Krisen bewältigen

Die Kraft der Hoffnung

07:59 Minuten
Mann mit einem Gipsarm hebt den Daumen.
Bald ist der Arm geheilt und der Gips ab: Hoffnung basiert auf dem Glauben, die Zukunft könne besser werden. © imago images / fStop Images / Malte Mueller
Von Maximilian Brose · 29.12.2022
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Hoffnung ist einer der stärksten Faktoren für unser Wohlbefinden. Bei Krankheiten wie Krebs oder Diabetes führt sie nachweislich zu besseren Behandlungsergebnissen. Aber wie lässt sich unsere Zuversicht stärken?
„Hoffnung ist im Verlauf meiner Erkrankung ein sehr wandelbares Tier", sagt Mia Diekow heute. Im Frühjahr 2020 ist sie kerngesund, arbeitet als Sängerin und Synchronsprecherin. Dann bekommt die junge Frau Corona:
„Dann hatte ich die Hoffnung, wie jeder junge Mensch, dass es bei mir einfach wieder vorbeigehen würde. Ich hatte die Hoffnung, dass ich dann ganz normal, wie nach anderen Infekten, die ich in meinem Leben hatte, einfach wieder gesund bin, wieder arbeiten kann.“
Doch es kommt anders: Die Folgen der Corona-Infektion gehen nicht weg. Mia fühlt sich schwach, bricht beim Versuch, zu arbeiten, zusammen. Nach Belastungen folgen extreme Erschöpfung und Herzrasen. Auch ihr Denken ist vernebelt. Tage der Hoffnungslosigkeit machen sich breit. Erst als sie in die Selbsthilfegruppe "Long Covid Deutschland" eintritt, ändert sich das.
„Dort habe ich dann Hunderte Menschen getroffen, die genau dasselbe beschrieben haben, was ihnen passiert“, erzählt sie. „Das hat mir Hoffnung gegeben, dass ich nicht allein bin mit dieser Sache.“

„Hoffnung ist ein soziales Geschenk“

Gleichzeitig helfe ihr der Austausch, weil sie sich hier nicht erklären müsse. Dass Erkrankte aus dem Kontakt mit anderen Betroffenen viel Hoffnung schöpfen können, sagt auch der Hoffnungsforscher Chan Hellman:
„Hoffnung ist ein soziales Geschenk. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für Hoffnung ist, dass ich mich mit anderen zusammenschließen kann. Hoffnung ist nichts, was in Selbstisolation entsteht. Typischerweise entsteht Hoffnung in den Beziehungen und Verbindungen, die wir mit anderen haben.“
Der Psychologieprofessor widmet seine Forschungskarriere der positiven Psychologie und der Hoffnung und gründet ein eigenes Institut dafür. Wissenschaftlich gesehen sei Hoffnung zunächst ein kognitiver Prozess, sagt er: „Hoffnung ist die Erwartung, dass die Zukunft besser sein wird als heute und dass wir die Kraft haben, es zu schaffen." Ein wichtiger Grundpfeiler sei dabei, dass wir uns Ziele setzen, genauso wie Wege zu finden, um diese Ziele zu erreichen.

