Die Kinder, die Zukunft und wir
Kinder sind Optimisten, die meisten jedenfalls. Erwartungsfroh schauen sie in die Zukunft. Wie schön alles sein wird, wenn sie groß und stark sind! Dann werden sie die Macht haben, und sie werden die Welt gerechter, friedlicher, gesünder machen. Kein Kind wird von Abfällen leben müssen, keines wird andere totschießen, keines wird krumm von Arbeit ein kümmerliches Leben fristen.
Im Kinderland hat jedes von ihnen eine gute Fee. Dort haben sie natürlich Abenteuer zu bestehen, da müssen sie das Fürchten und das Verlieren lernen. Aber jedes Kind weiß: Am Ende der Prüfungen wird es gewonnen haben, was es zum Leben am meisten braucht - Klugheit und Stärke!
Irgendwo unterwegs ins Erwachsensein geht vielen das Kinderwissen verloren. Die Unterscheidung von gut und böse, von richtig und falsch und das Geheimnis, dass Glück erwerbbar, aber nicht käuflich ist. Eine neue Währung zählt: Markenklamotten, technische Hochrüstung, körperliche Überlegenheit und Geld. Sie verschaffen Macht und Prestige. Kinder kopieren die Erfolgsmuster der Erwachsenen. Die Werbung trompetet, dass alles Begehrenswerte zu haben ist . "Kauf mich!" hieß es erst noch ehrlich. Jetzt lockt man mit "Hol's dir!" Don't worry, be happy. Die guten Feen warten im Kaufhaus und im Internet.
Und ist es nicht so: Kinder leben hier im Schlaraffenland, die meisten. Sie hungern und frieren nicht, sie haben es warm, sie haben schöne Kleider und unglaublich viel Spielzeug. Und wenn sie erst groß und stark sind und sie über alles selbst entscheiden können, dann können sie so viel fernsehen, wie sie wollen, und sich die Zeit mit Mörderspielen vertreiben, so lange aufbleiben, so viel rauchen und so oft ins Koma trinken, wie sie wollen. Alles ist möglich, alles grenzenlos.
Zu viele verlieren sich. Ladendiebstahl nimmt zu. Mehr als 6 Prozent der jungen Leute sind hoch verschuldet, mehr als 8 Prozent alkohol- und drogenabhängig. Gewalttaten junger Männer nehmen zu. Vom Schulversagen großer Gruppen, auch vor allem junger Männer, nicht zu reden.
Andere beängstigende Menetekel sind zu entziffern: Die wachsende soziale Gleichgültigkeit, das Wegschauen, das Sich-nicht-verantwortlich-fühlen für andere. Ich mische mich nicht ein, ich bin nicht der Hüter meines Bruders. Mir hilft auch keiner. Die Gesellschaft entsolidarisiert sich. Egoismus und Dschungelgesetze sind salonfähig - siehe Reality-Fernsehen, siehe Börse, siehe die wachsende Kluft zwischen arm und reich. Und? Seit Anfang der 90er Jahre wurden die Strafgesetze 42 Mal verschärft!
So also bereiten wir uns und den Kindern die Zukunft. Und wissen doch: Die Welt morgen ist nicht grundsätzlich schlechter, aber sicher tausendmal komplizierter und gefährdeter als unsere heutige: Der Klimawandel, die globale Bevölkerungsexplosion. Milliarden zusätzlicher Menschen sind zu ernähren, mit sauberem Wasser zu versorgen, mit Medizin, mit Bildung, mit Arbeit . Mehr Krisen, mehr Katastrophen, mehr Verteilungskämpfe - riesige Aufgaben, und keine vernünftige Weltregierung in Sicht!
Was können wir tun? Wegducken? Augen zu und durch? Oder kölschen Trost beschwören "Es hett noch immer jot jejange!"? Die Versuchung, sich die Probleme so vom Halse zu halten, ist groß. Wir müssen ihr widerstehen.
