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Musikalische Monolithen
Wer auf dem Klavier die Kreuzigung darstellt, darf sich über blutige Finger nicht wundern. Markus Hinterhäuser, Pianist und Intendant der Salzburger Festspiele, hat diese Erfahrung mit den Klaviersonaten von Galina Ustwolskaja gemacht.
"Ich glaube, dass es nicht falsch ist, wenn man als Intendant auch selber auftritt", sagt der Pianist Markus Hinterhäuser, der die Salzburger Festspiele leitet. "Es hilft, eine Kommunikation mit den Künstlern zu erleichtern. Ich weiß, wie die andere Seite aussieht."
Den sechs Sonaten der tiefreligiösen Galina Ustwolskaja mit Markus Hinterhäuser im Konzert zu begegnen, ist ein aufrüttelndes Ereignis. Der Publizist Alex Ross schrieb anlässlich des 100. Geburtstages der russischen Komponistin 2019 im "New Yorker", diese Aufführung sei für ihn eine der schönsten des Jahres gewesen. Der Herausforderung, diese Sonaten als Gesamtzyklus zu spielen, stellt sich Markus Hinterhäuser regelmäßig und beschreitet dabei einen Weg, der ihn von der ungebändigten Energie der Natur in der Ersten Sonate (1947) über die Kreuzigung in der Fünften (1986) bis zur Sechsten Sonate (1988) führt. Er lässt sich ganz vom Bann ihrer Klänge erfüllen und hofft, dabei Kräfte freizusetzen, die den Bereich des menschlich Machbaren übersteigen.
Aus Schock wird Liebe, aus Liebe Obsession
Aus dem anfänglichen Schock, Ustwolskajas Musik zu begegnen, hat sich eine große Liebe und nach und nach eine Obsession entwickelt. Auch durch die persönliche Begegnung mit der Komponistin hat sich der Imaginationsraum des Pianisten geöffnet; das Grenzenlose ist in jeder Note präsent und gefordert.
Markus Hinterhäuser konnte die zeitlebens äußerst menschenscheue Galina Ustwolskaja in einem Wiener Hotel treffen: "Beim Betreten dieses Raumes wusste ich, dass jede Frage, die ich mir gewünscht habe, ihr zu stellen, nicht gefragt werden wird. Es war etwas da – und das ist jetzt keine Mystifizierung dieser 20 bis 30 Minuten, die ich mit ihr in diesem halb abgedunkelten Zimmer verbrachte –, es war etwas da, was man Aura nennt."
Ganz oder gar nicht
Galina Ustwolskaja hat sich immer dagegen gewehrt, dass Musikwissenschaftler ihre Werke untersuchen. Ihre Musik sollte – so sagte sie – am besten in einem Kirchenraum erklingen, ohne wissenschaftliche Einführungen und Analysen. Das bedeutet nicht, dass auch der Interpret sie nicht analysiert, aber es bedeutet, dass man die Analyse nur als Tür zu einem Kosmos sieht, der emotionale Achterbahnfahrten ebenso wie meditative Versenkungen fordert.
Dabei kann es vorkommen, dass der Pianist am Ende blutige Fingerknöchel hat. "Ganz oder gar nicht!", sagt Markus Hinterhäuser. In den "Interpretationen" nimmt er uns mit in eine Welt, die von einigen Mauern umgeben scheint.