Sich neue Ziele setzen

Auch Mia Diekow spürt das. Als sie das erste Mal vom Krankheitsbild "Post Covid" hört, macht das auch eine neue Perspektive für sie auf: „Als ich dann erfahren habe, was ich haben könnte, kam in mir die Hoffnung auf, dass ich irgendwann eine Diagnose erhalten könnte.“
Sie setzt sich ein neues Ziel, auf das sie hoffen kann. Für Chan Hellman ist das gerade für Erkrankte wichtig, die an chronischen Krankheiten leiden. Denn das helfe, weiterhin zu hoffen:
„Wenn sie sich in ihrer Situation weiterhin auf die Heilung fokussiert hätte, wären ihre Wege dorthin kontinuierlich blockiert gewesen“, erläutert er. „Das Schwierige dabei ist, dass wir dann in die Verzweiflung rutschen können, was sehr gefährlich sein kann. Aber die Fähigkeit, uns neue Ziele zu setzen, ist der Grund, warum Hoffnung so wichtig für unser Wohlbefinden ist.“
Mia Diekow findet nach langer aufreibender Suche eine Ärztin, die bei ihr "Post Covid" diagnostiziert, genau wie das Chronische Fatigue-Syndrom ME/CFS. Hier erleben Betroffene, dass sich ihre Symptome schon nach kurzer Belastung stark verschlimmern.
Wie sich Hoffnung bei diesen Krankheiten auswirkt, haben wissenschaftliche Studien bisher nicht untersucht. Allerdings gebe es Studien dazu, wie Zuversicht bei anderen Erkrankungen helfen kann:
„Etwa bei der Behandlung von Krebs oder Rückenmarksverletzungen, aber auch Diabetes zeigt die Forschung: Wenn Ärzte und Pflegekräfte Hoffnung nähren können, werden die Behandlungsergebnisse besser. Wir sehen Verbesserung bei der Schmerztoleranz, oder auch höhere Quoten, wenn es darum geht Behandlungspläne einzuhalten.“
Eine aktuelle Studie zeigt etwa, dass Hoffnung junge Depressionspatientinnen und -patienten vor Suizidversuchen schützt. Auch im Sozialen kann Hoffnung helfen, etwa dabei, dass Wohnungslose wieder eine Unterkunft finden, wie Untersuchungen von Hellmann zeigen.
„Ich denke, die Kraft der Hoffnung, und das zeigt die Forschung einheitlich, liegt darin, dass sie einer der stärksten Faktoren für unser Wohlbefinden ist, psychologisch, physiologisch und sozial“, sagt der Psychologe.

Empowerment und Selbsthilfe

Doch Mia Diekow bemerkt auch eine negative Seite der Hoffnung, und zwar, wenn andere Menschen sie mit permanenter Zuversicht konfrontieren:
„Ständig sagen Leute: Aber ich hoffe, dir geht es bald mal besser. Für mich ist das schwierig. Es baut Druck auf, dass ich mich verbessern soll, um diesen Menschen einen Gefallen zu tun. Das ist eine Form von Hoffnung, die mit einem Wunsch verknüpft ist, dem man aber als chronisch kranker Mensch überhaupt nicht entsprechen kann.“
Auch weil es für Mia Diekow nur wenig Hoffnung auf spontane Heilung gibt. Sie lernt mit ihrem Krankheitsbild umzugehen. Medikamente oder eine einheitliche Therapie, die "Post Covid" heilt, fehlen bisher.
Beim Chronischen Fatigue-Syndrom sieht es ähnlich aus. Eine Krankheit, die theoretisch schon lange beschrieben ist:
„Ich muss auch immer an die Menschen denken, die eigentlich kaum Grund zur Hoffnung haben. Es gibt Menschen, die deutlich schwerer betroffen sind als ich. Die liegen im Bett, werden teilweise künstlich ernährt, und die sehen seit Jahrzehnten, dass nichts passiert in der Wissenschaft, dass keine Forschungsgelder bereitgestellt werden. Die sehen, dass das Thema psychologisiert und marginalisiert wird.“
Mia Diekow wählt einen neuen Weg, aktiv mit ihrem Schicksal umzugehen. Sie beginnt, sich als politische Aktivistin für Betroffene zu engagieren, wird Sprecherin der Selbsthilfegruppe "Long Covid Deutschland". Hier redet sie mit Medien und der Politik, setzt sich dafür ein, dass das Thema mehr Beachtung bekommt und Gelder in die Forschung fließen – mit ersten Erfolgen: „Wir haben zehn Millionen für klinische Forschung durch den Haushalt geschleust, zusammen mit engagierten Haushaltspolitikerinnen und -politikern“, sagt Diekow. Angesichts der vielen Betroffenen sei das aber viel zu wenig. Auch darum will sie sich weiterhin für das Thema stark machen.
Chan Hellmann nennt das Empowerment, und diese Hilfe zur Selbsthilfe sei eine gute Strategie in Krisen: „Dieses Empowerment ist sehr wichtig für Individuen, damit sie das Gefühl haben, etwas tun zu können, was in ihrer Kontrolle liegt.“ Hieraus kann man neue Hoffnung schöpfen.
Mia Diekow will sich weiter dafür einsetzen, dass die Belange von "Post Covid"-Patienten gehört werden. Handeln und selbst etwas tun – das treibt ihre Hoffnung an.

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