Denn um die dramatischen Schwierigkeiten der Zukunft meistern zu können, brauchen die Kinder, alle, die denkbar besten Voraussetzungen. Wir, die Erwachsenen, müssen sie schaffen. Wir müssen sie ausbilden und erziehen, nicht nach unseren jeweils eigenen Möglichkeiten, sondern orientiert an dem, was sie und die Gesellschaft insgesamt für die Zukunft so dringend brauchen.
Kinder werden, so sagt man, von selbst groß. In ihrer Wiege liegen aber reichlich gute Gaben, die ohne aufmerksame Zuwendung verkümmern. Zu viele Eltern sind überfordert, versagen - bei bestem Willen. Also endlich her mit besten Ganztagskindergärten und -schulen, her mit Sport, Musik, Kunst, her mit allem, was die Talente hervorholt, den Realitätssinn schult und die Kinder zu selbstbewussten Individuen und zu freundlichen, aufmerksamen, wachen, aktiven Mitmenschen werden lässt! Her mit allem, was sie aus Langeweile, Frust und Teilnahmslosigkeit, aus Kraftmeierei und ewiger Pubertät befreit!
In der Politik bewegt sich ein wenig. Gut. Nicht genug. Wir dürfen nicht geduldig abwarten, sondern wir müssen kräftig drücken und ziehen und Einfluss nehmen, damit mehr geschieht. Wir sind das Volk. Gut. Nicht genug, das zu sagen. Es gibt eine eigene, nicht delegierbare Verantwortung. Wir können uns den Kindern sofort mehr zuwenden, nicht nur den eigenen. Auf sie achten, ihnen gute Beispiele vorleben, ihnen zuhören, sie ermutigen und trösten, sie fordern, sie schützen, ihnen Grenzen setzen.
Ob wir das schaffen, ob es hilft? Wer weiß? Trotzdem müssen wir tapfer unsere Apfelbäumchen pflanzen und sie mit unserer Hoffnung düngen! Sie zumindest werden übrigbleiben.
Gerda Hollunder, Jg. 1940, in Beuthen/ Oberschlesien geboren, Buchhändlerlehre in Essen, Studium der Germanistik u. Geschichte in München, Karriere beim Hörfunk mit den Stationen BR, WDR und DeutschlandRadio Berlin, 1994-2004 Programmdirektorin.
Irgendwo unterwegs ins Erwachsensein geht vielen das Kinderwissen verloren. Die Unterscheidung von gut und böse, von richtig und falsch und das Geheimnis, dass Glück erwerbbar, aber nicht käuflich ist. Eine neue Währung zählt: Markenklamotten, technische Hochrüstung, körperliche Überlegenheit und Geld. Sie verschaffen Macht und Prestige. Kinder kopieren die Erfolgsmuster der Erwachsenen. Die Werbung trompetet, dass alles Begehrenswerte zu haben ist . "Kauf mich!" hieß es erst noch ehrlich. Jetzt lockt man mit "Hol's dir!" Don't worry, be happy. Die guten Feen warten im Kaufhaus und im Internet.
Und ist es nicht so: Kinder leben hier im Schlaraffenland, die meisten. Sie hungern und frieren nicht, sie haben es warm, sie haben schöne Kleider und unglaublich viel Spielzeug. Und wenn sie erst groß und stark sind und sie über alles selbst entscheiden können, dann können sie so viel fernsehen, wie sie wollen, und sich die Zeit mit Mörderspielen vertreiben, so lange aufbleiben, so viel rauchen und so oft ins Koma trinken, wie sie wollen. Alles ist möglich, alles grenzenlos.
Zu viele verlieren sich. Ladendiebstahl nimmt zu. Mehr als 6 Prozent der jungen Leute sind hoch verschuldet, mehr als 8 Prozent alkohol- und drogenabhängig. Gewalttaten junger Männer nehmen zu. Vom Schulversagen großer Gruppen, auch vor allem junger Männer, nicht zu reden.
