Wie sozial sind Gemeinden als Grundbesitzer?
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Nach dem Krieg haben Gemeinden oft ihren Grundbesitz in Erbbaurecht vergeben. Jetzt soll die Pacht an einigen Orten an den Bodenrichtwert angeglichen werden. Die Kirche ist im Dilemma zwischen Gewinnoptimierung und diakonischem Auftrag.
Seit etwa einem Jahr diskutiert die Kammer für soziale Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) über den Wohnungsmarkt. Ralph Charbonnier ist Oberkirchenrat aus Hannover und Geschäftsführer der Kammer:
"Als evangelische Kirche haben wir wahrgenommen, dass die Diskussion um den Wohnungsmarkt in den letzten ein bis zwei Jahren sehr stark zugenommen hat. Da hat der Rat der EKD die Kammer für soziale Ordnung gebeten, intensiver auf die Bedingungen des Wohnungsmarktes zu schauen, die Situation wahrzunehmen und mit ethischen Kriterien zu bewerten, um daraus auch Handlungsoptionen für die Teilnahme am öffentlichen Diskurs und für das eigene Handeln als Kirche zu beschreiben."
Keine genauen Zahlen zum Grundbesitz der Kirchen
Die Kirchen in Deutschland sind traditionell große Boden- und Immobilieneigentümer. Einen kompletten Überblick über alle Immobilien der EKD, der Landeskirchen und ihrer Einrichtungen gebe es nicht, so Charbonnier. Auch Adalbert Schmidt, Leiter der Abteilung Immobilienwirtschaft der EKD, muss da passen:
"Das statistische Material über Grundstücke und Wohnungen ist eingeschränkt. Es gibt Zählungen über Gebäude, über Kirchen, über Pfarrhäuser und Gemeindezentren mit Kirchräumen. Es gibt aber beispielsweise kein Zahlenmaterial über kirchlich verwaltete Erbbaurechte der evangelischen Gliedkirchen in Deutschland."
Für die Landeskirche Hannover hat Schmidt immerhin die Zahl von rund 1000 Erbbaugrundstücken parat. Mit einer Laufzeit von 75 oder mehr Jahren verpachten Kirchen und Kommunen Grundstücke im Erbbaurecht. Der Erbbaunehmer pachtet das Grundstück und erwirbt das darauf stehende Haus im Eigentum, oder er baut auf das Erbbauland ein Haus auf eigene Kosten.
Die Verträge laufen aus – und jetzt?
Auch die katholische Kirche vergibt traditionell Erbbaurechte. Genaue Zahlen kann aber auch die Deutsche Bischofskonferenz nicht liefern. Die Verträge würden meist auf Bistums-, Kirchen- oder Stiftungsebene geschlossen, heißt es:
"Die sind in der Regel Anfang, Mitte der 50er-Jahre ausgegeben, mit Laufzeiten von 75 bis 99 Jahren. Das heißt also: Rein vom Zeitablauf kann man sagen, in rund zehn bis zwanzig Jahren werden vermutlich vermehrt Erbbaurechte auslaufen."
Erbbaurecht wird in der öffentlichen Diskussion oft als ein Weg gesehen, sozial schwächeren Menschen einen Weg zum Eigenheim zu ermöglichen. Doch dieser birgt durchaus Konfliktpotenzial.
Pachtsteigerung um das 25-fache
In Kirchrode, einem Stadtteil von Hannover, laufen einige Verträge, die in den 1950er-Jahren geschlossen wurden, aus. Die Pächter haben Ende letzten Jahres von der Stadtkirchenkanzlei Hannover einen Brief bekommen, in dem die Kirche anbietet, den Vertrag vorzeitig zu verlängern – allerdings verbunden mit massiven Pachtsteigerungen. Davon betroffen ist auch das Ehepaar Schwarze. Statt wie bisher 115 Euro jährliche Pacht sollen sie nun 2.866 Euro zahlen. Das 25-fache, wie Dagmar Schwarze ausgerechnet hat:
"Wir persönlich haben zunächst Angst gekriegt. Ich hab sofort gesagt, das ist 'ne Drohung. Es hat sich dann ein bisschen relativiert, aber erstmal war dieser Schock oder dieser Schreck da."
Günstiges Wohn-"Eigentum"
Rentnerin Dagmar Schwarze wohnt mit ihrem Mann seit 52 Jahren im Molanusweg in Hannover-Kirchrode. Ihre Schwiegereltern haben das gut 200 Quadratmeter große Grundstück samt kleinem Haus 1954 bezogen. Während sie das Grundstück seitdem pachten, ist das darauf stehende Haus ihr Eigentum.
"An sich denkt man, es ist Eigentum", sagt Schwarze. "Also, ich habe nie daran gedacht, dass die Kirche das beanspruchen kann. Sie schreiben ja auch, dass, wenn das abgelaufen ist und wir nicht einverstanden sind mit dem neuen Erbbaurechtsvertrag, das Haus dem Heimfall zufällt."
