ändern muss, wird von ganz anderen Grund her kommen, das ist der chronische Priestermangel. Die Priesterschaft dünnt nicht zuletzt der Zölibatsforderung wegen derart aus, dass sich der heilige Stand nicht länger rekrutiert. Man legt Gemeinden zusammen, man erwartet von den Gläubigen, dass sie zehn, 20 Kilometer weit fahren, dass sie eine Sonntagsmesse, die zu besuchen sie verpflichtet sind, wirklich dann ableisten können. Das wird dahin führen, dass weiter von der katholischen Kirche immer weniger Menschen erreicht werden. Und das ist wieder ein Teufelskreis, der natürlich auch zu mangelnden Angeboten beim Priesternachwuchs führen wird.
Heise: Aber eine Lösung aufseiten der katholischen Kirche aus diesem Teufelskreis heraus sehen Sie nicht?
Drewermann: Die Lösung steht bei Friedrich Schiller in "Don Carlos" mit der Adresse an Erzherzog Alba, der mit blutigen Stiefeln den Katholizismus in den Niederlanden zu verbreiten sucht: Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!
Heise: Sagt Eugen Drewermann. Herr Drewermann, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!
Drewermann: Ich danke Ihnen, Frau Heise!
Heise: Morgen am Samstag zwischen neun und 11 führen wir das Thema weiter. Annegret Laakmann, Vertreterin der Reformbewegung "Wir sind Kirche" wird mit Ihnen, unseren Hörern, diskutieren über das Thema: Die Kirchen und die Erosion der Glaubwürdigkeit.