Andere beängstigende Menetekel sind zu entziffern: Die wachsende soziale Gleichgültigkeit, das Wegschauen, das Sich-nicht-verantwortlich-fühlen für andere. Ich mische mich nicht ein, ich bin nicht der Hüter meines Bruders. Mir hilft auch keiner. Die Gesellschaft entsolidarisiert sich. Egoismus und Dschungelgesetze sind salonfähig - siehe Reality-Fernsehen, siehe Börse, siehe die wachsende Kluft zwischen arm und reich. Und? Seit Anfang der 90er Jahre wurden die Strafgesetze 42 Mal verschärft!
So also bereiten wir uns und den Kindern die Zukunft. Und wissen doch: Die Welt morgen ist nicht grundsätzlich schlechter, aber sicher tausendmal komplizierter und gefährdeter als unsere heutige: Der Klimawandel, die globale Bevölkerungsexplosion. Milliarden zusätzlicher Menschen sind zu ernähren, mit sauberem Wasser zu versorgen, mit Medizin, mit Bildung, mit Arbeit . Mehr Krisen, mehr Katastrophen, mehr Verteilungskämpfe - riesige Aufgaben, und keine vernünftige Weltregierung in Sicht!
Was können wir tun? Wegducken? Augen zu und durch? Oder kölschen Trost beschwören "Es hett noch immer jot jejange!"? Die Versuchung, sich die Probleme so vom Halse zu halten, ist groß. Wir müssen ihr widerstehen.
Denn um die dramatischen Schwierigkeiten der Zukunft meistern zu können, brauchen die Kinder, alle, die denkbar besten Voraussetzungen. Wir, die Erwachsenen, müssen sie schaffen. Wir müssen sie ausbilden und erziehen, nicht nach unseren jeweils eigenen Möglichkeiten, sondern orientiert an dem, was sie und die Gesellschaft insgesamt für die Zukunft so dringend brauchen.
Kinder werden, so sagt man, von selbst groß. In ihrer Wiege liegen aber reichlich gute Gaben, die ohne aufmerksame Zuwendung verkümmern. Zu viele Eltern sind überfordert, versagen - bei bestem Willen. Also endlich her mit besten Ganztagskindergärten und -schulen, her mit Sport, Musik, Kunst, her mit allem, was die Talente hervorholt, den Realitätssinn schult und die Kinder zu selbstbewussten Individuen und zu freundlichen, aufmerksamen, wachen, aktiven Mitmenschen werden lässt! Her mit allem, was sie aus Langeweile, Frust und Teilnahmslosigkeit, aus Kraftmeierei und ewiger Pubertät befreit!
In der Politik bewegt sich ein wenig. Gut. Nicht genug. Wir dürfen nicht geduldig abwarten, sondern wir müssen kräftig drücken und ziehen und Einfluss nehmen, damit mehr geschieht. Wir sind das Volk. Gut. Nicht genug, das zu sagen. Es gibt eine eigene, nicht delegierbare Verantwortung. Wir können uns den Kindern sofort mehr zuwenden, nicht nur den eigenen. Auf sie achten, ihnen gute Beispiele vorleben, ihnen zuhören, sie ermutigen und trösten, sie fordern, sie schützen, ihnen Grenzen setzen.
Ob wir das schaffen, ob es hilft? Wer weiß? Trotzdem müssen wir tapfer unsere Apfelbäumchen pflanzen und sie mit unserer Hoffnung düngen! Sie zumindest werden übrigbleiben.
Gerda Hollunder, Jg. 1940, in Beuthen/ Oberschlesien geboren, Buchhändlerlehre in Essen, Studium der Germanistik u. Geschichte in München, Karriere beim Hörfunk mit den Stationen BR, WDR und DeutschlandRadio Berlin, 1994-2004 Programmdirektorin.