"Heimfall" bedeutet in der Fachsprache des Erbbaurechts, dass, wenn der Pachtvertrag ausläuft, das Haus in das Eigentum der Kirche übergeht. Die Kirche müsste dann eine Entschädigung von zwei Dritteln des Verkehrswertes an die jetzigen Eigentümer zahlen.
"Wenn wir jetzt am Ablauf des Vertrages 2028 nicht unterschreiben, dann nehmen sie uns das Haus weg – in Anführungsstrichen. Wir sind jetzt 75 Jahre alt, nach Ablauf von neun Jahren sind wir 83, dann kriegen wir keine andere Wohnung mehr, und wir können auch nicht von unserer Rente in ein Heim."
Die Kirche findet das Angebot fair
Adalbert Schmidt von der EKD und der Hannoverschen Landeskirche war in das Vorgehen der lokalen Jacobi-Gemeinde beratend involviert. Er sieht in dem Angebot ein Entgegenkommen:
"Die Erbbauzinsen waren natürlich gar nicht mehr an dem Bodenwert orientiert. Und da es sich hier aber um eine Verlängerung handelte, hat man eben versucht, ein Angebot zu entwickeln, was auch für die Erbbaurechtsnehmer interessant ist. Und da hat man sich dann darauf verständigt, das Angebot zu machen für den Bodenrichtwert von 2017 und nicht für 2019. Und wenn die Bodenrichtwerte eben noch weiter steigen, ist das denn aus unserer Sicht ein faires und attraktives Angebot gewesen."
Dagmar Schwarze und ihr Mann haben das Angebot der Kirche trotzdem abgelehnt. Sie wollen nun versuchen, zusammen mit einer Interessengemeinschaft ein besseres Angebot der Kirchengemeinde zu erreichen. Oliver Neuber aus Wolfsburg koordiniert deutschlandweit solche Interessengemeinschaften.
Erbbaurecht als Instrument der Sozialpolitik
"Das Erbbaurecht hatte ja eigentlich einen sozialen Hintergrund, einen sozialen Charakter", sagt Neuber. "Es ist ja mal als Instrument der Sozialpolitik entstanden. Und dieses Instrument der Sozialpolitik hat sich jetzt immer mehr als Instrument des Profits für Erbbaurechtsgeber herausgestellt. Wir haben ja nichts gegen Erbbaurechtserhöhungen, aber diese Erhöhungen müssen auch bezahlbar sein. Da wird der soziale Charakter des Erbbaurechts ausgehebelt."
In der evangelischen Kirche liegt die Zuständigkeit für die Ausgestaltung der Erbbaurechtsverträge zum großen Teil auf Gemeindeebene, bei ehrenamtlichen Laien. Nach Beobachtung von Ralph Charbonnier von der Kammer für soziale Ordnung sind diese bei der Vermarktung von Kirchenimmobilien oft zwischen dem sozialen und ökologischen Engagement und den wirtschaftlichen Interessen ihrer Kirche hin und her gerissen:
"Wir wollen Kriterien entwickeln in diesem Dreieck von ökonomischen, sozialen und ökologischen Aspekten. Kriterien entwickeln, die eine Hilfestellung für die Diskussion in der Öffentlichkeit darstellen, aber genauso Wirkung entfalten können im innerkirchlichen Bereich."
Günstiger Wohnraum als diakonischer Auftrag
So könne einerseits der Handlungsspielraum der Verantwortlichen vor Ort Richtung sozialer oder ökologischer Ausrichtung ausgeweitet werden, andererseits könnten konkrete Hilfestellung bei Entscheidungen gegeben werden.
Denn für Ralph Charbonnier ist klar, "dass es ein Ziel der Gemeinde sein kann, Boden zur Verfügung zu stellen für günstigen Wohnraum. Das ist eine indirekte Art und Weise diakonisch tätig zu sein, nämlich dafür zu sorgen, dass bezahlbarer Wohnraum auch für Menschen mit geringem Einkommen möglich ist."
Auch die katholische Kirche möchte den Verantwortlichen vor Ort mehr Hilfestellung in Vermögensfragen geben und wendet sich in einer Broschüre an die Finanzverantwortlichen ihrer Einrichtungen. Auf 40 Seiten werden sie ermuntert, Vermögen sozial und nachhaltig zu investieren. Vorangestellt ist der Broschüre ein Zitat von Papst Franziskus aus seinem Evangelii Gaudium 2013: "Das Geld muss dienen und nicht regieren!" Dies gelte, so Kardinal Marx im Vorwort, "nicht erst bei der Ertragsverwendung, sondern auch bei der Renditeerwirtschaftung selbst".